Viele Berliner und Besucher dieser Stadt dürften bereits vor diesem Gebäude, das die gesamte Westseite des heutigen Bebelplatzes einnimmt, gestanden und seine einzigartige Fassade bewundert haben, die es von den umliegenden Bauten abhebt und auf eine gewisse Art und Weise einzigartig werden läßt. Doch nur wenigen dürfte bekannt sein, daß die Alte Bibliothek nicht nur das älteste Berliner Bibliotheksgebäude überhaupt, sondern gleichzeitig auch der erste selbständige Berliner Bibliotheksbau der Stadt ist.
Nahe der Straße Unter den Linden im historischen Stadtviertel Dorotheenstadt gelegen, entsteht die Alte Bibliothek in den Jahren 1775 bis 1780 im Auftrag Friedrichs II. als jüngster Bau des sogenannten Forum Friderizianum beziehungsweise Lindenforums. Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff, der das Lindenforum entwirft, beabsichtigt ursprünglich, an der Stelle, an der die Alte Bibliothek steht, das Gebäude der Akademie der Wissenschaften zu errichten. Der Entwurf für das Lindenforum wird jedoch nie in die Tat umgesetzt. Die ursprünglich für Berlin geplante Errichtung einer Residenz wird aufgegeben - diese entsteht schließlich in Potsdam. Anstelle des geplanten Ensembles des Forum Friderizianum werden nach und nach einzelne Gebäude errichtet, die in keinem engeren Zusammenhang mehr stehen.
Eines dieser Gebäude ist schließlich die Alte Bibliothek. 1774 erteilt der König die Anweisung, eine Königliche Bibliothek zu bauen, um dort seine Büchersammlungen unterzubringen. Diese waren seit dem Jahre 1661 im sogenannten Apothekenflügel des Berliner Stadtschlosses untergebracht. Unter Kurfürst Friedrich Wilhelm 1661 begründet, bilden diese Sammlungen, die anfangs als Curfürstliche Bibliothek, ab 1701 als Königliche Bibliothek bezeichnet werden, die Ursprünge der heutigen Staatsbibliothek. Durch Ankäufe Friedrichs I. und vor allem Friedrichs des Großen wachsen die anfangs rund 21 000 Druck- und 1 800 Handschriften auf ca. 150 000 Bände an. Da im Stadtschloß nun nicht mehr genügend Platz zur Verfügung steht, soll das neue Bibliotheksgebäude diese Sammlungen von nun an beherbergen. Daher erwirbt der König 1774 den Platz gegenüber der Oper, auf dem zum damaligen Zeitpunkt die Seitengebäude des Schwedtschen Palais standen. Der französische Architekt Bartholomée Bourdet erarbeitet im selben Jahr einen ersten Entwurf, doch Friedrich II. lehnt ihn ab. Ein Jahr später beauftragt der König dann Georg Friedrich Boumann d. J., das Bibliotheksgebäude nach Plänen von Georg Christian Unger zu errichten. Auf Weisung des Königs lehnt Unger seine Pläne an die Entwürfe des österreichischen Baumeisters Joseph Emanuel Fischer von Erlach an, die dieser etwa im Jahre 1725 für den Michaelertrakt der Wiener Hofburg anfertigte und die durch Stiche (unter anderem von Salomon Kleiner) und ein entsprechendes Modell bekannt geworden waren. Die Grundsteinlegung erfolgt am 17. Juli 1775. Bereits 1780 ist das Gebäude fertiggestellt. Damit ist die Berliner Kopie wesentlich früher fertig als das österreichische Original. Die Arbeiten an diesem wurden nämlich im Jahre 1730 eingestellt. Erst 1893 gelingt es, sie zu vollenden, wobei allerdings die originalen Pläne des Joseph Emanuel Fischer von Erlach verändert werden. Was auf den ersten Blick lediglich wie ein Plagiat erscheint, erweist sich in Wirklichkeit als eine Demonstration Friedrichs II. - eine Demonstration der Überlegenheit Preußens gegenüber Österreich, eine Demonstration der Fähigkeit, dieses Projekt innerhalb kürzester Zeit zu realisieren. Die Berliner Kopie ist somit kurioserweise älter und originaler als das österreichische Vorbild.
Die Alte Bibliothek gilt heute als einziges erhaltenes Beispiel der Baukunst des Hochbarock in Norddeutschland. Das Zentrum der Fassade bildet ein rechteckiger Mittelrisalit, an den sich sowohl rechts als auch links bogenförmige Flügel sowie Eckpavillons (Seitenrisalite) mit korinthischen Säulen und Pilastern anschließen. Wegen seiner geschwungenen Fassade taufen die Berliner das Gebäude bereits kurz nach seiner Erbauung einfach nur Kommode. Nach außen hin viergeschossig wirkend, beinhaltet der Bau nach seiner Fertigstellung in Wahrheit lediglich zwei Stockwerke. Sowohl das Sockel- als auch das Obergeschoß umfaßt jeweils zwei Fensterreihen.
Die drei Risalite des Gebäudes werden mit jeweils einer Figurengruppe auf ihrer Balustradenattika geschmückt. Diese Figuren stammen von Wilhelm Christian Meyer d. Ä. (1726 bis 1786). Die vierzehn Einzelskulpturen und die beiden Prunkvasen stellen im Ganzen eine Huldigung an das preußische Königshaus dar. Gleichzeitig soll die humanistische Gesinnung des Königs gewürdigt werden. Die Figurengruppe im Zentrum des Gebäudes zeigt die königlichen Attribute: Krone und Zepter. Sie ruhen auf einem aufgeschlagenen Buch, von zwei schwebenden Putten gesäumt. Darunter sind eine geschwungene Wappenkartusche mit Katarakt sowie Bücher zu sehen - Attribute der Geschichtswissenschaft. In einem weiteren Bildnis innerhalb dieser zentralen Figurengruppe ergießt sich die Quelle des Wissens über drei Masken, die mit Bockshörnern, Eselsohren und Kuhhörnern Unvernunft und Torheit verkörpern. Eine geschwungene Draperie rahmt den gesamten Giebelaufbau ein. Die Figurengruppe auf dem rechten Seitenrisalit verkörpert die himmlische Sphäre. Die links sitzende Frauengestalt mit einem wehenden Schal verkörpert den Wind, die rechts sitzende weibliche Figur mit einer lodernden Fackel das Feuer. Alle neun Musen sollen unter den vierzehn Figuren vertreten sein. Eine eindeutige Zuordnung ist aber wohl nicht möglich. Die Figurengruppen zeigen verschiedene Attribute der Musen: Bücher, Schriftrollen, Harfen, Rosenblüten, Lorbeerkränze und -girlanden sowie Masken.
Von Beginn an steht die Königliche Bibliothek nicht nur dem König zur Verfügung, sondern ist gleichzeitig als Gelehrtenbibliothek benutzbar. Mit der Eröffnung der Berliner Universität, der sogenannten Friedrich-Wilhelms-Universität, im Jahre 1810 im gegenüberliegenden Palais des Prinzen Heinrich wird vom Stifter der Universität, Friedrich Wilhelm III., verfügt, daß auch die Studenten die Bibliothek nutzen können.
Von 1831 bis 1854 wird schließlich auch die Neue Bibliothek der Universität im Bibliotheksgebäude untergebracht. Über mehrere Jahrzehnte hinweg dient das Unter- bzw. Sockelgeschoß zugleich als Magazin für die Kulissen der gegenüberliegenden Staatsoper sowie als Uniformlager. Da auf diese Weise mit der Zeit der zur Verfügung stehende Platz immer mehr zur Neige geht, wird 1840 verfügt, daß das Untergeschoß von den Fremdnutzern zu räumen ist. Zwischen 1840 und 1842 wird es schließlich in ein Erd- und ein Zwischengeschoß unterteilt. Doch auch das löst die Platzprobleme nur kurzfristig, so daß in den 1860er Jahren ein Umbau des Obergeschosses erforderlich wird, in dessen Verlauf es ebenfalls mit Ausnahme des Mittelbaues in zwei Geschosse unterteilt wird.
Dennoch ist die Grenze der Erweiterungsmöglichkeiten zum Ende des 19. Jahrhunderts erreicht. Die Räumlichkeiten in der Kommode sind jetzt so beengt, daß ein Neubau notwendig wird. Im Jahre 1909 wird das neue Gebäude der Staatsbibliothek fertiggestellt. Noch im selben Jahr zieht die Büchersammlung um. Die nun frei gewordene ehemalige Hofbibliothek erhält eine neue Bestimmung. In den Jahren 1909 bis 1910 wird sie zu einem Aula- und Hörsaalgebäude umgebaut. Nach Abschluß dieser Arbeiten im Jahre 1910 wird die Alte Bibliothek zum 100. Universitätsjubiläum mit der neueingerichteten Aula an die Universität als Hörsaalgebäude übergeben. In der folgenden Zeit wird die Kommode vor allem durch die Juristische Fakultät der Universität genutzt. Im Jahre 1924 werden vor dem Hauptportal zwei Standbilder von Fichte und Savigny aufgestellt, die von Hugo Lederer geschaffen wurden.
Der Zweiten Weltkrieg, in dessen Verlauf insbesondere Berlins Mitte schwere Zerstörungen hinnehmen muß, geht auch an der Alten Bibliothek nicht vorüber. 1945 brennt sie vollständig aus. Übrig bleiben lediglich einige Teile der Außenfassaden. Die Standbilder vor dem Portal werden vollkommen, der Figurenschmuck auf der Attika zu gut einem Drittel zerstört. Der südliche Eckrisalit erleidet schwere Schäden, die Innenräume existieren nicht mehr.
Aus Anlaß der Wiedereröffnung der Universität am 20. Januar 1946 wird die Kommode offiziell wieder der Berliner Universität übergeben, obwohl sie sich zu diesem Zeitpunkt noch in völlig zerstörtem Zustand befindet. Doch ein Wiederaufbau ist bereits geplant. Allerdings dauert es noch über fünfzehn Jahre, bis dieser tatsächlich in Angriff genommen werden kann. Im Jahre 1963 beginnen die Abrißarbeiten an der Bauruine. Von 1965 bis 1969 wird dann die Alte Bibliothek unter der Leitung von Werner Kötteritzsch wieder aufgebaut. Dabei wird die alte Fassade unverändert beibehalten. Das Innere des Gebäudes wird entsprechend der modernen Anforderungen der Nutzung als Universitätsgebäude wiedererrichtet. Zum ebenfalls zur Humboldt-Universität gehörenden Alten Palais wird eine Verbindung geschaffen. Am Südflügel der Alten Bibliothek wird der sogenannte Kommoden-Neubau, ein Plattenbau, errichtet, der ebenfalls mit der Kommode verbunden wird. Im zukünftigen Hauptlesesaal des Juristischen Seminars wird ein farbiges Glasfenster in die Fassade eingefügt. Es füllt das im Mittelrisalit dominierende Rundbogenfenster aus und wird von Frank Glaser geschaffen. Es erinnert an den Studienaufenthalt Lenins in der Alten Bibliothek im Jahre 1895.
In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts werden erhebliche Verwitterungsschäden sowohl an der Fassade als auch an den Figurengruppen festgestellt. Eine umfassende Restaurierung ist dringend erforderlich, wenn keine dauerhafte Schädigung des historischen Gebäudes in Kauf genommen werden soll. So beginnen im März 1998 die Restaurierungsarbeiten, die inzwischen abgeschlossen sind. Heute wird die Alte Bibliothek nach wie vor von der Humboldt-Universität genutzt - als Hauptsitz der Juristischen Fakultät. Der Kommoden-Neubau gehört allerdings nicht zur Universität, sondern ist mittlerweile der Sitz des BAFöG-Amtes.
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