Aus dem Lokalteil

8. November 1850: Geschichte einer waghalsigen Befreiung

Dieser Beitrag ist Teil 4 von 4 der Beitragsserie "Aus dem Lokalteil"

Die Meldung ist nur kurz, die am 8. November 1850 in der Vossischen Zeitung erscheint und in der es heißt:

Der im Zuchthause zu Spandau detinierte Professor Kinkel ist in der Nacht von vorgestern zu gestern (wie es scheint etwa um Mitternacht) entflohen. Die näheren Details dieser Flucht sind bis jetzt nicht bekannt geworden, es sollen aber schon vor mehreren Tagen von außen her Versuche entdeckt worden sein, welche darauf berechnet waren, eine solche Flucht zu ermöglichen.[1]Zitiert aus Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Im Verlage Vossischer Erben, Herausgeber E. Müller, Ausgabe 261 vom 8. November 1850, Seite 3.

Meldung in der Königlich privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen vom 8. November 1850 über die Flucht Johann Gottfried Kinkels
Meldung über die Flucht Johann Gottfried Kinkels in der Königlich privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen vom 8. November 1850.
Quelle: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Berlin, Ausgabe 261 vom 8. November 1850, Seite 3 – Digitalisiert durch die Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz.
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Und einen Tag später erfahre ich in derselben Zeitung:

Die Flucht Kinkels aus dem Zuchthause zu Spandau hat hier sowohl bei den Behörden als auch beim Publikum große Sensation gemacht, da man solche für völlig unmöglich gehalten hat und da die Direktion des Zuchthauses in Spandau vorher sogar ausdrücklich gewarnt gewesen sein soll.[2]Zitiert aus Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Im Verlage Vossischer Erben, Herausgeber E. Müller, Ausgabe 262 vom 9. November 1850, Seite 3.

Im weiteren Text der Meldung wird auf die Fahndung der Polizei nach dem Flüchtigen Johann Gottfried Kinkel und auf die mögliche Art seines Entkommens eingegangen, zu der jedoch keine sicheren Nachrichten vorlägen.[3]Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, 1850, Seite 3.

Auf diese Flucht waren wir ja schon einmal bei unserem „Spandauer Altstadt-Bummel“ gestoßen, als wir durch die Carl-Schurz-Straße gingen. In diesem Beitrag will ich diesem Ereignis, das den Meldungen zugrundeliegt, nachgehen, um es ein wenig aus dem Dunkel der Vergessenheit zu holen. Zumal diese von Carl Schurz und seinen Helfern durchgeführte Befreiungstat im November 1850 zu dieser Zeit ganz sicher viele Spandauer und Berliner Bürger interessiert und die Polizei sowie die Behörden intensiv beschäftigt haben dürfte.

Daß man eine solche Flucht zur damaligen Zeit für fast unmöglich gehalten hat, ist leicht vorstellbar, galt der Bau des Zuchthauses doch als ziemlich ausbruchssicher, und es waren doch wohl genügend Gefangenenwärter und Wachpersonal vorhanden. In unserem Artikel zum Altstadt-Bummel hatten wir dieses Gebäude etwas genauer beschrieben: Einst Palais des Rochus Guerini Graf zu Lynar, wurde es nach dem Dreißigjährigen Krieg vom Großen Kurfürsten gekauft, der es in ein Manufaktur- und Spinnhaus umwandeln läßt. Später widmet man es in ein Zucht- und Spinnhaus um, löst es 1872 auf und macht schließlich eine Kaserne daraus. Nachdem es der Militärfiskus 1887 verkauft hat, läßt es der neue Eigentümer abreißen und an seiner Stelle das Areal neu bebauen, wovon heute nur noch das Haus mit der Nummer 31 an der Ecke Carl-Schurz- und Charlottenstraße vorhanden ist.

Zunächst stellt sich mir die Frage, wie ich diesen Beitrag beginnen soll. Auf biographische Angaben zu beiden Persönlichkeiten will ich weitgehend verzichten. Es sei lediglich darauf verwiesen, daß Carl Schurz, der am 2. März 1829 in Liblar bei Köln geboren wurde und am 14. Mai 1906 in New York verstarb, als Student an der Bonner Universität ein Schüler des am 11. August 1815 in Oberkassel geborenen und am 13. November 1882 in Zürich verstorbenen Professors Johann Gottfried Kinkel ist und sich mit ihm befreundet. Beide engagieren sich in der demokratischen Bewegung und der 1848er Revolution und sind Mitkämpfer im badisch-pfälzischen Aufstand von 1849. Bei diesen, von preußischen Truppen niedergeschlagenen revolutionären Kämpfen wird Kinkel verwundet und gerät in Gefangenschaft. Schurz hingegen gelingt die Flucht in die Schweiz.

Porträt des Johann Gottfried Kinkel, unbekannter Künstler.
Johann Gottfried Kinkel – Deutscher Dichter und preußischer Sträfling.
Quelle & Copyright: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.
Urheber: unbekannt
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Nunmehr, im November 1850 nach Kinkels Flucht, sind die Polizei und die Behörden in Berlin, Spandau – letzteres ist zu der Zeit noch eine selbständige Stadt – und sicher in ganz Preußen stark damit beschäftigt, den Flüchtigen wieder zu ergreifen. Zunächst rätseln sie jedoch, wie Kinkel überhaupt entkommen konnte, was nicht zuletzt durch die zitierten Meldungen der Vossischen Zeitung deutlich wird. Auch beginnt wohl zeitgleich die Fahndung nach den Helfern, da klar sein dürfte, daß diese Befreiung nicht das Werk eines Einzelnen sein kann, sondern daß Schurz, von dem die Polizei zu diesem Zeitpunkt noch nichts wissen kann, dazu auf die Hilfe zumindest eines Gefangenenwärters sowie einiger Bürger aus beiden Städten angewiesen ist.

Daß diese Flucht die Berliner und Spandauer Bürger beschäftigt, zeigt mir ferner auch ein Blick in die Tagebuchaufzeichnungen von Karl August Varnhagen von Ense. Dort heißt es unter dem 28. November 1856:

Daß das Jahr 1848 mit seinen Freiheitsbestrebungen in dem Kern der Berliner Einwohnerschaft noch unvergessen ist, davon zeugen mancherlei Wahrnehmungen; die Zeitungen, Plakate, Flugschriften und Bilder aus jener Zeit werden von vielen Bürgern sorgsam aufbewahrt, hin und wieder in stillen Abendvereinen vorgelesen. […] Der Prozeß gegen Dr. Falkenthal hat mit seinen genauen Erörterungen der Flucht Kinkels wieder viel politische Leidenschaft aufgeregt.[4]Zitiert aus Karl August Varnhagen von Ense: Betrachtungen und Bekenntnisse – Aus den Tagebüchern von 1835 bis 1858, herausgegeben von Dieter Bähtz, Verlag Rütten & Loening, Berlin, 1. Auflage 1980, Seite 333.

Auf Dr. Karl Heinrich Ferdinand Falkenthal und den genannten Prozeß sowie deren Beziehung zu der Befreiungsaktion werde ich später noch zurückkommen.

Im Zusammenhang mit den Prozessen gegen die verhafteten Teilnehmer am badisch-pfälzischen Aufstand 1849 wird auch der Professor Johann Gottlieb Kinkel zu lebenslänglicher Festungshaft verurteilt. Der Richterspruch wird dann, auf Veranlassung des Königs, in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe umgewandelt, die er dann im Zuchthaus in Naugard, einer Stadt in der Nähe von Stettin, verbüßen soll[5]Im Unterschied zur Festungshaft, bei der der Verurteilte mehr Rechte erhält – er behält seinen Namen, seine Kleidung, erfährt keine unwürdige Behandlung und oft verbleibt ihm auch seine gewohnte geistige Beschäftigung -, verliert er als Zuchthaushäftling eben diese Rechte und wird mit gewöhnlichen Verbrechern gleichgesetzt. Dies wird im Falle Kinkels auch noch als Gnadenakt des Königs bezeichnet..

Varnhagen von Ense hält diesbezüglich schon am 10. Oktober 1849 in seinem Tagebuch fest:

In Baden dauern die Verurteilungen fort; zehn Jahre Zuchthaus, auch noch Erschießungen! – Kinkel ist hier durchgebracht worden ins Zuchthaus nach Naugard[6]Naugard, damals eine Kreisstadt in Hinterpommern nordöstlich von Stettin, liegt heute in Polen und heißt Nowograd., lebenswierig![7]Zitiert aus Varnhagen von Ense, Betrachtungen und Bekenntnisse, 1980, Seite 333.

Danach gibt es gegen Kinkel einen zweiten Prozeß in Köln, für den er von Naugard dorthin gebracht wird. Hier sollen diejenigen verurteilt werden, die im Mai 1849 am Zug revolutionärer Kräfte von Bonn nach Siegburg beteiligt waren, der den Zweck hatte, die dortige Rüstkammer des Zeughauses zu erstürmen – was allerdings schon im Vorfeld scheiterte – und an dem auch Kinkel teilnahm. Im Ergebnis dieses Prozesses wird er zwar freigesprochen, bleibt aber aufgrund des ersten Prozesses in Haft, in dem er ja zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurteilt worden war, die er nun aber nicht mehr in Naugard, sondern im Zuchthaus Spandau verbüßen muß.

Bei meinen weiteren Recherchen stieß ich auf Zeitungsmeldungen, unter anderem aus den Jahren 2006 und 2016, die auf eine Neuherausgabe der Lebenserinnerungen von Carl Schurz im Wallstein Verlag Göttingen[8]Carl Schurz: Lebenserinnerungen, herausgegeben von Daniel Göske, mit einem Essay von Uwe Timm, Wallstein Verlag, Göttingen, 2015; 4. Auflage 2017. verweisen. Im ersten Band, der seine Lebensjahre bis 1852 umfaßt, beschreibt Schurz im neunten Kapitel ausführlich die Befreiungsaktion. Seine Darstellungen benutze ich als entscheidende Quelle auch für diesen Beitrag, da sie der Wahrheit sicherlich am nächsten kommen dürften, auch wenn in Rechnung zu stellen ist, daß Schurz seine Lebenserinnerungen erst Jahre nach dem Ereignis aufschreibt. Auch konnte ich feststellen, daß Darstellungen in heutigen Medien im wesentlichen auf dieser Quelle beruhen[9]So beispielsweise in Felix Müller: Die Flucht aus dem Zuchthaus, In: Die Welt vom 11. Mai 2006 und Hannes Schwenger: Carl Schurz‘ Erinnerungen – Lincolns Vertrauter. Vom Revolutionär in Deutschland zum Republikaner in den USA – Die Erinnerungen von Carl Schurz. Eine Rezension, In: Der Tagesspiegel, Ausgabe 22734 vom 20. April 2016 Seite 21 oder auch Dirk Kurbjuweit, Das Erbe der Forty-Eighters, In: Der Spiegel, Ausgabe 14/2016, Seiten 120-123..

Carl Schurz - Porträt von George E. Perine, 1870.
Carl Schurz – Porträt von 1870.
Quelle: Missoury Historical Society.
Urheber: George E. Perine
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Der Coup wird vorbereitet

Carl Schurz, der nach dem badisch-pfälzischen Aufstand aus Rastatt fliehen kann und so der Gefangennahme durch die preußischen Truppen entgeht, lebt inzwischen im Exil in der Schweiz. Dort erhält er im Februar 1850 einen Brief von Johanna Kinkel, der Ehefrau seines Freundes, in dem selbige ihm die Lage ihres Mannes im Zuchthaus schildert und mitteilt, daß sie willens ist, alles für dessen Befreiung zu unternehmen. Er antwortet ihr und bekundet seine Bereitschaft, selbst diese Befreiungstat zu wagen. Das war keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Immerhin wurde Schurz in Preußen von Polizei und Justiz als Aufrührer verfolgt beziehungsweise steckbrieflich gesucht, was für ihn bei Ergreifung auch eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben bedeuten würde. Gemeinsam mit Johanna Kinkel und etlichen weiteren Unterstützern versucht er zunächst vor allem, genügend Gelder zusammenzubringen, da ihm klar ist, daß es ohne entsprechende Mittel kaum möglich sein wird, Helfer zu finden und das Vorhaben in die Realität umzusetzen.

Porträt der Johanna Kinkel, 1859, von Böhm nach Graß.
Johanna Kinkel
Nach dem vom Bildhauer Herrn Graß ausgeführten Relief-Porträt, gezeichnet von Herrn Böhm in London. 1859.
Quelle: Die Gartenlaube – Illustriertes Familienblatt, Ausgabe 1/1859, Seite 9 via Bayerische Staatsbibliothek.
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Um überhaupt in Preußen unterwegs sein können, besorgt sich Schurz noch in der Schweiz entsprechende Papiere. In seinen Erinnerungen schreibt er:

Ohne Aufschub begann ich meine Vorbereitungen. Ich schrieb meinem Vetter Heribert Jüssen in Lind bei Köln, dessen Signalement[10]Als Signalement bezeichnet man eine Personenbeschreibung, die insbesondere bei steckbrieflich Gesuchten verwendet wird und in der deren wichtigste Merkmale aufgezählt werden. in allen wesentlichen Punkten mit dem meinigen übereinstimmte, er solle sich von der Polizeibehörde einen Reisepaß für das In- und Ausland geben lassen und ihn mir zuschicken. Wenige Tage darauf war der Paß in meinen Händen, und ich konnte nun wie ein gewöhnliches unverdächtiges Menschenkind ohne Schwierigkeiten reisen, wo man mich nicht persönlich kannte.[11]Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seiten 268 f.

Im Ergebnis seiner und Johanna Kinkels Bemühungen und derer weiterer Freunde und Helfer gelingt es, eine entsprechende Geldsumme zur Verfügung zu haben, mit der alles Weitere ins Werk gesetzt werden soll.

Schurz reist daraufhin unter dem Namen Heribert Jüssen nach Deutschland ein – sozusagen illegal – und kommt am 11. August 1850 in Berlin an, ohne daß er von der Polizei behelligt oder gar erkannt wird. Zunächst wohnt er bei zwei Freunden in der Markgrafenstraße, die er von der Universität in Bonn kennt und die jetzt in Berlin studieren. Ihnen vertraut er sich, seine Person betreffend, an, ohne aber das Geheimnis seines Planes, die Befreiung Kinkels, zu erwähnen. In diesem Quartier geht er so oft aus und ein, daß die Polizisten, die in diesem Bezirk Dienst tun, ihn für einen der Berliner Universität angehörenden Studenten halten. In seinen Lebenserinnerungen schreibt er dazu:

Daß ich, der steckbrieflich Verfolgte, der Flüchtling, von der Berliner Polizei, die für so allwissend galt, so willig bedient wurde, gab uns häufig Stoff zum Lachen und war in der Tat scherzhaft genug.[12]Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seiten 293 f.

Seine erste Aufgabe sieht Schurz jetzt darin, Personen zu finden, denen er voll vertrauen kann und die geeignet sind, seinen Plan zu unterstützen. Bei dieser Suche wendet er sich zuerst an Dr. Karl Heinrich Ferdinand Falkenthal, einen Arzt, der in der Vorstadt Moabit wohnt und der ihm seinem Charakter und seinen Umständen nach am geeignetsten erscheint, an dem beabsichtigten Coup teilzunehmen. Besagter Dr. Falkenthal steht mit der Ehefrau Kinkels in Kontakt, die ihn Schurz wahrscheinlich als möglichen Helfer empfahl. Falkenthal hat auch in Spandau viele Bekannte und bringt Schurz mit dem Spandauer Gastwirt Friedrich Krüger zusammen. Über diesen schreibt Schurz:

Herr Krüger nahm in Spandau eine sehr geachtete Stellung ein. Er hatte seiner Gemeinde mehrere Jahre als Ratsherr würdig gedient, führte das beste Gasthaus in der Stadt, war wegen seines ehrenhaften Charakters und seiner Leutseligkeit allgemein beliebt […] Ich fand in ihm nicht nur ein mir sehr sympathisches Wesen, sondern einen ungemein klaren Verstand, große Diskretion, festen Mut und eine edle, opferwillige Hingebung an Zwecke, die er für gut erkannte.[13]Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite 303.[14]Der Gastwirt Friedrich Krüger betreibt zu jener Zeit in Spandau das Deutsche Haus, das sich im ehemaligen Schloß an der Potsdamer Straße, der heutigen Carl-Schurz-Straße, befindet. Heute ist es nicht mehr vorhanden, da es 1898 abgebrochen wurde. Zu Zeiten Krügers verkehren in dem Restaurant auch die Aufseher des Zuchthauses. Siehe Anmerkungen des Herausgebers zu Seite 303 in Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017.

Über Friedrich Krüger kommt Schurz mit anderen Spandauer Bürgern in Kontakt, die offensichtlich nach des Gastwirts Einschätzung trotz der Gefahren, die sich für sie ergeben könnten, vertrauenswürdig und auch demokratischer und freiheitlicher Gesinnung sind, was sicher in der nachrevolutionären 1848er Zeit nicht verwunderlich sein dürfte, vor allem, wenn man dabei die restaurativen Zustände in Preußen bedenkt.

Zwar bietet Krüger Schurz an, in seinem Haus Quartier zu beziehen, dieser bleibt aber zunächst in Berlin, da er befürchtet, daß er als Fremder in Spandau doch eher auffällt und sein Plan so nicht lange geheim bleiben kann. Er zieht es deshalb vor, alle weiteren Vorbereitungen von seinem Berliner Aufenthalt aus zu treffen, und pendelt dementsprechend häufig zwischen beiden Städten. Wichtig ist zunächst, daß Krüger ihm zwei Helfer vermittelt, die mit einigen Zuchthausbeamten bekannt und vertraut sind. Es handelt sich um die angesehenen Spandauer Bürger August Poritz und Wilhelm Leddihn. Poritz ist Nagelschmied, Leddhin Bäckermeister[15]Siehe Anmerkungen des Herausgebers zu Seite 305 in Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017.. Beide vermitteln Schurz Zuchthausbeamte, von denen sie glauben, daß sie dem Vorhaben dienlich sein können. Bei den ersten drei mißlingt der Versuch, sie zu rekrutieren. Sie sind lediglich bereit, Kinkel einige Erleichterungen wie bessere Kost zu verschaffen, nicht aber an einem Befreiungsversuch teilzunehmen[16]Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seiten 305 ff..

Schurz muß nach diesen Mißerfolgen zunächst etwas Zeit verstreichen lassen, die er unter anderem in Hamburg verbringt. Doch noch vor Ende September 1850 kehrt er zurück und wohnt jetzt bei Dr. Falkenthal in Moabit[17]Seine Adresse dort lautet: Moabit 17. Siehe Adreß-Kalender für die Königlichen Haupt- und Residenzstädte Berlin und Potsdam, auf das Jahr 1850, Verlag bei J. W. Boike’s Erben, Berlin, 1850, Seite 302.. Er erfährt, daß in Spandau alles ruhig geblieben ist und widmet sich wieder seinem Vorhaben. Nachdem auch ein vierter Zuchthausbeamter die Beihilfe ablehnt, beginnt er langsam an der Ausführbarkeit seines Planes zu zweifeln. Dann aber machen ihn seine Spandauer Freunde mit dem Gefangenenwärter Georg Brune bekannt. Über ihn schreibt Schurz:

Auch er war Unteroffizier gewesen; auch er hatte Frau und Kinder und ein spärliches Gehalt wie die anderen. Aber in seinem Wesen war nichts von der unterwürfigen Demut der Subalternnatur. […] Brune trat fest auf wie ein Mann, der sich dessen nicht schämt, was er zu tun willig ist.[18]Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite 309.

In den weiteren Gesprächen wird Schurz mit Brune einig, nachdem er diesem versichern kann, daß er über entsprechende Mittel verfügt, um auch für den Lebensunterhalt von dessen Familie sorgen zu können. Brune verlangt noch drei Tage Bedenkzeit und sagt danach zu, die Befreiungsaktion zu wagen. Schurz muß nunmehr das Geld in Empfang nehmen, das durch die Spenden vorhanden ist, die unter anderem auch von der baltisch-russischen Baronin Brüning[19]Schurz schreibt Brüning, statt den Namen Bruiningk zu benutzen. stammen, die eine größere Summe zur Verfügung gestellt haben soll[20]Zu der Dame heißt es in den Anmerkungen des Herausgebers von Schurz‘ Lebenserinnerungen:
„Baronin Marie von Bruiningk, geborene Fürstin von Lieven (1808-53), eine wohlhabende Baltin, hatte Kinkel schon 1847 kennengelernt. Sie spendete viel Geld für seine Befreiung und schrieb ihm gefühlvoll camouflierte Trostbriefe in die Spandauer Isolierhaft: „O, in Ihre öde Stille wollen treue Geister Ihnen zu mit Liebes- und Lebensgrüßen.“ (an Kinkel, 20. 10. 1850) Als ihr Haus in Hamburg 1852 auf russische Veranlassung durchsucht und ihre Briefe beschlagnahmt werden, flieht sie nach London. Dort führt sie einen Salon, in dem neben anderen Emigranten auch Schurz und Kinkel verkehren […]“.
Siehe Anmerkungen des Herausgebers zu Seite 311 in Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017.
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Porträt der Baronin Marie von Bruiningk, um 1845.
Porträt der Baronin Marie von Bruiningk, geborene Fürstin von Lieven, um 1845.
Quelle: Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, Marburgvia Deutsche Digitale Bibliothek
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Damit verfügt Schurz über die notwendige Summe, um Brune entsprechend zu bezahlen und ihn und seine Familie versorgen zu können. Er holt das Geld in Berlin ab. Er schreibt dazu:

Frau Kinkel hatte mich angewiesen, die zur Verfügung stehende Summe in Berlin bei einer ihr befreundeten Dame, einer Verwandten des berühmten Felix Mendelssohn Bartholdy, persönlich abzuholen.[21]Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite 311.

Bei der Dame handelt es sich, wie ich aus den Anmerkungen des Herausgebers von Schurz‘ Lebenserinnerungen erfahre, um die mit Johanna Kinkel gut bekannte Rebecka Henriette Dirichlet (1811-1858), geborene Mendelssohn. Sie ist eine Enkeltochter Moses Mendelssohns und die Schwester Felix Mendelssohn Bartholdys. Sie ist mit dem Mathematiker Peter Gustav Dirichlet verheiratet, dem Nachfolger von Carl Friedrich Gauß als Professor der höheren Mathematik an der Göttinger Universität[22]Siehe Anmerkungen des Herausgebers zu Seite 311 in Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017. Gemeinhin wird ihr Vorname mit Rebecka angegeben. Auf ihrem Grabstein in Göttigen ist er allerdings in der Schreibweise Rebecca zu finden..

Porträt der Rebecka Henriette Dirichlet von Wilhelm Hensel, unbekanntes Jahr.
Proträt der Rebecka Henriette Dirichlet, geborene Mendelssohn Bartholdy, unbekanntes Jahr.
Quelle: Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett
Zeichnung: Wilhelm Hensel
Fotograf: Jörg P. Anders
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Nachdem nun alle Voraussetzungen für das Unternehmen erfüllt sind, können Schurz und Brune mit den konkreten Planungen beginnen.

Der Coup wird durchgeführt

Die Befreiungsaktion wird für die Nacht vom 5. zum 6. November 1850 festgelegt. Dazu schreibt Carl Schurz:

Brune setzte mir nun auseinander, wie in einer Nacht, wenn er die Wache in den oberen und ein gewisser Beamter die Wache in den unteren Räumen des Zuchthauses habe, er sich die nötigen Schlüssel verschaffen und Kinkel an das Tor des Gebäudes bringen wolle. […] In der Nacht vom 5. auf den 6. November sind die Nachtwachen wie sie sein sollen.[23]Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seiten 310 f.

Zunächst muß sich Carl Schurz noch um Transportmittel und den sicheren Fluchtweg kümmern. Dazu gehört auch die konkrete Festlegung der Route mit den entsprechenden Stationen für den Pferdewechsel. Geplant wird die Flucht nach Rostock, um dann mit einem Schiff nach England zu gelangen. Schurz begründet diesen Plan so:

In Rostock hatten wir in dem hervorragenden Advokaten und Präsidenten des Abgeordnetenhauses Moritz Wiggers, den ich auf dem Demokratenkongreß in Braunschweig persönlich hatte kennen lernen [können], einen einflußreichen und treuen Freund. Auch war Rostock zu Wagen am schnellsten zu erreichen – denn der Eisenbahn durften wir uns nicht anvertrauen – und die Reise dahin bot noch den Vorteil, daß, wenn wir Spandau um Mitternacht verließen, wir hoffen durften, vor Tagesanbruch die mecklenburgische Grenze zu erreichen und so der unmittelbarsten Verfolgung durch preußische Polizei zu entgehen. Auch hatte ich auf meiner Liste zuverlässiger Personen eine ansehnliche Zahl von Mecklenburgern, an die ich mich um Hilfe wenden konnte.[24]Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seiten 312 f.[25]In den Anmerkungen zu Schurz‘ Lebenserinnerungen schreibt der Herausgeber zur Person von Wiggers: Moritz Wiggers (1816-94), der Sohn des Rektors der Rostocker Universität, war Notar, Mitglied des ‚Demokratischen Preßvereins‘, Herausgeber der liberalen Rostocker Zeitung und 1848 zum Präsidenten der konstituierenden Abgeordnetenversammlung Mecklenburgs gewählt worden. Als Kinkels Fluchthelfer angeklagt, wurde er zwar freigesprochen, 1853 aber wegen angeblichen Hochverrats fast vier Jahre ins Gefängnis gesteckt; danach bekam er Berufsverbot und schlug sich als Autor durch. Seine detailreiche Erzählung über ‚Gottfried Kinkel’s Befreiung‘, die 1863 in der populären Gartenlaube erschien, hatte er noch in der Isolierhaft niedergeschrieben und danach anhand von Prozessakten vervollständigt; Schurz bezieht sich mehrfach darauf. Später vertrat Wiggers im Parlament des Norddeutschen Bundes und von 1871-81 im Reichstag die Deutsche Fortschrittspartei.“ – Siehe Anmerkungen des Herausgebers zu Seite 290 in Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017.
Die Gartenlaube„, Untertitel: „Illustriertes Familienblatt“, war eine Zeitschrift, die seit 1853 in Leipzig erschien. Herausgeber waren Ernst Keil und Adolf KrönerMoritz Wiggers Erzählung (in der „Gartenlaube“ wird sie als Roman bezeichnet) erschien in Fortsetzungen in den Heften 7 bis 10 des Jahres 1863 unter dem Titel: „Gottfried Kinkel’s Befreiung“.

Porträtfoto von Moritz Wiggers
Porträtfoto von Moritz Wiggers.
Quelle: Nachlaß von Julius von Hölder, Innenminister – Portraitfotos von Freunden des Julius Hölder (besonders von befreundeten Parlamentariern), ca. 1850 bis 1887, Foto von Moritz Wiggers, Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, via Deutsche Digitale Bibliothek.
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Für den Transport gewinnt Schurz, offenbar mit Gastwirt Krügers Hilfe, den Gutsbesitzer Adolph Hensel aus der Nähe von Spandau, der Pferde und Wagen und sich selbst als Kutscher zur Verfügung stellt[26]Aus den Anmerkungen erfahre ich, daß es sich offenbar um den Gutsbesitzer Adolph Hensel aus Neu-Staacken bei Berlin handelt. Dort heißt es auch: Wiggers nennt ihn 1863 in der Gartenlaube noch vorsichtig den ‚Gutsbesitzer X. aus Z.‘.“  – Siehe Anmerkungen des Herausgebers zu Seite 314 in Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017..

Nachdem alle Voraussetzungen geschaffen scheinen, soll nunmehr zum genannten Zeitpunkt die Befreiung Kinkels durchgeführt werden. Zuvor hatte Brune jedoch noch auf Grund von Bedenken, daß etwas schief gehen könnte, Schurz gebeten, ihm das vereinbarte Geld vorab auszuhändigen, damit er sicher sein könne, seine Familie versorgt zu wissen, falls doch etwas eintrete, was den Erfolg verhindere. Nach gründlicher Überlegung übergibt ihm Schurz die vereinbarte Summe.

Die Aktion soll um Mitternacht beginnen. Alle Helfer sind auf ihren Plätzen, doch sie mißlingt. Brune kann die Schlüssel zu Kinkels Zelle nicht auf dem Spind finden, wo sie abends sonst immer hingelegt werden. Diesmal jedoch hatte der betreffende Inspektor selbige versehentlich in seiner Tasche belassen und nach Hause mitgenommen. Nunmehr müssen alle getroffenen Vorkehrungen, die Fluchtroute betreffend, abgebrochen werden, was mit nicht geringer Mühe verbunden ist. Am folgenden Tag erklärt Brune, daß die Befreiung Kinkels in der folgenden Nacht, vom 6. zum 7. November, erneut versucht werden soll. Diesen Plan beschreibt Schurz wie folgt:

Nun erzählte mir Brune, der Beamte, der in der kommenden Nacht die Wache auf dem oberen Stockwerk habe, sei krank geworden, und er, Brune, habe sich erboten, den Dienst für ihn zu versehen. Darauf habe er sich überlegt, er könne Kinkel ohne besondere Schwierigkeiten auf den Söller unter dem Dachstuhl bringen und ihn dann mit einem Seil aus der Dachluke auf die Straße herunterlassen. […] Ich sollte nur dafür sorgen, unten die Straße frei zu halten, während Kinkel vom Dach heruntergelassen würde, und ihn dann prompt in Empfang nehmen und fortschaffen. „Es ist eine etwas halsbrecherische Geschichte“, setzte Brune hinzu. „Von der Dachluke bis auf die Straße mag’s wohl sechzig Fuß sein. Aber wenn der Herr Professor Mut dazu hat, so glaube ich, daß es gehen wird.“ Für Kinkels Mut konnte ich einstehen. Was wagt ein Gefangener nicht für seine Freiheit.[27]Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seiten 326 f.

Dieser Plan wird, nachdem alle Beteiligten wieder informiert und auf ihren Plätzen sind, durchgeführt und die Flucht gelingt tatsächlich. Diesmal findet Brune die Schlüssel in dem Spind, mit denen er die Tür zu Kinkels Zelle öffnet und den Professor damit überrascht, daß er ihn jetzt aus seiner Gefangenschaft befreien wird. Da ist nun nur noch die Tür im Lattengitter der Zelle zu öffnen, aber – oh Schreck! – der Schlüssel paßt nicht! Brune bemüht sich vergeblich. Später erfahren sie, daß dieser Schlüssel nur zum Öffnen des Fensterladens dient und daß er nur den Schlüssel hätte nehmen müssen, mit dem er die äußere Zellentür öffnete, weil der auch zu dem Schloß der Lattentür gepaßt hätte. Aber im Moment der ungeheuren Anspannung fällt ihm das nicht ein. Beide versuchen nun zwar mit manuellen Kräften die Lattentür zu zerbrechen, was aber leider nicht gelingt. Brune, jetzt fest entschlossen, den Gefangenen herauszuholen, verläßt ihn kurz und kehrt dann mit einer Axt zurück. Es gelingt ihm, einige Latten damit zu lösen und mit gemeinsamer Anstrengung gelingt es beiden, eine Öffnung zu schaffen, durch die sich Kinkel herauszwängen kann. Vorsorglich schließt Brune vorher die doppelte Zellentür, wodurch der Lärm sehr gedämpft wird und auch die dicken Zwischenmauern kaum durchdringt. Dadurch erregen die Axtschläge auch beim übrigen Wachpersonal keinen Verdacht. Nunmehr muß alles sehr schnell gehen. Brune bringt Kinkel durch Korridore und über Treppen ungesehen nach oben auf den Söller und an die Dachluke, von wo er ihn per Seil, das er vorher schon in das Zuchthaus geschmuggelt hat, auf die Straße herablassen kann, nachdem er und Schurz die vereinbarten Signale ausgetauscht haben. Kinkel läßt sich an dem Seil herunter, durch das sich auch einige Dachschiefer und Mauersteine lösen, die ihm zum Glück keinen Schaden zufügen. Auch der dadurch verursachte Lärm hat keine Folgen, da in dem Moment der Wagen von Hensel über das Straßenpflaster rollt und die Geräusche überdeckt. Das einzige Problem, das auftritt ist, das Kinkel sich die Hände am Seil aufgeraut hat, was aber bei dieser Befreiungstat wohl nicht sehr ins Gewicht fällt. Schurz bringt den befreiten Freund in Krügers Gasthof, wo er schnell zivile Kleidung anlegen kann. In seinen Lebenserinnerungen beschreibt Schurz dann eine Szene, die ob ihres skurrilen Wesens hier zitiert werden soll:

Krüger, der einige Minuten zugesehen hatte, wie Kinkel die Züchtlingsuniform gegen seine neue Bekleidung austauschte, entfernte sich plötzlich mit einem ihm eigenen Lächeln. Bald trat er wieder ein, einige gefüllte Gläser tragend. „Herr Professor“, sagte er, „daneben sind einige Ihrer Gefängnisbeamten bei einer Bowle Punsch. Ich habe sie eben gefragt, ob sie mir nicht ein Glas erlauben wollten für ein paar Berliner Freunde, die gerade angekommen wären. Sie hatten nichts dagegen. Nun, Herr Professor, trinken wir Ihr erstes Wohl aus der Bowle Ihrer Kerkermeister!“ Es war uns schwer, nicht vor Vergnügen über den Humor der Situation laut aufzulachen.[28]Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seiten 330 f.

Ob sich diese Szene so abgespielt hat, könnte zumindest von dem Einen oder Anderen bezweifelt werden. Was wäre beispielsweise geschehen, wenn die Kerkermeister die „Berliner Freunde“ zu sich zum gemeinsamen Trinken eingeladen hätten? Vertrauen wir aber Schurz‘ Erinnerungen und gehen davon aus, daß es so abgelaufen ist, wie er es darstellt.

Gutsbesitzer Adolph Hensel, den Schurz noch am Tag vor der erneuten Befreiungsaktion in Krügers Gasthaus antrifft, erklärt sich sofort bereit, die Fluchtfahrt zu unternehmen. Seine Worte dazu lauten:

Ich fahre Sie, soweit meine Pferde laufen können.[29]Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite 328.

Die zuvor geplanten Pferdewechselstationen hatten nach dem Scheitern des ersten Versuchs in der vorigen Nacht abgesagt werden müssen. Während die Zuchthausbeamten noch bei ihrer Bowle feiern, steigen Schurz und Kinkel in Hensels Wagen und fahren eiligst durch das Potsdamer Tor aus Spandau in Richtung Hamburg hinaus. Vorher ist schon festgelegt, daß nur ein Stück in Richtung Hamburg gefahren wird, um dann den Weg gen Rostock einzuschlagen und so zumindest eine Zeitlang eventuelle Verfolger irrezuführen. Dazu schreibt Schurz:

So rasselten wir denn in schnellem Trabe durch das Potsdamer Tor, und diese List gelang so gut, daß, wie wir später erfuhren, wir am nächsten Tage auf den Bericht des Torwächters hin wirklich in der Richtung von Hamburg verfolgt wurden. Ehe wir das Städtchen Nauen erreichten, bogen wir nach rechts in einen Landweg und dann in die Berlin-Strelitzer Chaussee beim Sandkruge. So scharf die Braunen traben konnten, ging es vorwärts.[30]Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite 331.

Das Potsdamer Tor in Spandau vor 1910
Das Potsdamer Tor in Spandau vor 1910 auf einer Postkarte.
Quelle: Stadtgeschichtliches Museum Spandau
Sammlung: Postkarten-Fotosammlung – Sammlung Behnke
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Die Flucht gelingt, und mit Hilfe etlicher Freunde erreichen sie Rostock, und von da geht es letztlich mit einem Schiff nach England. Carl Schurz beschreibt im zehnten Kapitel seiner Erinnerungen diesen gesamten Fluchtweg sehr detailliert. Dies ist aber im weiteren nicht mehr mein Thema, wenngleich ich Interessierten nur empfehlen kann, darin weiterzulesen.

Vielleicht klingt die Beschreibung der Befreiungsaktion, wie sie in den „Lebenserinnerungen“ nachzulesen ist, doch ein wenig zu ausgeschmückt oder auch fast zu unglaublich, zumal Schurz, wie schon erwähnt, diese Niederschrift erst Jahre nach dem Geschehen anfertigte. Es ist jedoch unbestreitbar, daß sie tatsächlich gelang. Da sind das eine oder andere Detail nicht ausschlaggebend. Lassen wir aber dazu Carl Schurz noch einmal selbst zu Wort kommen. Er schreibt zum Schluß des zehnten Kapitels:

Ich habe diese Geschichte, deren Gegenstand in jenen Tagen sehr viel von sich reden machte, so niedergeschrieben, wie sie mir in der Erinnerung steht; und da dieses Haupterlebnis meiner Jugend sich natürlich in mein Gedächtnis sehr scharf einprägte, so glaube ich, daß die Erzählung, den wesentlichen Inhalt der angeführten Gespräche nicht ausgenommen, wahrheitsgetreu ist.[31]Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seiten 360 f.

Der Coup wirkt nach

Wir haben es mit dieser Befreiungstat immerhin auch mit einem Ereignis der Berliner beziehungsweise Spandauer Geschichte zu tun. Nicht nur wegen der gelungenen Flucht eines demokratisch gesinnten Mitkämpfers der 1848er Revolution und des badisch-pfälzischen Aufstands von 1849 aus einem zur damaligen Zeit gut bewachten Zuchthaus, sondern vor allem auch wegen der Teilhabe etlicher Berliner und Spandauer Bürger am Gelingen dieser Befreiungsaktion. Barg sie doch für diese Helfer eine große Gefahr für Leib und Leben, wie sich später auch zeigt. Hervorzuheben ist dabei vor allem der Gefangenenwärter Georg Brune. Ohne dessen tatkräftigen und mutigen Einsatz, der für Kinkels Befreiung ausschlaggebend ist, hätte es diese Tat gar nicht gegeben. Das bestätigt Carl Schurz selbst, indem er am Ende des neunten Kapitels seiner „Lebenserinnerungen“ schreibt:

[…] und dann tranken wir auf die „glückliche Wiedergeburt“ und auf das Wohl des tapferen Brune, ohne dessen Treue und Unerschrockenheit all unser Planen und Arbeiten umsonst gewesen wäre.[32]Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite 334.

Die preußischen Behörden ruhen natürlich nicht und fahnden nach dem Entflohenen, können ihn aber nicht ergreifen, wie wir schon gesehen haben. Aber auch die anderen Fluchthelfer stehen im Mittelpunkt der Fahndung. Auf das Schicksal dreier von ihnen sei nachfolgend kurz eingegangen.

Ziemlich bald fällt der Verdacht auf Georg Brune. Er wird verhaftet und 1851 zu über vier Jahren Gefängnis verurteilt. Nachdem er die Strafe verbüßt hat, zieht er mit seiner Familie wieder in seine Heimat Westfalen. Schurz schreibt in seinen Erinnerungen:

Nachdem er diese Strafe abgebüßt, zog er mit seiner Familie nach dem heimatlichen Westfalen, wo er mit seinem Gelde, das nicht entdeckt worden war, seiner Familie einen behaglichen Haushalt gründen konnte und unter seinen Landsleuten geachtet lebte.[33]Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite 359.

Der Gastwirt Friedrich Krüger gerät ebenfalls ins Fadenkreuz der Fahnder. Auch er wird verhört. In seinem Essay  zu den „Lebenserinnerungen“ führt Uwe Timm aus:

Nachzutragen ist, dass der Mitwisser Krüger, der die Gaststätte „Deutsches Haus“ betrieb, in der Schurz unter dem Namen Heribert Jüssen abgestiegen war, bei einem späteren Verhör aussagte, er habe sich nichts weiter dabei gedacht, außerdem sei auch der Prinz von Preußen, der „Kartätschenprinz“, auf der Flucht nach England bei ihm unter dem Namen Wilhelm Oelrich abgestiegen. Dieses verfinkelte Argument schützte Krüger selbstverständlich nicht vor dem Entzug seiner Konzession und damit verbunden vor großer Not.[34]Zitiert aus Uwe Timm: Essay zu den „Lebenserinnerungen“ von Carl Schurz, In: Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite XXV.

Dem steht allerdings gegenüber, daß Schurz in seinen „Lebenserinnerungen“ behauptet:

Krüger wurde freigesprochen, lebte ruhig in Spandau fort und starb in den siebziger Jahren, von seinen Mitbürgern allgemein geachtet.[35]Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite 360.

Gehen wir in diesem Fall davon aus, daß Schurz im fernen Amerika in diesem Fall nicht genau informiert ist und Uwe Timm über genauere Recherchen dazu verfügt.

Auf Dr. Karl Heinrich Ferdinand Falkenthal als einen von Schurz‘ wichtigsten Helfern hatte ich schon weiter oben verwiesen. Gegen ihn kommt es am 24. und 25. November 1856 zum Prozeß vor dem Stadtschwurgericht Berlin. Er ist dort in zwei Punkten angeklagt: Erstens die Teilnahme an der Befreiung Kinkels und zweitens, einen Meineid im Prozeß gegen den Gefangenenwärter Brune im April 1851 betreffend. Bei meinen Recherchen zu diesem Prozeß fand ich einen ausführlichen Bericht darüber im „Fränkischen Kurier (Mittelfränkische Zeitung)“, der in Fortsetzungen vom 30. November bis zum 7. Dezember 1856 darüber berichtet. Danach wird Dr. Falkenthal zwar in diesen Anklagepunkten freigesprochen, bleibt jedoch in Haft, da er bereits in einem früheren Prozeß wegen versuchten Hochverrats zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Diese Strafe verbüßt er im Zuchthaus zu Lichtenburg, wo er dann wohl in der Haft verstorben ist[36]Im „Fränkischen Kurier“ vom 7. Dezember 1856 heißt es zum Abschluß des Prozesses: „Nach geschlossener Beweisaufnahme erfolgen die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung.“
Der Staatsanwalt fordert ein Schuldig in den Anklagepunkten, der Verteidiger plädiert auf Freispruch. Dann heißt es dort weiter: „Die Beratung der Geschworenen währte eine halbe Stunde. Ihr Verdikt bei beiden Fragen auf nicht schuldig. In Gemäßheit dieses Ausspruches erkannte der Gerichtshof auf Freisprechung von Strafe und Kosten gegen den Angeklagten.“ – Siehe den Bericht in Fortsetzungen über den Prozeß gegen den Dr. K. H. F. Falkenthal vor dem Stadtschwurgericht Berlin, In: Fränkischer Kurier (Mittelfränkische Zeitung), 23. Jahrgang,
– Ausgabe 334 vom 30. November 1856, Seiten 1 f.,
– Ausgabe 336 vom 2. Dezember 1856, Seiten 1 f.,
– Ausgabe 339 vom 4. Dezember 1856, Seiten 1 f.,
– Ausgabe 340 vom 5. Dezember 1856, Seiten 1 f.,
– Ausgabe 341 vom 6. Dezember 1856, Seiten 1 f. und
– Ausgabe 342 vom 7. Dezember 1856, Seiten 1 f.
[37]Der Herausgeber der „Lebenserinnerungen“ von Carl SchurzDaniel Göske, schreibt in seinen Anmerkungen, daß Falkenthal zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wird und 1854 stirbt. Hierin irrt er offensichtlich, da der Prozeß erst 1856 stattfindet, Falkenthal darin freigesprochen wird und die fünfjährige Haftstrafe aus einem früheren Prozeß  stammt. – Siehe Anmerkungen des Herausgebers zu Seite 303 in Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017..

Seite 1 des Fränkischen Kuriers (Mittelfränkische Zeitung) vom 30. November 1856
Seite 1 des Fränkischen Kuriers (Mittelfränkische Zeitung) vom 30. November 1856 mit dem Beginn des in Fortsetzungen veröffentlichten Berichts über den „Prozeß gegen Dr. Falckenthal wegen Theilnahme an der gewaltsamen Befreiung des ehemaligen Preofessors Kinkel aus der Strafanstalt zu Spandau und wegen vorsätzlichen Meineides“.
Quelle: Fränkischer Kurier (Mittelfränkische Zeitung), Ausgabe 334 vom 30. November 1856, Seite 1 via Bayerische Staatsbibliothek.
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Zu einem interessanten Aspekt dieses Prozesses sei noch einmal Karl August Varnhagen von Ense zitiert, der in seinem Tagebuch unter dem 28. November 1856 vermerkt:

In dem Prozeß wird auch eine Gräfin von Arnim genannt, die sich für Kinkel sehr bemüht habe, und jedermann hält sich überzeugt, daß Bettina von Arnim gemeint sei. Sie hat allerdings beim Könige die Begnadigung Kinkels zu erwirken gesucht, daß sie aber dessen Flucht befördert oder gewußt, ist mindestens zweifelhaft. Mit der Baronin von Bruiningk, geb. Fürstin Lieven, war sie jedoch in Verbindung.[38]Zitiert aus Varnhagen von Ense, Betrachtungen und Bekenntnisse, 1980, Seiten 333 f.

Der Coup hinterläßt Spuren

Man stellt sich unwillkürlich die Frage, ob es heute in unserer Stadt noch Hinweise gibt, die auf die Befreiung Johann Gottfried Kinkels aus dem Zuchthaus Spandau hinweisen? Da ist zunächst die Carl-Schurz-Straße, die vormalige Potsdamer Straße, in Spandau zu nennen, die seit 1939 den Namen des „Befreiers“ von Kinkel trägt. Die Anführungsstriche verwende ich deshalb, weil, wie ausgeführt, mehrere Persönlichkeiten an dieser Aktion beteiligt sind, zu denen sich im heutigen Berlin wohl kaum etwas findet.

In der Carl-Schurz-Straße
Das Straßenschild für die Carl-Schurz-Straße – in der Spandauer Altstadt sind die Straßenschilder in einem historisierenden Stil gestaltet.
Fotograf: Alexander Glintschert (2010)
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Eine Kinkelstraße gab es in Spandau auch. Auch darauf hatten wir im „Spandauer Altstadt-Bummel“ wie folgt verwiesen:

Und Kinkel? Ja, eine Straße erhielt auch seinen Namen und zwar schon 1938. Die Faschisten nahmen dazu jene, die bis dahin Jüdenstraße hieß. Sigrid Hoff bemerkt in ihrem „Stadtteilführer Spandau“ dazu berechtigterweise, daß es den Faschisten wohl weniger um eine Ehrung Kinkels ging, sondern daß sie vielmehr den Namen Jüdenstraße auslöschen wollten und damit auch die Erinnerung an den mittelalterlichen Standort der Synagoge. Seit einigen Jahren gibt es die Kinkelstraße allerdings nicht mehr, sie heißt nun wieder Jüdenstraße. Es hat lange gedauert, bis man sich dazu entschlossen hat.[39]Zitiert aus „Spandauer Altstadt-Bummel“, 21. März 2020, Website Anderes.Berlin.

Dem ist auch heute nichts hinzuzufügen.

Außer der Straße gibt es in Spandau noch die Carl-SchurzGrundschule, gelegen in unmittelbarer Nachbarschaft zum Evangelischen Johannesstift und dem Stadion Hakenfelde. Weitere Hinweise im öffentlichen Raum Berlins, die den Namen von Schurz tragen oder mit diesem im Zusammenhang stünden, sind mir nicht bekannt.

Jedoch gibt es ein interessantes Erinnerungsstück in unserer Stadt, auf das unbedingt hinzuweisen ist. Es handelt sich um die Zellentür zu Johann Gottfried Kinkels Kerker im Zuchthaus Spandau. Selbige existiert noch heute und man kann sie im Stadtgeschichtlichen Museum in der Spandauer Zitadelle besichtigen. Sie ist eine Dauerleihgabe der Stiftung Stadtmuseum Berlin. Diese Tür gelangte beim Abriß des Spandauer Zuchthauses 1898 in den Besitz des Museums. Gleichzeitig kam auch die Dachluke, aus der Kinkel bei seiner Flucht stieg, ins Museum, ist allerdings, wohl aus bisher ungeklärten Umständen, bis heute verschwunden. Die Tür ist unschwer als Zuchthaustür erkennbar, wie zwei Riegel, das Schloß und ein Spion zeigen. Auf einem Beschlag wird aber auch darauf aufmerksam gemacht, das es sich um Kinkels Zellentür handelt.

Zu diesem Ausstellungsstück schreibt Eckhard Gruber in einem Artikel im Museumsjournal Nr. 1/2016:

Das im Stadtgeschichtlichen Museum Spandau ausgestellte Objekt ist ein rares Zeugnis von Spandaus verschwundener Mitte, dem einstigen Lynarschen Schloss in der Jüdenstraße. Als „Devotionalie“ der 1848er-Demokratie ist die Tür zugleich eine Pforte zum großen Kino des 19. Jahrhunderts.[40]Zitiert aus Eckhard Gruber: Die Zellentür Gottfried Kinkels, In: Museumsjournal, Ausgabe 1/2016.

Abschließend zu diesem Beitrag sei zu Schurz und Kinkel noch kurz auf deren späteres Leben verwiesen.

Carl Schurz wandert in die USA aus, wo er weiterhin politisch sehr aktiv ist. Prägnant beschreibt es Uwe Timm gleich am Anfang seines bereits erwähnten Essays:

Welch staunenswertes Leben: Revolutionär im Jahr 1848, Emigrant in Frankreich, der Schweiz und England, ausgewandert in die Vereinigten Staaten, Journalist und Agitator gegen die Sklaverei, Wahlkämpfer und Berater Präsident Lincolns, amerikanischer Botschafter in Spanien, General, Senator von Missouri, Innenminister der Regierung von Präsident Hayes. So tätig eng ist das Leben und Wirken von Carl Schurz mit zwei Nationen verbunden, der deutschen wie der amerikanischen, für deren Einheit und Freiheit er auch mit Wort und Waffe gekämpft hat.[41]Zitiert aus Timm, Essay, 2017, Seite VII.

Und weiter unten verweist Uwe Timm darauf, daß Carl Schurz im heutigen Deutschland „aus dem lebendigen politischen Gedächtnis verschwunden ist“. Dann heißt es weiter:

Vielleicht war dieser Carl Schurz als Vorbild nicht recht genehm, hatte dieser überzeugte Demokrat doch etwas Sperriges – zu viel Empörung, Eigensinn und ziviler Ungehorsam prägten sein Leben. Allein sein selbstverständlicher Anspruch darauf, einer nicht demokratisch legitimierten staatlichen Gewalt unter Umständen mit Gegengewalt zu begegnen, ist wohl für viele liberale Geister irritierend.[42]Zitiert aus Timm, Essay, 2017, Seiten VII f.

Auch Johann Gottfried Kinkel kehrt nicht wieder nach Deutschland zurück. In England ist er bis 1866 als Professor für Literaturgeschichte tätig. In dem Jahr folgt er einem Ruf nach Zürich, wo er als Professor für Kunst- und Literaturgeschichte wirkt. Bis zu seinem Tod bleibt er in der Schweiz.


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Schurz, Carl
Kinkel, Johann Gottfried
Zuchthaus Spandau
Spandauer Zuchthaus

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Anmerkungen:

Anmerkungen:
1. Zitiert aus Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Im Verlage Vossischer Erben, Herausgeber E. Müller, Ausgabe 261 vom 8. November 1850, Seite 3.
2. Zitiert aus Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Im Verlage Vossischer Erben, Herausgeber E. Müller, Ausgabe 262 vom 9. November 1850, Seite 3.
3. Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, 1850, Seite 3.
4. Zitiert aus Karl August Varnhagen von Ense: Betrachtungen und Bekenntnisse – Aus den Tagebüchern von 1835 bis 1858, herausgegeben von Dieter Bähtz, Verlag Rütten & Loening, Berlin, 1. Auflage 1980, Seite 333.
5. Im Unterschied zur Festungshaft, bei der der Verurteilte mehr Rechte erhält – er behält seinen Namen, seine Kleidung, erfährt keine unwürdige Behandlung und oft verbleibt ihm auch seine gewohnte geistige Beschäftigung -, verliert er als Zuchthaushäftling eben diese Rechte und wird mit gewöhnlichen Verbrechern gleichgesetzt. Dies wird im Falle Kinkels auch noch als Gnadenakt des Königs bezeichnet.
6. Naugard, damals eine Kreisstadt in Hinterpommern nordöstlich von Stettin, liegt heute in Polen und heißt Nowograd.
7. Zitiert aus Varnhagen von Ense, Betrachtungen und Bekenntnisse, 1980, Seite 333.
8. Carl Schurz: Lebenserinnerungen, herausgegeben von Daniel Göske, mit einem Essay von Uwe Timm, Wallstein Verlag, Göttingen, 2015; 4. Auflage 2017.
9. So beispielsweise in Felix Müller: Die Flucht aus dem Zuchthaus, In: Die Welt vom 11. Mai 2006 und Hannes Schwenger: Carl Schurz‘ Erinnerungen – Lincolns Vertrauter. Vom Revolutionär in Deutschland zum Republikaner in den USA – Die Erinnerungen von Carl Schurz. Eine Rezension, In: Der Tagesspiegel, Ausgabe 22734 vom 20. April 2016 Seite 21 oder auch Dirk Kurbjuweit, Das Erbe der Forty-Eighters, In: Der Spiegel, Ausgabe 14/2016, Seiten 120-123.
10. Als Signalement bezeichnet man eine Personenbeschreibung, die insbesondere bei steckbrieflich Gesuchten verwendet wird und in der deren wichtigste Merkmale aufgezählt werden.
11. Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seiten 268 f.
12. Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seiten 293 f.
13. Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite 303.
14. Der Gastwirt Friedrich Krüger betreibt zu jener Zeit in Spandau das Deutsche Haus, das sich im ehemaligen Schloß an der Potsdamer Straße, der heutigen Carl-Schurz-Straße, befindet. Heute ist es nicht mehr vorhanden, da es 1898 abgebrochen wurde. Zu Zeiten Krügers verkehren in dem Restaurant auch die Aufseher des Zuchthauses. Siehe Anmerkungen des Herausgebers zu Seite 303 in Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017.
15. Siehe Anmerkungen des Herausgebers zu Seite 305 in Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017.
16. Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seiten 305 ff.
17. Seine Adresse dort lautet: Moabit 17. Siehe Adreß-Kalender für die Königlichen Haupt- und Residenzstädte Berlin und Potsdam, auf das Jahr 1850, Verlag bei J. W. Boike’s Erben, Berlin, 1850, Seite 302.
18. Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite 309.
19. Schurz schreibt Brüning, statt den Namen Bruiningk zu benutzen.
20. Zu der Dame heißt es in den Anmerkungen des Herausgebers von Schurz‘ Lebenserinnerungen:
„Baronin Marie von Bruiningk, geborene Fürstin von Lieven (1808-53), eine wohlhabende Baltin, hatte Kinkel schon 1847 kennengelernt. Sie spendete viel Geld für seine Befreiung und schrieb ihm gefühlvoll camouflierte Trostbriefe in die Spandauer Isolierhaft: „O, in Ihre öde Stille wollen treue Geister Ihnen zu mit Liebes- und Lebensgrüßen.“ (an Kinkel, 20. 10. 1850) Als ihr Haus in Hamburg 1852 auf russische Veranlassung durchsucht und ihre Briefe beschlagnahmt werden, flieht sie nach London. Dort führt sie einen Salon, in dem neben anderen Emigranten auch Schurz und Kinkel verkehren […]“.
Siehe Anmerkungen des Herausgebers zu Seite 311 in Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017.
21. Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite 311.
22. Siehe Anmerkungen des Herausgebers zu Seite 311 in Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017. Gemeinhin wird ihr Vorname mit Rebecka angegeben. Auf ihrem Grabstein in Göttigen ist er allerdings in der Schreibweise Rebecca zu finden.
23. Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seiten 310 f.
24. Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seiten 312 f.
25. In den Anmerkungen zu Schurz‘ Lebenserinnerungen schreibt der Herausgeber zur Person von Wiggers: Moritz Wiggers (1816-94), der Sohn des Rektors der Rostocker Universität, war Notar, Mitglied des ‚Demokratischen Preßvereins‘, Herausgeber der liberalen Rostocker Zeitung und 1848 zum Präsidenten der konstituierenden Abgeordnetenversammlung Mecklenburgs gewählt worden. Als Kinkels Fluchthelfer angeklagt, wurde er zwar freigesprochen, 1853 aber wegen angeblichen Hochverrats fast vier Jahre ins Gefängnis gesteckt; danach bekam er Berufsverbot und schlug sich als Autor durch. Seine detailreiche Erzählung über ‚Gottfried Kinkel’s Befreiung‘, die 1863 in der populären Gartenlaube erschien, hatte er noch in der Isolierhaft niedergeschrieben und danach anhand von Prozessakten vervollständigt; Schurz bezieht sich mehrfach darauf. Später vertrat Wiggers im Parlament des Norddeutschen Bundes und von 1871-81 im Reichstag die Deutsche Fortschrittspartei.“ – Siehe Anmerkungen des Herausgebers zu Seite 290 in Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017.
Die Gartenlaube„, Untertitel: „Illustriertes Familienblatt“, war eine Zeitschrift, die seit 1853 in Leipzig erschien. Herausgeber waren Ernst Keil und Adolf KrönerMoritz Wiggers Erzählung (in der „Gartenlaube“ wird sie als Roman bezeichnet) erschien in Fortsetzungen in den Heften 7 bis 10 des Jahres 1863 unter dem Titel: „Gottfried Kinkel’s Befreiung“.
26. Aus den Anmerkungen erfahre ich, daß es sich offenbar um den Gutsbesitzer Adolph Hensel aus Neu-Staacken bei Berlin handelt. Dort heißt es auch: Wiggers nennt ihn 1863 in der Gartenlaube noch vorsichtig den ‚Gutsbesitzer X. aus Z.‘.“  – Siehe Anmerkungen des Herausgebers zu Seite 314 in Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017.
27. Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seiten 326 f.
28. Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seiten 330 f.
29. Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite 328.
30. Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite 331.
31. Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seiten 360 f.
32. Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite 334.
33. Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite 359.
34. Zitiert aus Uwe Timm: Essay zu den „Lebenserinnerungen“ von Carl Schurz, In: Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite XXV.
35. Zitiert aus Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017, Seite 360.
36. Im „Fränkischen Kurier“ vom 7. Dezember 1856 heißt es zum Abschluß des Prozesses: „Nach geschlossener Beweisaufnahme erfolgen die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung.“
Der Staatsanwalt fordert ein Schuldig in den Anklagepunkten, der Verteidiger plädiert auf Freispruch. Dann heißt es dort weiter: „Die Beratung der Geschworenen währte eine halbe Stunde. Ihr Verdikt bei beiden Fragen auf nicht schuldig. In Gemäßheit dieses Ausspruches erkannte der Gerichtshof auf Freisprechung von Strafe und Kosten gegen den Angeklagten.“ – Siehe den Bericht in Fortsetzungen über den Prozeß gegen den Dr. K. H. F. Falkenthal vor dem Stadtschwurgericht Berlin, In: Fränkischer Kurier (Mittelfränkische Zeitung), 23. Jahrgang,
– Ausgabe 334 vom 30. November 1856, Seiten 1 f.,
– Ausgabe 336 vom 2. Dezember 1856, Seiten 1 f.,
– Ausgabe 339 vom 4. Dezember 1856, Seiten 1 f.,
– Ausgabe 340 vom 5. Dezember 1856, Seiten 1 f.,
– Ausgabe 341 vom 6. Dezember 1856, Seiten 1 f. und
– Ausgabe 342 vom 7. Dezember 1856, Seiten 1 f.
37. Der Herausgeber der „Lebenserinnerungen“ von Carl SchurzDaniel Göske, schreibt in seinen Anmerkungen, daß Falkenthal zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wird und 1854 stirbt. Hierin irrt er offensichtlich, da der Prozeß erst 1856 stattfindet, Falkenthal darin freigesprochen wird und die fünfjährige Haftstrafe aus einem früheren Prozeß  stammt. – Siehe Anmerkungen des Herausgebers zu Seite 303 in Schurz, Lebenserinnerungen, Band 1, 2017.
38. Zitiert aus Varnhagen von Ense, Betrachtungen und Bekenntnisse, 1980, Seiten 333 f.
39. Zitiert aus „Spandauer Altstadt-Bummel“, 21. März 2020, Website Anderes.Berlin.
40. Zitiert aus Eckhard Gruber: Die Zellentür Gottfried Kinkels, In: Museumsjournal, Ausgabe 1/2016.
41. Zitiert aus Timm, Essay, 2017, Seite VII.
42. Zitiert aus Timm, Essay, 2017, Seiten VII f.