Die ungeliebten Kolonnaden
Mit dem anbrechenden zwanzigsten Jahrhundert entwickelt sich der Alexanderplatz mehr und mehr zu einem der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte der Stadt. Neue Wohnquartiere entstehen und in den Straßen rund um den Platz etablieren sich viele kleine Zimmertheater, „Caffee“-Häuser, Buden und Bierhallen. Kaufhäuser wie das des Oskar Tietz öffnen ihre Pforten und erhalten regen Zulauf. All das bringt eine Zunahme des Verkehrs nicht zuletzt auch in der Königstraße mit sich. Die Folge ist das Aufflammen der alten Diskussion um die Königskolonnaden als Verkehrshindernis. In den Zeitungen und Zeitschriften werden Für und Wider einer Versetzung diskutiert, für die verschiedene Ideen und Vorschläge unterbreitet werden. Eine Aufstellung der Kolonnaden an der Marienkirche, die der Geheime Regierungsrat Ernst Friedel befürwortet, wird ebenso erörtert wie der Gedanke, die Kolonnaden wieder zum Wasser in Beziehung zu setzen, indem man eine nicht zu weit entfernte Brücke in Alt-Cölln mit ihnen schmückt.
Doch noch bleibt es bei gelegentlichen Vorschlägen und Diskussionen. Währenddessen schreitet die Entwicklung des städtischen Umfeldes der Kolonnaden weiter voran. In ihrer direkten Nachbarschaft kommt es beinahe unausgesetzt zu baulichen Veränderungen, denn die Gegend um den Alexanderplatz entwickelt sich mehr und mehr zu einer teuren Geschäftsgegend. Auf der Seite der nördlichen Kolonnaden werden die vergleichsweise niedrigen Bauten abgerissen und durch mehrstöckige Kauf- und Mietshäuser ersetzt. Weil deren Vorderfronten in der Flucht der vorderen Säulenreihe liegen, sind die Säulenhallen im Straßenbild kaum noch wirklich wahrnehmbar. Sie verlieren jegliche Beziehung zu ihrer direkten Umgebung und wirken nun wie ein Fremdkörper, der nicht hierhergehört. Diese Situation veranlaßt die „Baugewerks-Zeitung“ in einem Artikel vom 19. Januar 1910 zu der Bemerkung, die neuen Bauten blickten „in ihrer nüchternen Architektur spottend auf den schönheitsvollen Aufbau der Kolonnaden herab“. Sie würden, heißt es weiter, „den schlanken Säulenaufbau völlig erdrücken und um jede Wirkung bringen“.
Das Grundstück hinter der südlichen Kolonnade (heute steht hier das Kino Cubix) soll ebenfalls eine neue Bebauung erhalten. Auch hier werden die alten Gebäude nach und nach abgerissen. So entsteht eine immer größer werdende Freifläche, die Gegenstand einer zeitweiligen Diskussion um die Schaffung eines Schmuckplatzes wird. Weil die Stadt Berlin jedoch nicht über die zum Erwerb des Geländes notwendigen finanziellen Mittel verfügt, wird die Schmuckplatz-Idee recht schnell wieder zu Grabe getragen. Das Gelände kaufen schließlich die Berliner Architekten Heinrich Kayser und Karl von Großheim bis 1905 auf. Das Gebäude direkt hinter der südlichen Kolonnade war einst ein unter dem Namen „Villa Colonna“ stadtbekanntes Konzerthaus und Tanzlokal und beherbergt zuletzt das Gebrüder-Herrnfeld-Theater. Dieses muß 1906 schließen, als auch dieses Gebäude schließlich abgerissen wird. Das Grundstück, auf dem die Säulenhalle mit ihren Läden steht, haben die Architekten nun ebenso in ihrem Besitz wie die sich anschließenden Gebäude Königstraße 31 und 32 sowie Neue Friedrichstraße 20. Die Architekten planen die Errichtung eines riesigen Neubaus, den sie als Warenhaus oder aber als Büro- und Geschäftsgebäude vermieten wollen. Weil das Projekt jedoch noch nicht völlig ausführungsreif ist, wird auf dem Gelände zunächst nichts Neues errichtet. Dazu trägt bei, daß ein Kabinettsbeschluß im Jahre 1907 die Bauflucht der Königstraße auf der Seite der südlichen Halle zu deren Hinterwand verschiebt, weil man nicht denselben Fehler wie auf der Nordseite begehen möchte. In der Folge bleiben die Parzellen dadurch jedoch jahrelang brach, so daß sich dem Betrachter im Umfeld der südlichen Säulenhalle lediglich ein trostloser Anblick bietet.
1909 erwirbt der Warenhauskonzern Wertheim das Gelände für 7,5 Millionen Mark mit der Absicht, ein Kaufhaus zu errichten, das dem Warenhaus Hermann Tietz am Alexanderplatz Konkurrenz machen soll. Georg Wertheim beauftragt die Architekten Heinrich Kayser und Karl von Großheim, die Miteigentümer des Geländes bleiben, mit dem Entwurf des neuen Baus. Ihr Konzept sieht die Errichtung eines fünfgeschossigen Neubaus von fast 5.000 Quadratmetern Grundfläche im Stil der beginnenden Moderne vor. Vorgesehen ist eine repräsentative Kaufhausfront an der Königstraße, woraus sich jedoch ein grundsätzliches Problem ergibt. Infolge eines Kabinettsbeschlusses aus dem Jahre 1905 war die Neue Friedrichstraße zwischen der Gruner- und der Königstraße zwischenzeitlich verbreitert worden. Im Ergebnis dessen bleiben zwischen den Kolonnaden und der Straßenecke an der neuen Friedrichstraße nur 24 Meter Platz. Weil zudem die vorgeschriebene Bauflucht hinter die Kolonnaden zurückgesetzt wurde, lägen die Schaufenster auch nicht direkt an der Straße. Für die Kaufhauseigentümer sind das inakzeptable Bedingungen. Sie drängen auf den Abriß der Königskolonnaden.
In der Folge entbrennt in der Berliner Öffentlichkeit eine heftige Debatte zwischen Gegnern und Befürwortern des Erhalts der Kolonnaden an ihrem angestammten Platz. Zahlreiche Persönlichkeiten, Vereine und Institutionen wie der Architektenverein, die Akademie der Künste und die Königliche Akademie des Bauwesens nehmen daran regen Anteil. Ein einfacher Abriß steht dabei recht schnell nicht mehr zur Debatte. Doch es bleibt die Frage, ob die Kolonnaden an ihrem angestammten Standort bleiben oder aber versetzt werden sollen. Vorschläge für andere Orte in der Stadt, an denen man die Königskolonnaden aufstellen könnte, werden unterbreitet, diskutiert und verworfen. In Zeitungen und Zeitschriften erscheinen zahlreiche Artikel, die sich mit der Frage, was mit den Kolonnaden geschehen solle, auseinandersetzen. Darüber bricht das Jahr 1910 an.
Schließlich kommt es zu einer Entscheidung zugunsten der Befürworter der Versetzung – unter tatkräftiger Mithilfe Kaiser Wilhelms II., der sich für die von Landbauinspektor Max Grube geäußerte Idee, die Königskolonnaden an den ehemaligen Botanischen Garten zu versetzen, außerordentlich begeistert. Das Areal wird zu dieser Zeit gerade in einen Park umgewandelt, für dessen östlichen, an der Potsdamer Straße gelegenen Zugang die Kolonnaden einen repräsentativen Eingang als Parktor bilden sollen. In dem etwa neunzig Meter breiten Zugang, einer Lücke im an der Straße geplanten Bebauungsstreifen, will Max Grube die Säulenhallen im rechten Winkel zur Potsdamer Straße aufstellen lassen. Sie sollen so auf die Mittelachse des im Jahre 1909 begonnenen Neubaus des Kammergerichts, der sich an der Westseite des Parks befindet, ausgerichtet werden. Dabei müssen allerdings einige Klippen umschifft werden, die sich aus ganz praktischen Problemen ergeben. So ist beispielsweise der Bebauungsstreifen nur fünfzig Meter tief, während die Kolonnaden aber fast 53 Meter lang sind. Der Vorschlag sieht daher vor, sie so aufzustellen, daß sie 2,90 Meter vor die Bauflucht und damit hinaus auf den Bürgersteig reichen. Weil sie dort aber doch stören würden, ist vorgesehen, ihre Enden durchquerbar zu machen, indem die Rundbögen in den Eckpavillons beseitigt und so Öffnungen geschaffen werden. Diese Maßnahme wird sogar noch als Vorteil dargestellt, weil die Kolonnaden auf diese Weise von der Straße aus besser erkennbar seien. Auch aus der großen Breite der Lücke in der Bebauung ergibt sich ein Problem. Um diese einigermaßen angemessen mit den Kolonnaden füllen zu können, sollen diese in einem Abstand von 23 Metern zueinander aufgestellt werden. Das ist mehr als das Doppelte ihres Abstandes an ihrem bisherigen Standort in der Königstraße. Doch die Befürchtung, daß die Kolonnaden damit ihre Wirkung als Portal verlieren könnten, kaschiert man mit dem Verweis, daß doch hinter ihnen genug Platz bliebe, um gemeinsam mit dem alten Baumbestand des Parks das ehemalige Erscheinungsbild am alten Ort weitestgehend wiederherzustellen. Weil die Bebauung am Rand der Potsdamer Straße noch fehlt, verspricht der Vorschlag die Anpassung der Architektur der zu errichtenden Mietshäuser an den Charakter der Hallen. Den Abstand zwischen Kolonnaden und angrenzenden Häusern will man dann mit einem Gitterzaun schließen, der den Blick in den Park offenhalten soll.
Kritik an diesem Vorschlag gibt es reichlich. Unter anderem wird bemängelt, daß das Bauwerk nun frei im Raum stehe und ohne rückwärtige Verkaufsstände und angrenzende Bebauung von allen Seiten zugänglich sei. Daher müßten die Rückseiten beider Kolonnadenhälften architektonisch ausgebildet und die Rückwände durchgängig geöffnet werden. Auch die Beseitigung der Rundbögen in den Eckpavillons stößt bei den Kritikern auf wenig Gegenliebe. Von Zerstörung des Gesamteindrucks und Pietätlosigkeit gegenüber den Schöpfern des Bauwerkes ist die Rede. Und weil die Befürworter die Wirkung der Kolonnaden als symmetrisches Bauwerk in Richtung des Kammergerichts hervorheben, weist die Gegenseite darauf hin, daß dies ja auch für die entgegengesetzte Richtung gelte – dort sei mit der in sehr geringer Entfernung liegenden Straße und den zu errichtenden Mietshäusern aber kein gleichwertiges Wirkungsziel gegeben, was den Gesamteindruck doch sehr beeinträchtigte. Auch die Königliche Akademie des Bauwesens hat einiges am Vorschlag Grubes auszusetzen, kann sich aber dennoch grundsätzlich dafür erwärmen. Am Ende gibt die Unterstützung des Kaisers den Ausschlag.
Und so stimmt am 8. Februar 1910 die Stadtverordnetenversammlung einer Vorlage des Magistrats zu, die die Versetzung der Königskolonnaden an den neuen Standort am ehemaligen Botanischen Garten zum Inhalt hat. Verbunden ist damit auch die Übernahme der Säulenhallen durch die Stadt Berlin. Im April wird der entsprechende Vertrag zwischen der Stadt und dem preußischen Staat unterzeichnet. Dieser verpflichtet sich, die Kosten für den Abbruch und den Wiederaufbau der Kolonnaden in Höhe von 250.000 Mark zu tragen, und überläßt der Stadt das frei werdende Gelände an der Königstraße unentgeltlich zum Zwecke öffentlicher Verkehrsplanung. Er kann so das Gelände für das Wertheim-Warenhaus teuer veräußern. Auf die Stadt Berlin kommen allerdings von nun an die Unterhaltskosten für die Königskolonnaden zu. Dafür verhindert sie erfolgreich, daß dieses zu den schönsten der Stadt zählende Bauwerk verlorengeht.
Mit dem Abbruch der Kolonnaden wird der Maurermeister Franz Jänicke beauftragt. Er stellt pflichtgemäß einen Antrag auf „Aufstellung einer verbundenen Rüstung zum Abbruch der Königskolonnaden in der Königstraße und Wiederaufbau im Alten Botanischen Garten“ und beginnt unmittelbar nach dessen Genehmigung mit den Arbeiten – das ist am 9. Juni 1910. Im selben Monat stellt man bei Untersuchungen am neuen Standort unterschiedliche Geländehöhen fest und vermutet, daß diese bei der Wiederaufstellung des Bauwerks zu Problemen führen könnten. Daraufhin ordnet Kaiser Wilhelm II. eine erneute Prüfung der Versetzung der Kolonnaden an, was die Diskussion um das Schicksal der Säulenhallen kurzzeitig wieder aufflammen läßt. Diesmal debattiert man über eine Aufstellung im Berliner Tiergarten. Doch bereits am 2. Juli ist das Problem geklärt und der Wiederaufbau der Königskolonnaden im Alten Botanischen Garten wird offiziell genehmigt.
Von nun an geht es zügig voran. Ende Juli 1910 ist die südliche Kolonnade bereits vollständig abgetragen und der Platz für den Neubau des Wertheim-Warenhauses ist frei. Und auch die nördliche Kolonnade steht nur noch zur Hälfte. Die Bauteile werden nach und nach an den neuen Standort transportiert und dort gelagert. Am 26. August beginnt die Baufirma Eckert & Danneberg mit dem Wiederaufbau. Zunächst werden die Fundamente hergestellt. Mitte Oktober ist man damit fertig. Am alten Standort ist die Abtragung inzwischen vollständig beendet, so daß mit der Aufstellung der Kolonnaden an der Potsdamer Straße begonnen werden kann. Weil jedoch einige Teile, die infolge der Witterung stark zerstört waren, den Abbruch nicht überstanden haben, geht wieder wertvolle Originalsubstanz verloren, die durch neu geschaffene Bauteile ersetzt werden muß. Der dafür benötigte Schlesische Sandstein ist jedoch teuer und der preußische Staat hat bisher keinen Pfennig der versprochenen 250.000 Mark bereitgestellt. Schließlich übernimmt die Firma Wertheim die kompletten Kosten für die Abtragung und Wiederaufstellung der Kolonnaden. Darin eingeschlossen sind auch die Ausgaben für die architektonische Ausgestaltung der nun freien Rückwände, die von den Kritikern der Versetzung angemahnt worden war und die nun tatsächlich ausgeführt wird. Als Vorbild dient dafür der 1888 ergänzte rückseitige Abschnitt der nördlichen Kolonnade. Da ist es von Vorteil, daß die Arbeiten zur Wiedererrichtung vom Hofsteinmetzmeister Paul Wimmel ausgeführt werden, der diese Ergänzung damals vorgenommen hatte. Über den Winter wird der Wiederaufbau fortgesetzt, so daß Mitte Januar 1911 der nördlichen Kolonnadenteil bereits bis zur halben Höhe errichtet ist, während man für den südlichen mit dem Stellen der Säulen begonnen hat. Mitte Mai sind die Königskolonnaden dann vollständig wiedererrichtet, auch wenn die Steinmetzarbeiten noch bis August andauern. Am 21. November erhält der neu geschaffene Park, den die Kolonnaden nun zieren, anläßlich des hundertsten Todestages des Dichters den Namen „Heinrich-von-Kleist-Park“.
Auch nach der nun vollständig vollzogenen Versetzung der Königskolonnaden bleibt diese ein zwiespältiges Unterfangen. Ein Beobachter stellt fest, daß
…dabei […] leider das Kunstwerk, das als Fortsetzung einer Brücke gedacht war, quer zur Straße zu stehen [kam], und der künstlerische Gesamteindruck verblaßte.
Und während Jahre später der jüdische Schriftsteller Franz Hessel in seinem 1929 erschienenen Buch „Spazieren in Berlin“ nur spottet:
Die nach dem Kleistpark versetzten Kolonnaden müßten in diesem Parkrahmen Ruine sein oder wenigstens stärker verwittern. Man sollte wenigstens für Vogelnester sorgen…
fällt Gustav Lampmann in seinem im selben Jahr veröffentlichten Artikel „Hochhäuser an den Königskolonnaden in Berlin“ ein vernichtendes Urteil:
[…] die Königskolonnaden [wurden] 1910 abgebrochen und an den Eingang des damals an der Stelle des früheren Botanischen Gartens geschaffenen Kleistparkes an der Potsdamer Straße wieder aufgebaut. Recht unglücklich. Die Beziehung ihrer Tiefenachse zur Mitte des Kammergerichts am hinteren Parkrand wirkt nur auf dem Papier und das, was früher Rückseite und Kulisse war, wurde Vorderseite eines allseitig freien Bauwerkes. Man war also gezwungen, die Rückseite „im Geiste der Entstehungszeit“ mit einem Pilasterabklatsch der Säulenarchitektur straßenfähig zu machen. […] Immerhin ist die Aufstellung in Grün und Baumbestand des Parkes ein anständiger Alterssitz für ein Baudenkmal, das seines lebendigen Zweckes beraubt ist, ansprechender jedenfalls, als in einer hohen und gleichgültigen Normalbebauung eingeklammert zu sein, wie es den Kolonnaden in der Leipziger und der Mohrenstraße ergangen ist.
Am alten Standort der Kolonnaden wird die Fläche, auf der vorher die südlichen Kolonnaden gestanden hatten, unmittelbar vom neu errichteten Wertheim-Kaufhaus genutzt. Die Fläche der nördlichen Säulenhalle bleibt jedoch ohne neue bauliche Verwendung. Auf einem Teil verläuft alsbald die nun zur Königstraße durchgeführte Gontardstraße, während der Rest als verbreiterter Bürgersteig vor dem Eckhaus Gontardstraße 5 / Königstraße Freifläche bleibt.