Porträt Hedwig Dohms um 1870

Hedwig Dohm

Dieser Beitrag ist Teil 1 von 3 der Beitragsserie "Hedwig Dohm"
Porträt Hedwig Dohms
Porträt Hedwig Dohms.
Quelle: Zeno.org, Fotograf: unbekannt, Lizenz: vermutlich gemeinfrei, da die Schutzdauer für das von dieser Datei gezeigte Werk vermutlich nach den Maßstäben des deutschen Urheberrechts abgelaufen ist.

Schriftstellerin, Frauenrechtlerin

Warum will ich hier über Hedwig Dohm schreiben? Nun, ich meine, daß sie in das Vorhaben dieser Website gehört, über interessante und namhafte, auch verdienstvolle Persönlichkeiten zu berichten, die in unserer Stadt Berlin gelebt und gewirkt und uns auch heute noch etwas zu sagen haben. Und Hedwig Dohm ist eine solche Berlinerin, hier in dieser Stadt geboren und auch hier gestorben.

Zuerst kennengelernt habe ich sie, da ich mich in der Vergangenheit viel mit den Werken Thomas Manns und auch mit Literatur über die Familien Mann und Pringsheim beschäftigt habe (Thomas Manns Frau Katia ist eine geborene Pringsheim) und dabei immer wieder auf den Namen der Großmutter Katia Manns, Hedwig Dohm stieß.

Über ihre Großmutter heißt es in Katia Manns „Meine ungeschriebenen Memoiren“:

Ein Buch von ihr hieß ‚Der Frauen Natur und Recht‘. Sie war eine leidenschaftliche Vorkämpferin für Frauen, die damals wirklich noch gar nicht sehr viele Rechte hatten.

Und auch bei Thomas Mann finde ich einen Essay über sie, den er „Little Grandma“ betitelte. Er charakterisiert die Großmutter seiner Frau wie folgt:

Sie war eine eifernde Verfechterin der Ehre ihres Geschlechtes und seines unbedingten Anspruchs auf Gleichberechtigung, eine leidenschaftliche Kämpferin für das, was man damals Frauenemanzipation nannte, ja eine anerkannte Führerin dieser Bewegung…

Und weiter unten heißt es:

…denn nicht nur für die Befreiung ihres Geschlechtes aus Sklavenketten schlug ihr Herz, sondern für den Fortschritt der Menschheit überhaupt…, vor allem (für) die Vereinigung der Welt zum ewigen Frieden.

In seinem Buch „Das Jahrhundert der Manns“ meint Manfred Flügge:

Thomas Mann schrieb viele Jahre später ein etwas herablassendes Porträt über die Urfeministin, nannte sie Little Grandma und nahm sie als Autorin nicht sonderlich ernst.
(Seite 89/90)

Noch kritischer äußert sich Marianne Krüll in ihrem Buch „Im Netz der Zauberer“, wo es heißt:

Man möchte fast meinen, Thomas Mann habe nie eine Zeile von Hedwig Dohm gelesen; vor allem nicht ihre letzte, sozusagen testamentarische Streitschrift gegen den Krieg, …
(Seite 199)

Auf diese Schrift komme ich weiter unten noch zurück.

All dies also genügend Gründe für mich, über Hedwig Dohm zu schreiben, diese bedeutende Frauenrechtlerin und Kriegsgegnerin, die es verdient, daß die Berliner und Berlinbesucher mehr über ihr Leben und Wirken erfahren sollten. Mit diesem Artikel möchte ich dazu gern einen Beitrag leisten.

Das Grab Hedwig Dohms
Das Grab Hedwig Dohms auf dem St.-Matthäus-Friedhof an der Großgörschenstraße.
Fotograf: Alexander Glintschert (2012), Lizenz: Creative Commons BY-NC-CD 2.0.

Als erstes beschloß ich, mich in unserer Stadt auf die Suche zu begeben, ob und wo man noch Spuren von Hedwig Dohm finden kann. Zunächst wollte ich ihr Grab aufsuchen. Ich fand heraus, daß sie auf dem St.-Matthäus-Friedhof an der Großgörschenstraße ihre letzte Ruhe gefunden hat, auf dem auch viele weitere historisch bedeutende Persönlichkeiten beigesetzt wurden. Der Besuch dieses Gottesackers lohnt daher auch aus kulturhistorischer Sicht. Ich fand dort das Grab Hedwig Dohms mit einem schön geformten Grabstein und der Inschrift:

„DIE MENSCHENRECHTE HABEN KEIN GESCHLECHT“
Hedwig Dohm
Schriftstellerin
20. 9. 1831 – 1. 6. 1919

Ich beobachtete, daß viele Besucher an dieser Grabstätte vorübergingen, ohne kurz innezuhalten und vielleicht zu überlegen, wer diese Frau gewesen sein könnte, was sie für eine Schriftstellerin war, welche Art Literatur sie verfaßt haben mag. Da ich zugleich in mehreren Gesprächen mit Bekannten und Freunden festgestellt hatte, daß keiner von ihnen etwas über sie zu sagen wußte, fühlte ich mich in meiner Absicht bestärkt, sie auch auf dieser Seite interessierten Lesern etwas näher vorzustellen. Ich weiß natürlich, daß sich mehrere Personen und Institutionen auch mit ihrem Leben und Wirken beschäftigt haben beziehungsweise beschäftigen. Gerade auch aus deren Veröffentlichungen habe ich meine Kenntnisse erweitert. Nicht zuletzt findet man im Internet eine ganze Reihe Informationen zu Hedwig Dohm.

Der Journalistinnenbund hat sich sehr verdienstvoll um das Andenken dieser bedeutenden Frauenrechtlerin gekümmert. Gerade ihm ist zu danken, daß auf oben genanntem Friedhof am 22. September 2007 die Gedenkstätte mit dem neuen Grabstein, gestaltet von der Künstlerin Ulrike Oeter, errichtet wurde. Am selben Tag weihte man auch die „Hedwig-Dohm-Straße“ ein, die sich am Bahnhof Südkreuz an der Ecke zur Hildegard-Knef-Straße befindet. Seit 1991 verleiht der Journalistinnenbund jährlich die „Hedwig-Dohm-Urkunde“ an Frauen für herausragende journalistische Leistungen und ihr frauenpolitisches Engagement.

Berliner Gedenktafel für Hedwig Dohm.
Berliner Gedenktafel für Hedwig Dohm am Haus Friedrichstraße 235.
Fotograf: Alexander Glintschert (2017), Lizenz: Creative Commons BY-NC-CD 2.0.

Am 5. Juni 2013 wurde eine Berliner Gedenktafel an einem der ehemaligen Wohnorte Hedwig Dohms in der Friedrichstraße Nr. 235 in Berlin-Kreuzberg enthüllt. Darauf ist zu lesen:

„Menschenrechte haben kein Geschlecht.“
In diesem Hause wohnte bis 1851
Hedwig Dohm
20. 9. 1831 – 1. 6. 1919
Feministin, Schriftstellerin und Publizistin
Sie forderte bereits 1873 das politische Stimmrecht für Frauen und kämpfte für die rechtliche, soziale und ökonomische Gleichberechtigung der Geschlechter.

Auf Wikipedia ist eine umfangreiche Aufzeichnung von Werken Hedwig Dohms zu finden. Wichtig ist auch zu erwähnen, daß anläßlich ihres 175. Geburtstages mit einer ersten kommentierten Gesamtausgabe ihrer Werke begonnen wurde, die von der Historikerin Nikola Müller M. A. und der Literaturwissenschaftlerin Dr. Isabel Rohner herausgegeben wird. Band 5 erschien im September 2016 (Feuilletons 1877-1903).

Beide Autorinnen haben zusammen mit dem Schauspieler Gerd Buurmann mit Lesungen und Rezitationen in inzwischen über 130 Veranstaltungen im gesamten deutschsprachigen Raum das Werk Hedwig Dohms bekannt und ihren Witz und Geist für das Publikum erlebbar gemacht. Bei YouTube ist dazu auch ein kurzer Film mit den Protagonisten sowie Marlies Hesse und Alice Schwarzer zu finden, den anzusehen ich jedem empfehlen kann.

In Berlin gibt es in der Stephanstraße 27, am Stephanplatz, eine „Hedwig Dohm-Oberschule“, die heute eine Integrierte Sekundarschule und die älteste Schule des Stadtteils Moabit ist. Auch in Stuttgart ist eine (Berufs-)Schule nach Hedwig Dohm benannt.

Wir sehen also, daß es doch vielfältige Anstrengungen gab und gibt, dem Werk und vor allem der Bedeutung dieser ungewöhnlichen Frau gerecht zu werden. Und doch sei nochmals meine obige Feststellung bekräftigt, daß offensichtlich immer noch in einer breiteren Öffentlichkeit wenig über Hedwig Dohm bekannt ist. Daraus resultiert meine Absicht, mit diesem Artikel ein wenig dazu beizutragen, daß Interesse an ihr und das Wissen über sie zu erweitern.

Aus der Biographie Hedwig Dohms

Eine Recherche in der Berliner Stadt-und Landesbibliothek liefert bereits eine Vielzahl Informationen. Zwar ist bei einem ersten Blick ins „Berliner Biographische Lexikon“, Ausgabe von 1993, kein Eintrag zu finden. Doch die „Neue Deutsche Biographie“, Vierter Band, Verlag Duncker & Humblot Berlin 1971 vermerkt:

Marianne Adelaide Hedwig Dohm, geb. Schleh, Schriftstellerin, geb. 20. 9. 1833 Berlin, gest. 4. 6. 1919 ebenda (ev.).

Es folgen kurze Angaben zu ihren Eltern, daß sie 1852 Ernst Dohm heiratet und aus der Ehe ein Sohn und vier Töchter hervorgingen. Hier ist eine Korrektur des Geburts- und Sterbedatums notwendig, denn andere Quellen nennen richtig den 20. September 1831 als Geburts- und den 1. Juni 1919 als Sterbedatum. Die falschen Angaben finden sich auch noch bei Peter de Mendelssohn 1975 in „Der Zauberer, das Leben des deutschen Schriftstellers Thomas Mann“. Den richtigen Zeitpunkt nennen Nikola Müller in „Hedwig Dohm, Eine kommentierte Bibliographie“ und auch Marianne Krüll in „Im Netz der Zauberer, Eine andere Geschichte der Familie Mann“. Letztere Autorin kommentiert dazu:

Zeit ihres Lebens wurde ihr Geburtsjahr fälschlich mit 1833 angegeben. Nach Berta Rahm, in: Hedwig Dohm (1894): Die wissenschaftliche Emancipation der Frau, S. VII.

Wenden wir uns den weiteren Daten ihres Lebens zu:

Ihre Eltern sind Gustav Adolph Schlesinger, jüdischer Tabakfabrikant, der zum christlichen Glauben konvertiert und ab 1851 seinen Namen in Schleh ändert, und Wilhelmine geb. Jülich. Sie ist das vierte Kind und erste Mädchen von insgesamt 17 Geschwistern. Ihre Eltern heiraten erst nach dem 10. Kind. Ihre Kindheit ist wohl nicht gerade glücklich zu nennen, sie empfindet es ungerecht, daß ihre Brüder das Gymnasium besuchen können, während sie sich auf der Mädchenschule völlig unterfordert fühlt und langweilt. Auch muß sie oft Hausarbeiten erledigen. Sie findet wenig Liebe bei ihrer Mutter, die ihr zu lesen verbietet, was sie dennoch heimlich tut. Lassen wir Hedwig Dohm selbst dazu zu Wort kommen. In ihren „Erinnerungen einer alten Frau“ heißt es:

…- ich habe keine Freude an meinen persönlichen Kindheitserinnerungen. Ich war ein leidenschaftlich unglückliches Kind, ein verkanntes, ein Kind ohne Mutterliebe. Einsam unter 17 Geschwistern. Es wäre größenwahnsinnig, wollte ich sagen: ein Schwan im Ententeich, so sage ich denn: ein Kuckucksei im fremden Nest.

Auch ihre Enkelin, Hedda Korsch, beschreibt in ihrem Buch „Erinnerungen“ sehr deutlich, was ihre Großmutter über ihre Kindheit und Jugend erzählt. Dort ist zu lesen, daß es ihr immer bitterer wird, da die Brüder Bildung erwerben können, sie aber nur die einfache Schule absolvieren kann und danach sofort in die „Tretmühle des Haushaltes“ eingespannt wird. Sie habe gewußt, daß sie gescheiter ist als die meisten ihrer Brüder, und immer nach höherer Bildung gestrebt, die ihr im Elternhaus nicht ermöglicht wird. Oft erzählt sie von der 1848er Revolution. Sie sei erschüttert gewesen, was sie in einem ihrer autobiographischen Romane verarbeitet. Ein Wendepunkt in ihrem Leben ist, als sie erlebt, daß in den Straßen von Berlin von Polizei auf unbewaffnete Studenten geschossen wird und ein Student vor ihren Augen fällt und stirbt. Hedda Korsch schreibt:

Von diesem Augenblick an war Hedwig Dohm eine Feindin aller bewaffneten Gewalt und eine Genossin aller Freiheitskämpfe.

Und man darf hinzufügen, daß sie sich in der Folgezeit zur entschiedenen Pazifistin entwickelt, aber auch immer optimistisch an den Fortschritt der Menschheit glaubt, nicht zuletzt auf Grund der wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen. Ihr Zukunftsoptimismus wird jedoch jäh zerstört durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914. Darauf komme ich weiter unten noch zurück.

Zunächst weiter zu den biographischen Angaben. 1851 fährt sie mit ihrer Mutter nach Spanien, um ihren Bruder zu besuchen. Dazu wird dem Vater der Theologe Ernst Dohm als Sprachlehrer empfohlen. Der tritt die Stelle an, obwohl er nach eigenem Bekunden gar nicht Spanisch kann. Er war offensichtlich dennoch erfolgreich, denn nach der Rückkehr der Damen hält Ernst Dohm um die Hand der Tochter Hedwig an. Es kommt zur Verlobung und am 21. März 1853 zur Heirat. Ernst Dohm, der Theologie und Philosophie studiert hatte, die Theologie aber nicht zu seinem Beruf machte, ist inzwischen in der Redaktion der Satirezeitschrift „Kladderadatsch“ tätig, deren Chefredakteur er später wird, was er bis zu seinem Tode im Jahre 1883 bleibt. Er ist einer der herausragenden Satiriker jener Zeit und genießt hohes Ansehen.

Zwischen 1854 und 1859 bekommen die Dohms fünf Kinder, einen Sohn, der mit 12 Jahren an Scharlach stirbt, und vier Mädchen. In ihrem autobiographischen Roman „Schicksale einer Seele“ beschreibt Hedwig Dohm ihre Kindheit und ihre Ehejahre. Wer sich näher über ihr Leben informieren will, dem sei die Lektüre dieses Buches und auch weiterer Werke empfohlen.

Das Dohmsche Haus in der Berliner Potsdamer Straße (ungefähr dort, wo sich heute in der Nähe des Landwehrkanals die Hausnummer 60 befindet) wird Treffpunkt vieler zeitgenössischer Persönlichkeiten, die wohl nicht zuletzt auch wegen der schönen, geist- und verständnisvollen Gastgeberin kommen. Zitieren wir dazu Carl Fürstenberg, einen der regelmäßigen Besucher des Dohmschen Salons, der das Milieu solcher Abende in seinen Erinnerungen treffend beschreibt:

Einer der amüsantesten Menschen, die Berlin beherbergte, war zweifellos der immer witzige und niemals zahlungsfähige Ernst Dohm. Er bewohnte mit seiner hochbegabten Frau Hedwig eine ziemlich bescheidene Wohnung, in der seine vier reizenden Töchter mehr geistige Anregungen als Licht und Sonnenschein genießen konnten.

Und weiter heißt es, daß wohl keiner der Besucher große Diners erwartete.

Wenn an zwei Stellen gleichzeitig Frankfurter Würstchen serviert wurden, so war damit der leiblichen Pflege genuggetan. Umso reichlicher war aber hier gewöhnlich die geistige Kost. Die Abende pflegten in angeregter Plauderei zu verlaufen. Man sprach über die jüngste Premiere, die letzte Kunstausstellung, wohl auch über eine neue Wendung Bismarckscher Politik und fühlte damals noch nicht das Bedürfnis, die Stunden des geselligen Beisammenseins durch Bridgespielen totzuschlagen.
(Zitiert nach Inge und Walter Jens: „Katias Mutter“, S. 27/28)

Bedeutende Gäste des damaligen bürgerlichen Lebens Berlins kamen zu diesen geselligen Gesprächsrunden, so unter anderem Varnhagen von Ense, Hans und Cosima von Bülow, Alexander von Humboldt, Ferdinand Lassalle, Franz Liszt, Theodor Fontane, Lina und Franz Duncker, Spielhagen, Auerbach und Julius Rodenberg, L’Arronge, Eduard Lasker, Ludwig Bamberger. Inge und Walter Jens schreiben:

Kein Zweifel, es war die geistige und künstlerische Elite Berlins, die sich – fasziniert vom Esprit, der Offenheit und dem weit gespannten Interesse der Gastgeber – im Haus des Kladderadatsch-Redakteurs ein Stelldichein gab.
(a. a. O. S. 28)

In der Entwicklung Hedwig Dohms bis in die 1860er Jahre liegt sicher schon die Grundlage ihrer Haltung und ihres Kampfes als bedeutende Frauenrechtlerin. In der Folgezeit wird das in ihren Veröffentlichungen sehr deutlich. Ihr Hauptanliegen ist die Durchsetzung der Gleichberechtigung.
In ihrem Buch „Die Menschenrechte haben kein Geschlecht“ schreibt die Autorin Heike Brandt:

Die Ehe bringt ihr aber Zugang zu Kultur und Bildung. Sie lernt die geistige, politische und künstlerische Elite Berlins kennen. Auch die Schattenseiten dieser bürgerlichen Gesellschaft. So reifen in den ersten 20 Ehejahren all die aufmüpfigen, spektakulären Gedanken heran, mit denen sie in ihren ersten polemischen Schriften in den Jahren 1872 bis 1876 die Öffentlichkeit und eventuell auch ihren Ehemann überrascht.

In diesen Jahren erscheinen schon Werke, die sie durch ihren entschiedenen Feminismus bekannt machen, vor allem der Essay „Was die Pastoren von den Frauen denken“ 1872. Dazu schreibt Marianne Krüll, es sei:

…eine Generalabrechnung mit den Vorstellungen über die angebliche Minderwertigkeit der Frau, über die verlogene Doppelmoral der Gesellschaft, über die Ausbeutung weiblicher ‚Natur‘ für männliche Interessen.

Bereits 1873 fordert Hedwig Dohm für Frauen das Stimmrecht, und 1874 folgt ihre Schrift „Die wissenschaftliche Emanzipation der Frau“. In diesem Zusammenhang sei nochmals Marianne Krüll zitiert, die schreibt:

Hedwig Dohm war die erste Frau, die mit derartiger Vehemenz und so bissigem Humor, gepaart mit intellektueller Schärfe, die Unterdrückung der Frau anprangerte.

In all diesen Schriften tritt sie also unmißverständlich für die politische, ökonomische und soziale Gleichberechtigung der Frau ein. 1883 stirbt ihr Mann Ernst Dohm. Sie zieht dann in die Tiergartenstraße 19e zu ihrer Tochter Else und deren Mann Hermann Rosenberg, mit dem sie nach eigener Aussage einige Schauspiele verfaßt.

Erst jetzt beginnt und erscheint in den Jahren bis 1902 ihr erzählerisches Werk, so auch ihre drei wichtigen autobiographischen Romane „Schicksale einer Seele“, „Sibilla Dalmar“ und „Christa Ruland“. Zu erwähnen sind auch die beiden Novellen „Wie Frauen werden“ und „Werde, die du bist“, die 1894 ediert werden.

Sie intensiviert auch ihre publizistische Tätigkeit und schreibt für verschiedene fortschrittliche oder feministisch eingestellte Zeitschriften, beispielsweise in Maximilian Hardens „Zukunft“. Sie hat auch viele ihrer bisherigen Veröffentlichungen nochmals überarbeitet und in Sammelbänden herausgegeben, so zum Beispiel in „Die Antifeministen“ (1902) und „Die Mütter“(1903). Ein Essay „Erziehung zum Stimmrecht der Frau“, der 1909 erscheint und ihre feministischen Grundüberzeugungen enthält, wird bis 1914 dreimal aufgelegt.

Insgesamt umfaßt das Werk Hedwig Dohms Romane, Novellen, Feuilletons, Essays und Theaterstücke. Einige davon kann man beim Projekt Gutenberg im Internet finden.

Todesanzeige für Hedwig Dohm
Todesanzeige für Hedwig Dohm, erschienen in der Vossischen Zeitung vom 4. Juni 1919.

Am 1. Juni 1919 stirbt Hedwig Dohm. Ihre Töchter veröffentlichen in der Vossischen Zeitung vom 4. Juni 1919 folgende Todesanzeige:

Unsere liebe Mutter, Frau Hedwig Dohm, geb. Schleh, ist am 1. Juni nach langem, schwerem Leiden gestorben.
Im Namen sämtlicher Hinterbliebenen
Hedwig Pringsheim-Dohm
Else Rosenberg-Dohm
Maria Gagilardi-Dohm
Eva Bondi-Dohm.
Die Einäscherung fand auf ihren Wunsch in aller Stille statt.

Festzustellen bleibt, daß sie, die Pazifistin, durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges erschüttert ist, daß ihr „Zukunftsoptimismus plötzlich und gründlich zerbombt“ wurde und daß sie entsetzt über die Kriegsereignisse und die Kriegsbegeisterung gewesen sei, wie Nikola Müller in ihrer kommentierten Bibliographie über Hedwig Dohm schreibt. In der Folgezeit erscheinen ihre Artikel vor allem in der Vossischen Zeitung und in Organen der radikalen bürgerlichen Frauenbewegung.

In der Vossischen Zeitung wird auch ihr letzter Artikel am 7. Juni 1919, sechs Tage nach ihrem Tod, veröffentlicht. Daraus möchte ich einige Passagen zitieren:

Die Sterbende dachte und grübelte über das Leben nach, das sie im Begriff war zu verlassen. […] Zuweilen […] kommt eine wüste Besessenheit über die Menschen, die Völker. Von einigen zufälligen Machthabern lassen sie sich ihre Schicksale aufzwingen. Auf ihren Befehl marschieren sie dümmlich jauchzend, wenn die Machthaber Krieg wollen, in ihre offenen Gräber, und glühender Patriotismus soll sie treiben, ihre Bajonette in die Leiber der Feinde zu stoßen, und je höher sich die Leichen der von ihnen abgeschlachteten Feinde türmen, je mehr Ruhm ernten sie vor Gott und den Menschen. Und fallen sie, sie fallen auf dem Feld der Ehre.(O gesegnete Stich- und Schlagworte!) […]

Nichts haßte die Sterbende in der Welt als einzig und allein den Krieg. Sie sah ihn wie den Ausbruch des Vesuvs, der mit seiner glühenden Lava das Land versengt, oder wie ein Vampyr, der sich einsaugt in die Menschenbrüste und sich wollüstig mit ihrem Blut mästet. Und dem lieben schuldlosen Gott wurde die Hauptrolle in dem blutigen Ringen zugewiesen. In diesem Kriege war Gott die populärste Figur. Alles, was geschah, wurde ihm in die Schuhe geschoben (ein unpassendes Bild, ich weiß es). Vielleicht nickte er auch beifällig dazu, wenn Millionen blühender junger Menschen zerfleischt oder vergiftet zu Hunderten in irgendeinem Loch verscharrt wurden – warum schluchzten denn die Mütter, die ihre in der Ferne verfaulten Söhne nie wiedersehen sollten? Sie starben ja den Heldentod, sie hatten sich mit Hochgenuß für das Vaterland geopfert, in dem Ausbruch einer Begeisterung von Gottes Gnaden. (O gesegnete Schlag- und Stichworte!) Und die Sterbende lächelte höhnisch, als ihr einfiel, daß die Erschaffung von Kreaturen, die von Geburt an zum Fraß der Würmer oder, wie bei Feuerbestattungen, zu einer Handvoll Asche wurden, vielleicht nur ein Spaß des Kosmos oder ein Experiment Gottes waren?

Hatte denn das Menschenleben überhaupt einen Sinn? Nein, nein, tausendmal nein. Ein grotesker Plunder ist’s oder ein Wille zum Selbstmord. Lächerlich auch die zwecklosen Umstände, die sich der Kosmos mit der Erschaffung von uns überflüssigen Zweibeinern gemacht hat. Könnte man sich doch zutode lachen!

Und da lachte sie schon. Und sie lachte anhaltend, lachte gellend, überlaut, und an ihrem Lachen erstickte sie.
(zitiert nach Marianne Krüll, „Im Netz der Zauberer“. Das Original in der Vossischen Zeitung vom 7. Juni 1919 ist im Zeitschriftenarchiv in der Berliner Stadt-und Landesbibliothek, Zentrum für Berlinstudien, zu finden.)

Einschätzend fügt Marianne Krüll hinzu:

Hier spricht eine Pazifistin mit einer Sprache, wie sie in ihrem bitteren Humor und ihrer verzweifelten Leidenschaft kaum eindrücklicher sein kann. Es ist ein Dokument menschlicher Größe und Klarsichtigkeit, wie sie nur selten ein Mensch angesichts des eigenen Todes besitzt.

Gibt aber Hedwig Dohm damit gänzlich ihren Glauben an die Menschheit, an die Möglichkeit einer friedlichen Welt, ihren Optimismus auf eine bessere Zukunft, auf, den sie all die Jahre bis zum Ersten Weltkrieg hatte? Ich glaube nein und stütze mich dabei auf einen Brief von ihr an Franziska Mann, aus dem diese in der Zeitung „Die Frauenbewegung“ vom 1. Juli 1919 unter der Überschrift „Unausgesprochene Worte zur Einäscherung von Hedwig Dohm zitiert. Es heißt hier:

Und das ist mein Glaubensbekenntnis: solange nicht alle edleren Elemente der Nationen – und die gibt es doch – die Beseitigung der Kriege als ihr unverbrüchlichstes Ziel erachten, bleibt die Welt ein Jammertal, und ich begreife, daß sensitive Menschen die Worte des indischen Dichters beherzigen: ‚Geh an der Welt vorüber, es ist nichts‘.
(zitiert nach Nikola Müller in „Hedwig Dohm – eine kommentierte Bibliografie“)

Nun, heute müssen wir leider feststellen, daß die „edleren Elemente der Nationen“ noch nicht in der Lage waren, die Kriege auf unserem Planeten gänzlich zu beseitigen. Aber auch wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben, daß dieses Ziel eines Tages doch noch erreicht wird.

Gerade deshalb meine ich auch, daß es lohnt, sich mit dem Wirken und den Werken solcher Vorkämpferinnen für Frieden, Gleichberechtigung und sozialen Fortschritt, wie Hedwig Dohm eine war, zu beschäftigen. Können wir doch eine Menge auch und gerade für die heutige Zeit von ihnen lernen.

Dohm, Hedwig
SeriennavigationHedwig Dohm: Weiterführende Informationen & Quellen >>

Creative Commons LizenzvertragDieser Text von Anderes.Berlin ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie ihn verbreiten und vervielfältigen.