Königsbrücke und Königskolonnaden 1872

Königsbrücke und Königskolonnaden: Vom Ensemble zum Fragment

Dieser Beitrag ist Teil 3 von 11 der Beitragsserie "Die Königsbrücke und die Königskolonnaden"

Berliner Leben um die Kolonnaden

Die Königsvorstadt erlebt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen bedeutenden Bevölkerungszuwachs. In der Folge entwickelt sich die Königstraße zu einer wichtigen Hauptstraße der Stadt. An ihr stehen das Rathaus, das Stadtgericht und das General-Postamt. Zahlreiche renommierte Geschäfte bedienen eine rege Kundschaft. Weil damit auch der Verkehr mehr und mehr zunimmt, kommt der an der östlichen Stadtgrenze gelegenen Königsbrücke eine immer größere Bedeutung als Übergang über die städtischen Wasserwege und als Durchlaß in der Stadtumgrenzung zu.

Die wachsende Reputation der Königstraße läßt sie auch als Wohngegend für die Wohlhabenden der Stadt immer attraktiver werden. Das macht sich auch in der direkten Umgebung der Königskolonnaden bemerkbar. So gehört das erste Haus an der nördlichen Kolonnade, Haus Königstraße 33, im frühen 19. Jahrhundert dem Bankier und preußischen Hoffaktor Liepmann Meyer Wulff, der von 1794 bis 1806 Generalpächter der staatlichen preußischen Lotterie war und unter dem Beinamen „Berliner Krösus“ in die Stadtgeschichte eingegangen ist. Zum Zeitpunkt seines Todes im Jahre 1812 gilt er als der reichste Mann der Stadt. Das Haus in der Königstraße wird, wie Berliner Adreßbüchern aus jener Zeit zu entnehmen ist, anschließend von seiner Witwe weiterhin bewohnt. Eine Tochter von Liepmann Meyer Wulff war Amalie Beer, deren Sohn Jakob Liebmann Meyer Beer einer der erfolgreichsten Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts wurde und besser unter dem Namen Giacomo Meyerbeer bekannt ist. Im dem Liepmann-Meyerschen Haus gegenüberliegenden Gebäude ist 1833 der prachtvollste Destillateur-Laden Berlins untergebracht.

1822 ist das Jahr, in dem die ersten Erneuerungsarbeiten an den Königskolonnaden vorgenommen werden. Das Dach muß repariert werden. Anstelle der zum großen Teil gestohlenen Kupferbleche werden nun Zinkplatten verwendet. Weniger als zehn Jahre später, von 1831 bis 1832, läßt der Berliner Magistrat eine umfassende Sanierung der Kolonnaden durchführen. Ein neuer Ölanstrich wird aufgebracht und Skulpturen, unter ihnen besonders die Kindergruppen, werden ausgebessert. In zwei der Kolonnadenläden sind das „Lotterie-Komptoir des Obereinnehmers Herrn Burg“ und eine Leihbibliothek eingezogen.

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Königsbrücke und Königskolonnaden im Jahre 1835 auf einem Gemälde von Eduard Gärtner. Im Vordergrund die Königsbrücke mit den Kinderfiguren an den Laternenhaltern, dahinter geht der Blick durch die Kolonnaden in die Königstraße. Rechts hinter der nördlichen Kolonnade liegt der Kolonnadengarten, zwischen den Bäumen ist der Turm der Marienkirche erkennbar.
Quelle: Wikimedia Commons, Gemälde von Eduard Gärtner, Lizenz: gemeinfrei, da urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen.

Die Zunahme des Verkehrs in der Königstraße, die durch die Eröffnung des Königstädtischen Theaters am 12. März des Jahres 1824 noch befeuert wird, mündet in eine frühe Diskussion um die Verkehrssituation in der Königstraße, in der vor allem die zu geringe Breite der Königsbrücke bemängelt wird. Doch auch die Kolonnaden werden wiederholt zum Verkehrshindernis erklärt, wie das folgende Zitat aus der Berliner Presse um 1849 beweist:

Vor der Brücke, unmittelbar den letzten Häusern sich anschließend und etwas vorspringend, liegen zu beiden Seiten die Kolonnaden, ionische Säulenlauben aus Sandstein, welche zwar einen sehr hübschen Anblick gewähren, bei dem ungeheuren Verkehr in dieser Gegend aber häufig, indem sie die Straße verengen, sehr unbequem erscheinen.

In den Jahren 1840 und 1854 werden verschiedene Projekte für die Verbreiterung der Königsbrücke entworfen, deren Ideen von der Auskragung von Granitplatten über das Vorsetzen eiserner Bögen bis zur Errichtung hölzerner Stege reichen, deren Zweck es ist, die Wege für die Fußgänger von der eigentlichen Brücke hinauszurücken, um so mehr Platz für die Fahrbahn zu gewinnen. Keines dieser Projekte gelangt jedoch zur Umsetzung, weil der Stadt schlicht das Geld dafür fehlt.

Dabei geht es aber gar nicht mehr nur um die Verbreiterung der Brücke allein. Diese ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts bereits in einem sehr beklagenswerten Zustand, weil unzureichende Bauqualität und über die Jahre unterbliebene Maßnahmen zur Sicherung der Brücke gegen ins Mauerwerk eindringendes Wasser dazu geführt haben, daß der Mörtel in weiten Bereichen aufgeweicht ist. In der Folge kommt es im Jahre 1855 dazu, daß sich ein Stück der Sandsteinverkleidung von der Ostseite des nördlichen Mittelpfeilers löst und dieser droht abzusinken. Die Brücke wird baufällig. Als man versucht, durch Einschütten von Beton, Ausmauern mit Klinkersteinen und Anschütten von Steinen gegen die herausgetriebene Spundwand die Brücke notdürftig auszubessern, entdeckt man schließlich die gravierenden Mängel in der Bausubstanz. Sowohl die Pfeiler als auch die Bögen bedürfen einer dringenden Erneuerung.

Doch zunächst geschieht – nichts. Langwierige Auseinandersetzungen zwischen der Stadt und dem als Eigentümer eigentlich verantwortlichen preußischen Fiskus um die Finanzierung verhindern jegliche Maßnahmen zur Instandsetzung der Brücke. 1863 errichtet man lediglich einen provisorischen hölzernen Übergang neben der steinernen Königsbrücke. Die Straße verläuft nun über beide, die zusammen den umfangreichen Berliner Geschäftsverkehr bewältigen müssen. Dabei bleibt es bis zu den anbrechenden 1870er Jahren.

Königsbrücke und Königskolonnaden 1872
Ein Blick über die Königsbrücke durch die Königskolonnaden in die Königstraße im Jahr 1872. Im Hintergrund ist der Turm des Roten Rathauses zu erkennen. Neben der alten Königsbrücke ist die ergänzte provisorische Brücke gut zu erkennen.
Quelle: Wikimedia Commons, Fotograf: Hermann Rückwardt (1845–1919), Lizenz: gemeinfrei, da urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen.

Der Königsgraben dient zu jener Zeit noch immer sowohl dem Verkehr als auch dem Sport. Besonders an Sonntagen ist er von zahlreichen Gondeln belebt. Auch die Kolonnaden sind mit ihren Geschäften nach wie vor ein beliebter Treffpunkt der Berliner. Daß es sich bei den Läden längst nicht mehr nur um bedeutungslose Krambuden handelt, belegen die Zeitungen und Zeitschriften jener Zeit, in denen man Annoncen wie diese einer Vogelhandlung in der Zeitschrift „Die gefiederte Welt“ finden kann, die am 19. Dezember 1872 unter der Überschrift „Weihnachtsvogelmarkt“ erschienen ist:

Auch Bewig (unter den Königskolonnaden) hat ein Pärchen rothstirniger neuseeländischer Sittiche zum Verkauf.

Beim Blättern in den Zeitungsmeldungen jener Zeit finden sich aber auch weniger positive Meldungen mit Bezug auf die Königskolonnaden; so beispielsweise diese aus dem „Königlichen Preußischen Staats-Anzeiger“ von 1870:

Am 11. April d. J. ist in der Charité der Hausdiener Wallis an einer Hirn- und Schädelverletzung gestorben, welche er in der Nacht zum 2. April d. J. und zwar wahrscheinlich bei einer Schlägerei erhalten hat, welche um Mitternacht in der Königstraße, etwa in der Gegend der Königs-Kolonnaden, stattgefunden haben soll.

Die Gegend zwischen Königskolonnaden und Alexanderplatz war offenbar schon damals ein gelegentlich heißes Pflaster.

Für’s Ende eine neue Brücke

Im Jahre 1872 ist es endlich soweit: die baufällige Königsbrücke wird erneuert. Doch statt sie zu sanieren, entschließt man sich zu einem kompletten Neubau. Die Entwürfe liefert der Geheime Ober-Hofbaurat Heinrich Strack, ein Architekt der Schinkelschule, der auch für die Petrikirche und die Siegessäule verantwortlich zeichnete. Die Leitung der Baumaßnahmen übernimmt Baurat Louis Schrobitz. 

Die neue Königsbrücke ist zwar ebenfalls eine Bogenbrücke, besitzt aber nur noch drei Flachbögen. Ihre Pfeiler bestehen aus Kalkstein und Ziegelmauerwerk und sind mit Granit verkleidet. Die Bögen mauert man mit Ziegeln auf und setzt ein Geländer aus weißem Sandstein darüber, das eine ähnliche Form wie das der früheren Brücke besitzt. Mit mehr als 57 Metern Länge und etwa 31 Metern Straßenbreite ist der neue Bau erheblich größer als sein Vorgänger. Die Brücke wird damit auf die Flucht der hinteren Säulen der Kolonnaden verbreitert. Doch auch wenn es damit noch einen Bezug zwischen Brücke und Kolonnaden gibt, sind beide nun nicht mehr so aufeinander abgestimmt, wie es Gontard einst beabsichtigt hatte. Während sich die alte Brücke zu den Kolonnaden hin zu verbreitern schien, wirken diese nun optisch wirklich straßenverengend.

1873 ist der neue Brückenbau fertiggestellt, 1874 stellt man auf den Postamenten über den Pfeilern wieder Figurengruppen aus Sandstein auf. Für die neue Königsbrücke wurde von Alexander Calandrelli ein komplett neues Figurenprogramm aus insgesamt acht Gruppen entworfen, die alle aus Seehausener Sandstein geschaffen werden. Die Mitte der Brücke bevölkern vier Figurengruppen, die als sitzende Flußgottheiten die Hauptströme Deutschlands darstellen. Begleitet wird jede Gottheit von zwei Kinderfiguren, die Utensilien tragen, die den jeweiligen Strom repräsentieren sollen. Die Figurengruppe „Rhein“, von Rudolf Schweinitz geschaffen, zeigt Weinlese und Lachsfischfang. Die „Elbe“ von Alexander Calandrelli wird durch einen den Hamburger Handel symbolisierenden Merkur und einen Knaben mit einem Zahnrad dargestellt, der auf die Grusonwerke bei Magdeburg verweist. Die „Oder“, ebenfalls von Rudolf Schweinitz gestaltet, wird durch einen Bergmann mit Keilhaue, der für den oberschlesischen Bergbau steht, und die Schafschur, die auf den Wollmarkt in Breslau verweist, angedeutet. August Wittig schließlich gibt seiner „Weichsel“ die Attribute für die Holzflößerei und – in Form einer Ährenleserin – den Getreidebau in der Weichselniederung bei.

Vier weitere Figurengruppen stellen Szenen aus dem Leben eines Kriegers dar. Von Hermann Wittig wird „Der Auszug des Kriegers“ als Abschied des Kriegers von seiner Familie gestaltet, während Rudolf Schweinitz für die Gruppe „Der Kampf / Schanzenstürmung“ eine Kampfszene darstellt. Ludwig Brodwolf zeigt „Den verwundeten Krieger“ und Alexander Calandrelli schließt die Reihe mit seiner Skulptur „Die glückliche Heimkehr des Kriegers“ ab.

Zu jener Zeit gelten die Königskolonnaden nach wie vor als Gontards schönster Säulenbau. So schreibt beispielsweise Alfred Woltmann in seiner 1872 erschienenen „Baugeschichte Berlins“:

Verwandten Charakters sind die beiden Colonnaden an der Spittelbrücke und an der Königsbrücke. Die erste hat keine große Bedeutung, aber in der zweiten lebt eine an den besten Quellen der Zeit genährte Einbildungskraft, die in der Gruppirung der Säulen und Bögen, in der Anordnung der Krönungen und der Ornamente, in dem Wechsel von Schatten und Licht malerisch bis zum Zauberhaften ist. Wenn diese Halle, statt mitten im rauschenden Geschäftsverkehr des Tages, zwischen grünen Gebüschen und Laubwänden auftauchte! Wenn statt des Putzes Marmor oder wenigstens Sandstein ihr Material wäre! Ein Maler, der für Gesellschaftsbilder aus der Rococowelt einen architektonischen Hintergrund suchte, vermöchte keine besseren Motive, als die hier verwendeten, zu finden.

Und Paul Rowald zeichnet in seinem 1876 in der „Zeitschrift für Bauwesen“ erschienenen Artikel „Die Königscolonnaden und die alte Königsbrücke in Berlin“ folgendes Bild:

Die decorative Wirkung dieser Anlage, denn nur eine solche beabsichtigte der König, ist eine treffliche. […] hier [ist] durch die kräftigen Pfeiler- und Säulengruppen der Pavillons, die Doppelstellung der Säulen in den Hallen, die reichen phantastischen Silhouetten der Krönungen der Übergang von der freien Brücke in die weitgedehnten Häuserflächen der Königsstraße auf das Glücklichste gelöst. Die altersgrauen Säulen mit dem tiefen Schatten der Hallen, das Grün der hinter den Läden liegenden Gärten, deren Bäume die hochgethürmten Trophäen der Attika überragen, der Einblick in die äußerst lebhafte Straße, in deren Verkehr besonders der ärmere jüdische Theil der Bevölkerung eine Rolle spielt, über Allem links der neue Rathhausthurm, rechts die zopfige Gothik des Marienkirchthurmes; zu beiden Seiten an dem eckig geführten Festungsgraben Gärten, Holzhöfe, Fabriken, Hinterhäuser und alte fiscalische Gebäude lassen diesen Punkt noch heute als einen der malerisch bedeutendsten Berlins erscheinen.

Ein langes Leben ist der neuen Königsbrücke jedoch nicht beschieden. Nur ein Jahr nach Aufstellung der Figuren beginnt der Bau der Berliner Stadtbahn. Weil man für ihre Trasse Grundstücke benötigt, aber möglichst keine Häuser dafür abreißen will, entsteht die Idee, die Strecke zwischen den späteren Bahnhöfen Jannowitzbrücke und Börse (dem heutigen Bahnhof Hackescher Markt) entlang des Königsgrabens zu führen. Als schlauchförmiges Grundstück in staatlichem Besitz ist dieser für den Bahnbau ideal geeignet. Auseinandersetzungen mit privaten Eigentümern lassen sich so erfolgreich vermeiden. Weil der Graben dafür jedoch zugeschüttet werden muß, entbrennt darüber eine Diskussion, die auch das Schicksal der Königskolonnaden einbezieht, wie der folgende Bericht der „Deutschen Bauzeitung“ vom 11. November 1876 über eine Versammlung des Architektenvereins zu Berlin und einen dort abgegebenen Bericht des den Stadtbahnbau realisierenden Ernst Dircksen zeigt:

Die Hrn. Ende, Adler und Blankenstein erkundigen sich, ob und in welchem Maße bei der Stadtbahn-Anlage die Königs-Kolonnaden etwa berührt würden; Hr. Dircksen erklärt hierzu, dass, wenn der Königsgraben bestehen bleibe, 3 Systeme von den Kolonnaden fallen müssten; würde der Graben aber verschüttet, so wäre es möglich, die Kolonnaden intakt zu erhalten. Die Hrn. Fragesteller können nicht umhin, über den Inhalt dieser Antwort ihre laute Verwunderung zu äussern und in indirekter Weise gegen den Gedanken der Schädigung eines der hervorragenden Baudenkmale Berlins aus älterer Zeit Protest einzulegen.

Der Abbruch auch der Königskolonnaden wird ernsthaft in Betracht gezogen. Dazu trägt bei, daß ihr Zustand erneut stark zu wünschen übrig läßt. Der in den 1830er Jahren aufgebrachte Ölanstrich ist größtenteils abgeblättert und einzelne Bauteile und die Skulpturen sind stark verwittert. Weil infolge des Stadtbahnbaus über den Abriß der Kolonnaden nachgedacht wird, unterbleibt eine Instandsetzung. Bald nach Bekanntwerden des Abbruchvorhabens gehen jedoch bei verschiedenen Ministerien zahlreiche widersprechende Eingaben ein. Auch Baurat und Architekt Friedrich Schulze, der unter anderem das Preußische Herrenhaus entworfen hat, setzt sich für den Erhalt der Kolonnaden ein. Diese Bemühungen sind schließlich von Erfolg gekrönt. Als man wenig später mit der Zuschüttung des Königsgrabens beginnt, ist die Entscheidung zugunsten der Königskolonnaden gefallen. Sie bleiben stehen.

Um den Graben zu beseitigen, fährt man mit flachen Booten reinen Sand aus der Umgebung Berlins heran und kippt ihn Fuhre für Fuhre ins Wasser, bis es zum Ende hin ziemlich morastig ist und schließlich dem für den zukünftigen Bahndamm erforderlichen festen Untergrund weicht. Der Planung des Vorhabens läßt man sehr schnell die Ausführung folgen, die man auch zügig abschließt. Zeit für ausgedehnte Suchen nach Bodenaltertümern oder die Inspizierung alter Festungsfundamente läßt man sich nicht. Bis zum Ende der 1870er Jahre ist der Königsgraben verschwunden. In der Folgezeit bereitet man auch anderen Wasserläufen wie beispielsweise dem Grünen Graben, wie der westliche Teil des ehemaligen Berliner Festungsgrabens genannt wird, dasselbe Schicksal. So sind die letzten in der Stadt verbliebenen Reste der alten Festung Berlin schließlich endgültig verschwunden. Daß dies einige Berliner durchaus als Verlust empfanden, macht der folgende Kommentar einer Berliner Zeitung aus der Zeit zwischen 1900 und 1910 deutlich:

Die Beseitigung der kleinen Wasserläufe machte das Stadtbild etwas eintöniger […]. Die Zuschüttung dieser Gräben nahm aber auch den Kolonnadenbrücken viel von ihrer ursprünglichen Bedeutung. Man gewöhnte sich daran, sie als ‚in Gedanken stehen gebliebene‘ Baureste anzusehen, über welche die Entwicklung bereits hinweggeschritten war, ohne zu bedenken, daß diese Bauwerke als ehrwürdige Monumente der architektonischen Vergangenheit der Reichshauptstadt mit Pietät betrachtet werden wollen, als Zeugen einer Zeit künstlerischer Betätigung, die der unsrigen bei weitem überlegen erscheint.

Ab 1878 wird dann die viergleisige Hochbahnstrecke zwischen Schlesischem Bahnhof und Charlottenburg errichtet. Weil sie ohne den Königsgraben vollkommen überflüssig geworden ist, reißt man die Königsbrücke gegen Ende der 1870er Jahre schließlich ab. Die Königskolonnaden bleiben verwaist zurück. Für die Brückenfiguren gibt es an der Königstraße nun keinen Platz mehr. Sie werden an andere Orte gebracht. Die Allegorien der Deutschen Ströme versetzt man 1882 in den Berliner Tiergarten, wo man sie auf dem Großfürstenplatz in einem Halbrund anordnet, eingefaßt von einer Taxushecke. Von links nach rechts folgen die Figurengruppen „Weichsel“, „Oder“, „Elbe“ und „Rhein“ aufeinander. 1888 werden sie durch den von Joseph von Kopf geschaffenen, im neobarocken Stil gehaltenen Tritonbrunnen aus Marmor ergänzt. Die Kriegergruppen stellt man an der Alsenstraße in der Nähe des Reichstages auf.

Um die Stadtbahn am Alexanderplatz mit einem Haltepunkt zu versehen, errichtet man von 1880 bis 1882 einen neuen Bahnhof als Halt für den Fernverkehr. Entworfen von Johann Eduard Jacobsthal, erhebt sich schon bald eine gewaltige Rundbogenhalle, die 190 Meter lang ist und in vierzig Metern Breite zwei Bahnsteige überspannt. Ihre südliche Stirnseite grenzt an die Königstraße und liegt unmittelbar neben den nördlichen Königskolonnaden. Direkt vor ihnen entsteht genau an der Stelle der alten Königsbrücke ein neuer Übergang, über den nun allerdings die Stadtbahn die Königstraße überquert. In frühen Planungen trägt der neue Bahnhof zunächst noch den Namen Königsbrücke. Offenbar bemerkt man erst später, daß nach der Fertigstellung der Bahn diese Brücke nicht mehr vorhanden sein würde, und tauft ihn schließlich in Bahnhof Alexanderplatz um.

All diese Baumaßnahmen in ihrer unmittelbaren Umgebung hinterlassen an den Kolonnaden, die ohnehin schon stark überholungsbedürftig sind, weitere Spuren. Daher bewilligt der Staat einen Betrag von 27.000 Mark für die mittlerweile dringend nötigen Ausbesserungsarbeiten, mit denen man zunächst an der nördlichen Kolonnade beginnt, weil diese nicht zuletzt durch die Umbauarbeiten schwerer in Mitleidenschaft gezogen ist.

Doch bereits 1884 kommt es zu erneuten Diskussionen um den Erhalt der Königskolonnaden an der Königstraße, als längs des neuen Bahnhofs mit der Gontardstraße ein neuer Fahrweg entsteht, der direkt auf die Kolonnaden zuführt. Weil die nördliche Kolonnade hier eine Barriere bildet, ist ein direkter Anschluß an die Königstraße nicht möglich. Zunächst verfällt man auf die Idee, zumindest einen Teil dieser nördlichen Kolonnade zu beseitigen, um die Straßenverbindung herstellen zu können. Wieder kommt es seitens der Bevölkerung zu erheblichen Widerständen. Auch der Verein für die Geschichte Berlins schaltet sich in die Debatte ein, wie in der Nummer 12 seiner Mitteilungen vom Dezember 1884 zu lesen ist:

In Sachen der Königskolonnaden […] wurde einstimmig auf Antrag des Ersten Vorsitzenden beschlossen, seitens des Vereins ein Gesuch an den Herrn Kultusminister zu richten und ihn zu bitten, daß er aus den von uns darzulegenden Gründen, welche die Erhaltung dieses Berliner Kunstdenkmals bezwecken, bei dem Herrn Minister der öffentlichen Arbeiten dahin vorstellig wird, daß auch bei Anlegung der projektirten Straße die Kolonnaden geschützt werden.

Anfang des Jahres 1885 ist dann der Nummer 5 der Vereinsmitteilungen die Antwort des Ministers zu entnehmen:

Dem Vorstande erwidere ich auf die Eingabe vom 1. Dezember v. J., daß nach den angestellten Ermittelungen wegen der Feststellung der Baufluchtlinie vorlängs der noch dem Eisenbahnfiskus gehörigen, unbenannten Kommunikation am Bahnhof Alexanderplatz hierselbst und wegen des Ausbaus der nach dieser Kommunikation zu gelegenen Rückwand der nördlichen Königskolonnade zwischen den Betheiligten Verhandlungen schweben, welche voraussichtlich zu einem, auch die Wünsche des Vereins für die Geschichte Berlins befriedigenden Abschluß gelangen werden.

Die in diesem recht umständlich formulierten Schreiben angesprochenen Verhandlungen enden schließlich damit, daß man sich entschließt, die Kolonnaden vollständig zu erhalten. Um aber wenigstens Fußgängern die Möglichkeit zu geben, von der König- in die Gontardstraße zu gelangen, wird die rückwärtige Wand der nördlichen Kolonnade mit Durchgängen versehen. Dafür müssen die an dieser Stelle befindlichen Läden größtenteils aufgegeben werden. Das Schreiben verweist aber auch auf ein weiteres Problem, das der erneuten Diskussion um den Bestand der Königskolonnaden neue Nahrung gegeben hatte. Dieses ergibt sich daraus, daß an der westlichen Seite der Gontardstraße neue Häuser errichtet werden, deren Bauflucht genau auf den rückwärtigen Mittelpavillon der nördlichen Kolonnade zuläuft, für den man auch ein Portal geplant hatte. Würden diese Bauten wie vorgesehen errichtet, wäre dieses Portal von Häusern verschlossen. Erst die angesprochenen und sich lange hinziehenden Verhandlungen mit den Grundstückseigentümern führen schließlich zu einem Kompromiß, der eine Offenhaltung des Portals durch einen Versatz in der Baufluchtlinie ermöglicht.

1885 können dann in der Folge dessen auch an der südlichen Kolonnade Restaurierungsarbeiten in Angriff genommen werden, für die der Staat weitere 27.000 Mark bereitstellt.

All diese Baumaßnahmen bewirken eine vollständige Umgestaltung der unmittelbaren Umgebung der Königskolonnaden, die Peter Wallé im Jahre 1884 in der Zeitschrift „Der Bär“ folgendermaßen beschreibt:

Vor den bedeutenden Umwälzungen, die die Stadtbahn in ihrem ganzen Zuge hervorgerufen, gab es wenige Punkte in Berlin, die an malerischem Reize sich mit der Perspektive der Königstraße vom Alexanderplatz aus messen konnten. Vom Ufer des Grabens ging der Blick über die moosbewachsene Brücke, zwischen deren freigeschwungenen Bögen nur noch die letzten Spuren eines reichen Trophäenschmucks sichtbar waren. Zierliche Gruppen von Kinderfiguren säumten in gefälligem Umriß die kunstvoll durchbrochene Balustrade, die hier den, aus der Königsstadt heranfluthenden Verkehr in knappere Grenzen eindämmte. Jenseits des Wassers, dessen Spiegel von kleinen Fahrzeugen belebt, dessen Bett von Gärten, Lagerplätzen und Fabriken eingeschlossen wurde, erhoben sich die stattlichen Doppelsäulen der Kolonnade, hinter sich das wundervolle Grün eines alten romantischen Parkes, zur Linken den stolzen Thurm des Rathauses von Berlin und rechts, in duftiger Ferne, die kühn aufragende Spitze der Marienkirche. Das ist nun Alles anders geworden. – Der Graben ist verschüttet; die Brücke ist verschwunden; selbst die alten Baumriesen, in deren Schatten Lessing und Mendelssohn, Nicolai und Meyerbeer gewandelt haben sollen, sie mußten ihr Haupt beugen, Raum zu geben dem Andrängen der, die ganze Welt umspannenden Schiene.

Der Bahnhof Alexanderplatz mit den Königskolonnaden 1904
Der Bahnhof Alexanderplatz mit den Königskolonnaden davor im Jahr 1904, von der Königstraße aus gesehen. Der Fotograf steht hier an der südlichen Kolonnade und blickt auf die nördliche, in der vage die Durchgänge zur Gontardstraße erkennbar sind.
Quelle: Wikimedia Commons, Fotograf: Ernst von Brauchitsch (1856-1932), Lizenz: gemeinfrei, da urheberrechtliche Schutzfrist erloschen.

Von dieser einstigen Schönheit der Umgebung ist wenig übriggeblieben. Die Königsbrücke ist abgerissen, ihre Figuren sind verschwunden. Ohne ihre Brücke stehen die Kolonnaden nur noch als Torso einer ehemals zusammenhängenden Anlage an ihrem Platz. Ihre ursprüngliche Bedeutung als Überleitung vom Straßenland zur Brücke ist abhanden gekommen. Weil anstelle des sanft dahinfließenden Wassergrabens nun die Eisenbahn über das Stadtbahnviadukt dampft, das hier die Königstraße überquert, sind die Kolonnaden vom Alexanderplatz aus nicht mehr zu sehen – die neue Stadtbahnbrücke versperrt die Sicht. Und auch das grüne Umfeld gibt es nicht mehr. Die Bäume hinter der nördlichen Kolonnade sind längst gefällt, an ihrer Stelle führt eine neue, von Geschäftshäusern gesäumte Straße auf die Kolonnaden zu, deren Rückwand nun wie eine Barriere wirkt. Peter Wallé umreißt die neue Situation:

Aber die veränderte Umgebung rückt noch weitere Sorgen für uns in den Kreis der Möglichkeit, nachdem […] hinter der nördlichen Halle eine Straße entstanden ist, zu welcher einige der Kolonnadenportale unter Beseitigung der Läden als Durchgänge eingerichtet worden sind. Diese Straße führt von dem Sedan-Panorama aus, also von einem der besuchtesten Punkte der Residenz, längs des Bahnhofes Alexander-Platz direkt auf die Rückwand der Kolonnade, die an öder Abscheulichkeit wirklich Nichts zu wünschen übrig läßt. Man steht dort vor einer trübgefärbten altersgrauen, kahlen Mauer, in deren unterem Theile einige Schlupflöcher sich bemerkbar machen.

Und er fordert:

[Es] muß aber darauf gedrungen werden, daß die Rückwand, die nunmehr auch eine ästhetische Funktion zu erfüllen hat, demgemäß in die Hand eines Künstlers gegeben werde. Ohne Gontards Ideen zu nahe zu treten, wird es nicht schwer sein, die Panoramaseite durch plastische Belebung der Flächen und durch Wiederholung der Frontarchitektur würdig herzustellen.

Und so geschieht es schließlich auch. 1888 beginnen unter der Leitung von Baurat Schultze die Arbeiten, mit deren Ausführung Hofsteinmetzmeister Paul Wimmel beauftragt wird, ein Nachfahre jenes Johann Heinrich Wimmel, dessen Steinmetzfirma einst die Kolonnaden errichtete. Die Rückwand wird architektonisch ausgeformt, wobei man sich an der Vorderfront der Kolonnaden orientiert. Für die Gestaltung hervortretender Teile und Ornamente verwendet man Cottaer Sandstein, glatte Flächen werden mit Putz versehen. In Analogie zu den vorderen Durchgängen erhalten die Rückseiten des Mittelportals und der Portale an den Kolonnadenenden seitlich vorgestellte Doppelsäulen. Das erfordert die Schließung der Durchgänge neben dem Mittelportal, die im Inneren der Kolonnade als Nischen ausgebildet werden. Im Zuge dieser Arbeiten entfernt man auch die alten Holzbalken aus den Felderdecken. Diese werden in der alten Form als Steindecken gänzlich neu geschaffen. Und auch das Dach bezieht man ein: das Zinkdach wird durch Eisenwellblech ersetzt. Alles in allem betragen die Kosten 33.000 Mark.

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