1800 - Leipziger Straße und Dönhoffplatz mit Spittelkolonnaden (Banner)

Spittelbrücke und Spittelkolonnaden: Das mißachtete Meisterwerk

Dieser Beitrag ist Teil 3 von 7 der Beitragsserie "Die Spittelkolonnaden"

Es ist ein Frühlingstag im Jahre 1841. Die Sonne schickt ihre wärmenden Strahlen hernieder und wird nur hin und wieder von ein paar dahinziehenden Wolken verdeckt. Der Winter hat sich, wie es scheint, endgültig zurückgezogen, um neue Kräfte zu sammeln und seine Wiederkehr zum Ende des Jahres vorzubereiten. Doch bis dahin wird noch viel Zeit vergehen müssen – Zeit, die die Natur ausgiebig nutzt, wieder zu erwachen und das Leben zu feiern. Überall grünt und blüht es, die Vögel zwitschern aufgeregt, und sogar die Menschen auf den Straßen der Stadt scheinen einander freundlicher zu begegnen als sonst.

Leipziger Straße und Dönhoffplatz mit Spittelkolonnaden um 1800
Leipziger Straße und Dönhoffplatz mit den Spittelkolonnaden im Hintergrund, um 1800
Kolorierter Kupferstich von Friedrich August Schmidt, nach einer Zeichnung von Friedrich Calau
Quelle: Zeno.org,
Lizenz: gemeinfrei, da urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen.

Von der Leipziger Straße her gehen zwei junge Männer den Gehsteig auf der rechten Straßenseite entlang auf die Spittelbrücke zu. Der Stand des Studenten, für den geübten Blick bereits aus ihrem Äußeren zu schließen, ist auch für den weniger geschulten Beobachter nicht schwer zu erkennen, trägt doch ein jeder von ihnen ein Bündel Bücher unter dem Arm. Dazu sind die beiden in ein intensives Gespräch vertieft, über dessen Inhalt sie aber offenbar verschiedener Meinung sind. Immer wieder halten sie inne, um heftig gestikulierend über irgendeinen Sachverhalt zu debattieren, versuchend, einander jeweils vom eigenen Standpunkt zu überzeugen. Daß es dabei um den Inhalt einer Vorlesung geht, die sie am Vormittag an der Universität gehört haben, ist angesichts der Lautstärke, in der sie ihr Gespräch führen, für jeden in ihrer Nähe leicht zu erfassen.

Sie haben den auf den Gehsteig vortretenden Eckpavillon der Kolonnade, die die Spittelbrücke auf dieser Straßenseite einrahmt, gerade eben passiert, als der eine den anderen plötzlich am Ellbogen faßt und ihn zurückhält.
„Ich glaube, wir müssen da hinüber“, sagt er und zeigt zum Säulengang gegenüber.
„Wenn du meinst“, erwidert sein Freund achselzuckend. „Du hast das Geschäft ausgesucht. Ich hoffe nur, wir bekommen einen guten Preis. Ich brauche dringend Geld!“
„Glaub mir, der gute Danz wird Dir Deine alten Schulbücher schon anständig bezahlen. Dafür ist er mittlerweile stadtbekannt.“
Einen kurzen Moment später streben beide hinüber zur anderen Seite der Straße, überqueren den halbrunden, von der Sonne beschienenen Platz und betreten den Säulengang dahinter. In seinem Schatten stehen Regale voller Bücher, die die beiden jedoch kaum eines Blickes würdigen. Zielstrebig gehen sie auf den zwischen den Regalen liegenden Eingang zu und in den Laden hinein.

Als sie wenig später unter der Kolonnade wieder hervor- und auf den Gehsteig hinaustreten, sehen beide sehr zufrieden aus.
„Das war wirklich ein gutes Geschäft“, sagt der, dessen Geldbörse zuvor noch argen Mangel gelitten hatte. „Das sollten wir feiern!“
„Willst Du das Geld gleich wieder unter die Leute bringen?“ fragt ihn sein Kommilitone. „Ich denke, Du brauchst es so dringend?“
„Naja, schon, aber wenigstens ein Bier muß drin sein.“
„Wie Du meinst. Aber einem Bier wäre ich auch nicht abgeneigt. Laß uns hier weiter in Richtung Spittelmarkt gehen. Da vorn ist Josty, dort brauen sie ein gutes Bitterbier. Dann können wir auch unseren Disput von vorhin fortsetzen. Du hast mich schließlich noch lange nicht überzeugt.“
Und beschwingten Schrittes, wie ihn eine Tasche voller Geld verleiht, schreiten die beiden davon.

Die Restauration der Gebrüder Josty, zu der die beiden Studenten nun unterwegs sind, befindet sich zu jener Zeit in der Hausnummer 2 der Straße An der Spittelbrücke, nur wenige Meter von den Spittelkolonnaden entfernt. Mit Bierausschank und dem Angebot von Frühstück und Abendbrot ist sie durchaus beliebt. 1831 wurde sie von Daniel Josty eröffnet, der im Jahre 1812 die Bitterbier-Brauerei „Gebrüder Josty & Comp.“ gegründet hatte. Sein Bruder betreibt zur gleichen Zeit an der Stechbahn am Berliner Schloß das Café Josty, das sich ebenfalls großer Beliebtheit erfreut und unter anderem Heinrich HeineJoseph von Eichendorff und die Brüder Grimm zu seinen Gästen zählt.

Verhinderte Veränderungen

Die Straße An der Spittelbrücke verbindet den Spittelmarkt mit der namensgebenden Brücke, die 1828 ihre erste, 9000 Taler teure Renovierung erhalten hatte. Laut dem Berliner Adreßbuch von 1841 besitzt die Straße insgesamt neunzehn Hausnummern. Deren Zählung beginnt am Spittelmarkt, steigt auf der Nordseite der Straße zur Brücke hin an und folgt dann der Südseite zurück. Der Antiquar Danz, den die beiden Studenten aufsuchen, um ihre alten Schulbücher zu verkaufen, hat sein Geschäft im Jahre 1832 eröffnet. Geführt wird es unter den Hausnummern 5 und 6 und ist eines der Ladengeschäfte, die in den Spittelkolonnaden angesiedelt sind. Laut dem erwähnten Adreßbuch gehen 1841 in den Säulengängen unter anderem der Riemermeister Neidthold (Nummer 7), der Fleischwarenhändler Schafft (Nummer 8), der Möbelhändler Reim (Nummern 9 und 10), der Hutfabrikant Wolff (Nummer 11) und der Buchbinder Schmerbauch (Nummer 13) ihren Geschäften nach.

Die Läden sind in jener Zeit längst keine Provisorien mehr, sondern dauerhafte Institutionen, wie ein Blick ins Berliner Adreßbuch von 1855 verrät. Für die Hausnummern 5 und 6 ist darin nach wie vor der Antiquar Danz verzeichnet. In Nummer 7 hat ein Lederhändler sein Geschäft, der im Adreßbuch mit dem Namen Leidholdt aufgeführt wird. Ob sich dahinter der einem Schreibfehler zum Opfer gefallene Riemermeister Neidthold verbirgt oder der Laden von einem neuen Betreiber übernommen wurde, ist nicht zu klären. Ganz im Gegensatz zur Nummer 8, in der der Inhaber der Fleischwarenhandlung nun Siemens heißt. Die Möbelhandlung in Nummer 10 führt jetzt den Namen Neumann und in den Nummern 11 und 12 macht die neue Buchbinderei Carbonier dem Buchbinder Schmerbauch in Nummer 13 Konkurrenz.

Ein Jahr später, 1856, wird die Spittelbrücke für 3000 Taler einer erneuten Teilrenovierung unterzogen. Rings um sie herum entwickelt sich die Stadt. Die alte Kernstadt und ihre Vorstädte – hier insbesondere die Friedrichstadt -, zwischen denen die Brücken über den alten Festungsgraben die Verbindung herstellen, wachsen zusammen, so daß diese Unterscheidung schon bald keinen wirklichen Sinn mehr ergibt. Häuser werden abgerissen und neue, größere errichtet. Diese rücken immer dichter an die Brücke, die Spittelkolonnaden und den Grünen Graben heran. Mehr und mehr Geschäfte eröffnen in der Stadt, der Verkehr auf den Straßen nimmt zu.

Es ist das Jahr 1864, als die Spittelkolonnaden zum ersten Mal mit dieser Entwicklung in Konflikt geraten. Mehrere Anwohner reichen bei den zuständigen Behörden Eingaben ein. Die Besitzer der an die Kolonnaden angrenzenden Häuser wünschen den Abbruch der auf den Bürgersteig vorspringenden Eckpavillons der Säulengänge, um, wie sie sagen, die Passage für die Fußgänger zu erleichtern. Die Eigner der Grundstücke, die sich zu beiden Seiten des Grünen Grabens hinter den Kolonnaden befinden, möchten mit der Front ihrer Häuser bis zur Straße vorrücken. Weil die Kolonnaden dabei im Weg sind, wünschen sie deren kompletten Abriß.

Alle diese Petitionen werden den Antragstellern abschlägig beschieden. Begründet wird die Ablehnung damit, daß die Stadt nur über wenige monumentale Denkmäler verfüge und diese so lange wie möglich erhalten werden sollen. So beachtenswert diese geschichtsbewußte und kulturbewahrende Entscheidung auch ist, so gibt es für sie doch noch einen weiteren, ganz praktischen Grund. Auch wenn sich die schmalen Anbauten hinter den Säulengängen in Privatbesitz befinden, über den die Eigentümer frei verfügen können, so gilt das nicht für ihre Vorderfronten, die von den Spittelkolonnaden gebildet werden. Jene befinden sich nämlich im fiskalischen Eigentum des preußischen Staates, weshalb die Stadt darüber keine Entscheidungsgewalt besitzt.

Vollzogene Veränderungen

So ist der Abriß der Kolonnaden erst einmal abgewendet. 1864 wird, wie den Adreßbüchern aus jener Zeit zu entnehmen ist, zunächst die Spittelbrücke der Leipziger Straße zugeschlagen, ein Jahr später dann auch die Straße An der Spittelbrücke, so daß die Leipziger Straße nun bis zum Spittelmarkt verläuft. Die kurze Zeit später beginnenden Gründerjahre bringen viele Veränderungen mit sich, die sich auch in der Gegend um die Spittelbrücke bemerkbar machen. Die Leipziger Straße entwickelt sich zu einer großen Geschäftsstraße, in der Handelshäuser und Geschäfte wie Pilze aus dem Boden schießen. Damit verbunden ist eine stetige Zunahme des Verkehrs, in deren Folge man grundlegende Umbauten für nötig erachtet. Um den Spittelmarkt zu vergrößern, reißt man 1872 das in dieser Gegend namensstiftende Gertraudenhospital ab. Die Beuth- und die Seydelstraße werden zum Platz durchgebrochen.

Neuester Plan von Berlin von 1874 (Ausschnitt Spittelmarkt)
Neuester Plan von Berlin von 1874 (Ausschnitt)
In der Mitte ist der Spittelmarkt zu sehen, von dem nun in Richtung Westen die Leipziger Straße führt. Von Süden stoßen nun die Beuth- und die Seydelstraße auf den Platz. Die Spittelbrücke mit ihren Kolonnaden ist an der Leipziger Straße ebenfalls zu erkennen – hervorgehoben durch die beiden Halbkreise an beiden Straßenseiten.
Quelle: Julius Straube, Neuester Plan von Berlin, Verlag von Julius Straube, Berlin, 1874 – Digitalisiert durch die Zentral- und Landesbibliothek Berlin, 2011.
Bearbeitet: Alexander Glintschert
Gemeinfrei, da urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen.

Weil die Zahl der Geschäfte mehr und mehr zunimmt, setzen die Ladeninhaber verstärkt auf Werbung, um potentielle Kunden auf sich aufmerksam zu machen. Firmenschilder an Haus- und Ladeneingängen sind dabei das Minimum des Werbe-Einmaleins, das sich auch die Händler der in den Spittelkolonnaden ansässigen Geschäfte zunutze machen. Eine eigenständige Fassadengestaltung rings um den Ladeneingang gehört natürlich ebenfalls dazu. Im Ergebnis macht das Äußere der Säulengänge durch vielfach aufgebrachten Putz und verschiedenfarbige Anstriche sowie eine Vielzahl an Firmenschildern einen sehr unsauberen, ärmlichen Eindruck.

Im Jahr 1880 steht daraufhin eine erneute Renovierung der Spittelkolonnaden an. Sie sollen einer kompletten Reinigung unterzogen und in allen Teilen in einem gleichmäßigen Sandsteinton neu gestrichen werden, damit die ursprüngliche einheitliche Gesamtwirkung wiederhergestellt wird. Allerdings gelingt dies nur für die nördliche Hälfte, da die recht hohen Kosten die zur Verfügung stehenden Geldmittel des Unterhaltungsfonds der öffentlichen Denkmäler Berlins weit übersteigen. Auch können die in den Kolonnaden ansässigen Händler nicht überredet werden, die ihnen gehörenden Türen und Schaufenster zeitgemäß und einheitlich umzugestalten. Die Halbrondells vor den Säulengängen erhalten jedoch ein Mosaikpflaster. Ziel der Generalüberholung ist die Schaffung eines würdigen Gegenstücks zu den Rondells auf dem Leipziger Platz am anderen Ende der Leipziger Straße. Es wird sogar überlegt, vor den Kolonnaden Kandelaber oder Figurengruppen aufzustellen. Die Illustrierte Berliner Wochenschrift „Der Bär“ schlägt daraufhin vor, die Figurengruppen der kurz zuvor abgerissenen Königsbrücke vor den Spittelkolonnaden zu plazieren. Doch dazu kommt es nicht.

Stattdessen reißt man 1881 die Spittelkirche ab. Trotz zahlreicher Umbauten und Erweiterungen war sie im Kern immer noch die originale Kapelle aus dem 15. Jahrhundert, die nun unwiederbringlich verloren ist. Im selben Jahr beginnt man auch damit, den Grünen Graben zuzuschütten. Für den Bau der Berliner Stadtbahn hatte man bis zum Ende der 1870er Jahre mit dem Königsgraben bereits den östlichen Teil des alten Festungsgrabens beseitigt. Bis 1883 setzt man dies am westlichen Teil, dem Grünen Graben, fort. Zwar war der Wasserlauf stets recht verrufen, weil seine geringe Fließgeschwindigkeit ihn fast schon zu einem stehenden Gewässer machte, das besonders in den Sommermonaten üble Gerüche verbreitete, wenn die Menschen ihre Abfälle direkt in den Graben entsorgten, wie es vor dem Bau der Berliner Kanalisation oft der Fall war. Mittlerweile verfügt die Stadt jedoch über ein solches Abwasserbeseitigungssystem, weshalb die Zuschüttung des Grünen Grabens als recht überflüssiger Akt erscheint, wenn man den Beweggrund in der Verbesserung der städtischen Atmosphäre sucht. Tatsächlich geht es jedoch um etwas ganz anderes. Mit der Beseitigung des Wasserlaufs ist mitten in der Stadt wertvoller Baugrund zu gewinnen, mit dessen Erschließung man in der Folge auch unverzüglich beginnt.

Leipziger Straße, nördliche Spittelkolonnade, 1890
Die nördliche Spittelkolonnade in der Leipziger Straße, 1890. Auf der linken Seite ist das Werbeschild für das Antiquariat Danz zu sehen.
Quelle: Stadtmuseum Berlin, Sammlung Online, Fotograf: unbekannt, Inventar-Nr.: IV 67/162 V, © Stiftung Stadtmuseum Berlin, mit freundlicher Genehmigung.

Ohne einen Wasserlauf, den sie überspannen müßte, ist eine Brücke relativ zwecklos, und so werden auch die Übergänge über den Grünen Graben unmittelbar nach seiner Beseitigung abgebrochen – unter ihnen die Spittelbrücke. Genau wie die Königskolonnaden an der ehemaligen Königsbrücke läßt man jedoch glücklicherweise auch die Spittelkolonnaden stehen. Sie, die ohne ihre Brücke ihren eigentlichen Sinn als Brückenbauwerk verlieren, werden nun nahe dem Dönhoffplatz in den Verlauf der Leipziger Straße einbezogen, die sie zu beiden Seiten weiterhin flankieren, ohne daß jedoch noch zu erkennen wäre, warum.

Die neue Situation der Gontard’schen Säulengänge macht es ihnen nicht gerade leichter, als wertvolles Kunstwerk geschätzt zu werden. Zum einen wird ihr Rang als solches ganz allgemein immer wieder bezweifelt. So schreibt beispielsweise Richard Borrmann in seinem 1893 veröffentlichten Werk „Die Bau- und Kunstdenkmäler von Berlin“:

[Die] Eckbauten enthalten Bogenöffnungen, die zurückliegenden Theile der Hallen, mit Ausnahme der durch Pilaster und Säulen besonders hervorgehobenen Mittelaxen [sic!], eine einfache Säulenstellung. Bei der geringen Höhe der Säulen und ihren grossen [sic!] Abständen nimmt sich diese Anordnung, im Gegensatze zu der der Königskolonnaden, woselbst der Fehler durch die Einstellung gepaarter Säulen auf breiten Sockeln von Brüstungshöhe geschickt vermieden ist, etwas leer und dürftig aus. […] Wie die Architektur so sind auch die plastischen Arbeiten wenn nicht einfacher so doch minder wirkungsvoll wie an den Königskolonnaden.

Die Spittelkolonnaden 1891
Die Spittelkolonnaden (südlicher Säulengang) 1891
Quelle: Blätter für Architektur und Kunsthandwerk, IV. Jahrgang, Verlag von A. Braun & Co., Berlin, 1891, S. 220,
Foto: Hofphotographen Römmler & Jonas, Dresden,
Gemeinfrei, da urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen.

Zum anderen nimmt man nun, wo keine Brücke und kein Wassergraben den Säulengängen eine eigene, herausgehobene Stellung sichern, beim Ausbau der Straße und Gebäude keinerlei Rücksicht mehr auf die Kolonnaden als künstlerisches Werk. Um die Jahrhundertwende werden sie nach und nach mit Wohnhäusern umbaut, deren Front in ihrem unteren Teil von der Rückwand der Kolonnaden gebildet wird. Diese werden damit zu bloßen Vorbauten dieser Gebäude degradiert. Den südlichen Säulengang umschließt man als ersten mit neuen Gebäuden. Zwischen 1906 und 1908 setzt sich dies dann hinter dem nördlichen Säulengang fort. Daß dabei nicht nur das Erscheinungsbild der Kolonnaden stark verändert wird, sondern dies auch das städtische Leben in ihnen und um sie herum stark beeinflußt, belegt eine Zeitungsmeldung, die am 27. Juni 1906 im „Friedenauer Lokal-Anzeiger“ erscheint:

Infolge der Umänderungen, die jetzt auf der Nordseite der Spittelkolonnaden an der Leipzigerstraße [sic!] stattfinden, ist eins der ältesten und bekanntesten Bücher-Antiquariats-Geschäfte Berlins, das von Danz, eingegangen, nachdem es viele Jahrzehnte hindurch hier bestanden hat. Der Gründer des Geschäftes, der alte „Danz“, den längst der kühle Rasen deckt und an dessen Stelle nach seinem Tode sein ältester Sohn trat, war bei den Berliner Gymnasiasten der 50er und 60er Jahre sehr beliebt, da er für gebrauchte Schulbücher recht hohe Preise zu zahlen pflegte. Vor dem Laden standen unter dem Säulengange ein halbes Dutzend hoher Regale, in denen die alten Bücher nach Preisen geordnet aufgestellt worden waren. Jedem vorrübergehenden [sic!] stand es frei, ein beliebiges Buch herauszunehmen und, so lange es ihn [sic!] gefiel, darin zu blättern. Die Erben des „alten Danz“ haben nun ihren Anteil an den Kolonnaden, der die Bezeichnung Leipziger Straße 69 trägt, verkauft, da sich hinter den Kolonnaden, an denen selbst nichts geändert werden darf, hohe 4stöckige Geschäftshäuser erheben werden, mit deren Errichtung bereits begonnen worden ist. Von Außen wird also der alte Buchladen denselben Eindruck wie bisher machen, im Innern aber wird er einen Teil der Neubauten bilden. Auch die neben dem Danz’schen Geschäft gelegene alte Gastwirtschaft, welche die Bezeichnung „Zur schlesischen Krippe“ trägt, muß ihre Pforten schließen, da auch dieses „Haus“ zu Gunsten der Neubauten verkauft worden ist.

Bereits ein Dreivierteljahr später ist die erste Phase der Umbauung der nördlichen Kolonnade abgeschlossen, wie in der folgenden Meldung, die am 27. März 1907 in derselben Zeitung erscheint, zu lesen ist:

Die Bebauung neben und hinter der Nordseite der Spittelkolonnaden ist jetzt vollendet. Die alten von ihren Besitzern geräumten Läden sind in die Neubauten mit hineingezogen worden, doch mußte die mit figürlichen [sic!] Schmuck bedeckte Rückwand der Kolonnaden bestehen bleiben, da diese Eigentum der Krone sind und nicht beseitigt werden dürfen. Indessen hat das Ober-Hofmarschallamt die Anlage zweier großer moderner Schaufenster in der Wand gestattet.

Die Krone nutzt die Gelegenheit, die ihr gehörenden Spittelkolonnaden erneut einer Restaurierung zu unterziehen, wie einer ein weiteres halbes Jahr später erscheinenden Meldung des „Friedenauer Lokal-Anzeigers“ zu entnehmen ist:

Die alten Spittelkolonnaden werden jetzt auf der Nordseite der Leipzigerstraße [sic!], wo zu beiden Seiten der Säulenhalle neue Häuser entstanden sind, gründlich ausgebessert und sind deshalb mit einem Baugerüst umgeben worden. Von den alten Läden, deren es früher eine ganze Anzahl in den Kolonnaden gab, ist nichts mehr zu sehen. Statt ihrer sind Schaufenster entstanden, die zu den in den neuen Nebenhäusern befindlichen Läden gehören.

Man hat dieser Meldung vom 4. September 1907 zufolge also zunächst einmal an den beiden seitlichen Enden des nördlichen Säulenganges neue Gebäude errichtet. Zwei Monate später, am 4. November 1907, meldet die Zeitung dann dies:

Die hinter den Spittelkolonnaden auf der Nordseite der Leipzigerstraße [sic!] noch stehenden alten niedrigen Häuser werden jetzt sämtlich abgerissen und durch hohe moderne Gebäude ersetzt. Ebenso werden die noch vorhandenen alten Läden, die bereits im vorigen Jahr geräumt worden sind, modernisiert. An den Kolonnaden selbst, die Eigentum der Krone sind, darf nichts geändert werden. Der Platz vor den Kolonnaden ist wegen der Bauarbeiten durch einen Bretterzaun abgeschlossen worden.

Nachdem nun die niedrigen Ladenbauten hinter der Kolonnade beseitigt sind, geht man an die letzte Bauphase. Eine letzte Meldung des „Friedenauer Lokal-Anzeigers“ vom 20. Januar 1908 erklärt, was passiert:

Hinter den Spittelkolonnaden werden jetzt auf der Nordseite hohe Gebäude aufgeführt, zu welchem Zwecke der ganze Raum vor den Kolonnaden mit einem hohen Baugerüst ausgefüllt worden ist. Die Wirkung der Kolonnaden wird durch diese Hinterhäuser, die sich auch auf der anderen Seite schon seit geraumer Zeit erheben, sehr beeinträchtigt.

Ganz offenbar ist bereits zum Zeitpunkt der Errichtung der neuen Gebäude klar, welche Auswirkung sie auf die Gontardschen Kolonnaden haben werden. Gustav Lampmann hat diese in seinem 1929 erschienenen Artikel „Die Spittelkolonnaden in Berlin“ zusammengefaßt:

[…]Die fünfstöckige Normalbebauung der Straße ist unmittelbar an die im Halbkreis geführten Säulengänge herangepreßt, so daß mit ihrem selbständigen Baudasein zugleich ihr maßstäbliches Eigenleben erdrückt wird. Die früher gegen den freien Himmel stehenden Konturen der geschwungenen Gesimslinien und dekorativen Aufbauten werden überschrien von dem Gewirr der gleichgültigen Fensteransammlung des Hintergrundes.

Hinzu kommt, daß in den nun um ein vieles höheren Gebäuden auch viel mehr Firmen und Geschäfte Platz haben, die alle bereits an der Straße auf sich aufmerksam machen möchten. Schon bald sind die Kolonnaden erneut durch Anstriche und viele störende Firmenschilder regelrecht entstellt. Weil ihre Eckpavillons nun vor die Fassaden der angrenzenden Häuser treten und so mitten auf den Gehsteigen stehen, werden sie erst recht als schwerfälliges Hindernis empfunden. Und auch die Besitzer der rückwärtigen Gebäude sind mehr als unzufrieden, beschert ihnen doch das steile Pultdach, das man zwischenzeitlich auf die Attika der Kolonnaden gesetzt hat, eine ganze Etage, in der kein einziges Fenster zur Straße untergebracht werden kann.

Im südlichen Säulengang erhält sich trotz der Umbauung immerhin ein Rest der früheren kleinen Läden, so daß der Journalist Adolf Heilborn in seiner 1921 in den Sonntagsausgaben der „Berliner Morgenpost“ erscheinenden „Reise nach Berlin“ die Spittelkolonnaden folgendermaßen beschreiben kann:

Die Leipziger Kolonnaden, von Gontard 1776 erbaut, – ihr erfreulicheres, reicheres Gegenstück, die Königskolonnaden, zieren heute den Kleistpark (alter Botanischer Garten, am Ende der Potsdamer Straße) – stehen ja noch heute, und auf der Südseite bieten sie mit ihren kleinen, altmodischen Lädchen noch ganz das anheimelnde Bild von früher. Auf der andern Seite hauste wie in dunkler Höhle der Antiquar Danz und hatte in dem Säulengange seine Regale mit billigen Büchern aufgebaut, seine großen Mappen voll Bilder zu beliebigem Drinblättern und Schmökern auf die Erde gestellt.

Schon damals eine Erinnerung an längst vergangene Tage…


Das Banner auf dieser Seite zeigt die Leipziger Straße und den Dönhoffplatz mit den Spittelkolonnaden um 1800
Kolorierter Kupferstich von Friedrich August Schmidt, nach einer Zeichnung von Friedrich Calau

Quelle: Zeno.org,
Lizenz: gemeinfrei, da urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen.

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