Nach der Explosion des Pulverturms im Jahr 1720. (Banner)

Die erste Garnisonkirche: Die große Pulverturmexplosion

Dieser Beitrag ist Teil 3 von 8 der Beitragsserie "Die Berliner Garnisonkirche"

Es ist Sommer in Berlin. August 1720. Wieder einmal ist Sonntag. Und wie an jedem siebten Wochentag, so kommen auch heute die Mitglieder der Berliner Garnisongemeinde zusammen, um gemeinsam dem Gottesdienst beizuwohnen. Doch so alltäglich dies auch scheinen mag, einiges ist anders an diesem zwölften Sonntag nach Trinitatis[1]Es ist der 18. August 1720.. Die Stimmung in der Gemeinde ist verhalten, ja bedrückt. Die meisten der nach und nach eintreffenden Gemeindemitglieder nehmen schweigend ihre Plätze ein. Nur ab und zu ist leises Stimmengemurmel zu hören, wenn sich näher miteinander Bekannte begrüßen. Doch die sonst üblichen kurzen Gespräche über das Wie-geht’s-wie-steht’s, sie ersterben heute schnell oder finden gar nicht erst statt. Und so liegt eine bleierne Ruhe über den Menschen, die selbst dann nicht weicht, als schließlich die Soldaten eintreffen, wie immer in Parade von ihren vorgesetzten Offizieren herangeführt. Doch sogar ihr Einzug scheint heute irgendwie leiser, zurückgenommener vonstatten zu gehen als sonst. Noch immer spricht kaum jemand ein Wort. Zu frisch sind die Erinnerungen an das gerade einmal sechs Tage zurückliegende Unglück, zu tief sitzt der Schock über das Geschehene den Gemeindemitgliedern in den Knochen. Und wie sollten sie es auch vergessen haben können, waren sie doch an diesem Morgen allein schon durch den Weg, den sie zum Gottesdienst nehmen mußten, wieder daran erinnert worden. Denn dieser hatte sie nicht wie sonst an jedem Sonntag in ihre wohlvertraute Garnisonkirche geführt. In dieser ließen sich schließlich keine Gottesdienste mehr abhalten. Stattdessen hatten sie ihre Schritte hin zur Kirche zum Grauen Kloster wenden müssen. Und obwohl die meisten von ihnen dankbar sind, daß man sie hier aufgenommen hatte und ihrer Gemeinde vorerst eine Heimstatt bot, kommen sie sich dennoch fremd vor. Nichts ist wie gewohnt, nichts scheint vertraut. Und wie Menschen, die sich nicht heimisch fühlen, zumeist erst einmal abwarten, so harrt auch die Gemeinde schweigend der Dinge, die da kommen würden.

Prospect der Klosterstraße und der Klosterkirche 1690.
Prospect der Klosterstraße und der Klosterkirche 1690. Unter der Regierung von Churfürst Friedrich III.
Quelle: Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz – SMB-digital – Kupferstichkabinett.
Zeichnung: Leopold Ludwig Müller, nach einer Zeichnung von Andreas Ludwig Krüger, 1690.
Fotograf: Dietmar Katz.
Bearbeitet: Alexander Glintschert.
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Als der Garnisonprediger, Feldpropst Lampertus Gedicke, vor seine Gemeinde tritt, schlägt ihm diese gedrückte Stimmung unmittelbar entgegen. Und auch, wenn er durchaus Verständnis dafür aufbringt, er ist nicht der Mann, der sich dadurch von seinem Vorhaben abbringen läßt, das Geschehene zu nutzen, um seiner Gemeinde eindringlich ins Gewissen zu reden. Und so wird den Menschen in den Kirchenbänken bereits bei den ersten Worten, mit denen er seine Predigt beginnt, nachdem er die Kanzel erklommen hat, klar, daß sie heute nur wenig Tröstendes darin finden werden:

Eine ernstliche Drohung ist es, Geliebte in dem Herrn, wenn der gerechte Gott gegen dem Samuel bezeuget: Siehe, ich thue ein Ding in Israel, daß wer das hören wird, dem werden seine beyde Ohren gellen![2]Erstes Buch Samuel, Kapitel 3, Vers 11.

Gott der Herr bezeuget in diesen und nachfolgenden Worten seinen Zorn und Gerichte über das Volck Israel, sonderlich über das Hauß Eli, und drohet, was für eine schwere Straffe über Sie kommen werde[3]Lampertus Gedicke: Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse. Bey dem Betrübten Unglücks-Fall, da Gott am 12. August dieses 1720 Jahrs die unglückselige Zersprengung des Pulver-Thurms am Spandauer Thor verhänget, an dem darauf folgenden XII. Sontage Trinit der Guarnison-Gemeinde in der Kloster-Kirche öffentlich vorgestellet, und nebst einem kurtzen Historischen Bericht von dem was dabey geblieben, zur mehrern Erbauung zum Druck übergeben von Lampertus Gedicken, In: Berlinisches Denckmahl des am 12. August des 1720. Jahrs durch Zersprengung eines Pulver-Thurms von Gott verhängten Unglücks in zwoen bey der Garnison-Gemeinde daselbst gehaltenen Buß-Predigten, und einer kurtzen historischen Nachricht, Gottfried Gedicke, Berlin, 1720, Seite 3..

Doch was war eigentlich geschehen? Worin bestand dieses schwerwiegende Unglück, das die Gemeinde derart aus der Bahn geworfen hatte?

Der alte Pulverturm

Sechs Tage zuvor, am Morgen des 12. August des Jahres 1720 – es ist ein Montag -, sind zwölf Soldaten damit beschäftigt, Pulver und Munition aus dem nahe der Garnisonkirche aufragenden alten Pulverturm zu tragen und auf einen Wagen zu laden[4]Dr. C. Brecht: Die Garnison-Kirche in Berlin. Zur Erinnerung an die 150jährige Einweihungs-Feier derselben am 2. Juni 1872, A. W. Hayn’s Erben, Berlin, 1872, Seite 7.[5]Johann Friedrich Walther: Die gute Hand Gottes über die Garnison-Kirch- und Schul-Anstallten, in der Königlichen Preußischen Residentz Berlin, oder Historische Nachricht, Wenn und wie die Garnison-Kirche und Schule zuerst gestifftet und Deroselben Anstallten unter Göttlichem Segen bis auf gegenwärtige Zeit erhalten worden. Wobey derer Merckwürdigsten Fälle und Veränderungen so diese Anstallten von Ao. 1663 bis itzo betroffen, und insonderheit der, Ao. 1720 geschehenen Zerspringung eines alten Pulver-Thurns, umständlich gedacht wird. Als auch von denen Gebäuden, Patronen und andern Bedienten bey der Kirche und Schule, Meldung geschiehet. Endlich aber Eine genaue Verzeichniß aller, bis hieher in der Garnison-Kirche ordinirten Feld- und Garnison-Prediger bey der gantzen Königl. Armeé, auch wohin, und wozu dieselben befordert worden, mit eingeführet ist, So wol aus gewissen Uhrkunden als eigner Erfahrung aufgesetzet, auch mit Neun Kupffern erläutert von Johann Friedrich Walther, Organist und Collega Ordin. der Garnison-Kirche und Schule., Samuel König, Berlin, 1743, Seite 61 und Seite 65. Die Links verweisen auf eine Online-Version, in deren Beschreibungsdaten als Erscheinungsjahr 1737 angegeben ist. Da die Fassung allerdings die Kupferstiche von Georg Paul Busch enthält, muß es sich um jene von 1743 handeln, in der diese erstmals aufgenommen worden waren.. Dieser Turm hatte einst das alte Spandauer Tor flankiert, mit dem gemeinsam er ein Teil der im Zuge des Festungsbaus abgerissenen mittelalterlichen Stadtmauer gewesen war[6]Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 54.. Daß Stadtmauern in gewissen Abständen mit Türmen versehen wurden, war nichts Ungewöhnliches, ermöglichten jene doch den weiten Ausblick ins Land vor der Befestigungsanlage. Und so nimmt es nicht wunder, daß allein der hiesige Abschnitt der alten Stadtmauer bereits über drei solcher Bauwerke verfügte – ein Turm am Spandauer Tor, einer östlich davon an der Rosenstraße und einer weiter westlich an der Spree[7]Brecht, Die Garnison-Kirche, 1872, Seite 1.. Doch die Ausschau ins Land war nicht der einzige Zweck, den solche Türme hatten. Johann Friedrich Walther, der Organist an der Garnisonkirche und deren erster Chronist gewesen war, beschreibt ihre Verwendung in den Zeiten der mittelalterlichen Stadtmauer so:

Den ehemaligen Gebrauch solcher Thürne [sic!] betreffend, so mögen vermuthlich, die obern Theile davon, zu Aufhebung einiger Krieges-Geräthschafften, oder aber, weil man in der Höhe von solchen Thürnen weite Aussicht haben können, zu Warthen und Wacht-Thürnen, und die untern Theile derselben, zu fürchterlichen und harten Gefängnissen, gebrauchet worden seyn, massen man, das letztere zu behaupten, in unserm Pulver-Thurn, als Anno 1715 in demselben eine Thüre unten eingebrochen worden, eine Tieffe von 15 Clafftern, und im Grunde einige Todten-Gebeine von Menschlichen Cörpern angetroffen; wie ich davon selber ein Zeuge seyn kan, nachdem ich damals in die Tieffe des Thurns hinunter gestiegen und es also, wie angezeiget, gefunden habe.[8]Zitiert aus Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seiten 54 f.

Der Turm an der Spandauer Straße ist ein recht massives Bauwerk. Einhundert Fuß[9]Die Längenangaben stammen aus dem Buch von Johann Friedrich Walther. Damit ergibt sich das Problem, daß wir nicht genau wissen können, ob Walther für die Längenangaben die Maße verwendet hat, die zur Zeit des Erscheinens seines Buches gültig waren oder jene, die vorher lange Zeit verwendet wurden. Bis 1721 galt in Preußen das Herzogliche Neu-Kulmische Maß, bei dem 1 Fuß 29,26156 Zentimetern entsprach. Dann wäre der Turm 29,26 Meter hoch gewesen. Hat Walther den Angaben jedoch das ab 1721 verwendete Königliche Oletzkoische Maß zugrundegelegt, bei dem ein Fuß 27,798 Zentimetern entsprach, hätte der Turm nur eine Höhe von 27,8 Metern besessen. Siehe Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 54 sowie Das Kulmische und Oletzkoische Maß in Preußen, Artikel auf der Website preussische-masse.de, abgerufen am 25. September 2021. mißt er in der Höhe, seine Mauern haben eine Dicke von acht Fuß[10]Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 54.. Von Johann Woltersdorff, zu jener Zeit Kantor an der Garnisonkirche, ist eine kurze Beschreibung des Turmes an der Spandauer Straße überliefert:

Dieser [der Turm – Anmerkung des Autors], etwa 1150 vom Churfürst Alberto Urso[11]Damit ist Albrecht der Bär gemeint, der allerdings nicht Kurfürst, sondern erster Markgraf von Brandenburg war. Siehe Erich Freiherr von Guttenberg: Albrecht der Bär, In: Neue Deutsche Biographie, Band 1, 1953, Seiten 160 f. – Online-Version, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 23. Februar 2021. nebst den übrigen Mauren erbauet[12]Ob die Angabe von Woltersdorff stimmt, daß der Turm um 1150 errichtet wurde, ist unklar. Manche Quellen sprechen davon, daß die erste Berliner Stadtbefestigung aus dem 12. oder 13. Jahrhundert stammt, andere Quellen geben an, die Stadtmauer sei im 14. Jahrhundert aus Feldsteinen errichtet und später mit Türmen verstärkt worden. Wahrscheinlich entstand sie in verschiedenen Etappen und wurde immer wieder erneuert und erweitert. Siehe beispielsweise Brecht, Die Garnison-Kirche, 1872, Seite 1., war rund und ziemlich groß, das Dach spitzig zugemauert, und in der Mitten eine Thüre, zu welcher man (nach allem Ansehen) die Gefangenen vormahls von aussen unten am Thor über des Thors Schwiebbogen hinein geführet, und durch ein Loch tief hinunter gelassen hat.[13]Zitiert aus Johann Woltersdorff: Die grosse Macht des Zorns, der Güte und Allmacht Gottes, Bey der am 12. August 1720 von Gott verhängten Zerspringung eines Pulver-Thurms in der Königl. Preußischen Residentz Berlin, augenscheinlich genug erwiesen, und zu eigener, auch anderer, Erbauung aus der Erfahrung selbst, mit möglichstem Fleisse beschrieben von Johann Woltersdorffen, damahligen Cantore der Berlinischen Garnis. Kirche, ietzo Predigern in Kertzlin, In: Umständliche Nachricht, von dem Erschrecklichen Brande in der Königl. Residentz-Stadt Berlin. Durch welchen in der Nacht zwischen dem zweyten und dritten Pfingst-Tage dieses 1730sten Jahres nicht nur der an der St. Petri-Kirchen neuerbaute und bald fertige, aber mit seinem völligen Gerüste noch versehene Hohe Thurm, nachdem der Blitz ihn dreymahl nacheinander gerühret und entzündet hatte, sondern auch die Kirche, das Gymnasium, 2 Prediger- und mehr als 40 andere Häuser, innerhalb 4 Stunden in einen Stein- und Aschen-Hauffen sind verwandelt worden. Nebst einer Beschreibung gedachter Kirchen, Mit verschiedenen Kupffern versehen und herausgegeben von Johann Gustav Reinbeck, Consistorial-Rath, Probst und Inspector. Johann Andreas Rüdiger, Königl. privil. Buchhändler, Berlin 1730, Seite 96.

 

Die Spandower Straße, das Spandower Thor, und der Pulverthurm im Jahr 1700, von Leopold Ludwig Müller.
Die Spandower Straße, das Spandower Thor und der Pulverthurm im Jahr 1700.
Quelle: Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz – SMB-digital, Kupferstichkabinett.
Zeichnung: Leopold Ludwig Müller.
Fotograf: Dietmar Katz.
Bearbeitet: Alexander Glintschert.
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Bereits 1675 – die Festungsanlagen sind weitgehend fertiggestellt, die mittelalterliche Stadtmauer zu großen Teilen beseitigt – ist der Abriß des Turmes an der Spandauer Straße vorgesehen. Doch dann beginnt im selben Jahr der erste Pommersche Feldzug. Weil man nun Platz für die erbeuteten Kriegsmaterialien wie Pulver, Kugeln, Pechkränze und Handmörser benötigt, setzt man das Abrißvorhaben nicht um und nutzt den Turm lieber als Munitionslager[14]Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 56.. So bleiben er und das benachbarte alte Spandauer Tor zunächst erhalten.

Das Tor riß man dann 1718 ab, weil man die unter Friedrich I. angelegte Straße, die von hier zur Spree verläuft und zur Hälfte bereits mit Häusern besetzt war, nun vollends mit Gebäuden versehen wollte. Dabei war es im Weg. Infolge der Aufwertung, die jene Straße dadurch erfährt, erhält sie nun auch einen Namen und wird nach den Festungsanlagen, die sie auf deren Innenstadtseite parallel begleitet, Wallstraße genannt. Der Abriß des Turmes war in diesem Zusammenhang erneut beschlossene Sache gewesen, dann aber aus nicht geklärten Gründen doch unterblieben[15]Johann Friedrich Walther und einige sich auf ihn berufende Quellen datieren den Abriß des Tores auf das Jahr 1708. Dies ist allerdings nicht korrekt, wie anderen Quellen zu entnehmen ist. Bei Johann Woltersdorff findet sich beispielsweise die korrekte Angabe 1718. Siehe Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seiten 55 f. und Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 96.. Nun, zwei Jahre später, möchte man ihn nachholen, nicht zuletzt deswegen, weil jetzt auch die Spandauer Straße, die hier auf die Wallstraße trifft, verbreitert werden soll[16]Georg Goens: Geschichte der Königlichen Berlinischen Garnisonkirche, Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Königliche Hofbuchhandlung, Berlin, 1897, Seite 27.. Und so hatte man am 5. August mit der Leerung des Turms begonnen. Pulver, Kartätschen und Pechkugeln wurden Stück um Stück herausgetragen und in andere Pulvermagazine der Stadt gebracht. Man ist gut vorangekommen, und so sind an diesem Morgen des 12. August die meisten der gefährlichsten Kriegsmaterialien bereits entfernt und man ist zuversichtlich, diese gefährliche Arbeit bald abschließen zu können[17]Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 56.[18]Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 97..

Die Katastrophe

Still und heiter ist das Wetter, als die zwölf Bombardiere[19]Bombardier war ein Dienstgrad in der preußischen Armee. an jenem Morgen die Pulver- und Munitionskisten ins Freie tragen[20]Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 37 f.. Rings um den Turm gehen die Bürger der Stadt ihren Geschäften nach. In der Garnisonschule sitzen die Kinder im Unterricht beisammen, im einstigen Garnisonhospital kümmert sich das Personal um die Kranken. Vor der Garnisonkirche und dem ehemaligen Haus des Festungsbaukommissariats, das nun der Oberst Caspar Otto von Glasenapp bewohnt[21]Siehe hierzu Brecht, Die Garnison-Kirche, 1872, Seite 7 und die Schilderung im Abschnitt „Ein Gemeindewesen entsteht“ im ersten Teil dieser Beitragsreihe., gehen zwei Schildwachen gemessenen Schrittes auf und ab. Im Haus des Hofrats Johann Friedrich Kühn unweit des Turms erledigen die Bediensteten des dort gerade gastierenden Kapitäns von Wedel ihre allmorgendlichen Tätigkeiten, was die in der nahegelegenen Ruppiner Herberge abgestiegenen Reisenden ihnen gleichtun. Vereinzelte Passanten gehen vorüber und werfen den Soldaten neugierige Blicke zu, eine Postkutsche rollt laut klappernd heran. Die Uhr schlägt ein Viertel nach zehn.

Später wird keiner mehr genau sagen können, wie es geschehen ist. Von den nahen Anwohnern wird lediglich zu erfahren sein, daß zunächst ein großes Gerassel aus dem Turm gedrungen sei, auf das ein jäher Blitz folgte, dem sich ein gar schrecklicher Knall anschloß[22]Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 38 f. – eine Schilderung, die sich mehr oder minder wortgleich in nahezu allen zeitgenössischen Quellen findet, die über das Unglück berichten. So liest man bei Johann Woltersdorff:

Allein am 12. Aug. Montags am Tage Clarä, war der Himmel Anfangs zwar klar, angenehm und stille, es ward aber um den Mittag daraus ein Dampff, Sturm und Schrecken, indem bald nach 10 Uhr der Pulver-Thurm mit einem schrecklichen Blitze und doppelten Knalle zu 5 grossen Stücken von einander barste und niederschlug; […][23]Zitiert aus Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 97.

Johann Friedrich Walther findet in seinem Bericht sehr ähnliche Worte für die Beschreibung des Vorfalls:

Allein am 12. Augusti Montags nach dem XI. Sontag nach Trinitatis, Vormittags eine Viertel-Stunde nach 10 Uhr, zersprunge offtgedachter Pulverthurn [sic!] mit einem erschröcklichen Blitz und gedoppelten Knall in Fünf Stücke, und schlugen solche, nachdem sie erst durch die Gewalt des Pulvers in die Lufft geworffen, mit grossem Krachen nieder.[24]Zitiert aus Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 57.

Ebenso, wie man hernach nicht detailliert rekonstruieren kann, was genau geschah, bleibt die Ursache für die Katastrophe im Dunkeln. So kann Johann Friedrich Walther in seiner Chronik der Garnisonkirche lediglich feststellen:

Wie aber solches Zugegangen, oder wodurch solche unglückliche Zerspringung eigentlich verunsachet [sic!]; kan niemand mit Grund der Wahrheit sagen, maßen alle Bombardierer so damals mit Ausräumung des Thurns inwendig beschäfftiget gewesen, mit aufgeflogen, und also keiner von denenselben die wahren Umstände entdecken können.[25]Zitiert aus Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 57.

Und auch Johann Woltersdorff kann nur spekulieren:

[…] da vermuthlich, wie ein Bombardier dem andern die Pulver-Kasten zureichete, aus Versehen einer dergleichen fallen lassen, so auf dem ohngefehr verstreuten Pulver bey damahls heissem Wetter leichtlich Feuer gefasset, die übrige Menge des Pulvers blitzlich mit entzündet, und die Kugeln und kleine Mörser durch ein gehörtes Rasseln erstlich rege gemacht, ehe der so starcke Thurm zerbersten wollen, dessen Untertheil 4 Ellen dick stehen blieb; […][26]Zitiert aus Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 97.

Die Folgen

Was auch immer genau passiert ist und warum – die Folgen sind nicht anders zu bezeichnen denn als Katastrophe. In den Beschreibungen Woltersdorffs und Walthers wird es bereits deutlich: der Pulverturm selbst erfährt eine völlige Zerstörung, als ihn die Explosion in fünf große Teile zersprengt. Diese werden mit so unfaßbarer Gewalt in alle Richtungen geschleudert, daß sie im Niedergehen in weitem Umkreis große Schäden anrichten.

Das Dach des Turmes, das von einer dick gemauerten Spitze gebildet wurde, wird in Richtung des Dieckmannschen Hauses geschleudert, das man mittlerweile als Garnisonkirchenhaus bezeichnet. Im Niedergehen schlägt es auf dessen Rückseite und das daran anschließende Lazarett, was an beiden Gebäuden zu erheblichen Beschädigungen führt. Ein zweites Turmstück trifft die Garnisonschule, die zur Hälfte niedergerissen wird. Die an die Schule direkt anschließende Ecke der Garnisonkirche wird ebenfalls getroffen, und es entsteht ein riesiges Loch in der Kirchenwand. Das nahegelegene Heilig-Geist-Hospital erleidet mit seiner kleinen Kirche ebenfalls Schäden, als ein drittes Turmstück auf sie herabstürzt. Dabei werden eine Reihe der Kammern des Spitals in große Mitleidenschaft gezogen. Ein viertes Turmstück fliegt in Richtung des Wohnhauses des Obersts Caspar Otto von Glasenapp, von dem es nicht nur die östliche Ecke vollständig zerschmettert, sondern auch das halbe Dach niederreißt. Den kürzesten Weg legt das fünfte Stück des alten Turmes zurück, denn es stürzt direkt auf das an dessen Südseite angrenzende Haus des Hofrats Johann Friedrich Kühn[27]Die einschlägigen zeitgenössischen Quellen geben stets nur „Hofrat Kühn“ als Besitzer des Hauses an. Der „Adreß-Calender“ des Jahres 1719 liefert dann den vollständigen Namen des Hofrats. Siehe Adreß-Calender, der Königl. Preuß. Haupt- und Residentz-Städte Berlin und daselbst befindlichen Königl. Hofes, auch anderer hohen und niedern Collegien, Instantien und Expeditionen auf das Jahr Christi MDCCXIX, Unger, Berlin, 1719, Seite 138., dessen oberstes Stockwerk dabei komplett zerstört wird und auf die Straße hinabfällt. Und auch die Ruppiner Herberge erfährt dadurch – besonders an ihren Hintergebäuden – starke Zerstörungen. Vom Pulverturm bleibt nur ein kleiner Stumpf – vier Ellen dick und ebenfalls noch dreimal geborsten[28]Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seiten 97 f.[29]Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 59 und Seite 69..

Nach der Explosion des Pulverturms im Jahr 1720.
Nach der Explosion des Pulverturms im Jahr 1720.
Quelle: Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz – SMB-digital – Kupferstichkabinett.
Zeichnung: Leopold Ludwig Müller, nach einem Stich von Johann David Schleuen (dem Älteren).
Fotograf: Dietmar Katz.
Bearbeitet: Alexander Glintschert.
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Doch wären allein schon diese Schäden Katastrophe genug, so kommt es noch weitaus schlimmer. Denn der Pulverturm hatte sich ja nicht in einem rein militärisch genutzten Gelände befunden, in dem sich nur wenige Menschen aufhielten, sondern inmitten eines städtischen Areals gestanden, das, sieht man einmal von den Festungswällen ab, weitgehend zivilen Charakter besitzt. Und so muß man in den folgenden Tagen erschüttert feststellen, daß die Explosion des Turmes neben zahlreichen Verletzten insgesamt 73 Menschenleben gefordert hat. Unter diesen sind die Leben von 35 Soldatenkindern zu beklagen, die in der Garnisonschule gerade am Unterricht teilgenommen hatten, als das Unglück geschah. Manche dieser 26 Mädchen und neun Jungen im Alter zwischen vier und elf Jahren waren an diesem furchtbaren Tage das erste Mal in ihrem viel zu kurzen Leben zur Garnisonschule gekommen. Unter der Wucht des einschlagenden Turmstücks unverzüglich zusammengebrochen, hatte sie das herabstürzende Dach der Schule erschlagen[30]Die Zahl der Opfer wird in den einzelnen Quellen teils recht unterschiedlich angegeben. So spricht Johann Friedrich Walther nur von 72 Toten, Johann Woltersdorff nennt hingegen die Zahl von 73 Opfern. Lampertus Gedicke tut es ihm gleich, beziffert aber die in der Schule ums Leben gekommenen Kinder mit 36. Da Woltersdorff zudem eine genaue Aufstellung der Opfer gibt, beziehen wir uns bei den zahlenmäßigen Angaben auf ihn und ziehen die anderen Quellen für weitere Einzelheiten heran. Siehe Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 98 und Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seiten 59 f. sowie Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 40 f.. Davon, was in der Schule geschehen, gibt Johann Woltersdorff, der als Kantor den Kindern in der Schule auch Unterricht zu erteilen hatte, einen erschütternden Bericht:

Unter den Erschlagenen erzähle ich billig die Kleinen zuerst, so nächst um mir herum danieder geworffen worden in unserer Schule, waren leider! 35 liebe Kinder, von 4 bis 11 Jahren alt, sämmtliche Soldaten-Kinder, als 9 Knäblein, und 26 Mägdlein, da diese nehmlich beysammen allda sassen, wo die Schule durch Dach und Boden zu Grunde geschlagen, sie folglich höchst jämmerlich in ihrem Berufe augenblicklich gesund, tod und begraben waren, so erbarmungs-würdig zerquetschet und überfallen, daß die betrübteste Eltern aus dem Stein-Hauffen über 2 Ellen tieff solche zarte zerstümmelte Leichname hervor gegraben, und entweder an den beyliegenden blutigen Büchlein (deren eines noch bey mir vorhanden) oder an den Kleidern ihrer Kinder Gebeine, theils des 2 Tages erstlich gefunden, kümmerlich erkennet, und in Schürtzen nach Hause getragen haben. Unter diesen sind einige desselben Tages zu allererst, und auch zuletzt zur Schulen kommen; einige höchst betrübt, andere aber mit sondern Freuden hingegangen; waren folgsame fromme Kinder, da merckwürdig der grössern Muthwilligen keiner darunter, ohne daß deren einige doch verwundet gewesen.[31]Zitiert aus Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 98.

Zusätzlich zu denen, die in der Schule ein Opfer der Katastrophe werden, kommen außerhalb dieser weitere sechs Kinder ums Leben. Eines der Opfer ist die Tochter eines Sergeanten, die, noch in der Wiege liegend, gemeinsam mit ihrer Mutter beim Einschlag des Turmdachs auf das Lazarett in den Keller hinabstürzt, wo beide erst nach vier Tagen aufgefunden werden. Im Hof des Heilig-Geist-Hospitals sterben zwei von drei Kindern eines Postbediensteten, die sich zum Zeitpunkt des Unglücks gerade dort aufgehalten hatten. In der Wohnung des Kantors der Garnisonkirche, Johann Woltersdorff, findet die erst zehnjährige Tochter eines Pächters aus Biesdorf den Tod. Zwar überlebt sie das Unglück zunächst, erleidet jedoch schwerste Verbrennungen und Verletzungen an den Beinen, denen sie schließlich fünf Tage später erliegt. Der Rektor der Garnisonschule Johann Justus Tichelmann, dessen Wohnung sich in der Schule befindet, verliert durch die Katastrophe seinen zwölfjährigen Sohn. Dieser war gerade erst vom Berlinischen Gymnasium nach Hause gekommen, als das die Garnisonschule niederreißende Turmstück einschlägt. Die Leiche des Jungen wird erst drei Tage später unter den Steinen gefunden. Sein Vater, der sich ebenfalls in der Wohnung aufgehalten hatte, überlebt den Einschlag, wird aber an Kopf und Hand schwer verletzt[32]Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 99.. Besonders schwer trifft es die Familie des Küsters der Garnisonkirche, Johann Christoph Carl. Dessen Wohnung im Garnisonkirchenhaus liegt dem Turm genau gegenüber und wird von der Explosion voll getroffen. Die Gewalt des dabei verteilten Schießpulvers läßt den Küster schwerste Verbrennungen erleiden, während herumfliegende Steine und Eisenstücke ihn zusätzlich verletzen. Er erliegt seinen Wunden etwas mehr als eine Stunde später. Sein einjähriger Sohn wird von den Steinen zerschmettert, ein anderes seiner Kinder verwundet. Die Ehefrau des Küsters überlebt das Unglück schwer verletzt, doch ihre gerade bei ihr zu Besuch weilende hochschwangere Schwester wird ebenfalls getötet[33]Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 41 f..

Auf der Straße werden mehrere Passanten von herumfliegenden Turmsteinen erschlagen. Ein Bürger, ein Schuster und ein Barbiergeselle, die zufällig gerade vorübergehen, sind ebenso unter den Opfern wie zwei Passagiere der gerade am Turm vorüberfahrenden Postkutsche. Während ein Pfarrer namens Block, der kurz zuvor in sein Amt eingeführt worden war und sich nun auf dem Weg in seine Pfarre befand, und ein Maler namens Albrecht, der aus Brandenburg stammte, ihr Leben verlieren, überstehen die beiden anderen Passagiere das Unglück unverletzt; ein Umstand, der dem Postillon leider nicht zuteil wird[34]Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seiten 61 f.. Und auch die die Kutsche ziehenden Pferde werden in Mitleidenschaft gezogen. Im Lazarett kommt eine weitere Soldatenfrau ums Leben, und auch die Bediensteten des Kapitäns von Wedel – eine Kammermagd, ein Lakai, der Kutscher, die Köchin und zwei Waschfrauen – finden im Haus des Hofrats Johann Friedrich Kühn den Tod[35]Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 42 f.. Dessen Familie übersteht die Katastrophe auf wundersame Weise völlig unverletzt, obwohl sie sich zu dieser Zeit im unteren Teil des Hauses aufgehalten hatte, dessen oberes Stockwerk völlig zerstört wird[36]Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seiten 63 f.. Die Frau des Kapitäns erleidet allerdings schwere Quetschungen an Arm und Bein, von denen sie sich jedoch nach einiger Zeit erholen kann[37]Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seite 42.. Im Heilig-Geist-Hospital werden durch das darauf niederstürzende Turmstück drei alte Frauen erschlagen[38]Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 63., und vor der Garnisonkirche kommt die Schildwache ums Leben, während die andere vor dem Haus des Obersts Caspar Otto von Glasenapp mehr Glück hat und schwer verletzt überlebt[39]Bei Johann Woltersdorff ist zu lesen, daß „ein auf der Schildwache stehender Soldat […] bey der Garnison-Kirche nieder geschlagen [ward], ein andrer hart blessirt.“ Der Garnisonprediger Lampertus Gedicke erwähnt in seiner Schilderung nur die Schildwache, die vor dem Haus des Obersts gestanden hatte und verletzt wurde, das Unglück aber überlebte. Siehe Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 100 und Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seite 41.. Die Explosion ist so gewaltig, daß sie Steine und im Turm lagerndes Kriegsmaterial in einem weiten Umkreis herumschleudert – so riesig, daß noch gute fünfhundert Schritte vom Turm entfernt, am Ufer der Spree, die Magd eines Staatsministers, die dort Wäsche bleichte, durch eine Kugel getötet wird[40]Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 62.. Und schließlich und endlich bleibt noch zu erwähnen, daß von den zwölf Bombardieren, die vorher im Turm arbeiteten, kein einziger die Katastrophe überlebt[41]Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 99..

Glück im Unglück

Zusätzlich zu all den Toten gibt es noch mehr als vierzig zum Teil schwer verletzte Personen, die die Katastrophe jedoch letztlich glücklich überleben. Zu diesen finden sich in den zeitgenössischen Berichten lediglich fragmentarische Angaben. Lampertus Gedicke berichtet davon, daß „Bey dem Spandauer-Thor […] der Wall-Schmidt nebst seinem Schwieger-Vater sehr verwundet worden [ist]“[42]Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seite 43.Johann Woltersdorff, der Kantor der Garnisonkirche, hält sich zum Zeitpunkt der Katastrophe in der Garnisonschule auf, in der er bei deren teilweisem Einsturz verschüttet wird. Erst viele Jahre später – da ist er schon lange Prediger in Kertzlin – wird es ihm möglich sein, über seine traumatischen Erlebnisse einen detaillierten Bericht anzufertigen. Darin resümiert er gleich zu Beginn:

Ich […] bin am Tage der Zerspringung des Pulver-Thurms in Berlin, meinem damahligen Beruffe nach, in der halb eingeschmetterten Garnison-Schule mitten unter meinen erschlagenen und verwundeten Kindern, als ein Todter, gelegen, aber bey meiner höchsten Ohnmacht durch Gottes Allmache unverletzt wunderlich errettet worden.[43]Zitiert aus Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 95.

Wie diese seine Rettung vonstatten geht, beschreibt er so:

Ich saß mitten in der Schule am Tische, da, wie die halbe Schule über die armen Kinder herschlug, über mir der Balcken und übriger Boden dichte blieb, doch schlug von einer Seiten der leimerne Boden, von der anderen der einfallende Ofen auf mich her, der ich durch die Erschütterung vom Schemel herab geschoben, und dieser nochmahls zerschlagen gefunden ward. Vor mir hatte ein grosses Mauerstück ein lesendes Mägdlein todt geschlagen, ein anderes unverletzt leben lassen. Wegen des grausamen Blitzes und Knallens war ich sammt den Kindern schon in äusserstes Schrecken gesetzet; Da aber der dicke Qualm weder Fenster noch Thüren sehen ließ, ich auch durch das Aechzen der noch lebenden 40 Kinder immer krafftloser wurde, aufm Schutte eine gute Weile lag, und mit beyden Händen den Dampff vorm Munde wegschlug, doch den Augenblick ersticket wäre: Da griff zur höchsten Zeit mein Erbarmer zu, und zog mich gewaltig (mag wohl setzen) durch seinen H. Engel, oder durch eigne starcke Hand plötzlich zum offenen Fenster-Fache ganz unverletzt heraus, und fasten einige Kinder mir am Kleide, die ich also mit hinaus zog, da der Rector Tüchelmann die übrigen vollends heraus geholffen.[44]Zitiert aus Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seiten 102 f.

So ist es ihm und dem Rektor zu verdanken, daß viele der Kinder, die an diesem Tage in der Schule waren, noch gerettet werden können. Und auch seinen eigenen, einzigen Sohn vermag er schließlich noch dem Tode zu entreißen, als er ihn, in seiner Wohnung angekommen, verschüttet in der Wiege vorfindet. Das Kind ist verletzt, erholt sich glücklicherweise aber vollständig von seinen Blessuren[45]Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 103..

Und es gibt weitere Menschen, die, wie Johann Woltersdorff es nennt, durch die Allmacht Gottes „mitten im Tode ein neues Leben überkommen, und wunderbar erhalten sind“[46]Zitiert aus Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 102.. So wird von einem gerade einmal sechs Jahre alten Schulkind berichtet, das sich zum Zeitpunkt des Unglücks unter einer Bank verstecken kann und so verschont wird. Zwar dauert es bald 24 Stunden, bis es aufgefunden wird, doch überlebt es die Katastrophe unverletzt. Gleiches wird einem Soldatenkind zuteil, das im Lazarett in seiner Wiege liegend verschüttet wird, doch aus dem Schutt geborgen werden kann. Ein Gast in der Ruppiner Herberge erleidet dasselbe Schicksal, doch gelingt es ihm, sich nach acht Stunden unter dem Geröll hervorzuarbeiten. Auch er ist kaum blessiert. Ein armer Tagelöhner, dessen Namen Lampertus Gedicke mit Tobias Rust angibt, ist, als der Turm explodiert, mit seinem Karren gerade in der Spandauer Straße zwischen diesem und dem Lazarett. Zwar wird er verletzt, kommt aber mit dem Schrecken und seinem Leben davon. Eine Stunde später langt er mit seinem Karren wohlbehalten zu Hause an[47]Johann Woltersdorff und Lampertus Gedicke berichten beide übereinstimmend von allen diesen glücklichen Fällen, geben aber einige Details unterschiedlich wieder. So behauptet Gedicke, der Gast der Ruppiner Herberge habe es erst nach drei Tagen geschafft, sich unter dem Schutt hervorzuarbeiten, was nicht recht glaubhaft erscheint. Die Verletzung des Tagelöhners bezeichnet er als schwer, während Woltersdorff nur von einer leichten Verbrennung am Haupte spricht. Siehe Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 102 und Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 47 f..

Doch bei aller Tragik, die die Katastrophe mit sich brachte, so sind sich die zeitgenössischen Berichte in einem Punkte völlig einig: es hätte noch um vieles schlimmer kommen können. Wäre der Turm beispielsweise nur eine halbe Stunde früher explodiert, so hätte es wohl noch deutlich mehr Todesopfer gegeben. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich nämlich in der Nähe der späteren Unglücksstelle ein Teil der Kompanie des Kapitäns von Wedel auf, während die Wachtparade des Forcadischen Regiments gerade den Turm passierte[48]Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 63.. Auch daß der bereits mit Pulver und Kriegsgerät beladene Wagen, der vor dem Turm auf der Straße stand, samt den darauf befindlichen wartenden Artilleristen auf wundersame Weise verschont wurde, weil das Feuer der Explosion dicht über ihn hinwegfegte, ihn aber nicht traf, wird als Zeichen der Allmacht Gottes gedeutet, hätte die durch dieses zusätzliche Kriegsgerät arg erhöhte Wucht der Explosion doch sicher die Garnisonschule völlig zerstört[49]Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 65.. Ein weiterer glücklicher Umstand ist die weitestgehende Verschonung der Garnisonpredigerhäuser, die lediglich durch die Druckwelle verursachte Schäden an Türen und Fenstern davontragen. So bleiben insbesondere alle sechzehn Personen, die sich zum Zeitpunkt der Katastrophe darin aufgehalten hatten, weitestgehend unverletzt[50]Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 46 f.[51]Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 101.

Das Ende der ersten Garnisonkirche

Noch am selben Tag sucht der König den Ort des Unglücks auf. Er weilt gerade in der Stadt, da er an einer Wachtparade teilgenommen hatte, die, kurz bevor die Katastrophe ihren Lauf nahm, zu Ende gegangen war. Friedrich Wilhelm I. hatte daraufhin sofort an die Unglücksstelle eilen wollen, doch wird ihm zunächst davon abgeraten, weil man eine nochmalige Explosion befürchtet, die aus möglicherweise noch unentdeckten Feuern im verbliebenen Stumpf des Turmes entstehen könnte. Zudem sind die umliegenden Straßen so voller Schutt, daß an ein Durchkommen nicht zu denken ist. So verschiebt man den Besuch des Königs am Unfallort auf 14 Uhr am Nachmittag[52]Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 69..

Als Friedrich Wilhelm I. schließlich eintrifft, macht er sich sofort ein Bild von der Lage. Im Ergebnis dessen erläßt er sogleich Order, den Schutt zu beseitigen und die verschütteten Menschen zu bergen. Mitleidsvoll weisen er und seine Gemahlin, die Königin, in der Folgezeit eine Summe von einigen hundert Talern an, die den leidgeprüften Eltern der in der Garnisonschule verunglückten Kinder ausgezahlt werden, um die Kosten für die Pflege und – im tragischen Fall des Todes – der Beerdigung bestreiten zu können[53]Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seiten 69 f..

Schnell stellt sich heraus, daß nicht nur das Gebäude der Garnisonschule so schwer zerstört ist, daß es nicht mehr nutzbar ist[54]Doris Tüsselmann: Die Garnisongemeinde in Berlin und ihre „verlorene“ Kirche, In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, Jahrgang 2010, Heft 1, Seite 321., sondern daß auch die Garnisonkirche so stark beschädigt wurde, daß an eine Wiederherstellung nicht zu denken ist[55]Kirchen, In: Berlin und seine Bauten – II. und III.: Der Hochbau, herausgegeben vom Architekten-Verein zu Berlin und der Vereinigung Berliner Architekten, Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin, 1896, Seite 154.. Die prächtige Orgel hat durch die Explosion zwar heftige Erschütterungen erfahren, ist aber wunderbarerweise unversehrt geblieben[56]Johann Friderich Walther: Die, In der Königl. Garnison-Kirche zu Berlin, befindliche Neue Orgel, Wie selbige, Nach ihrer äussern und innern Beschaffenheit erbauet, Mit wenigem beschrieben, Und Nebst einer kurzen Vorrede, Vom Gebrauch, Kunst und Vortrefflichkeit der Orgeln, zum Druck übergeben, von Johann Friderich Walther, Organist und Collega der Berlinischen Garnison-Kirche und Schule, Carl Gottfried Möllern, Berlin, 1726, Seite 8.. Da das Kirchengebäude jedoch nicht mehr zu retten ist, bleibt zunächst unklar, was mit ihm geschehen soll.

König Friedrich Wilhelm I. läßt jedoch keine lange Zeit verstreichen und ordnet bereits kurze Zeit nach dem Unglück an, daß die Garnisonkirche wiederaufgebaut werden solle. Er beauftragt den Königlichen Geheimen Rat und Oberbaudirektor Philipp Gerlach d. J. mit der Errichtung eines neuen, größeren Kirchenbaus und verlangt, daß ihm die Pläne dafür noch im selben Jahr vorgelegt werden. Das neue Gotteshaus soll, so will es der König, an derselben Stelle stehen wie das alte. Um jedoch einen größeren Bau möglich zu machen, werden das Grundstück der Schule und ein Stück des alten Festungsbauhofes in der Bastion hinzugenommen. Auch die Einrichtung eines neuen Schulhauses ordnet der König an und legt überdies fest, daß auch ein Haus eigens für die Predigerwitwen errichtet werden möge[57]Brecht, Die Garnison-Kirche, 1872, Seite 8.[58]Goens, Geschichte der Garnisonkirche, 1897, Seiten 29 f..

So beginnen denn nahezu sofort die Aufräumarbeiten an der Unglücksstelle. Zügig werden Schutt und Trümmer beseitigt[59]Barbara Kündiger: Die neue Kirche, In: Barbara Kündiger & Dieter Weigert: Der Adler weicht der Sonne nicht – 300 Jahre Berliner Garnisonkirche, 1. Auflage 2004, Berlin Edition in der Quintessenz Verlags-GmbH, Berlin, ISBN 3-8148-0128-8, Seite 73.. Die weitestgehend unbeschädigte Orgel birgt man aus der Kirchenruine und lagert sie auf dem Boden des Glasenappschen Hauses ein[60]Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 88.. Dieses Gebäude, dessen Schäden schnell repariert werden, wird auf Anweisung des Königs zur neuen Garnisonschule umgewidmet, die bereits im Dezember, am Montag nach dem ersten Adventssonntag, wieder ihre Pforten öffnet. Im einzigen Obergeschoß liegen die Klassenzimmer und die Wohnung des Kantors, erreichbar über eine zweigeteilte Freitreppe in der Mitte des Gebäudes, unter der sich der Eingang zu den Lehrerwohnungen im Souterrain befindet – was nach viel Platz klingt, ist dennoch für die nach wie vor hohe Zahl von Schülern kaum ausreichend[61]Kündiger: Die neue Kirche, 2004, Seite 81..

Parallel dazu bereitet man bereits den Bauplatz für den Neubau der Garnisonkirche vor, indem man im September mit dem Abbruch des alten Kirchenbaus beginnt. Dessen Fundament wird ausgegraben und ebenfalls beseitigt[62]Kündiger: Die neue Kirche, 2004, Seite 73.. Als der Winter hereinbricht, ist von dem alten Kirchengebäude bereits nichts mehr zu sehen[63]Brecht, Die Garnison-Kirche, 1872, Seite 8.. Die erste Garnisonkirche ist Geschichte.

Für einige Zeit steht die Garnisongemeinde wieder ohne eigene Kirche da. Weil jedoch die nahegelegene Heilig-Geist-Kirche nicht nur ebenfalls beschädigt, sondern für die inzwischen zahlenmäßig stark angewachsene Garnisongemeinde viel zu klein geworden ist, weicht diese für die Zeit bis zur Vollendung ihres neuen Gotteshauses auf die Berliner Klosterkirche aus – die Kirche zum Grauen Kloster[64]Ernst Frensdorff: Die Berliner Garnisonkirche nach einem Berichte aus dem Jahre 1727, In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, Jahrgang 1908, Heft 5, Seiten 132-134.

Hier steht nun am ersten Sonntag nach dem großen Unglück, das der Stadt und der Gemeinde im besonderen widerfahren ist, Garnisonprediger und Feldpropst Lampertus Gedicke auf der Kanzel und redet seiner Gemeinde ins Gewissen. Nein, das Unheil, das über sie gekommen, sei keine Verkettung unglückseliger Zufälle. Es sei vielmehr die göttliche Strafe für das sündhafte Leben, das gerade im Soldatenstande um sich greife:

Wenn man bedencket, wie sehr der Soldaten-Stand für allen anderen Ständen verderbet ist, und wie die meisten ihren Soldaten-Stand leyder führen, was für Sünden, Schanden und Greuel öffters unter Hohen und Niedrigen dabey vorgehen, der darff sich nicht wundern, daß GOTT mit diesem Gerichte bey uns angefangen, und uns vornehmlich heimgesuchet, wir habens alle wohl verdienet! Uns arme Prediger höret man nicht, wir mögen flehen, bitten, ermahnen und straffen, wie wir wollen, so müssen denn endlich die Steine schreyen und Busse predigen! […] Nun kommt GOTT und richtet uns unsere Guarnison-Kirche so zu, daß wir nicht einmahl darein ietzo zusammen kommen können.[65]Zitiert aus Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 26 f.

Titelblatt des Buches "Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Buße..." von Lampertus Gedicke aus dem Jahr 1720.
Titelblatt der Predigt „Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Buße…“ von Lampertus Gedicke aus dem Jahr 1720.
Quelle: Lampertus Gedicke: Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse. […], In: Berlinisches Denckmahl des am 12. August des 1720. Jahrs durch Zersprengung eines Pulver-Thurms von Gott verhängten Unglücks in zwoen bey der Garnison-Gemeinde daselbst gehaltenen Buß-Predigten, und einer kurtzen historischen Nachricht, Gottfried Gedicke, Berlin, 1720, Titelblatt.
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Er deutet die Tatsache, daß es gerade die Kinder der Gemeinde getroffen hat, als besonders schweres Strafgericht Gottes:

Bedencklich ist es, daß dieses Gericht meistens geschehen an kleinen Kindern, die nicht in ihrem Muhtwillen wüste umher gelauffen, sondern in ihrem Beruff in der Schule gewesen, und so jämmerlich umkommen. Das ist ein schweres Gerichte Gottes![66]Zitiert aus Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seite 27.

Und als ob es nicht schon reichte, den arg mitgenommenen Menschen die Schuld an dem ihnen widerfahrenen Unglück zuzuweisen, gibt er ihnen noch eine Drohung mit auf den Weg:

Meinet ihr, daß die der Thurm erschlagen, allein schuldig gewesen für allen Menschen, die zu Berlin wohnen, ich sage nein, sondern so ihr euch nicht bessert, werdet alle auch also umkommen! Ein jeglicher lasse es sich doch um Gottes willen zur Warnung dienen und fürchte sich vor Gottes Zorn![67]Zitiert aus Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seite 30.

Erst gegen Ende hat der Prediger dann doch noch ein paar Worte des Trostes übrig für die Eltern, die ihre Kinder verloren haben, und für die Mitglieder der Gemeinde, deren Anverwandte Opfer der Katastrophe wurden:

Ihr aber, die ihr solches Unglück mit an den Eurigen erfahren, ihr betrübten Väter, Mütter und Anverwandten, lasset euch dieses Unglück zur Demüthigung und Busse vor Gott dienen. Gottes Hand hat diesen schweren Riß gethan, die wird auch heilen und verbinden, was Er geschlagen.[68]Zitiert aus Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 31 f.

Drei Jahre später, 1723, wird ein Blatt Papier in den Turmknopf[69]Als Turmknopf oder Turmkugel bezeichnet man die verschlossene, oftmals runde, gelegentlich auch vergoldete Metallkapsel auf der Spitze eines Kirchturms. der Heilig-Geist-Kirche gelegt, auf dem man die Pulverturm-Katastrophe folgendermaßen erklärt:

Im Jahre 1139 soll Albrecht der Bär den Pulverthurm erbaut haben, darum hat er auch wohl mit gräßlichem Brummen seinen Abschied genommen.[70]Zitiert aus Goens, Geschichte der Garnisonkirche, 1897, Seite 27. Auch hier findet sich wieder der Bezug auf die Mitte des 12. Jahrhunderts als Zeitraum für die Errichtung des alten Turms. Ob dies stimmt, ist, wie bereits gesagt, nicht sicher.

So kann man Geschichte auch zusammenfassen.


Das Banner auf dieser Seite zeigt die Wallstraße, die Garnisonschule, den Pulverturm und die alte Garnisonkirche nach der Explosion des Pulverturms im Jahr 1720.
Ausschnitt einer Albumseite aus „Das ehemalige und jetzige Berlin: dargestellt in Ansichten aus verschiedenen Theilen der Stadt. Theils nach älteren Abbildungen und theils nach eigner Aufnahme gezeichnet, von Leopold Ludwig Müller. Angefangen in Januar 1829.“, Erster Band.
Quelle: Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz – SMB-digital
Sammlung: Kupferstichkabinett
Ident.Nr. Sign. 2131, Bd. 1, Teil 1, S. 15
Foto: Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Zeichnung: Leopold Ludwig Müller, nach einem Stich von Johann David Schleuen (dem Älteren).
Technik: Radierung
Blattmaß: 16,6 x 31,1 cm
Fotograf: Dietmar Katz
Bearbeitet: Alexander Glintschert
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Pulverturm Pulverturmexplosion Große Berliner Pulverturmexplosion

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Anmerkungen:

Anmerkungen:
1. Es ist der 18. August 1720.
2. Erstes Buch Samuel, Kapitel 3, Vers 11.
3. Lampertus Gedicke: Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse. Bey dem Betrübten Unglücks-Fall, da Gott am 12. August dieses 1720 Jahrs die unglückselige Zersprengung des Pulver-Thurms am Spandauer Thor verhänget, an dem darauf folgenden XII. Sontage Trinit der Guarnison-Gemeinde in der Kloster-Kirche öffentlich vorgestellet, und nebst einem kurtzen Historischen Bericht von dem was dabey geblieben, zur mehrern Erbauung zum Druck übergeben von Lampertus Gedicken, In: Berlinisches Denckmahl des am 12. August des 1720. Jahrs durch Zersprengung eines Pulver-Thurms von Gott verhängten Unglücks in zwoen bey der Garnison-Gemeinde daselbst gehaltenen Buß-Predigten, und einer kurtzen historischen Nachricht, Gottfried Gedicke, Berlin, 1720, Seite 3.
4. Dr. C. Brecht: Die Garnison-Kirche in Berlin. Zur Erinnerung an die 150jährige Einweihungs-Feier derselben am 2. Juni 1872, A. W. Hayn’s Erben, Berlin, 1872, Seite 7.
5. Johann Friedrich Walther: Die gute Hand Gottes über die Garnison-Kirch- und Schul-Anstallten, in der Königlichen Preußischen Residentz Berlin, oder Historische Nachricht, Wenn und wie die Garnison-Kirche und Schule zuerst gestifftet und Deroselben Anstallten unter Göttlichem Segen bis auf gegenwärtige Zeit erhalten worden. Wobey derer Merckwürdigsten Fälle und Veränderungen so diese Anstallten von Ao. 1663 bis itzo betroffen, und insonderheit der, Ao. 1720 geschehenen Zerspringung eines alten Pulver-Thurns, umständlich gedacht wird. Als auch von denen Gebäuden, Patronen und andern Bedienten bey der Kirche und Schule, Meldung geschiehet. Endlich aber Eine genaue Verzeichniß aller, bis hieher in der Garnison-Kirche ordinirten Feld- und Garnison-Prediger bey der gantzen Königl. Armeé, auch wohin, und wozu dieselben befordert worden, mit eingeführet ist, So wol aus gewissen Uhrkunden als eigner Erfahrung aufgesetzet, auch mit Neun Kupffern erläutert von Johann Friedrich Walther, Organist und Collega Ordin. der Garnison-Kirche und Schule., Samuel König, Berlin, 1743, Seite 61 und Seite 65. Die Links verweisen auf eine Online-Version, in deren Beschreibungsdaten als Erscheinungsjahr 1737 angegeben ist. Da die Fassung allerdings die Kupferstiche von Georg Paul Busch enthält, muß es sich um jene von 1743 handeln, in der diese erstmals aufgenommen worden waren.
6, 10. Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 54.
7. Brecht, Die Garnison-Kirche, 1872, Seite 1.
8. Zitiert aus Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seiten 54 f.
9. Die Längenangaben stammen aus dem Buch von Johann Friedrich Walther. Damit ergibt sich das Problem, daß wir nicht genau wissen können, ob Walther für die Längenangaben die Maße verwendet hat, die zur Zeit des Erscheinens seines Buches gültig waren oder jene, die vorher lange Zeit verwendet wurden. Bis 1721 galt in Preußen das Herzogliche Neu-Kulmische Maß, bei dem 1 Fuß 29,26156 Zentimetern entsprach. Dann wäre der Turm 29,26 Meter hoch gewesen. Hat Walther den Angaben jedoch das ab 1721 verwendete Königliche Oletzkoische Maß zugrundegelegt, bei dem ein Fuß 27,798 Zentimetern entsprach, hätte der Turm nur eine Höhe von 27,8 Metern besessen. Siehe Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 54 sowie Das Kulmische und Oletzkoische Maß in Preußen, Artikel auf der Website preussische-masse.de, abgerufen am 25. September 2021.
11. Damit ist Albrecht der Bär gemeint, der allerdings nicht Kurfürst, sondern erster Markgraf von Brandenburg war. Siehe Erich Freiherr von Guttenberg: Albrecht der Bär, In: Neue Deutsche Biographie, Band 1, 1953, Seiten 160 f. – Online-Version, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 23. Februar 2021.
12. Ob die Angabe von Woltersdorff stimmt, daß der Turm um 1150 errichtet wurde, ist unklar. Manche Quellen sprechen davon, daß die erste Berliner Stadtbefestigung aus dem 12. oder 13. Jahrhundert stammt, andere Quellen geben an, die Stadtmauer sei im 14. Jahrhundert aus Feldsteinen errichtet und später mit Türmen verstärkt worden. Wahrscheinlich entstand sie in verschiedenen Etappen und wurde immer wieder erneuert und erweitert. Siehe beispielsweise Brecht, Die Garnison-Kirche, 1872, Seite 1.
13. Zitiert aus Johann Woltersdorff: Die grosse Macht des Zorns, der Güte und Allmacht Gottes, Bey der am 12. August 1720 von Gott verhängten Zerspringung eines Pulver-Thurms in der Königl. Preußischen Residentz Berlin, augenscheinlich genug erwiesen, und zu eigener, auch anderer, Erbauung aus der Erfahrung selbst, mit möglichstem Fleisse beschrieben von Johann Woltersdorffen, damahligen Cantore der Berlinischen Garnis. Kirche, ietzo Predigern in Kertzlin, In: Umständliche Nachricht, von dem Erschrecklichen Brande in der Königl. Residentz-Stadt Berlin. Durch welchen in der Nacht zwischen dem zweyten und dritten Pfingst-Tage dieses 1730sten Jahres nicht nur der an der St. Petri-Kirchen neuerbaute und bald fertige, aber mit seinem völligen Gerüste noch versehene Hohe Thurm, nachdem der Blitz ihn dreymahl nacheinander gerühret und entzündet hatte, sondern auch die Kirche, das Gymnasium, 2 Prediger- und mehr als 40 andere Häuser, innerhalb 4 Stunden in einen Stein- und Aschen-Hauffen sind verwandelt worden. Nebst einer Beschreibung gedachter Kirchen, Mit verschiedenen Kupffern versehen und herausgegeben von Johann Gustav Reinbeck, Consistorial-Rath, Probst und Inspector. Johann Andreas Rüdiger, Königl. privil. Buchhändler, Berlin 1730, Seite 96.
14, 17. Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 56.
15. Johann Friedrich Walther und einige sich auf ihn berufende Quellen datieren den Abriß des Tores auf das Jahr 1708. Dies ist allerdings nicht korrekt, wie anderen Quellen zu entnehmen ist. Bei Johann Woltersdorff findet sich beispielsweise die korrekte Angabe 1718. Siehe Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seiten 55 f. und Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 96.
16. Georg Goens: Geschichte der Königlichen Berlinischen Garnisonkirche, Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Königliche Hofbuchhandlung, Berlin, 1897, Seite 27.
18. Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 97.
19. Bombardier war ein Dienstgrad in der preußischen Armee.
20. Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 37 f.
21. Siehe hierzu Brecht, Die Garnison-Kirche, 1872, Seite 7 und die Schilderung im Abschnitt „Ein Gemeindewesen entsteht“ im ersten Teil dieser Beitragsreihe.
22. Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 38 f.
23, 26. Zitiert aus Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 97.
24, 25. Zitiert aus Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 57.
27. Die einschlägigen zeitgenössischen Quellen geben stets nur „Hofrat Kühn“ als Besitzer des Hauses an. Der „Adreß-Calender“ des Jahres 1719 liefert dann den vollständigen Namen des Hofrats. Siehe Adreß-Calender, der Königl. Preuß. Haupt- und Residentz-Städte Berlin und daselbst befindlichen Königl. Hofes, auch anderer hohen und niedern Collegien, Instantien und Expeditionen auf das Jahr Christi MDCCXIX, Unger, Berlin, 1719, Seite 138.
28. Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seiten 97 f.
29. Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 59 und Seite 69.
30. Die Zahl der Opfer wird in den einzelnen Quellen teils recht unterschiedlich angegeben. So spricht Johann Friedrich Walther nur von 72 Toten, Johann Woltersdorff nennt hingegen die Zahl von 73 Opfern. Lampertus Gedicke tut es ihm gleich, beziffert aber die in der Schule ums Leben gekommenen Kinder mit 36. Da Woltersdorff zudem eine genaue Aufstellung der Opfer gibt, beziehen wir uns bei den zahlenmäßigen Angaben auf ihn und ziehen die anderen Quellen für weitere Einzelheiten heran. Siehe Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 98 und Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seiten 59 f. sowie Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 40 f.
31. Zitiert aus Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 98.
32, 41. Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 99.
33. Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 41 f.
34. Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seiten 61 f.
35. Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 42 f.
36. Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seiten 63 f.
37. Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seite 42.
38, 48. Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 63.
39. Bei Johann Woltersdorff ist zu lesen, daß „ein auf der Schildwache stehender Soldat […] bey der Garnison-Kirche nieder geschlagen [ward], ein andrer hart blessirt.“ Der Garnisonprediger Lampertus Gedicke erwähnt in seiner Schilderung nur die Schildwache, die vor dem Haus des Obersts gestanden hatte und verletzt wurde, das Unglück aber überlebte. Siehe Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 100 und Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seite 41.
40. Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 62.
42. Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seite 43.
43. Zitiert aus Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 95.
44. Zitiert aus Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seiten 102 f.
45. Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 103.
46. Zitiert aus Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 102.
47. Johann Woltersdorff und Lampertus Gedicke berichten beide übereinstimmend von allen diesen glücklichen Fällen, geben aber einige Details unterschiedlich wieder. So behauptet Gedicke, der Gast der Ruppiner Herberge habe es erst nach drei Tagen geschafft, sich unter dem Schutt hervorzuarbeiten, was nicht recht glaubhaft erscheint. Die Verletzung des Tagelöhners bezeichnet er als schwer, während Woltersdorff nur von einer leichten Verbrennung am Haupte spricht. Siehe Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 102 und Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 47 f.
49. Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 65.
50. Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 46 f.
51. Woltersdorff, Die grosse Macht des Zorns, 1730, Seite 101
52. Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 69.
53. Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seiten 69 f.
54. Doris Tüsselmann: Die Garnisongemeinde in Berlin und ihre „verlorene“ Kirche, In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, Jahrgang 2010, Heft 1, Seite 321.
55. Kirchen, In: Berlin und seine Bauten – II. und III.: Der Hochbau, herausgegeben vom Architekten-Verein zu Berlin und der Vereinigung Berliner Architekten, Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin, 1896, Seite 154.
56. Johann Friderich Walther: Die, In der Königl. Garnison-Kirche zu Berlin, befindliche Neue Orgel, Wie selbige, Nach ihrer äussern und innern Beschaffenheit erbauet, Mit wenigem beschrieben, Und Nebst einer kurzen Vorrede, Vom Gebrauch, Kunst und Vortrefflichkeit der Orgeln, zum Druck übergeben, von Johann Friderich Walther, Organist und Collega der Berlinischen Garnison-Kirche und Schule, Carl Gottfried Möllern, Berlin, 1726, Seite 8.
57, 63. Brecht, Die Garnison-Kirche, 1872, Seite 8.
58. Goens, Geschichte der Garnisonkirche, 1897, Seiten 29 f.
59. Barbara Kündiger: Die neue Kirche, In: Barbara Kündiger & Dieter Weigert: Der Adler weicht der Sonne nicht – 300 Jahre Berliner Garnisonkirche, 1. Auflage 2004, Berlin Edition in der Quintessenz Verlags-GmbH, Berlin, ISBN 3-8148-0128-8, Seite 73.
60. Walther, Die gute Hand Gottes, 1743, Seite 88.
61. Kündiger: Die neue Kirche, 2004, Seite 81.
62. Kündiger: Die neue Kirche, 2004, Seite 73.
64. Ernst Frensdorff: Die Berliner Garnisonkirche nach einem Berichte aus dem Jahre 1727, In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, Jahrgang 1908, Heft 5, Seiten 132-134
65. Zitiert aus Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 26 f.
66. Zitiert aus Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seite 27.
67. Zitiert aus Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seite 30.
68. Zitiert aus Lampertus Gedicke, Die ernstliche Aufweckung Gottes zur Busse, 1720, Seiten 31 f.
69. Als Turmknopf oder Turmkugel bezeichnet man die verschlossene, oftmals runde, gelegentlich auch vergoldete Metallkapsel auf der Spitze eines Kirchturms.
70. Zitiert aus Goens, Geschichte der Garnisonkirche, 1897, Seite 27. Auch hier findet sich wieder der Bezug auf die Mitte des 12. Jahrhunderts als Zeitraum für die Errichtung des alten Turms. Ob dies stimmt, ist, wie bereits gesagt, nicht sicher.