Im Zentrum Berlins, wo die Spandauer Straße, in der Großzügigkeit ihrer Anlage wie ein Straße gewordener, vom Roten Rathaus her auf den Hackeschen Markt zumarschierender Goliath anmutend, auf die kleine Anna-Louisa-Karsch-Straße trifft, die es, was die Breite angeht, kaum mit ihr aufnehmen kann und ihr doch, einem Straßen-David gleich, ein etwas abruptes Ende bereitet – dort liegt ein kleiner Platz. Ein wenig wirkt er so, als wolle er die Leere, die die so plötzlich abgebrochene Spandauer Straße hier hinterläßt, so gut es eben geht, füllen. Im Norden und Osten wird er von gewöhnlichen Geschäftshäusern begrenzt, die beim Betrachter kaum einen bleibenden Eindruck hinterlassen – eine Eigenschaft, die sie mit den meisten Gebäuden teilen, deren Inneres in erster Linie von Büros bestimmt wird. Die Südseite des Platzes bildet die bereits erwähnte Anna-Louisa-Karsch-Straße, die mit ihrem Namen die im 18. Jahrhundert bekannte Dichterin dem zu Unrecht erlittenen Vergessen entreißt. Im Westen begrenzen die Gleise der Straßenbahn den kleinen Platz, welche sich vom unverhofften Ende der Spandauer Straße, aus der sie kommt, nicht beirren läßt und unverdrossen ihren Weg hier fortsetzt.
Nein, ein fürchterlich interessanter Platz ist er nicht gerade, der kleine Litfaßplatz. Auch als wirkliche Schönheit unter den Plätzen dieser Welt würde man ihn sicher nicht bezeichnen. Das Schönste an ihm ist noch die kleine, von einer hölzernen Bankreihe eingefaßte Baumgruppe. Das Attribut des Interessantesten teilen sich die steinerne Säule, die – natürlich – an die bekannte Erfindung des Namensgebers des Platzes erinnert und in die in riesigen Lettern der Platzname eingraviert ist, sowie die ein kümmerliches Dasein fristenden Pflanzen – sind es Büsche, sind es kleine Hecken? – in riesigen steinernen Kästen, denen es eigentlich auch erst des Abends gelingt, dem Vorübergehenden ein wenig Interesse abzuringen, wenn sie von versteckten Lampen an ihrer Unterseite beleuchtet werden – wer kommt eigentlich auf eine solche Idee? – und so dem Platz zu ein wenig spärlicher Beleuchtung verhelfen. Und so nimmt es nicht wunder, daß die vorübereilenden Passanten meist nur wenig Notiz nehmen von diesem kleinen städtischen Areal. Wie sollten sie auch wissen, daß das bei weitem Interessanteste, was hier zu entdecken ist, sich nicht auf ihm, sondern direkt unter ihren Schritten, mit denen sie so eilig den Platz überqueren, in der Erde unter dem steinernen Belag befindet?
Sucht man nun auf dem Litfaßplatz nach entsprechenden Hinweisen darauf, so sucht man leider vergeblich. Spaziert man ein Stück weiter und überquert die Straßenbahngleise, findet man sich vor der Seitenwand eines vergleichsweise alten Bürgerhauses wieder. An dessen Haupteingang in der Anna-Louisa-Karsch-Straße versteckt sich ein erster kleiner Hinweis. Den wenigsten Menschen dürfte er sofort auffallen – selbst nicht jenen, die durch die Tür hindurch das Haus betreten. Und doch: auf dem hölzernen Türrahmen über den beiden Türflügeln befindet sich eine kleine, eingravierte Inschrift. „Garnison-Pfarrhaus“ ist dort in schlichten kursiven Lettern zu lesen.
Neben der Seitenwand des Hauses steht nahe der Ampel eine Kombination aus Wegweiser und Straßenschild. Werden die blauen Hinweisschilder meist noch von Touristen auf der Suche nach den Sehenswürdigkeiten, die sie auf ihrem Besuchsplan zu stehen haben, gelesen, bleiben die Straßenschilder oft unbeachtet. Eines zeigt in die Richtung der Straßenbahngleise. „Garnisonkirchplatz“ steht darauf.
Ein Pfarrhaus? Ein Platz, benannt nach einer Kirche? Doch wo ist diese?
Wie so vieles in Berlin, das einst war und nicht mehr ist, das einst Bedeutung für die Stadt besaß und nach seinem Ende doch dem Vergessen anheimfiel, so ward auch der Garnisonkirche dieses Schicksal zuteil. Auch wenn ihre Fundamente heute noch im Boden unter dem Litfaßplatz ruhen, so ist sie doch seit Jahren so vollständig aus dem Stadtbild verschwunden, daß kaum noch ein Berliner überhaupt weiß, daß hier, an dieser Stelle, eine Kirche stand, die nicht nur älter war als die Potsdamer Garnisonkirche, die heute wieder in aller Munde ist, sondern die überhaupt die erste Kirche Preußens war, die man eigens für eine Garnison errichtete; eine Kirche, die zeitweise mehr Plätze hatte als die nahegelegene Marienkirche; eine Kirche, die nicht nur ein Gotteshaus und Bauwerk, sondern auch ein bedeutendes Symbol für das preußische Herrscherhaus und sein Militär darstellte, als das sie auf das Engste mit der Geschichte Preußens und nicht zuletzt des Deutschen Reiches verbunden war.
Diese Artikelserie erzählt die interessante Geschichte der Berliner Garnisonkirche im Auf und Ab der Zeiten, von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende, in ihren Einflüssen auf die Berliner Stadtgeschichte und in ihrer Ambivalenz zwischen dem Kriegshandwerk des Militärs und der Friedensbotschaft des Christentums:
- Die erste Garnisonkirche: Von den Anfängen der Garnisongemeinde
- Die erste Garnisonkirche: Die große Pulverturmexplosion
- Die zweite Garnisonkirche: Wiederaufbau und Verfall
- Die zweite Garnisonkirche: Neuanfang und Wiederaufstieg
- Die zweite Garnisonkirche: Auf dem Weg ins Kaiserreich
- Die zweite Garnisonkirche: Der große Brand
- Die dritte Garnisonkirche: Auferstehung und Untergang
Das Banner auf dieser Seite zeigt einen Ausschnitt aus dem Titelblatt des Buches „Die gute Hand Gottes…“ von Johann Friedrich Walther aus dem Jahr 1737.
Quelle: Johann Friedrich Walther: Die gute Hand Gottes über die Garnison-Kirch- und Schul-Anstallten, in der Königlichen Preußischen Residentz Berlin, oder Historische Nachricht, Wenn und wie die Garnison-Kirche und Schule zuerst gestifftet und Deroselben Anstallten unter Göttlichem Segen bis auf gegenwärtige Zeit erhalten worden. Wobey derer Merckwürdigsten Fälle und Veränderungen so diese Anstallten von Ao. 1663 bis itzo betroffen, und insonderheit der, Ao. 1720 geschehenen Zerspringung eines alten Pulver-Thurns, umständlich gedacht wird. Als auch von denen Gebäuden, Patronen und andern Bedienten bey der Kirche und Schule, Meldung geschiehet. Endlich aber Eine genaue Verzeichniß aller, bis hieher in der Garnison-Kirche ordinirten Feld- und Garnison-Prediger bey der gantzen Königl. Armeé, auch wohin, und wozu dieselben befordert worden, mit eingeführet ist, So wol aus gewissen Uhrkunden als eigner Erfahrung aufgesetzet, auch mit Neun Kupffern erläutert von Johann Friedrich Walther, Organist und Collega Ordin. der Garnison-Kirche und Schule., Samuel König, Berlin, 1743, Titelblatt. Die Links verweisen auf eine Online-Version, in deren Beschreibungsdaten als Erscheinungsjahr 1737 angegeben ist. Da die Fassung allerdings die Kupferstiche von Georg Paul Busch enthält, muß es sich um jene von 1743 handeln, in der diese erstmals aufgenommen worden waren..
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