BerlinerBär
IV. Bis 1945

Von Johannes Glintschert.

Ein neuer Abschnitt in der Entwicklung Berlins beginnt 1871 mit dem Sieg im Deutsch-französischen Krieg. Der preußische König Wilhelm I. (er hatte 1858 für den regierungsunfähig gewordenen Friedrich Wilhelm IV. zunächst die Regentschaft übernommen und war 1861 offiziell König von Preußen geworden) wurde in Versailles zum deutschen Kaiser gekrönt. Damit lebte das deutsche Kaiserreich, zwar erheblich verändert und unter Ausschluß Österreichs, wieder auf. Berlin wurde zur Hauptstadt dieses Reiches. Es bleibt auch die Hauptstadt Preußens (bis zu dessen Untergang nach Ende des 2. Weltkrieges 1945).

Der Architekt Heinrich Strack erhielt den Auftrag zum Bau einer Siegessäule. Diese wurde mit der Siegesgöttin von Friedrich Drake versehen. Ihre Einweihung erfolgte am 2. September 1873 in Anwesenheit des Kaisers mit einer Militärparade.

Bereits 1861 war mit dem Bau des neuen Rathauses unter dem Architekten Waesemann begonnen worden. Es wurde 1870 fertiggestellt und war mit seinem 74 m hohen Turm neues Wahrzeichen der Stadt. Wegen seiner äußeren Farbe wurde es "Rotes Rathaus" genannt. Es war aber nicht nur Ersatz für das zu klein und eng gewordene Berlinische Rathaus, das vorher an gleicher Stelle gestanden hatte, sondern zugleich Symbol der neuen liberaleren Entwicklungsphase, die etwa zu diesem Zeitpunkt eingesetzt hatte.

1860 war durch Regierungsbeschluß das Gebiet Berlins von 3511 auf 5923 Hektar vergrößert worden. Demgemäß waren der Wedding, der Gesundbrunnen, Moabit sowie die nördlichen Teile von Tempelhof und Schöneberg eingemeindet worden.

1876/78 erwarb die Stadt Berlin Territorien von Lichtenberg für den Bau des Zentralvieh- und Schlachthofes. 1881 folgte die Eingemeindung des eigentlichen Tiergartens, des Zoologischen Gartens und des Schloßbezirkes Bellevue. Deutlicher entstand eine räumliche Verschmelzung der Stadt mit den Vororten.

1911 kam es nach langen Diskussionen zu einem Kompromiß. Die Städte Berlin, Charlottenburg, Lichtenberg, Neukölln, Schöneberg, Spandau und Wilmersdorf sowie die Landkreise Teltow und Niederbarnim schlossen sich zum “Zweckverband Groß-Berlin” zusammen. Zwei wichtige Ergebnisse dessen waren der Ankauf des Grunewaldes (1915) und der Erwerb des gesamten Straßenbahnwesens (1919).

Dieser Zusammenschluß war bereits ein wichtiger Entwicklungsschritt, wenngleich noch mit begrenzten Aufgabenbereichen. So setzten sich die Diskussionen fort mit dem Ziel der Schaffung einer Gesamtgemeinde Berlin. Dies kam dann erst im Jahre 1920 zustande.

In den Jahren 1870-1914 wuchs die Bevölkerung Berlins sprunghaft von 826.000 auf über 2 Mio. Einwohner an. Gleichsam mußte der Bau von Wohnraum vorangetrieben werden, was jedoch auf engem Raum geschah. Berlin war zwar auf dem Wege sich zur Weltstadt zu entwickeln, gelangte aber auch zu dem zweifelhaften Ruf, größte Mietskasernenstadt der Welt zu sein (Hinterhöfe).

1888 verstarb Kaiser Wilhelm I. Sein Enkel wurde als Wilhelm II. deutscher Kaiser. Er verkörperte wie kein anderer das Streben nach Weltmacht. Da er in Gegensatz zu Bismarcks Politik stand, war dessen Entlassung nur eine Frage der Zeit. Sie erfolgte am 20. März 1890.
Unter dem neuen Kaiser entstanden in Berlin eine ganze Reihe neuer Bauten, so u. a. das Reichstagsgebäude, 1884/94 von Wallot, auch zahlreiche Kirchen, zu nennen ist vor allem die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche (1891/95) von Schwechten.

Die Stadtentwicklung war im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts weiter vorangekommen. Es erfolgte ein rascher Ausbau des Verkehrswesens. 1871 wurde z. B. die "Große Berliner Pferdeeisenbahn AG" gegründet, die ihr Liniennetz aufbaute. 1882 nahm die von Dirksen erbaute Stadtbahn den Betrieb auf. Bereits 1879 hatten Siemens und Halske eine elektrisch betriebene Bahn vorgestellt, die als erste elektrische Straßenbahn der Welt seit dem 16. Mai 1881 in Lichterfelde verkehrte. Damit war die generelle Umstellung der Pferdebahn auf Elektrizität eingeleitet. Gleichzeitig begann der Bau der ersten elektrischen Hoch- und U-Bahn (1897-1902). Die erste fertige Strecke reichte von der Warschauer Brücke bis zum Zoo. 1901-1906 entstand der Teltowkanal.

Mit dieser Entwicklung ging der wirtschaftliche Aufschwung Berlins zu einer der bedeutendsten Industrie- und Handelsstädte sowie zu einem Banken- und Börsenzentrum einher.

Auch die kulturelle Bedeutung der deutschen Reichshauptstadt nahm zu. In der Literatur sei auf Wilhelm Raabe ("Chronik der Sperlingsgasse"), aber besonders auf Theodor Fontane verwiesen.

Gerhard Hauptmanns "Vor Sonnenaufgang" wurde an der Freien Bühne uraufgeführt. 1905 übernahm Max Reinhardt das Deutsche Theater, dem er ein Jahr später die Kammerspiele angliederte. Berlin stieg zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach und nach zur ersten deutschen Theaterstadt auf.

In der Musik wuchs der Ruf der Oper sowie der 1869 gegründeten Hochschule für Musik. Hans von Bülow (1882 /94) und Arthur Nickisch (1895-1922) begründeten den Ruhm des Philharmonischen Orchesters.

In Malerei und Bildhauerei entwickelte sich der Impressionismus. Für die neue Richtung stehen Namen wie z.B. Lovis Corinth, Max Slevogt, Max Liebermann, Walter Leistikow, Reinhold Begas, Fritz Klimsch.

Das wissenschaftliche und Geistesleben gaben ebenfalls der aufstrebenden Stadt hohe Bedeutung. Profilierte Gelehrte an der Universität zogen immer mehr Studenten an. Deren Zahl belief sich 1909/10 auf 14.000. Insbesondere Naturwissenschaftler und Mediziner prägten das Bild um die Jahrhundertwende, wie z.B. der Augenarzt Albrecht von Graefe (dessen Denkmal steht vor der Charité), Robert Koch (Denkmal am Robert-Koch-Platz), Max Planck, Albert Einstein, Hermann Helmholtz. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Vereinigungen und Gesellschaften entstanden.

Der erste Weltkrieg 1914-1918 hatte auch auf Berlin nachhaltige Auswirkungen. Wenngleich nicht direkt in Kriegshandlungen einbezogen, bekam es die Kriegslasten zu spüren. Rationierungen und Hunger, der negative Kriegsverlauf führten zu Kriegsmüdigkeit und mündeten in Antikriegsaktionen und Streiks und schließlich in der Novemberrevolution 1918.

Am 9. November 1918 rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann vom Lesesaalfenster des Reichstages die Republik aus, während Karl Liebknecht vom Balkon des Portales IV des Stadtschlosses die sozialistische Republik ausrief. (Dieses Portal wurde in der DDR in das Staatsratsgebäude am Marx-Engels-Platz, heute wieder Schloßplatz, eingebaut.) Am 10. November 1918 floh Kaiser Wilhelm II. in das niederländische Exil.

Zum Jahreswechsel 1918/19 wurde in Berlin die KPD gegründet. Im Januar 1919 tobten Kämpfe in Berlin. Der Spartakusaufstand war der Versuch, unter Führung der KPD die sozialistische Richtung in der weiteren Entwicklung durchzusetzen. Er wurde von regierungstreuen Truppen niedergeschlagen. Die Führer der KPD, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wurden von reaktionären Freikorpsleuten ermordet.

Insgesamt fehlte es nicht an Versuchen der Konterrevolution, die Republik zu beseitigen. (Kapp-Putsch 1920).

In der Nachkriegsentwicklung der jungen Weimarer Republik kam es besonders auch in Berlin zu hoher Arbeitslosigkeit, Inflation und Elend für die Masse der Bevölkerung.

Nach 1923 setzte eine sehr widersprüchliche Entwicklung ein. Sie ließ Berlin einerseits wieder zu einem wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Zentrum von europäischem Rang werden. Dafür standen u. a. ein glanzvolles Theaterleben mit Namen wie Max Reinhardt und sein Deutsches Theater oder das Schauspielhaus Leopold Jessners, auch Schauspieler wie Elisabeth Bergner, Tilla Durieux, Paul Wegener, Fritz Kortner, Gustav Gründgens u. a., ein ebenso bedeutendes Musikleben, das von der Staatsoper unter Erich Kleiber und Leo Blech, der Krolloper unter Otto Klemperer, der Städtischen Oper unter Bruno Walter oder der Philharmoniker unter Wilhelm Furtwängler geprägt wurde. Das beweist auch die Vielfalt künstlerischer Experimente, Ausdrucksweisen und Stile, wofür Künstler wie Max Slevogt, Lovis Corinth, Käthe Kollwitz, Max Pechstein, um nur wenige zu nennen, stehen, deren Werke heute in den bedeutendsten Museen der Welt zu finden sind. Dazu gehört auch Max Liebermann, der Präsident der Akademie der Künste wurde. Für die Literatur stehen Heinrich Mann (er leitete die literarische Sektion der Akademie), Alfred Döblin ("Berlin Alexanderplatz"), Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky und viele andere. Auch auf den Gebieten Film und Presse gab es eine starke Entwicklung. Berlin wurde auch hier zur Hauptstadt Deutschlands.

Andererseits blieben jedoch vielerorts für große Teile der Bevölkerung die ungesunden, schwierigen materiellen Verhältnisse, Armut, Arbeitslosigkeit usw. bestehen, die nicht zuletzt einen günstigen Nährboden für die Ideologie des aufkommenden Faschismus bildeten und schließlich durch die 1929 hereinbrechende Weltwirtschaftskrise mit ihren katastrophalen Auswirkungen noch potenziert wurden.

In der Zeit nach dem 1. Weltkrieg ist für Berlins Entwicklung eine Entscheidung von herausragender Bedeutung, und zwar das bereits weiter oben erwähnte Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin vom 27. April 1920.

Die sieben Städte Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöneberg, Neukölln, Lichtenberg, Köpenick und Spandau sowie 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke wurden dadurch mit Berlin zu einer neuen Verwaltungseinheit zusammengeschlossen und standen unter einer Zentralverwaltung mit Magistrat und Stadtverordnetenversammlung. Mit einer Gesamtfläche von 88.000 ha und fast 4 Millionen Einwohnern zählte Berlin damit zu den größten Städten der Welt. Die Stadt wurde in 20 Verwaltungsbezirke unterteilt. Jeder Bezirk hatte ein Bezirksamt mit dem Bezirksbürgermeister an der Spitze, einem Stellvertreter und mehreren Bezirksstadträten. Legislative war die Stadtbezirksverordnetenversammlung.

Im Ergebnis dieses Zusammenschlusses wurden nennenswerte Errungenschaften im Wohnungsbau (bis 1930 entstanden 135.000), bei der Anlage von Parks (Volkspark Rehberge, Goethepark, Jungfernheide), beim Bau öffentlicher Gebäude (u. a. Haus des Rundfunks in der Masurenallee und der 1926 errichtete Funkturm auf dem Messegelände) sowie vor allem auch bei der Überwindung der Zersplitterung der städtischen Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke erreicht. Auch entstanden wichtige neue kommunale Betriebe wie die Berliner Müllabfuhr AG. Ebenso vorangetrieben wurde der Ausbau des städtischen Nahverkehrs mit der 1929 erreichten Zusammenführung aller bis dahin existierenden Einzelunternehmen in der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG). Im selben Jahr wurden Stadt- und Ringbahn elektrifiziert, wodurch auch das landschaftlich reizvolle Berliner Umland für den Ausflugsverkehr erschlossen wurde. Weiterentwickelt wurde ebenso das Wasserstraßennetz (der Westhafen im Wedding entstand), und Berlin wurde zum zweitgrößten Binnenhafen Deutschlands. Neben dem Ausbau der Stadt als Eisenbahnknotenpunkt wurde auch der Entwicklung des Flugverkehrs Rechnung getragen. Es entstand der Flughafen Tempelhof (1924), der damals noch dicht vor den Toren der Stadt lag und der 1936-1939 durch Ernst Sagebiel seine heutige Gestalt erhielt. Insgesamt entstanden damit in Berlin jene Strukturen, die noch heute zu den tragfähigen Grundlagen der Stadt zählen.

Am 30. Januar 1933 wurde Hitler vom damaligen Reichspräsidenten von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Die Faschisten feierten mit einem großen Fackelzug durch das Brandenburger Tor ihren Sieg. Das Feuer loderte bereits am 27. Februar 1933 weiter - der Reichstag brannte. Wahrscheinlich von ihnen selbst in Szene gesetzt, nutzten die Nazis diesen Anlaß für ihre Notverordnungen, die die verfassungsmäßigen Grundrechte aufhoben und ihnen die Gelegenheit zur Verfolgung und Vernichtung ihrer politischen Gegner gab. Die demokratischen Parteien und Organisationen, wie die KPD, SPD und die Gewerkschaften wurden verboten bzw. aufgelöst. Viele ihrer Vertreter wurden in die Zuchthäuser und Konzentrationslager gesperrt, gequält und ermordet. Zahllose Künstler, Wissenschaftler, Schriftsteller gingen in die Emigration. Ihre Werke wurden verboten, aus Museen, Bibliotheken u. a. kulturellen Einrichtungen entfernt, als "Schund" bzw. "entartete Kunst" bezeichnet.

Sofort nach ihrem Machtantritt betrieben die Faschisten die Verfolgung und Liquidierung der Juden, die mit der sogenannten Reichskristallnacht am 9. November 1938 einen unrühmlichen Höhepunkt erreichte. In Berlin wurden 40 Synagogen zerstört, jüdische Läden, Schulen und andere Einrichtungen vernichtet. Am Tag danach wurden 12.000 Männer in das KZ Sachsenhausen verschleppt. Dies war jedoch nur der Auftakt für die von ihnen proklamierte "Endlösung der Judenfrage", wie sie auf der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 beschlossen wurde. Systematisch wurden seitdem Deportationszüge vom Bahnhof Grunewald abgefertigt, die die jüdischen Menschen in die Vernichtungslager im Osten brachten. 1933 lebten in Berlin 175.000 gläubige Juden. 1939 waren noch 75.000 in der Stadt. Überlebt haben den Holocaust in Berlin nur wenige. Von den ca. 5.000 Juden, die in den Untergrund gegangen waren, überlebte nur ca. ein Drittel.
Unter der nationalsozialistischen Herrschaft erlosch Berlins Bedeutung als Zentrum von Kultur und Wissenschaften. Daran konnte der zeitweilige wirtschaftliche Aufschwung in den 30er Jahren (Autobahnbau und Arbeitsdienst sowie Ankurbelung der Rüstung führten zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit) ebensowenig etwas ändern wie die Olympischen Spiele 1936, wenngleich letztere sogar z. T. das Ausland blenden konnten.

Der verschwenderische Protz und Aufwand, den die Nazis betrieben, schlug sich auch im Baustil jener Zeit nieder. In Berlin heute noch sichtbare Beispiele dafür sind das damalige Reichsluftfahrtministerium in der Leipziger Straße und die Bauten am Fehrbelliner Platz. Zum Glück für die Nachwelt wurde nur ein kleiner Teil der gigantischen Pläne zur Schaffung einer pangermanischen Hauptstadt, die den Namen “Germania” tragen sollte, realisiert. Sonst wäre das wunderbare, historisch gewachsene Bild Berlins tragisch verändert worden.

Der Preis, den die Deutschen und nicht zuletzt damit auch die Berliner für den verbrecherischen Größenwahn der Faschisten zu zahlen hatten, war enorm. Wieder war von Deutschland ein Weltkrieg ausgegangen, der diesmal mit voller Wucht auf das Land und seine Hauptstadt zurückschlug. Die alliierten Luftangriffe auf Berlin legten ganze Stadtteile in Trümmer.

Am 23. April 1945 erreichten sowjetische Truppen die östlichen Vororte der Stadt. Am 30. April 1945 hatte Hitler Selbstmord begangen und entzog sich seiner Verantwortung.

Die Kämpfe in Berlin endeten am 2. Mai 1945. Die Rote Armee hißte die sowjetische Fahne auf dem Reichstagsgebäude. Am 8. Mai 1945 kapitulierte Deutschland bedingungslos vor den Mächten der Antihitlerkoalition. Damit war der 2. Weltkrieg beendet.

Weiter mit V. 1945 bis 1990

Hinweise:
Wir weisen ausdrücklich darauf hin, daß wir keinerlei Einfluß auf die Gestaltung und die Inhalte der verlinkten, zu dieser Site externen Seiten haben. Deshalb distanzieren wir uns ausdrücklich von allen Inhalten dieser Seiten und machen uns ihre Inhalte nicht zu eigen, sofern sie nicht unserer Autorenschaft unterliegen.
Auf dieser Site wird die alte deutsche Rechtschreibung verwendet.

[nach oben]

www.anderes-berlin.de

Was nicht jeder Reiseführer weiß - und mancher Berliner auch nicht!

© 2003-2012, Alexander Glintschert
Zuletzt geändert: 07 August, 2012