Das Fliesenbild "Der Alexanderplatz im Herbst 1968"

Porzellanbilder am Alexanderplatz

Nein, ein schöner Platz ist der Alexanderplatz heute wahrlich nicht. Überall Stein und Glas und nur wenig Grün. Und drumherum braust auf überdimensionierten Straßen der Verkehr. Menschen eilen schnellen Schrittes über den Platz – wenn er sie denn läßt, was nicht oft der Fall ist, denn die meiste Zeit im Jahr, so scheint es, ist er vollgestellt mit Buden und Zelten, Bühnen und Fahrgeschäften, die zwar stets irgendwie dieselben zu sein scheinen, sich aber je nach vorgeblichem Anlaß ein geringfügig variierendes Antlitz geben. Steigt man hinab in den Untergrund, so ist es kaum besser. In dem mehretagigen Tunnelsystem, das in seiner Größe durchaus zu beeindrucken weiß, wuseln die Menschen ebenso herum wie oben auf dem Platz. Der „Alex“ ist hauptsächlich Durchgangsstation und Verkehrsknotenpunkt, ein bißchen auch Einkaufszentrum. Lange aufhalten will sich hier kaum jemand.

Daß dies einmal anders war, selbst in Zeiten, als Berlin längst als Großstadt und Metropole galt, davon zeugten vor noch gar nicht allzu langer Zeit hier am Alexanderplatz acht Kunstwerke, die ihrem Betrachter die Geschichte des Platzes auf elegante und ästhetische Art nahebrachten. Erinnern Sie sich noch an sie? Nein? Dann geht es Ihnen wie den meisten. Knapp fünfzehn Jahre ist es her, daß sie von hier verschwanden und damit auch aus der Erinnerung der meisten Einwohner der Stadt. Die Rede ist von den Porzellanbildern am  Alexanderplatz. Ihre Geschichte, die in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beginnt, soll hier erzählt werden.

Als im Zuge der umfangreichen Bauarbeiten am U-Bahnhof Alexanderplatz dieser Ende der 1920er Jahre zu einem großen Umsteigebahnhof erweitert wird, bringt man in seinem östlichen Vorraum sechs kunstvolle Porzellanmalereien an, die der Öffentlichkeit mit der Eröffnung des neuen Bahnhofs am 21. Dezember 1930 zugänglich gemacht werden. Geschaffen wurden die Bilder auf den Porzellanplatten, die die Geschichte des Platzes zwischen 1730 und 1930 erzählen, von Künstlern in der Königlich-Preußischen Porzellanmanufaktur, die ihrer Arbeit historische Vorlagen zugrundelegten. Darunter waren so namhafte Berliner Künstler wie Johannes BoehlandFriedrich Winckler-Tannenberg, Gerhard Ulrich und Bruno Bernitz.

Das Porzellanbild "Die Gegend am Königstor um 1730"
Das Fliesenbild „Die Gegend am Königstor um 1730“, entworfen von Johannes Boehland. Es handelt sich hier um die von der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen ausgeführte zweite Version des Bildes.
Fotograf: Stiftung Stadtmuseum Berlin (2010),
Bearbeitet: Alexander Glintschert (2020),
Quelle: Stiftung Stadtmuseum Berlin via Wikimedia Commons
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Das erste Bild trägt den Titel „Die Gegend am Königstor um 1730“ und zeigt den Alexanderplatz – der damals natürlich noch nicht so hieß und vor den Festungsanlagen auch kaum erkennbar ist – die alte Marienkirche, die Klosterkirche, den Rundbau der französischen Kirche sowie einen Weg über die Spandauer Brücke zu einer Windmühle. Und auch die Georgenkirche fehlt natürlich nicht.

Das Porzellanbild "Ochsenmarkt auf der Contre-Escarpe vor dem Königstor 1780"
Das FliesenbildOchsenmarkt auf der Contre-Escarpe vor dem Königstor 1780″, entworfen von Gerhard Ulrich. Es handelt sich hier um die von der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen ausgeführte zweite Version des Bildes.
Fotograf: Stiftung Stadtmuseum Berlin (2010),
Bearbeitet: Alexander Glintschert (2020),
Quelle: Stiftung Stadtmuseum Berlin via Wikimedia Commons
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Auf dem zweiten Bild „Ochsenmarkt auf der Contre-Escarpe um 1780″ ist der Platz vor dem Königstor mit den Königskolonnaden und der Nikolaikirche zu sehen. Rechts steht das Wohnhaus des Hofbildhauers Jean-Pierre-Antoine Tassaert.

Das Porzellanbild "Die Königsbrücke 1785"
Das Fliesenbild „Die Königsbrücke 1785“, entworfen von Friedrich Winckler-Tannenberg. Es handelt sich hier um die von der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen ausgeführte zweite Version des Bildes.
Fotograf: Stiftung Stadtmuseum Berlin (2010),
Bearbeitet: Alexander Glintschert (2020),
Quelle: Stiftung Stadtmuseum Berlin via Wikimedia Commons
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Das dritte Bild, „Die Königsbrücke um 1785“ mit Namen, präsentiert den Zustand fünf Jahre später, zeigt aber nicht den Platz, sondern die Königsbrücke und ihre Kolonnaden mit einer stattlichen Karosse sowie einen Ochsentreiber vor einer Schildwache.

Den „Wollmarkt auf dem Alexanderplatz um 1830″ zeigt das vierte Bild, während das fünfte – „Der Alexanderplatz um 1900“ – den Platz an der Wende zum 20. Jahrhundert darstellt. Mit der nun anstelle der Königsbrücke errichteten Eisenbahnbrücke, einem Sechseromnibus und einer Straßenbahn stehen hier die neuen Verkehrsmittel im Vordergrund. Am rechten Bildrand steht die Berolina, während im Bildhintergrund die Türme der Marienkirche und des neuen Roten Rathauses zu sehen sind.

Diese fünf Bilder sind die für die östliche Vorhalle des U-Bahnhofes ursprünglich geplanten Ansichten des Platzes. Kurzfristig entscheidet man sich jedoch noch für ein sechstes Bild – eine „Luftaufnahme“ aus den Jahren des Platzumbaus. Dem Betrachter wird neben dem Lehrervereinshaus, dem Turm der Georgenkirche und dem Straßenbahnverkehr insbesondere das Chaos auf dem Platz gezeigt, wie es die umfangreichen Bauarbeiten mit sich gebracht hatten.

Den Zweiten Weltkrieg überstehen die Bilder zwar, allerdings werden sie beschädigt. Es gelingt jedoch, sie zu bergen und aufzubewahren. Sie befinden sich schließlich in der Obhut des VEB Denkmalpflege Berlin, als man in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre den Alexanderplatz neu gestaltet und dabei auf die Idee kommt, auch diese Bilder wieder öffentlich sichtbar zu machen.

Diesmal ist es die Porzellanmanufaktur in Meißen, die den Auftrag erhält, die Porzellanbilder auf der Grundlage der originalen Tafeln neu zu erschaffen. Und die Künstler leisten ganze Arbeit. Sie lassen nicht nur die sechs ursprünglichen Bilder wiedererstehen, sondern ergänzen diese noch um zwei weitere, die beide von Bruno Bernitz entworfen werden, der bereits an den ersten sechs Bildern mitwirkte.

Das Porzellanbild "Berlin Alexanderplatz - Mai 1945"
Das Fliesenbild „Berlin Alexanderplatz – Mai 1945“, entworfen von Bruno Bernitz und ausgeführt von der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen.
Fotograf: Stiftung Stadtmuseum Berlin (2010),
Bearbeitet: Alexander Glintschert (2020),
Quelle: Stiftung Stadtmuseum Berlin via Wikimedia Commons
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Das Porzellanbild "Der Alexanderplatz im Herbst 1968"
Das Fliesenbild „Der Alexanderplatz im Herbst 1968“, entworfen von Bruno Bernitz und ausgeführt von der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen.
Fotograf: Stiftung Stadtmuseum Berlin (2010),
Bearbeitet: Alexander Glintschert (2020),
Quelle: Stiftung Stadtmuseum Berlin via Wikimedia Commons
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Das neue siebente Bild, das den Namen „Berlin Alexanderplatz – Mai 1945″ trägt, gibt einen Eindruck vom zerstörten Bahnhof im Mai 1945, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Und das achte Bild, „Der Alexanderplatz im Herbst 1968″ genannt, zeigt den Platz schließlich vor der kompletten Neugestaltung. Er hat noch seine vorige Form, doch einige der neuen Bauten sind schon in Arbeit. Unmißverständlich weisen die berühmten blauen Schwerter auf den Ursprung der neuen Bildtafeln hin. Angebracht werden diese an der Wand eines Fußgängertunnels, dessen Eingang neben dem Interhotel „Stadt Berlin“ liegt und als Zugang zu dem Hauptverbindungstunnel dient, der von der Karl-Marx-Allee unter dem gesamten Alexanderplatz hindurch bis hinter den S-Bahnhof zum Alex-Treff führt, dorthin, wo einst das Kaufhaus Wertheim und zuvor die Königskolonnaden standen.

Die Originale der Königlich-Preußischen Porzellanmanufaktur werden weiterhin vom VEB Denkmalpflege in Berlin aufbewahrt. Man lagert sie in einer Spezialbaracke für Kunstgüter auf dem Hof des VEB Tiefbau in Heinersdorf ein.

Doch allzuviel Zeit ist den schönen Porzellanbildern wieder nicht vergönnt. Mit der Wende und dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik ändert sich vieles. Zunächst werden die volkseigenen Betriebe aufgelöst – so auch der VEB Denkmalschutz Berlin und der VEB Tiefbau. Die eingelagerten Originale der Porzellanbilder werden ein Opfer der Wirren dieser Zeit. Sie gehen verloren. Niemand weiß heute, wo sie abgeblieben sind oder ob sie überhaupt noch existieren.

Ihre Nachbildungen sind jedoch zunächst noch weiterhin im Fußgängertunnel am Alexanderplatz zu sehen. Bis im Jahre 2005 bekannt wird, daß man im Zuge einer erneuten Neugestaltung des Platzes den großen Verbindungstunnel verkürzen will. Er soll nicht länger bis hinüber zum Haus des Reisens und zur Karl-Marx-Allee führen, sondern stattdessen am nördlichen Rand des Platzes enden. Das nicht mehr benötigte Tunnelstück möchte man zuschütten. Ein Opfer dieser Maßnahme wird auch der Zugang neben dem Hotel, so daß die Porzellanbilder unmittelbar bedroht sind. Dem Einsatz der Sammlungskuratorin der Stiftung Stadtmuseum für Keramik und Porzellan, Irina Tlusteck, ist es zu danken, daß die Bilder vor der Zerstörung bewahrt werden können. Im Sommer 2006, zwei Jahre vor der endgültigen Schließung des Tunnels, werden sie geborgen und erneut eingelagert, diesmal im Spandauer Depot des Stadtmuseums, in dessen Besitz sie heute sind.

Nur einmal noch treten die Porzellantafeln aus dem U-Bahnhof Alexanderplatz für kurze Zeit vor die Augen der Öffentlichkeit, als sie 2010 in einer Ausstellung des Museums Porzellanikon in Selb gezeigt werden. Seitdem verdämmern sie in ihrem Depot die Zeit und harren des Tages, an dem sie wieder in all ihrer Schönheit und Kunstfertigkeit den neugierigen Augen ihrer Betrachter die Geschichte des Alexanderplatzes nahebringen können.


Quellen


Das Banner auf dieser Seite zeigt einen Ausschnitt aus dem Fliesenbild „Der Alexanderplatz im Herbst 1968“.
Entwurf: Bruno Bernitz
Fotograf: Stiftung Stadtmuseum Berlin (2010)
Bearbeitet: Alexander Glintschert (2020)
Quelle: Stiftung Stadtmuseum Berlin via Wikimedia Commons
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Porzellanbilder am Alexanderplatz


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