Revolution und Unruhen
Als in den Jahren 1918/20, zum Ende des Ersten Weltkriegs, unter Führung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg die Novemberrevolution in Deutschland ausbricht, ist in Berlin auch der Alexanderplatz Schauplatz der Kämpfe, da die Revolutionäre, bestehend aus Arbeitern, Roten Matrosen und anderen Gruppen, versuchen, das Polizeipräsidium an der Alexanderstraße in die Hand zu bekommen und politische Gefangene zu befreien. Die bewaffneten Kämpfe werden mit aller Erbitterung geführt. Der Ausgangspunkt des Angriffs der Aufständischen ist der U-Bahnausgang am heutigen Alexanderhaus, und obwohl sie auf dem weiten Platz ins direkte Schußfeld der Polizei geraten, gelingt ihnen die Befreiungsaktion, so daß sie das Polizeipräsidium ebenso besetzen wie den Turm der Georgenkirche, von dem aus sie den Platz und die angrenzenden Straßen eine Zeitlang beherrschen.
In der Nacht vom 11. auf den 12. Januar 1919 beginnt jedoch der Sturm der Truppen unter Reichswehrminister Gustav Noske von der SPD auf das Polizeipräsidium unter Einsatz aller ihnen zur Verfügung stehenden Mittel. So werden Panzerfahrzeuge, Granatwerfer und Flammenwerfer gegen die Aufständischen und die von ihnen errichteten Barrikaden eingesetzt, die neben Zerstörungen großen Ausmaßes an den umliegenden Gebäuden vor allem viele Tote und Verwundete zur Folge haben. Am 15. Januar ist der Aufstand schließlich niedergeschlagen. Nur zwei Monate darauf ist der Alexanderplatz in den Märztagen 1919 wiederum ein Schwerpunkt tagelanger bewaffneter Kämpfe. Und auch 1920 kommt es während des Kapp-Putsches wieder zu Unruhen auf dem Platz, was sich drei Jahre später, in der Zeit der Inflation 1923 fortsetzt.
Der Versuch eines „Weltstadtplatzes“
Mit der Schaffung von Groß-Berlin im Jahre 1920 gehört der Alexanderplatz zum neu geschaffenen Bezirk Mitte. Die Königstadt geht zum größten Teil im Bezirk Prenzlauer Berg auf. Der Name „Königstadt“ gerät dadurch langsam in Vergessenheit.
Anfang der zwanziger Jahre überqueren durchschnittlich etwa 70.000 Menschen täglich den Platz. Trotz der zum Ende des vorangegangenen Jahrhunderts neu gebauten Verkehrsmittel werden der Alexanderplatz und seine Umgebung mehr und mehr zum Engpaß für den Großstadtverkehr. Die Gegend um den Platz ist nun schon seit mehreren Jahrhunderten eng besiedelt und durchzogen von einem engen, aus kleinstädtischen Verhältnissen stammenden Gewirr von kleinen Straßen und Gäßchen, die alle einstmals nicht planvoll angelegt worden waren, sondern sozusagen per Zufall kreuz und quer zustandegekommen waren. In der Folge muß sich nun insbesondere der Straßenverkehr vom Osten her durch enge und krumme Wege winden. Dies aber geht weder schnell, noch fördert es die Entwicklung der östlichen Stadtteile. Darüberhinaus ist, bedingt durch die für das erreichte Verkehrsaufkommen unzureichenden Verkehrswege, der Platz zu einem Unfallschwerpunkt Berlins geworden.
Die politisch Verantwortlichen im Umfeld des Magistrats der Stadt befürchten, daß diese Situation zu einer Abwanderung der zahlreichen Geschäfte über den Potsdamer Platz in Richtung Westen führt. Daher wird die Idee einer grundlegenden Umgestaltung des Alexanderplatzes geboren, die Heinrich Mendelsohn, ein Berliner Bauunternehmer, in „Die Stadt am Alexanderplatz“ (Das Neue Berlin 5/1929) folgendermaßen motiviert:
„So sicher eine Vernachlässigung des Alexanderplatzes oder eine falsche Auffassung in der Organisation seiner Bebauung dazu führen muß, seine Entwicklung zu beeinträchtigen […], so wird, wenn es gelingt, den Alexanderplatz zu einem Magneten für die rückwärtig gelegene Stadt zu gestalten, dieser Platz für alle Zeiten Herz und Seele des Ostens sein! […] Der Alexanderplatz wird also durch schnelle Neugestaltung und Neubebauung der starke Magnet für eine Million Einwohner. Auch für alle nach Berlin kommenden Fremden wird fernerhin der Alexanderplatz nach seiner Umgestaltung eine Sehenswürdigkeit werden.“
Die Umsetzung dieser Idee in die Realität wird maßgeblich von Stadtbaurat Martin Wagner betrieben, der in jenen Jahren das öffentliche Bauwesen Berlins leitet. Er versucht, für dieses Projekt die Stadt selbst zum Bauherrn zu machen. Wie aus zahlreichen seiner Veröffentlichungen hervorgeht, schwebt ihm ein Platz „aus einem Guß“ vor, ein sogenannter „Weltstadtplatz“.
Bei diesen Überlegungen steht jedoch leider die verkehrsplanerische Sicht im Vordergrund, weniger die auf den Menschen als Nutzer des Platzes. So kommt es, daß das soziale Umfeld, in dem der Alexanderplatz liegt, nicht nur ignoriert, sondern sogar als Hindernis für eine erfolgreiche Entwicklung des Platzes begriffen wird. Dies drückt sich in die Umgestaltung betreffenden Äußerungen der Verantwortlichen aus. So schreibt Wagner in einem Artikel, den im Jahre 1934 die Deutsche Bauzeitung veröffentlicht:
„Die Armen und Ärmsten mit ihrer dezimierten Kaufkraft hemmen die Entwicklung der City und müssen durch eine radikale Abwrackung der desolaten Wohnviertel beseitigt werden.“
Es ist die Rede von der Auflösung der Schaubühne sozialer Randgruppen, die der Alexanderplatz darstelle. Letztlich läuft dies auf die soziale Verdrängung nicht nur einzelner sozialer Gruppen, sondern ganzer Quartiere hinaus. Bezieht man dies auf die Situation in den Stadtquartieren um den Alexanderplatz in jenen Jahren, so betrifft das die Mietskasernen des Prenzlauer Bergs und Friedrichshains, in denen vorwiegend Arbeiter leben, und das Scheunenviertel, das in der Mehrheit von zugewanderten Juden aus den osteuropäischen Ländern bewohnt wird.
Gewünscht wird hingegen ein weltstädtischer Verkehrsplatz. Da man davon ausgeht, daß sich die benötigten Verkehrskapazitäten bestenfalls für fünfundzwanzig Jahre in die Zukunft berechnen lassen, sieht man die Lebensdauer eines solchen Verkehrsplatzes als äußerst begrenzt an. Aus diesem Grund, so formuliert Wagner, sollten „die den Platz umgebenden Bauten keine bleibenden wirtschaftlichen wie architektonischen Werte besitzen“. Das bedeutet jedoch nicht, daß der Alexanderplatz nicht durchaus ansprechend aussehen soll. Ästhetische Gesichtspunkte sollen sogar einen hohen Stellenwert haben, wie Wagner schreibt:
„Klarste Formen, die während des Tages wie während der Nachtstunden ihre charakteristische künstlerische Wirkung ausüben, sind grundlegende Voraussetzungen des Weltstadtplatzes. Einflutendes Licht bei Tage und herausflutendes Licht bei Nacht erzeugen ein gänzlich neues Gesicht des Platzes. Farbe, Form und Licht (Reklame) sind die drei Hauptbauelemente für neue Weltstadtplätze.“
Als in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre die Berliner Verkehrs-AG die Erweiterung des U-Bahnhofs Alexanderplatz um zwei neue Linien in Angriff nimmt, werden Bauarbeiten in großem Umfang erforderlich. Geplant ist, am Alexanderplatz einen zentralen Umsteigebahnhof für das neue Netz der Untergrundbahn zu schaffen. Mehrere Gebäude am Platz müssen dafür abgerissen werden, so daß es für die Verantwortlichen naheliegt, die Umgestaltungsideen mit diesen Plänen zu verbinden.
Zunächst ist es dafür erforderlich, vor dem Beginn der Tiefbauarbeiten verschiedene Grundstücke am Platz, deren Bauten für den Abriß vorgesehen sind und die sich in privatem Besitz befinden, anzukaufen. Als dies in der Öffentlichkeit bekannt wird, ruft dies umgehend Bodenspekulanten auf den Plan. Mit der Hilfe korrupter städtischer Beamter, die ihnen benötigte Informationen beschaffen, kaufen sie in kürzester Zeit alle betroffenen Altbauten auf, um sie dann möglichst teuer an die Stadt abgeben zu können. Insbesondere der Aschinger-Konzern, der am Alexanderplatz eine Bierhalle betreibt, schafft es auf diese Weise, sein Gebäude, das einen Taxwert von 2,75 Millionen Mark besitzt, für unglaubliche 13 Millionen Mark an die Stadt Berlin zu veräußern. Als der Skandal ans Licht kommt, bemühen sich besonders die Abgeordneten der Kommunistischen Partei um seine Aufdeckung. Schließlich gelingt es der Stadt, die meisten der den Platz umsäumenden Grundstücke in ihren Besitz zu bringen.
1926 beginnen dann die Arbeiten zur Erweiterung des U-Bahnhofs. Die Berolina wird dafür von ihrem Standort entfernt und eingelagert. Bis 1927 hat sich Alexanderplatz in eine Großbaustelle verwandelt. Da man im Zuge der großangelegten Umgestaltung zusammenhängende Flächen für den Neubau von Geschäftshäusern gewinnen will und außerdem neue Ost-West-Verbindungen durch das Berliner Zentrum schaffen möchte, wird zuerst der geplante Abriß bestehender Bauten in Angriff genommen. So verliert der Alexanderplatz einige Bauten, die sein Bild für lange Zeit geprägt hatten. Vom Haus mit den 99 Schafsköpfen bleiben nur einige Widderköpfe, die heute im Märkischen Museum verwahrt werden. Ebenso verschwinden das ehemalige Wohn- und Atelierhaus des Bildhauers Jean-Pierre-Antoine Tassaert, die in der Nähe befindliche Jung’sche Apotheke, in der einst Theodor Fontane Tinkturen und Pulver mischte und auch das Kaufhaus Hahn vor der Georgenkirche. Da man später das an seiner Stelle geplante Hochhaus schließlich doch nicht errichtet, wird der Blick vom Alexanderplatz auf die Georgenkirche frei, die damit gewissermaßen ein Teil des Platzes wird. Im Anschluß an diese Gebäude werden die Häuserzeilen entlang der Stadtbahn dem Abriß anheimgegeben. Das bedeutet schließlich auch das Ende für das ehemalige Königstädtische Theater. Doch nicht nur am Platz selbst werden bestehende Bauten beseitigt. Für die geplanten neuen Verkehrswege werden ganze Altstadtquartiere in der näheren Umgebung niedergerissen.
Während man auf diese Weise für den großen Umbau schon einmal den Boden bereitet, ist man bei der Planung dafür über die Idee noch nicht hinausgekommen. Erst 1928 können die Verantwortlichen konkrete Überlegungen und Pläne vorlegen. Gestaltet werden soll nun ein kreisförmiger, von passenden Gebäuden umgebener Platz, für den Wagners Amt für Stadtplanung einen Generalplan präsentiert, der als Vorgabe für einen von der Stadtverwaltung ausgeschriebenen Wettbewerb für die architektonische Neugestaltung des Platzes dienen soll. Zur Teilnahme eingeladen werden namhafte Architekten dieser Zeit: die Brüder Hans und Wassili Luckhardt mit Alfons Anker, Peter Behrens, Paul Mebes, Emil Schaudt, Heinrich Müller-Erkelenz und Ludwig Mies van der Rohe, die der Einladung auch alle folgen und ihre Entwürfe einreichen. Der erste Preis geht an den Entwurf der Brüder Hans und Wassili Luckhardt mit Alfons Anker, das Konzept von Peter Behrens erhält den zweiten Preis.
Im Frühjahr 1929 werden die Bebauungsvorstellungen für den Alexanderplatz veröffentlicht. Daß sie Stockswerkszahlen beinhalten, die über den in der Bauordnung vorgesehenen liegen, nehmen die Verantwortlichen im Magistrat in Kauf, um den Bau von Geschäftshäusern für Privatinvestoren interessant zu machen. Doch noch kommt es nicht zum Neubau der geplanten Häuser, denn zunächst müssen die neuen Verkehrsbauten fertiggestellt werden. Das betrifft zuallererst natürlich den U-Bahnhof, doch es wird auch ein neuer breiter Straßenzug vom Alexanderplatz zu den bevölkerten östlichen Stadtteilen geschaffen – die Große Frankfurter Straße (die heutige Karl-Marx-Allee). Auf dem Platz selbst entsteht ein großes Oval von 97 Metern Länge und 63 Metern Breite. Es wird von einer vierzehn Meter breiten Fahrbahn gesäumt und bleibt dem Straßenbahnverkehr vorbehalten. Der legendäre Kreisverkehr am Alexanderplatz ist entstanden.
Als in diesem Jahr die Weltwirtschaftskrise ausbricht, hat das natürlich auch unmittelbar Auswirkungen auf die Arbeiten am Alexanderplatz. Wegen einsetzenden Geldmangels müssen sie oft unterbrochen werden. Doch es kommt noch schlimmer. Die Krise reduziert die Investitionsfreudigkeit privater Bauherren drastisch. Der Stadt selbst fehlt es ebenfalls an Geld. Und so werden die im preisgekrönten Architekturkonzept für den Alexanderplatz umrissenen Bauprojekte letzten Endes nie ausgeführt.
Ende des Jahres 1929 beauftragt das Konsortium „Bürohaus am Alexanderplatz GmbH“, eine mit vorwiegend amerikanischem Kapital finanzierte Gesellschaft, den Architekten Peter Behrens (1868-1940), zwei Bürogebäude am Alexanderplatz zu entwerfen. Auf der Basis seiner Wettbewerbspläne, die er jedoch noch einmal grundlegend modifiziert, legt Behrens Pläne für zwei achtgeschossige Häuser vor, die beiden Bürohäuser „Alexander“ und „Berolina“. Mit dem Bau der beiden parallel zur S-Bahn stehenden Häuser wird umgehend begonnen. Das Alexanderhaus wird an der Stelle des ehemaligen Königstädtischen Theaters errichtet, das Berolinahaus entsteht dort, wo sich einst das ehemalige Wohn- und Atelierhaus des Bildhauers Jean-Pierre-Antoine Tassaert befand. Errichtet in den Formen der Neuen Sachlichkeit, sollen sie in der Intention des Architekten als neues Stadttor zum Berliner Osten fungieren.
Berlin Alexanderplatz
1929 ist auch das Jahr, in dem es zu einem Ereignis ganz anderer Art kommt: der Alexanderplatz geht in die Literaturgeschichte ein, als Alfred Döblin (1878-1957) seinen Roman „Berlin Alexanderplatz“ veröffentlicht. Man mag spekulieren, ob vielleicht dieser Roman den Platz überhaupt erst zum Wahrzeichen der Stadt und zum Identifikationspunkt für die Berliner macht. Auf jeden Fall aber rückt er ihn ins Bewußtsein auch der bürgerlichen Leser, die den in proletarischem Umfeld gelegenen Platz bis dahin weitgehend ignoriert hatten. Veröffentlicht wird der Roman zuerst jedoch gar nicht in Berlin. Den Erstabdruck besorgt die Frankfurter Zeitung, weil sämtliche Berliner Zeitungen wie die Morgenpost, der Lokalanzeiger oder das Tageblatt, denen Döblin das Manuskript zunächst anbot, es als unbrauchbar abgelehnt hatten.
Als er den Roman zwischen dem Spätherbst 1927 und dem Frühwinter 1928 schrieb, hatte Döblin bereits vierzig Jahre lang in der Nähe des Alexanderplatzes gewohnt, so daß er alle Veränderungen des Platzes miterlebt hatte. Von seiner Kassenarztpraxis für Nervenkranke in der Frankfurter Allee unternahm er regelmäßig Spaziergänge zum Alexanderplatz, wo er sich gern in ein Café setzte, um zu schreiben.
Obwohl das Buch dem Alexanderplatz zu großer Berühmtheit verhilft, ist es eigentlich gar kein Roman über den Platz selbst. Der Titel ist lediglich eine Anspielung auf das Polizeipräsidium, das hier seinen Standort hat und mit dem die in der näheren Umgebung des Platzes ansässigen sozial Benachteiligten öfter Bekanntschaft machen, als ihnen lieb ist. Das Milieu, das sie maßgeblich prägen, erwacht in dem Roman zum Leben. Armut und Einwanderung, aber auch Verbrechen und polizeiliche Repression werden für den Leser so erlebbar, wie sie in der Realität dieser Jahre präsent sind – wie beispielsweise auch am 1. Mai 1929, als Polizeiverbände vom Polizeipräsidium am Alexanderplatz auf Arbeiter, die sich trotz eines Demonstrationsverbots hier versammelt haben, vorrücken, und einunddreißig von ihnen erschießen und hunderte verhaften.
Zeitgleich mit dem Roman erarbeitet Döblin auch ein Hörspiel unter dem Titel „Die Geschichte vom Franz Biberkopf“, das am 30. September 1930 ausgestrahlt wird. Bereits 1931 wird der Roman erstmals verfilmt. Regisseur ist Phil Jutzis, am Drehbuch arbeitet Döblin als Co-Autor selbst mit. Den Helden Franz Biberkopf, der am harten Leben der Gründerzeit scheitert, spielte Heinrich George. Fast fünfzig Jahre später, 1979, wird er von Günter Lamprecht in einer vierzehnteiligen Fernsehserie dargestellt, deren Regie Rainer Werner Fassbinder führt. Sie erweist sich als regelrechter Straßenfeger.
Nach dem Umbau
In einem der vielen neuen Fußgängertunnel unter dem Alexanderplatz werden am 21. Dezember 1930 sechs kunstvolle Porzellanmalereien angebracht, die in der berühmten Porzellanmanufaktur Meißen hergestellt wurden. Die Bilder auf den Porzellanplatten, von nahmhaften Berliner Künstlern wie Johannes Boehland und Bruno Bernitz geschaffen, erzählen die Geschichte des Platzes zwischen 1730 und 1930.
Ebenfalls 1930 werden schließlich auch die beiden neuen U-Bahn-Strecken in Betrieb genommen. Auf dem Platz sind weitere elektrische Straßenbahnlinien hinzugekommen. Der Platz wird seiner Rolle als großstädtischer Verkehrsknotenpunkt vollauf gerecht. Bereits 1931 sind etwa zehn Millionen Menschen mit der U-Bahn unter ihm durchgefahren.
1931 wird zuerst das Berolina-Haus fertiggestellt, 1932 folgt das Alexanderhaus, das mit seinem vorstehenden Ostflügel das Polizeipräsidium nun zum Platz hin verdeckt, wodurch sich dieser ein wenig nach Westen verschoben hat. In dem Gebäude eröffnet Aschinger seine Bierhalle neu, und 1933 ziehen die Sparkasse der Stadt Berlin und die Berliner Stadtbank mit ihrer Geschäftsleitung und den zentralen Verwaltungsstellen ein.
Ebenfalls 1933 kehrt nach sechs Jahren Abwesenheit die Berolina auf den Alexanderplatz zurück. Sie erhält einen neuen Standort vor dem Alexanderhaus, etwa dort, wo heute die Weltzeituhr steht. Ihre Wiederkehr wird von den Faschisten mit großem Pomp in Szene gesetzt, wobei sie sich als glorreiche Wiederbeschaffer des beliebten Standbildes aufführen.
Die ambitionierten Umgestaltungspläne für den Platz werden nun endgültig zu den Akten gelegt. Zwar hat der Platz sein Aussehen grundlegend verändert, doch ist von dem „Weltstadtplatz“, wie er den Planern zu Beginn der Bauarbeiten vorschwebte, nicht viel übriggeblieben. Dennoch erinnert jetzt nichts mehr an den Platz, wo man einst Wolle verkaufte und wo sich Stadt und Land trafen, wo einst Kühe trampelten und es Bäume gab und nackte Erde. Stattdessen tobt hier nun das großstädtische Leben, der Verkehr braust aus allen Richtungen über den Platz hinweg und auf mehreren Etagen bis in den Untergrund hinab. Leuchtreklamen flimmern, Schaufenster glänzen und strahlen, Menschen hasten hin und her.
Doch noch immer sind der Alexanderplatz und die ihn umgebenden Stadtviertel Schauplatz aufeinanderprallender Gegensätze. Nur durch ein paar Straßenzüge voneinander getrennt befinden sich hier die Parteizentrale der Kommunisten und das SA-Sturmlokal, in dem Horst Wessel sein Hauptquartier aufschlägt. Nur wenige Schritte muß man gehen, um vom Polizeipräsidium zu den Zentren der Verbrecherwelt zu gelangen, wo das Rotlichtmilieu Kunden anlockt und Hehler und Kleinkriminielle ihr Unwesen treiben. Von den Zentralmarkthallen, wo reiche Händler täglich fast fünfzig Prozent des Berliner Bedarfs an Obst, Gemüse, Fisch, Geflügel, Wild und Räucherwaren umsetzen, zu jenen Elendsvierteln, deren Bewohner von Lebensmitteln vegetieren, die sie sich aus den Kehrichthaufen in den Markthallen zusammensuchen müssen, gelangt man in wenigen Minuten. Die Volksbühne, deren Bau und Unterhalt zum größten Teil von Arbeitern finanziert werden, die dafür ihre letzten Groschen hergeben, und die Flohkinos der Münzstraße, wo man billige Gangster- und Sexfilme spielt, liegen nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Hier steht das Lehrervereinshaus, wo bürgerliche Verbände und Klubs tagen, und ganz in der Nähe kann man einkehren in Opiumhöhlen und Prostituiertenkaschemmen. Nicht weit vom Alexanderplatz, wo die „besseren“ Leute verkehren, die mal „was erleben“ wollen, wohnen im Viertel um die Dragonerstraße die armen Juden. Mit diesen Vierteln sind das Wirken von August Bebel und Franz Mehring, von Käthe Kollwitz und Ernst Barlach verbunden, während andererseits links- und rechtsradikale Demagogen in ihrem sozial höchst gespannten Milieu ihre erste und auch gewaltbereite Gefolgschaft finden.
Die dunklen Jahre
Nach der Machtergreifung der Faschisten wird das Polizeipräsidium von der Gestapo genutzt. Ab Mai 1935 werden beinahe täglich Gefangene vom Präsidium ins Gestapo-Hauptquartier in der Prinz-Albrecht-Straße transportiert, da sich das Gebäude am belebten Alexanderplatz nicht für die perfide systematische Folterung der Gefangenen eignet.
Am Alexanderplatz selbst verändert sich in der Zeit des Faschismus jedoch relativ wenig, denn in den größenwahnsinnigen Plänen der Faschisten für die „Welthauptstadt Germania“ spielen der Platz und seine Umgebung praktisch keine Rolle. Die Planer um Albert Speer konzentrieren sich dabei eher auf die Gegend westlich des Brandenburger Tores.
Ihre Spuren hinterlassen hingegen die „Arisierung“ und die anschließende Judenverfolgung, in deren Zuge die Kaufhäuser, die in jüdischem Besitz sind, enteignet und umbenannt werden. Das Kaufhaus Hermann Tietz wird kurzerhand in „Hertie“ umbenannt, nachdem es seinen Besitzern weggenommen und einem „arischen“ Geschäftsführer übergeben wurde. Aus dem Kaufhaus Wertheim wird die Allgemeine Warenhaus Gesellschaft AG (AWAG) gebildet. Auch die mittlerweile am Platz ansässige Engelhardt-Brauerei wird enteignet, wobei man sich hier entschließt, den Namen aus Werbegründen zu erhalten. Das im Berolinahaus ansässige „Tanzcafé Braun“ wird seinem Besitzer ebenfalls weggenommen und in „Café Berolina“ umbenannt. Aschinger hingegen gilt als „arisches“ Unternehmen und gewinnt durch das Verschwinden oder die Übernahme der ehemaligen jüdischen Konkurrenz, wie beispielsweise 1937 der Kempinski-Kette.
Nachdem der eigenständige Lehrerverein nach der Gleichschaltung der Lehrerschaft in Deutschland aufgehört hat zu existieren, geht das Lehrervereinshaus in den Besitz des NS-Lehrerbundes über.
In den Jahren des Faschismus in Deutschland werden am Alexanderplatz eigentlich nur zwei wirkliche Baumaßnahmen in Angriff genommen. Nachdem anläßlich der Olympischen Spiele 1936 zwischen der Neuen Königstraße und der Landsberger Straße an der Stelle des vor der Georgenkirche abgerissenen Kaufhauses Hahn eine neue, wallartige Grünanlage geschaffen wird, was man nicht versäumt, von der Presse ausgiebig loben zu lassen, wird diese bereits 1939 wieder entfernt, als man an dieser Stelle ein neues Gebäude für das Arbeitsamt Mitte errichten läßt. Den Plänen zufolge soll dieser fünfgeschossige Bau den Georgenkirchplatz vollständig umfassen. Als jedoch Deutschland den Zweiten Weltkrieg beginnt, ist dieses Vorhaben natürlich nicht mehr so wichtig. Da man das Baumaterial nun für Rüstungsbauten dringender benötigt, bleibt das Gebäude unvollendet.
Als dann ab Herbst 1940 erstmals britische Bomber Berlin erreichen, starten die faschistischen Machthaber das „Bunkerbauprogramm für die Reichshauptstadt“, in das auch der Alexanderplatz einbezogen wird. In der geplanten Kellerebene des nicht fertiggestellten Hochhauses an der Ecke der Neuen Königstraße zur Landsberger Straße wird eine Bunkeranlage für dreitausend Menschen geschaffen. Nach insgesamt neun schweren Bombenangriffen auf Berlin im Jahre 1942 errichtet man schließlich eine weitere unterirdische Schutzanlage. Zusammen mit den tiefer gelegenen U-Bahn-Anlagen können in diesen Schutzräumen am Alexanderplatz nun etwa zehntausend Menschen Schutz finden, was natürlich für die umliegenden Viertel keinesfalls ausreicht.
Im Februar und April 1945 erleidet der Alexanderplatz durch Bomben und Straßenkämpfe so große Zerstörungen, daß er anschließend nahezu vollständig in Trümmern liegt. Die Georgenkirche erhält mehrere schwere Bombentreffer. Im Endkampf um Berlin gerät ihr Turm unter Artilleriebeschuß, so daß sie schwer beschädigt zurückbleibt. Ebenfalls nach mehreren Bombentreffern brennen das Berolina- und das Alexanderhaus völlig aus. Lediglich ihre robuste Bauweise rettet sie vor dem totalen Zusammenbruch und läßt sie in ihren Strukturen erhalten bleiben. Am 29. April stürmt die eintreffende sowjetische Armee das polizeiliche Hauptquartier am Alexanderplatz und befreit die darin noch immer eingesperrten Gefangenen. Der Stadtbahnverkehr wird nach den letzten Luftangriffen im April 1945 eingestellt, da die Bahnanlagen zu schwer beschädigt sind. Auf dem einst so lebendigen Platz bricht jegliches städtisches Leben zusammen. Hungrige Berliner pflanzen nun auf ihm Kartoffeln an…