Nein, es war nicht mehr dasselbe. Sie hatte sich verändert, die Gegend am Alexanderplatz. Unwiederbringlich verloren war die Zeit, als die Wipfel grüner Bäume hinter den Königskolonnaden rauschten und sich die Sonne im träge fließenden Wasser des Königsgrabens spiegelte, über den sich die eleganten Bögen der Königsbrücke schwangen. Die ist längst verschwunden und hat ihre Säulenhallen verwaist zurückgelassen, überragt von der monumentalen Bahnhofshalle der Stadtbahn und bedrängt von den in die Höhe strebenden Kauf- und Mietshäusern, die die einstigen niedrigen Bauten der Königsstraße längst ersetzt haben. Und dann der Verkehr. Beinahe täglich scheint er zuzunehmen. Behindern würden die Kolonnaden ihn, schreiben sie in den Zeitungen. Ein Fremdkörper seien sie geworden.
Und tatsächlich, wer am beginnenden zwanzigsten Jahrhundert die Königsstraße entlanggeht und den Alexanderplatz erreicht, kann nicht umhin zu bemerken, daß die einst so stolzen Königskolonnaden nicht mehr so recht in diese Gegend zu passen scheinen. Eine Beziehung zu ihrer direkten Umgebung haben sie nicht mehr, ja, man bemerkt sie eigentlich erst, wenn man sie erreicht hat, liegt doch die Vorderseite der nördlichen Säulenhalle in direkter Flucht mit den Häuserfassaden an der Straße. Und an der südlichen Kolonnade sieht es nicht besser aus. Fast könnte man sie für den Teil eines im Abbruch befindlichen Hauses halten, denn sie ist umgeben von brachliegenden Freiflächen, seit die alten Gebäude hinter der südlichen Säulenhalle nach und nach abgerissen werden, um auch hier neue, größere Bauten zu errichten. Doch dazu kommt es zunächst nicht.
Das immer leerer werdende Areal hat schrittweise die Sicht von der Kolonnade auf das Land- und Amtsgerichtsgebäude an der Grunerstraße freigegeben. Daraus wird die Idee geboren, hier einen repräsentativen Schmuckplatz zu schaffen. Mit ihm würde, so argumentieren die Befürworter der Idee, zumindest die südliche Säulenhalle wieder frei stehen, was der ursprünglichen Idee Gontards für die Kolonnaden entspricht. Insbesondere der Regierungs- und Baurat Professor Otto Schmalz setzt sich für die Schaffung eines solchen Schmuckplatzes ein. Nach seinen Entwürfen war zwischen 1896 und 1904 das Gerichtsgebäude errichtet worden. Eine erneute Bebauung des Geländes zwischen Kolonnaden und Amtsgericht mit mehrstöckigen Gebäuden ließe, so befürchtet er, letzteres seine Wirkung als imposantestes Justizgebäude Berlins verlieren. Immerhin ist es nach dem Schloß der zweitgrößte Bau der Stadt.
Professor Schmalz unterbreitet zwei Vorschläge für die Gestaltung des Geländes. Der erste sieht vor, die südliche Kolonnade an ihren Enden fortzusetzen und als Säulenhalle sowohl an der Stadtbahn als auch an der Neuen Friedrichstraße bis zur Grunerstraße weiterzuführen. Es ergäbe sich so eine Umrahmung des Platzes, deren Stirnseite die alten Königskolonnaden bilden. Ein monumentaler Schmuckplatz soll auf diese Weise geschaffen werden, für den Professor Schmalz auch bereits einen Namen ausgewählt hat: Gerechtigkeitsplatz. Der zweite Vorschlag ist etwas profaner. Ihm zufolge soll der Platz an drei Seiten mit Läden umgeben werden, die in etwa die Höhe der Kolonnaden haben. Eine dieser Seiten wird von der südlichen Säulenhalle gebildet, die damit auch ihre Funktion als Ladenpassage behalten würde. Beide Vorschläge sehen vor, die zur Grunerstraße gelegene Platzseite offen zu lassen, so daß sie den Blick auf das Amtsgericht freigibt. Auch andere Architekten steuern konkrete Vorschläge für die Gestaltung des Platzes bei. Regierungsbaumeister Alex Baerwald beispielsweise will die Kolonnaden aus der Königstraße heraus und auf diesen Platz versetzen. Dies würde auch die andauernde Diskussion um die Verkehrsbehinderung durch die Säulenhallen beenden.
So vielversprechend und interessant derartige Vorschläge sind, am Ende bleiben sie Makulatur, denn sie scheitern alle an einem einzigen Hindernis: der Stadt Berlin fehlt schlicht das Geld, um das Gelände käuflich zu erwerben. Die notwendigen finanziellen Mittel bringen schließlich die renommierten und wohlhabenden Berliner Architekten Heinrich Kayser und Karl von Großheim auf, denen bis 1905 das gesamte Gelände gehört. Es umfaßt die Grundstücke Königstraße 31 / Neue Friedrichstraße 20 und Königstraße 32, die sich daran anschließenden südlichen Königskolonnaden mit ihren Läden sowie das dahinter stehende Gebäude, das um 1861 als Konzerthaus und Tanzlokal „Villa Colonna“ stadtbekannt war und zuletzt das Gebrüder-Herrnfeld-Theater beherbergt, das 1906 endgültig schließen muß, weil die neuen Besitzer den Abriß der letzten verbliebenen Gebäude forcieren. Sie verfolgen ein ehrgeiziges Projekt: sie wollen auf dem nun leeren Gelände einen großen Neubau errichten und ihn als Warenhaus oder Büro- und Geschäftsgebäude vermieten.
Doch die Realisierung verzögert sich. Im Jahre 1909, als der Warenhauskonzern Wertheim das Gelände erwirbt, liegt es noch immer brach. Doch das soll sich nun ändern, denn Wertheim hat Großes vor: ein neues Warenhaus soll hier, in direkter Nähe des Alexanderplatzes und als Konkurrenz zum Warenhaus Hermann Tietz, errichtet werden. Die Entwürfe dafür liefern die Architekten Heinrich Kayser und Karl von Großheim, die Miteigentümer des Geländes bleiben. Und diese Entwürfe haben es in sich, sehen sie doch einen Neubau vor, der 5.000 Quadratmeter Grundfläche hat und fünf Etagen in die Höhe reicht. Darüberhinaus ist eine repräsentative Kaufhausfront an der Königsstraße geplant. Weil diese aber von den Königskolonnaden massiv behindert und eingeschränkt wird, drängen die Kaufhauseigentümer auf deren Abriß. In ihrem Begehren unterstützt werden sie von all jenen, die in den Säulenhallen schon länger nur noch ein Verkehrshindernis sehen. Weil es jedoch zahlreiche Stimmen gibt, die sich für den Erhalt der Kolonnaden in der Königstraße aussprechen, entbrennt in der Berliner Öffentlichkeit alsbald eine heftige Debatte um die Zukunft der Königskolonnaden.
Was der Architektenverein meint…
Während die einen die Kolonnaden zugunsten des Kaufhauses abreißen wollen, möchten die anderen sie an ihrem Standort erhalten und wenden sich gegen die Errichtung des Warentempels. Die Kolonnaden, argumentieren sie, würden durch dessen Monumentalität wie vor einer Wand stehen und dann völlig fehl am Platze wirken. Auch die Mitglieder des Architektenvereins beteiligen sich an der Debatte – und sind sich keinesfalls einig. Einige von ihnen lehnen den ersatzlosen Verlust eines künstlerisch so bedeutsamen Bauwerks, wie es die Königkolonnaden in ihren Augen sind, rundweg ab. Sie vergleichen die Säulenhallen mit dem Brandenburger Tor, das sie als Triumphtor für die Straße Unter den Linden bezeichnen – eine Rolle, die die Königskolonnaden für die Königstraße ebenfalls wahrnähmen. Auch das Argument, daß das einstige Schmuckstück der Königsbrücke inzwischen ein Verkehrshindernis darstelle, ziehen sie in ernsten Zweifel. Zwar erweist sich die Entgegnung, die aktuelle Debatte sei doch überhaupt erst entstanden, als an dieser Stelle ein Kaufhaus errichtet werden sollte, bei einem Blick zurück in die Geschichte der Säulenhallen als falsch, doch ein anderes Gegenargument ist da schon überzeugender. Es wird darauf hingewiesen, daß der innerhalb der Hallen verlaufende Bürgersteig genau dem unter der Eisenbahnunterführung entspricht. Deren eiserne Stützen befinden sich dadurch also direkt in der Säulenflucht der Kolonnaden. Das wirft die Frage auf, wie denn dann eine Beseitigung der Säulenhallen dem Verkehrsflusse förderlich sein könne. Wenn also der Verkehr tatsächlich behindert sein sollte und man dies wirklich verbessern wolle, so müsse die Empfehlung lauten, das Halten von Omnibussen und Wagen im tatsächlichen Engpaß unter der Eisenbahnbrücke zu verbieten.
Das Zentralblatt der Bauverwaltung sieht am 18. Dezember 1909 einen ganz anderen Verantwortlichen für etwaige Verkehrsbehinderungen:
Das Warenhaus würde aber nur dann eine Verkehrssteigerung und damit vielleicht zuzeiten Verkehrsstörungen an dieser Stelle zur Folge haben, wenn der Haupteingang und Schaufenster an die Königstraße gelegt würden, was zweifellos beabsichtigt ist. Ob dies in der Flucht der Kolonnaden ohne weiteres möglich ist, erscheint zweifelhaft, da die Rückwände Brandmauern sind. Es dürfte sich deshalb aus Verkehrsrücksichten für das neue Warenhaus und seine Besucher und vor allem zur besseren Wirkung der Kolonnaden empfehlen, die Königstraßenfront des Warenhauses so weit hinter die Kolonnadenfront zurückzurücken, daß hinter den Königskolonnaden eine Warenhauskolonnade entstände – ähnlich der des Warenhauses Wertheim am Leipziger Platz – nach der sich die Schaufenster öffnen und an der Eingänge liegen könnten.
Man solle, wird weiter empfohlen, diese Warenhauskolonnade auf der einen Seite durch den Stadtbahnbogen bis zum Alexanderplatz und auf der anderen bis zur Neuen Friedrichstraße fortsetzen und außerdem die Rückwand der südlichen Säulenhalle zu dieser Warenhauskolonnade hin öffnen, wie es an der nördlichen Säulenhalle ja auch bereits geschehen sei.
Daß ein ersatzloser Abriß der Königskolonnaden außer Frage steht, darüber ist man sich bald grundsätzlich einig. Auseinander gehen die Meinungen im Architektenverein jedoch über der Frage „Versetzen oder erhalten?“. Einige Mitglieder befürchten, daß das Bauwerk durch einen Abbruch und den Wiederaufbau an anderer Stelle ernsthaften Schaden nähme. Andere befürworten eine Versetzung und führen künstlerische Gründe an: ob mit oder ohne Kaufhaus, ihrem einzigen Zweck als Schmuckbau könnten die Kolonnaden an ihrem aktuellen Standort schon jetzt nicht mehr gerecht werden. Auch wenn das richtig sei, antworten darauf die Befürworter des Erhalts, ihren geschichtlichen Wert besäßen die Hallen nur an der Stelle, an der sie einst errichtet wurden. Daher dürfe man sie keinesfalls versetzen, auch wenn ihr Erscheinungsbild dadurch leide. Die Diskussion geht hin und her, doch am Ende einigt man sich auf eine gemeinsame Erklärung: der Architektenverein spricht sich dafür aus, „die Königskolonnaden unter allen Umständen an der alten Stelle zu erhalten“.
Am 11. Januar 1910 sendet der Verein eine Eingabe an den Polizeipräsidenten von Berlin sowie jeweils ein Schreiben an die Königliche Ministerial-Baukommission, die den preußischen Staat als Eigentümer vertritt, und an den Magistrat der Haupt- und Residenzstadt Berlin. Darin bittet er
[…] die Behörden [möchten] ‚möglichst‘ alles tun […], die Kolonnaden an ihrer Stelle zu belassen und dafür zu sorgen, daß die zu erwartenden Neubauten – zunächst also wohl ein neues Wertheimsches Warenhaus – den Eindruck des Baudenkmales ‚möglichst wenig‘ beeinträchtigen.
Dazu schreibt die Zeitschrift „Berliner Architekturwelt“ in ihrer Ausgabe 12.1910, Heft 11:
Wir können diesen Entschluß [des Architekten-Vereins – Anmerkung des Autors] zwar verstehen, aber nicht preisen. Die Behörden werden jedenfalls die Entstehung eines fünfstöckigen Gebäudes nicht hindern können, und damit schon ist der ursprüngliche Charakter der Kolonnaden ein für allemal entstellt, wie deren Nordhälfte für jeden, der ästhetisch sehen kann, zeigt. In einem Falle wie diesem aber, wo es sich um ein rein ästhetisches Werk handelt, gehört die ursprüngliche, oder mindestens die richtig abgestimmte Umgebung durchaus mit zu dem Werke, das also gegenwärtig schon völlig verstümmelt ist. Wie die Sachen aber jetzt liegen […] ist doch eigentlich nur zwischen zwei Dingen zu wählen: zwischen einem Warenhaus, das eine unpassende Dekoration wider Willen gratis erhält und zwischen der Erlangung zweier prachtvoll einheitlicher Bilder, nämlich 1. des modernen Straßenbildes von Stadtbahnhof nebst einheitlichem Warenhaus und 2. der an anderer Stelle in ursprünglicher Pracht im Grünen wieder erstehenden Kolonnaden. Es ist nicht zu begreifen, weshalb nicht auch hier zwei mehr als eins sein sollte.
Was andere meinen…
Auch die Akademie der Künste schaltet sich in die Debatte ein und verweist, bezugnehmend auf das Verkehrsargument, darauf, daß Städte wie Paris oder London ihr wesentlich größeres Verkehrsvolumen unter Beibehaltung wertvoller Bausubstanz und historischer Straßenzüge bewältigen.
Baurat Hans Schliepmann veröffentlicht einen Aufsatz, in dem er die Versetzung der Königskolonnaden unterstützt. In seiner Begründung zielt er auf ihren rein ästhetischen Wert:
Nun aber hat die Stelle der jetzigen Kolonnaden weiter keine geschichtlichen Momente […]; der Zweck des Bauwerkes war von vornherein nur ein rein ästhetischer, das Ganze ein Prunk- und Schmuckstück, keine Kirche, kein Rathaus oder Palast, in dem Wichtiges vor sich gegangen wäre; kleine Leutchen haben in diesen Kolonnaden schlecht und recht ihren Kram verkauft und durch ihre Auslagen früher wie jetzt, natürlich aber in steigendem Maße, die schöne Architektur Gontards überdeckt und den Kunsteindruck verdorben.
R. Mielke widerspricht dieser Argumentation in seinem mit dem Titel „Das Ende der Königskolonnaden“ überschriebenen Artikel, der in der Nummer 6/1910 der Zeitschrift „Heimatschutz in Brandenburg. Mitteilungen der Landesgruppe Brandenburg des Bundes Heimatschutz“ erscheint:
Es wird geltend gemacht, daß die Säulenhalle ein reines Dekorationswerk sei, und aus diesem Grunde ihr eine besondere ästhetische Stellung zugewiesen. Ist aber in diesem Sinne nicht auch ganz Potsdam die gleiche Dekorationsschöpfung wie die Kolonnaden? Kein Mensch wird fordern, daß die Stadt deshalb von allen Forderungen der Gegenwart verschont bleibe, sondern nur wünschen, daß sich diese dem Alten anpassen. Ich glaube aber kaum, daß bei einem dekorativen Bauwerk andere ästhetische Rücksichten herrschen als bei einem Rathaus usw. Ist es an und für sich schon heikel, die ästhetischen Werte verschiedenartiger Bauwerke gegeneinander abzuwägen, so ist es geradezu gefährlich, einem künstlerisch ausgereiften Dekorationswerk einen höheren Wert zuzusprechen als einem anderen, mit dem zufällig bedeutungsvolle geschichtliche Ereignisse verbunden sind. […]
Gibt es überhaupt ein Bauwerk, das noch vollkommen unberührt in seiner alten Umgebung steht? Sind nicht wir selbst mit unseren Trachten, Hasten, Denken und Gebaren eine stete Disharmonie zu den Bauwerken? Können wir den Verkehr, die künstliche Beleuchtung, den Lärm, der selbst in abgelegene Orte hinüberdringt, einfach hinwegleugnen? Nein, auch im Grünen […] folgt uns eine fremde Stimmung, ein anderer Ton, der die Harmonie nicht aufzuheben braucht, sondern nur ihre Wirkungskräfte verschiebt. Den Verkehr müssen wir überall in den Kauf nehmen, wohin auch das Denkmal wandert. Das flutende Menschengedränge, das fast zu jeder Stunde an den Kolonnaden vorüberbraust, ist zweifellos auch dann ein chronologischer Widerspruch zu dem Bauwerk. Wenn ich aber der Bauwerke in den klassischen Ländern gedenke, auf denen sich – ganz im Gegenteil oft zu ihrem ehemaligen Zweck! – Hunderte von Menschen herumflegeln, dann erscheint mir dies zuerst auch als eine bedauerliche Beeinträchtigung. Aber nur einen Augenblick; denn bald überwiegt die Empfindung, daß diese Belebung eine Einheit mit dem zerbröckelnden Gestein bildet, daß sie zur Stimmung ebenso gehöre wie der Riß, der den Bau auseinander klaftert. […]
Hier wird […] die natürliche Empfindung durch den etwas voreiligen Schluß abgelenkt, daß man zwar ein Bauwerk in seinem materiellen Bestande nicht wesentlich verändern dürfe, dagegen eine Versetzung in eine andere Umgebung minder gefährlich sei. Wenn diese Gefühlsrechnung, die im Grunde ein Mißtrauen in die architektonische Schönheit eines Architekturwerkes einschließt, weiterhin vorgelegt werden sollte, dann ist schließlich kein Bauwerk mehr vor gewaltsamen Umänderungen und Ergänzungen sicher. Dann müssen wir schließlich vor jeder Forderung der Zeit die Segel streichen und unsere Denkmäler in geheiligten Kunstbezirken aufstellen, von denen die Gegenwartsforderungen künstlich ferngehalten werden.
In der Zwischenzeit legen die Architekten des Kaufhauses einen Entwurf vor, der die Königskolonnaden in den Neubau einbezieht. Das Kaufhaus soll demzufolge aus zwei getrennten Gebäuden bestehen, zwischen denen die Säulenhallen an einer dem Fahrzeugverkehr entzogenen Straße längs stehen und die Sichtachse auf das südlich an der Grunerstraße gelegene Gerichtsgebäude führen – ein Konzept, das auf den früher diskutierten Schmuckplatz Bezug nimmt und bei dem den Säulenhallen eine ähnliche Funktion zukommt wie den Mohrenkolonnaden an anderer Stelle.
Was die Bauakademie meint…
Auch die Königliche Akademie des Bauwesens beschäftigt sich intensiv mit der Frage, was mit den Königskolonnaden geschehen solle. Auf mehreren Zusammenkünften – am 23. und 30. November 1909 sowie am 4. Januar 1910 – wird sie ausführlich erörtert. Anschließend spricht die Akademie die Empfehlung aus, einen anderen Standort für die Säulenhallen zu suchen. Denkmalschutz, Pietät und geschichtliche Erinnerungen seien, so gesteht sie zu, zwar durchaus gewichtige Gründe für einen Verbleib der Kolonnaden an ihrem Standort; und auch die Gefahr, daß ihre Entfernung einen „bedenklichen Berufungsfall“ schaffen könne, spreche für eine Erhaltung; dennoch ziehe sie eine Versetzung vor. In einem Gutachten argumentiert sie, daß
das Bauwerk seine ursprüngliche Bestimmung zur Verdeckung des Hintergeländes an den ehemaligen berlinischen Befestigungen sowie als Maske für anschließende Läden längst nicht mehr erfülle und und niemals wiedergewinnen würde
und daß
es durch die Baumasse des Bahnhofs Alexanderplatz und andere Nachbarbauten um seine doch vorwiegend auf Silhouette berechnete Wirkung gebracht, durch den beabsichtigten Neubau eines Warenhauses an seiner Südseite […] vollends erdrückt werden würde.
Sie ergänzt diese Empfehlung allerdings um einige Bedingungen, die unbedingt einzuhalten seien. So fordert sie, daß die Versetzung innerhalb des alten geschichtlichen Berlins erfolgen soll, daß es keinerlei Eingriffe in den architektonischen und baulichen Bestand des Bauwerks geben und daß der Abstand der beiden Hallen nicht oder nur sehr geringfügig verändert werden darf. Um das zu gewährleisten, werden mehrere Vorschläge für die Versetzung unterbreitet und kommentiert.
So wird eine Aufstellung im Park von Monbijou an der Oranienburger Straße, in der Nähe vom Monbijouplatz erwogen. Gleich drei verschiedene Standorte kämen hier in Frage. Der erste läge gegenüber dem Torgebäude und senkrecht zum Hauptgebäude des dortigen Schlosses. Der zweite sähe eine Aufstellung der Kolonnaden als Abschluß des vorderen Hofes des Hauptgebäudes vor. Am dritten möglichen Standort würden die Säulenhallen zur Einfassung eines Gartenplatzes zwischen dem Hauptgebäude und der Spree. Als Vorteil dieser Idee sieht die Bauakademie die Möglichkeit, hinter den Kolonnaden im Grünen versteckte Hinterräume anzubauen und sie so auch einer praktischen Nutzung zuzuführen. Allerdings befürchtet sie auch, daß dem Bauwerk im Monbijoupark die Öffentlichkeit verlorenginge, und lehnt den Vorschlag daher ab.
Eine Aufstellung am Leipziger Platz, für die spricht, daß die Kolonnaden dort wieder von Bäumen umgeben wären, findet ebenfalls nicht den Beifall der Bauakademie. Vage werden stilistische Erwägungen und Gründe der Symmetrie geltend gemacht. Verschiedene vorgeschlagene Plätze im Berliner Tiergarten werden ebenfalls von ihr verworfen. Auch wenn hier ebenfalls die baumbestandene Umgebung ein Vorteil wäre, sieht man die notwendigen bedeutenden Eingriffe in den alten Baumbestand des Parks an den in Frage kommenden Orten – benannt werden die Bellevueallee, der Goldfischteich, der Große Stern, der Rosengarten und der Floraplatz – als nicht vertretbar an. Auch fürchtet man eine zu große Isolierung der Kolonnaden und lehnt die erforderlichen Veränderungen an den Säulenhallen – insbesondere auch an ihrem Abstand zueinander – ab.
Den Beifall der Bauakademie findet hingegen der Vorschlag, die Königskolonnaden auf der Südhälfte des Alexanderplatzes aufzustellen. Sie könnten hier entweder als Durchgang für Fußgänger in der Richtung der Königstraße und der Landsberger Straße dienen oder aber in der Richtung auf das Polizeipräsidium aufgestellt werden. Für dieses Konzept spricht nach Meinung der Bauakademie, daß die Kolonnaden sich nah an ihrem historischen Standort befänden und in dem Stadtviertel verblieben, zu dem sie gehören. Auch die Möglichkeit, sie zumindest teilweise wieder mit Läden an ihrer Rückseite auszustatten, so daß sie ihre ursprüngliche Bestimmung in Teilen behalten würden, wird begrüßt. Zudem ließen sich die Säulenhallen mit der zu errichtenden U-Bahn-Station und deren Treppenanlagen gut verbinden. Überdies wäre der neue Standort frei von Fuhrwerken. Aufgrund all dieser Vorteile erhält dieser Vorschlag von der Bauakademie eine ausdrückliche Empfehlung.
Die Deutsche Bauzeitung beteiligt sich ebenfalls an der Suche nach einem neuen Standort und bringt die Errichtung der Königskolonnaden auf der Museumsinsel an einer der dortigen Brücken ins Gespräch. Die Säulenhallen würden so endlich wieder in eine künstlerische Beziehung zu einer Brücke gesetzt. Weitere diskutierte Ideen sind die Aufstellung im Friedrichshain oder im Vorhof des Schlosses Bellevue – beide würden den Kolonnaden wieder zu einer Umgebung mit Bäumen verhelfen. Großen Anklang findet bei der Bauakademie keiner der drei Beiträge. Den erfährt hingegen der Vorschlag des Geheimen Hofbaurats Ernst von Ihne, der Architekt Kaiser Wilhelms II. und der Baumeister des Bode-Museums ist. Er schlägt vor, die Hallen senkrecht zum Universitätsgebäude Unter den Linden in dessen Hauptachse und im rückwärtigen Kastanienwäldchen zu errichten. Die Kolonnaden blieben dadurch im Friedericianischen Berlin und stünden überdies in direkter Beziehung zu einem Gebäude des großen Königs, der sie einst errichten ließ. Der Allgemeinheit wären sie so nicht entzogen, und man könnte in ihnen auch Denkmäler berühmter Gelehrter aufstellen. Zwar wird letztere Idee kontrovers betrachtet, weil diese in den Hallen nicht gut ausgeleuchtet werden könnten und als moderne Bildwerke auch mit dem plastischen Schmuck der Kolonnaden in Konflikt geraten würden, doch tut das der Begeisterung der Bauakademie keinen Abbruch. Auch dieses Konzept erhält ihre Empfehlung.
Vorschläge zur Verlegung der Königskolonnaden an Standorte weit außerhalb Berlins – beispielsweise nach Potsdam – gibt es ebenfalls. Zwar kann der Magistrat der Stadt solchen Ideen nichts abgewinnen, da er die Kolonnaden unbedingt in der Stadt behalten will, doch fehlt ihm letztlich die Möglichkeit, auf den Entscheidungsprozeß in irgendeiner Form Einfluß zu nehmen, da sich sowohl die Kolonnaden immer noch im Besitz des preußischen Staates befinden.
Und schließlich ist da noch der Vorschlag des Landbauinspektors Max Grube. Er sieht vor, die Königskolonnaden an den ehemaligen Botanischen Garten zu verlegen. Sie sollen an der Ostseite des Parks an der Potsdamer Straße in einem Abstand von 23 Metern zueinander aufgestellt werden und dort als Parktor einen repräsentativen Eingang bilden. Im rechten Winkel zur Straße will Grube die Säulenhallen auf die Mittelachse des 1909 begonnenen Neubaus des Kammergerichts an der Westseite des Parks ausrichten. Die Bauakademie bezeichnet diesen Vorschlag zwar als erwägenswert, bemängelt aber die zu große Entfernung des neuen Platzes vom früheren Standort der Kolonnaden. Auch befürchtet sie, daß die noch fehlende Bebauung der Potsdamer Straße mit hohen Bauten vervollständigt werden könnte, die die Wirkung der Hallen beeinträchtigen würden. Auch der gegenüber dem alten Standort auf mehr als das Doppelte vergrößerte Abstand der beiden Kolonnadenhälften zueinander wird von ihr abgelehnt, widerspricht er doch ihrer ausdrücklichen Forderung, ihn nicht zu verändern.
Auch in der Öffentlichkeit wird dieser Vorschlag kontrovers betrachtet. Seine Befürworter führen an, die Kolonnaden kämen am Eingang des Parks und im Bezug zum Gerichtsbau besser zur Geltung als in der engen verkehrsreichen Königstraße. Die Kritiker betrachten ihn hingegen als Degradierung der Kolonnaden. Die Deutsche Bauzeitung urteilt in einem im April 1910 erschienenen Artikel:
Die Verlegung der Kolonnaden, welche früher die Ost-Westachse Berlins am Alexanderplatz zum Abschluß brachten, nach einem Punkte weit abseits dieses städtebaulichen Rückgrates von Berlin, unmittelbar an die Grenze von Schöneberg, bedeutet zweifellos schon an sich eine starke Herabsetzung ihrer städtebaukünstlerischen Wertigkeit und damit ihrer Wirkungsmöglichkeiten. Wenn sie ferner nunmehr nicht mehr wie früher eine Straße, und zwar eine Hauptader der Hauptstadt, zu beiden Seiten flankieren sollen, sondern seitlich eines Verkehrsweges, der noch dazu erheblich an Bedeutung gegen die König-Straße zurücksteht, nur als Zugang zu einer mäßig großen Parkanlage hinführen, so bedeutet dieses eine so erhebliche Herabminderung der tragenden Umgebung, daß zu befürchten ist, sie werden hier als nicht hingehörig erscheinen und sich im Widerspruch mit ihrer Umgebung befinden.
Die Kolonnaden seien, so bemerkt sie weiter, „eine Phantasie-Architektur, welche zum Ausdruck bringen sollte, daß man an ihrem Standorte die Residenz eines mächtigen Königs betrat oder im Begriff war sie zu verlassen.“ Auch bezweifelt sie, ob Architektur und Ausstattung des neu zu errichtenden Kammergerichts so gestaltet werden können, daß es „imstande wäre, die glanzvolle Phantasie-Architektur eines Gontard als Vorbereitung ertragen zu können.“
Die Entscheidung fällt
Trotz aller Kritik an diesem letzten Vorschlag ist er es, der sich schließlich durchsetzt. Den Ausschlag gibt Kaiser Wilhelm II., der sich so dafür begeistert, daß er ihn allen anderen vorzieht. Die Königskolonnaden werden daraufhin im Zeitraum von Juni 1910 bis August 1911 an ihrem alten Standort in der Königstraße abgebrochen, Stück für Stück in die Potsdamer Straße transportiert und dort, am Eingang des Parks, der wenig später den Namen „Heinrich-von-Kleist-Park“ erhält, wiedererrichtet.
Im April 1910 veröffentlicht die Deutsche Bauzeitung zwei Artikel, in denen sie sich rückblickend mit der Diskussion um die Versetzung der Königskolonnaden und der Gesamtheit der diskutierten Standortvorschläge beschäftigt. Darin urteilt sie:
Bei allen diesen Vorschlägen jedoch handelt es sich lediglich um die Versetzung der noch vorhandenen Kolonnaden. Daß diese aber nur noch ein Bruchteil einer einst größeren Anlage sind, ist bei den Erörterungen der letzten Tage kaum berührt worden. Daß sie mit der ehemaligen Brücke, der alten, vierbogigen, eine künstlerische Einheit von feinstem dekorativem Gepräge bildeten, ist, soweit wir blicken können, gänzlich übersehen worden. […]
Und doch wäre Gelegenheit vorhanden gewesen, Kolonnaden und Brücke in angemessener Weise neu aufzustellen, Gelegenheit sogar im Herzen des alten Berlin, nicht allzuweit von ihrer historischen Stätte, in ähnlicher schmückenden Bestimmung, die sie einst hatten. Wir meinen ihre Aufstellung auf der Museumsinsel unter Benutzung eines der die Insel umgebenden Wasserläufe. Es gibt kaum ein prächtigeres Museumsstück, als diese Hallen mit ihrer Brücke; […].“
Und sie, die die Versetzung der Königskolonnaden grundsätzlich begrüßt hatte, resümiert zu deren neuem Standort:
So richtig wie es war, den Entschluß zu fassen, dieses Bauwerk aus seiner bisherigen stimmungslosen Umgebung zu entfernen, so ist es wohl nicht zu viel gesagt, daß man gegenüber der beabsichtigten Art der Aufstellung besser einer vielleicht rein museumsartigen Erhaltung doch den Vorzug gegeben hätte.