Das Haus mit den 99 Schafsköpfen gehört zu den Gebäuden des Alexanderplatzes, die heute völlig in Vergessenheit geraten sind. Es wird im Jahr 1783 in der Nähe der Georgenkirche errichtet, etwa dort, wo sich heute das Haus des Reisens befindet. Veranlaßt wird der Bau von König Friedrich II., der den Architekten Georg Christian Unger damit beauftragt. Dieser entwirft ein Wohn- und Gewerbehaus mit drei Geschossen – einen der sogenannten Immediatbauten. So bezeichnet man damals die im Rahmen eines königlichen Bauprogramms für Berlin und Potsdam errichteten Gebäude. Dieses Programm hatte der König zur Verschönerung des Stadtbildes ins Leben gerufen und auch finanziert. Nach Vorlagen aus italienischen Kupferstichwerken werden so rund dreihundert Gebäude mit repräsentativen Fassaden geschaffen und empfohlenen Privatpersonen überlassen. In Berlin entstehen auf diese Weise Bauten am Gendarmenmarkt, am Hackeschen Markt, Unter den Linden, in der Leipziger Straße und eben auch am Ochsenplatz, wie der Alexanderplatz zu jener Zeit noch heißt.
Unger stattet das neue Gebäude mit einem stark vorspringenden Vorbau mit offenem Laubengang aus. Die Seitenflügel reichen weit in die Bernauer und Landsberger Straße hinein, die hier auf den Alexanderplatz münden. Da geplant ist, in diesem Gebäude eine Woll- und Viehbörse unterzubringen, läßt Unger über jedem Fenster, direkt unter dem Dachgesims, einen Widderkopf – das Privilegzeichen der Viehhändler – aus Stuck anbringen. Insgesamt sind es 99 Widderköpfe, die dem Gebäude alsbald zu seinem Namen verhelfen: Haus mit den 99 Schafsköpfen. Diese Zahl ist verlockend genug, alsbald die folgende Anekdote aufkommen zu lassen, deren Wahrheitsgehalt jedoch nicht verbürgt ist:
Während der Errichtung des Hauses soll der vom König beschenkte Günstling immer wieder mit anderen Wünschen aufgewartet haben, wie sein Haus zu verzieren sei. So soll er sich eines Tages auch darüber beklagt haben, daß die Fassade so schmucklos sei. Der König sei darüber sehr verärgert gewesen, so daß er befohlen habe, 99 Widderköpfe am Haus anzubringen. Als nun der Beschenkte prompt nachfragte, warum es denn nur 99 Widderköpfe und nicht einhundert seien, soll der König ihm in einem Brief geantwortet haben:
“So Ihm die 99 Schafsköpfe nicht genug sind, dann stecke er seinen Kopf nur fleißig aus dem Fenster heraus, dann ist das Hundert voll.”
Nicht lange nach seiner Errichtung wird in dem Gebäude der Gasthof “Zum Hirschen” etabliert, dessen Name alsbald auch für das Gebäude verwendet wird. Aus diesem Anlaß wird am Giebel des Hauses ein Hirschrelief angebracht. Im Laufe der Zeit beehren einige auch noch heute bekannte Persönlichkeiten den Gasthof mit ihrem Besuch. So logiert hier im Jahre 1806 Karl Friedrich Schinkel für geraume Zeit. Im November 1811 übernachtet Heinrich von Kleist, aus Frankfurt/Oder kommend, in dem Gasthof, entschlossen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Wenig später, am 21. November, setzt er diesen Vorsatz am Kleinen Wannsee in die Tat um.
Lange Zeit steht das Gebäude am Alexanderplatz und erlebt den Wechsel der Zeiten und Ereignisse. In den Märztagen der Revolution von 1848 finden direkt vor ihm Kampfhandlungen statt. 1911 bezieht am Anfang der Landsberger Allee, in direkter Nachbarschaft des Hauses “Zum Hirschen” das alte Berliner Konfektionshaus Hahn neue Räume.
Im Jahre 1927 endet die Geschichte des Hauses für immer, als es ein Opfer der großangelegten Abrißarbeiten für den Bau der U-Bahn und die Umgestaltung des Alexanderplatzes wird. Übriggeblieben sind lediglich einige der steinernen Widderköpfe seiner Fassade, die heute im Märkischen Museum verwahrt werden.