E. T. A. Hoffmann - Porträts von Riepenhausen und Buchhorn (Banner)

E. T. A. Hoffmann: Berliner Jahre

Dieser Beitrag ist Teil 2 von 5 der Beitragsserie "E. T. A. Hoffmann"

E. T. A. Hoffmann

Schriftsteller, Komponist, Maler, Jurist
Geboren am 24. Januar 1776 in Königsberg
Gestorben am 25. Juni 1822 in Berlin


E. T. A. Hoffmann - Porträt von Wilhelm Hensel
Porträt E. T. A. Hoffmanns von Wilhelm Hensel (Stahlstich von Johann Nepomuk Passini).
Quelle: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Inventar-Nr. II 2500
Creative Commons Lizenzvertrag

Erster Aufenthalt in Berlin von 1798 bis 1800

Nach seinem zweiten erfolgreich bestandenen Examen kommt Hoffmann, dem es gelungen war, sich nach Berlin versetzen zu lassen, Ende August 1798 in der preußischen Hauptstadt an. Er erhält eine Stelle als Referendar am Kammergericht. Zunächst nimmt er Quartier in der Kurstraße. An seinen Freund Hippel schreibt er:

Morgen gehe ich von Glogau, und Mittwoch, den 29. d. M., bin ich in Berlin. Auf das Briefkouvert setze: „abzugeben in der Kurstraße im Hause der Madam Patté„, so wird mich kein Brief verfehlen, denn da werd‘ ich wohnen.
In: Julius Eduard Hitzig: E. T. A. Hoffmanns Leben und Nachlass, insel taschenbuch 755, Insel Verlag Frankfurt am Main, 1. Auflage, 1886, ISBN 3-458-32455-0 <1800>, Seite 147/148.

Diese seltsam anmutende Adresse ist nicht verwunderlich, erhielten doch erst 1799 die Häuser in den Straßen Berlins Hausnummern. Hier wohnt er bis Juli 1799, dann zieht er um in die Leipziger Straße Nr. 66 zu seinem Onkel Johann Ludwig Doerffer (1743 – 1803), der als Geheimer Obertribunalrat von Glogau nach Berlin berufen worden ist. Mit dessen Tochter, seiner Cousine Wilhelmine Konstantine „Minna“ Doerffer (1775 – 1853) hatte er sich noch in Glogau verlobt. An Hippel schreibt er:

Damit Du mich in Berlin gleich auffindest, so sage ich Dir, daß ich in die Leipziger Straße zwischen der MarkGrafen und Jerusalemer Straße im Brandtschen Hause bei meinem Onkel wohne. Das Brandtsche Haus ist dem allgemein bekannten gr0ßen Henchelainschen Hause gegenüber, (…) ich wohne eine Treppe hoch in der bel étage.
Zitiert aus: Marie Haller-Nevermann: Mehr ein Weltteil als eine Stadt, Verlag Galiani Berlin, 1. Auflage 2018, ISBN 978-3-86971-113-3, Seite 353.

Damit haben wir die ersten zwei Wohnorte Hoffmanns in Berlin. Heute können wir uns in den beiden Straßen, die noch so heißen, diese Stellen nur noch theoretisch in Erinnerung rufen.

Hoffmann kommt in einer Zeit nach Berlin, wo in der Stadt ein reges geistiges Leben, vor allem in den Salons, herrscht. Er genießt das pulsierende Leben der Stadt, deren Kunstangebote, besucht Kunstausstellungen ebenso wie Konzerte, Theater- und Opernaufführungen. Auf literarischem Gebiet ist er in dieser Zeit noch nicht tätig. Sein Interesse gilt der Musik und bildenden Kunst. Er nimmt Unterricht in Komposition bei Johann Friedrich Reichardt (1752 – 1814), der wie er selbst aus Königsberg stammt. Er ist an allem sehr interessiert und schwärmt enthusiastisch von dieser Entwicklung. An Freund Hippel, den er dazu animieren will, auch nach Berlin zu kommen, schreibt er zum Beispiel am 24. Januar 1799:

Das wichtigste, was ich dir zu sagen habe, ist, daß ich dich beschwöre, […] nach Berlin zu kommen. […] Berlin würde dir so manches neue darbieten. Wenigstens ist es, ganz ohne Vorurteil gesprochen, ein Ort, der gerade für uns äußerst interessant ist. In den schönen Künsten ist man hier wirklich sehr weit, der gute gebildete Geschmack zeigt sich in den öffentlichen Vergnügungen. Du kannst dir z. B. keine Vorstellung von der großen italienischen Oper machen. – Der Zauber der Meisterstücke, – die himmlische Musik, – alles vereinigt sich zu einem schönen Ganzen, das auf dich gewiß seine Wirkung nicht verfehlen würde.
Zitiert aus: Hitzig: a. a. O., Seite 157/158

Ende 1798 beginnt er sein Singspiel „Die Maske“ zu komponieren, das er im März 1799 vollendet. Er schickt die dreibändige Partitur, die er selbst mit Sepiazeichnungen ausstattet, mit einem Brief an die Königin Luise. Vom Hof erhält er nur den Rat, sich damit an den Direktor des Königlichen Nationaltheaters, August Wilhelm Iffland (1759 – 1814) zu wenden. Hoffmann schickt die Partitur mit einem Brief am 4. Januar 1800 an Iffland, der jedoch das Werk nicht zur Aufführung annimmt beziehungsweise sich nicht einmal dazu äußert. Text und Partitur des Werkes befinden sich heute im Hoffmann-Archiv in der Staatsbibliothek zu Berlin.

Während seines Berlin-Aufenthaltes vergißt er indes nicht, sich weiter auf sein drittes juristisches Examen vorzubereiten, das er am 27. März 1800 wiederum mit Auszeichnung besteht. Seine Hoffnung allerdings, in Berlin bleiben zu können, erfüllt sich nicht. Er wird im Mai zum Assessor beim Obergericht in Posen ernannt. Im Frühsommer unternimmt er noch mit Hippel eine Fahrt nach Potsdam, Leipzig und Dresden, ehe er in Posen eintrifft. Seine Verlobte verbleibt in Berlin.

Zweiter Aufenthalt in Berlin von 1807 bis 1808

Hoffmann, der durch die Auflösung der Regierung in Warschau nach dem Einmarsch der napoleonischen Truppen stellungslos wird – er weigert sich, eine Huldigungserklärung an Napoleon zu unterschreiben – bringt seine Frau und Tochter zu deren Verwandten in Posen und geht dann, da er für Wien, wo er zunächst hin will, kein Visum erhält, nach Berlin, wo er sich auch etwas Hilfe von seinem Freund Hitzig erwartet.

In der preußischen Hauptstadt triff er am 18. Juni 1807 ein. Hier steigt er im Hotel „Goldener Adler“ am Dönhoffplatz ab.  Gleich an seinem Ankunftstag wird im Hotelzimmer eingebrochen und ihm sein ganzes Geld gestohlen. Er wohnt dann zunächst in der Charlottenstraße 42 und zieht wenig später in die Friedrichstraße 179, Ecke Taubenstraße. Da haben wir wieder Wohnsitze von ihm, die wir heute im Original nicht mehr finden können.

In dieser relativ kurzen Berliner Zeit mißlingt ihm fast alles. Seine Hoffnung, wieder in den Staatsdienst eingestellt zu werden, zerschlägt sich. Er versucht, seine Kompositionen und Zeichnungen zu verkaufen, was aber ebenfalls erfolglos bleibt. Auch der Versuch, eine Zusammenarbeit mit Iffland, dem Direktor des Nationaltheaters, zustande zu bringen, eventuell als Bühnenmusiker zu arbeiten, scheitert. Iffland lehnt ab. Immerhin lernt er in dieser Zeit durch Hitzigs Vermittlung einige der bekannten Berliner Persönlichkeiten kennen, darunter Karl Friedrich Zelter (1758 – 1832), den Leiter der Berliner Singakademie, den Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamisso (1781 – 1838), den Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814), den Schriftsteller und Publizisten Karl August Varnhagen van Ense (1785 – 1858) und den Theologen Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768 – 1834). Er lernt sie kennen, aber davon, daß er mit ihnen in engerem Verkehr gestanden hätte, ist nichts bekannt. Erst später ist er mit einigen von ihnen auch befreundet. Allerdings kann oder will wohl keiner von ihnen Hoffmann aus seinen Nöten helfen, wobei sicher die allgemeine Not in Berlin nach der Niederlage Preußens gegen Napoleon auch eine wesentliche Rolle spielt. So wird dieser zweite Berlin-Aufenthalt, dieses eine Jahr zu dem wohl bittersten seines Lebens, mühsam schlägt er sich durch, muß oft sogar hungern. In Briefen an Hippel und auch Hitzig schreibt er von seiner Misere, so zum Beispiel, daß er tagelang nichts als ein wenig Brot zu essen hatte. Zu all seiner Not kommt hinzu, daß er die traurige Nachricht vom Tod seiner zweijährigen Tochter und einer schweren Erkrankung seiner Frau erhält. In einem Brief an den Freund Hitzig vom 22. August 1807 schreibt Hoffmann:

Sie fanden mich bei Ihrem letzten Hiersein in einer etwas fatalen Stimmung, – indessen müssen Sie diese dem äußersten Druck der Umstände zuschreiben, – ich bin in einer Lage, über die ich selbst erschrecke, und die heutigen Nachrichten aus Posen sind nicht von der Art, mich zu trösten. – Meine liebe kleine Cecilia ist gestorben, und meine Frau ist dem Tode nahe! – Aus einem dumpfen Hinbrüten bin ich denn nun wieder so weit erwacht, um daran denken zu können, was ich tun muß, um nicht in bona pace zu verderben; – am liebsten wünschte ich ein Unterkommen als Musikdirektor bei irgendeinem Theater, und da wäre es wohl auch ersprießlich, mich im Reichs-Anzeiger anzubieten, […]
Zitiert aus: Hitzig: a. a. O., Seite 234.

E. T. A. Hoffmann - 1809-02-15 - Ritter Gluck in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung
Erstveröffentlichung des „Ritter Gluck“ von E. T. A. Hoffmann in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung vom 15. Februar 1809.
Quelle: Allgemeine Musikalische Zeitung, Verlag Breitkopf & Härtel, Leipzig, 11. Jahrgang, Ausgabe 20 vom 15. Februar 1809 – Digitalisiert durch die Bayerische Staatsbibliothek.
Lizenz: NoC-NC/1.0.

Die entsprechende Annonce Hoffmanns erscheint im „Allgemeinen Reichs-Anzeiger“ und daraufhin erhält er die Berufung als Kapellmeister und Komponist an das Theater in Bamberg zum 1. September 1808. Die Verhandlungen dazu mit dem Direktor des Theaters, Reichsgraf Friedrich Julius von Soden (1754 – 1831) führten jedoch erst im April 1808 zum Erfolg. Hoffmann ist nunmehr froh, Berlin verlassen zu können, wo ihm alle Hoffnungen, die er bei seiner Ankunft im Jahr zuvor hatte, zunichte wurden. Am 9. Juni 1808 reist er von Berlin ab. Er fährt zunächst nach Glogau und besucht seinen alten Freund Johannes Hampe. In dieser Zeit sind wohl schon erste Ideen zu der Erzählung „Ritter Gluck“ entstanden. Bei Günter de Bruyn heißt es dazu:

Ein Dichter ist er noch immer nicht, aber seine erste Erzählung, die Erlebnisse dieses (in der Friedrichstraße 179, Ecke Taubenstraße verbrachten) Jahres verwertet, hat er schon im Kopf und wird sie bald niederschreiben, die Geschichte eines im Nachkriegs-Berlin elend, separiert und verkannt lebenden Künstlers: den „Ritter Gluck“.
In: Günter de Bruyn: E. T. A. Hoffmann – Gespenster in der Friedrichstadt, Buchverlag Der Morgen Berlin, 1. Auflage, 1986, Seite 279.

Und in einer anderen Quelle heißt es sogar:

In Glogau ist auch – noch ganz unter dem Eindruck der Berliner Erlebnisse – der „Ritter Gluck“ konzipiert, vielleicht schon zu Papier gebracht worden.
In: E. T. A. Hoffmann, Leben und Werk in Briefen, Selbstzeugnissen und Zeitdokumenten, Herausgegeben von Klaus Günzel, 1. Auflage, Verlag der Nation, Berlin, 1976, Seite 134.

Beide Varianten sind durchaus möglich. Real ist jedoch, daß der „Ritter Gluck“ 1809 von Bamberg aus in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung in Leipzig erstmalig erscheint.

Hoffmann holt dann Ende August 1808 seine Frau in Posen ab und das Ehepaar reist nach Bamberg, wo es am 1. September 1808 ankommt.

Dritter Aufenthalt in Berlin von 1814 bis 1822

Am 26. September 1814 kommen E. T. A. Hoffmann und seine Frau Mischa in Berlin an. Hier bleibt er nunmehr bis zu seinem Tode 1822 wohnen. Zunächst nimmt das Ehepaar, wie schon Hoffmann im Jahre 1807, im Hotel „Goldener Adler“ in der Jerusalemer Straße 36-37, Ecke Leipziger Straße 50 am Dönhoffplatz Quartier. Der Wirt Mathieu wird von Hoffmann später in seiner Erzählung „Die Abenteuer der Sylvester-Nacht“ als guter Freund bezeichnet. Hier wohnen die Hoffmanns nur eine kurze Zeit und ziehen dann Anfang Oktober in die Französische Straße 28 in eine Wohnung im zweiten Stock. Allerdings wohnen sie auch hier nur ein knappes Jahr und ziehen dann im Juni 1815 in eine größere Wohnung in der Taubenstraße 31, Ecke Charlottenstraße, gleich in unmittelbarer Nähe zum Gendarmenmarkt, wo sie bis zum Lebensende Hoffmanns 1822 leben. Diese Wohnung erlangt durch die Erzählung „Des Vetters Eckfenster“, Hoffmanns letzte Berlin-Erzählung, später Berühmtheit. Diese Quartiere sind alle nicht mehr in der damaligen Form erhalten.

Schon am 27. September lädt sein Freund Hitzig zu Ehren Hoffmanns zu einem Empfang ins Café Manderlee ein. Das Café befindet sich in der Straße Unter den Linden 45, wird aber schon Mitte des 19. Jahrhunderts geschlossen. Hitzig, der, wie auch Hoffmann, in Warschau tätig war, geht nach der französischen Besetzung nach Berlin zurück, wo er eine Buchhandlung eröffnet. Nicht zuletzt dadurch ist er bekannt mit einigen der geistreichsten Männer dieser Zeit, die Hoffmann bei dem Empfang persönlich kennen lernt. Dazu schreibt er am 28. September an seinen Verleger Carl Friedrich Kunz in Bamberg:

Gestern hatte ich eines der interessantesten Diners, die ich erlebt. Ludwig Tieck, Fouqué, Franz Horn, Chamisso, Bernhardi, der Professor Moretto, der Maler Veit, Hitzig und ich; […]

Fünf Tage vorher war Iffland verstorben und so drehte sich das Gespräch bei dem genannten Empfang auch um dessen Tod und vor allem um den Nachfolger als Direktor des Nationaltheaters, Graf Brühl. Dazu in oben genanntem Brief weiter:

Daß Iffland tot und begraben ist, wissen Sie längst. Der Graf Brühl, ein herrlicher, wahrhaft nach unserer Weise gesinnter Mann, wird Intendant des Theaters, und in diesem steht eine gr0ße Revolution bevor, an der ich teilnehme, wenigstens mittelbar.
Zitiert aus: E. T. A. Hoffmann, Leben und Werk in Briefen, Selbstzeugnissen und Zeitdokumenten, a. a. O., Seite 296/297

Hoffmann knüpft also große Erwartungen an den neuen Intendanten, dem er seine Oper „Undine“ mit der Bitte um Aufführung anbietet, was auch geschieht. Das Werk wird am 3. August 1816 mit großem Erfolg uraufgeführt. Dazu weiter unten.

E. T. A. Hoffmann - 1819 - Selbstporträt
Selbstportrait E. T. A. Hoffmanns als Frontispiz zu seinen „Fantasiestücken in Callot’s Manier“, 1819.
Quelle: E. T. A. Hoffmann: Fantasiestücke in Callot’s Manier, , Zweite, durchgesehene Auflage in zwei Theilen, Band 1, C. F. Kunz, Bamberg, 1819.
Lizenz: gemeinfrei, da urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen.

Hoffmann kommt also zum dritten Male und nun endgültig nach Berlin. Er ist inzwischen literarisch kein Unbekannter mehr. Die ersten beiden Teile seiner „Fantasiestücke in Callots Manier“ – einzelne Erzählungen davon sind schon in Zeitschriften, vor allem der AMZ, veröffentlicht – sind in Buchform bei seinem Verleger Kunz in Bamberg erschienen. Sie enthalten seine Arbeiten in Bamberg sowie auch in Dresden und Leipzig. In späteren Ausgaben kommen noch Erzählungen, die in Berlin nach 1814 entstehen, hinzu. Bei diesen Stücken handelt es sich sowohl um autobiographische als auch musiktheoretische Abhandlungen beziehungsweise Aufsätze sowie auch märchenhafte Beiträge. Dazu gehören auch die Berlin-Erzählungen „Ritter Gluck“ und „Die Abenteuer der Sylvester-Nacht“.

Mit diesen Veröffentlichungen ist er also schon ein viel beachteter Schriftsteller auch in Berlin. Das erleichtert ihm sichtlich sein schnelles Bekanntwerden mit den namhaften geistigen Größen der Stadt, zu denen neben den von ihm in oben genannten Brief Erwähnten auch Clemens Brentano und Achim von Arnim gehören. Mit einigen von ihnen verkehrt er die folgenden Jahre besonders freundschaftlich. Neben seinem alten Freund Hitzig sind das vor allem die Dichter Adelbert von Chamisso und Karl Wilhelm Salice-Contessa sowie Johann Ferdinand Koreff, der Leibarzt Hardenbergs. Sie bezeichnen ihren Freundeskreis, der meist wöchentlich – anfangs im Café Manderlee, später, nach längerer Unterbrechung, in Hoffmanns Wohnung – zusammenkommt, als „Serapionsbrüder“. An den Zusammenkünften nehmen hin und wieder auch weitere gern gesehene Gäste, wie zum Beispiel Fouqué, teil. Es ist dies ein Kreis, der nicht ein gemeinsames literarisches Programm verfolgt. Lieber diskutiert man, liest sich gegenseitig eigene Dichtungen vor und pflegt die Geselligkeit. Unter dem Titel „Die Serapionsbrüder – Gesammelte Erzählungen und Märchen“ erscheinen dann im Zeitraum von 1819 bis 1821 vier Bände. Darin enthalten sind auch die Berlin-Erzählungen „Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde“ und „Die Brautwahl“.

E. T. A. Hoffmann & Ludwig Devrient in "Die Gartenlaube" 1856
E. T. A. Hoffmann und Ludwig Devrient – eine Abbildung aus der Zeitschrift „Die Gartenlaube“ im Jahre 1856.
Quelle: Die Gartenlaube – Illustrirtes Familienblatt, Verlag von Ernst Keil, Leipzig, Nr. 49, 1856.
Lizenz: gemeinfrei, da urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen.

Immer wieder kann man in den unterschiedlichsten Quellen über unseren Dichter lesen, daß er dem Alkohol sehr zugesprochen hat, mit seinem Freund Ludwig Devrient (1784 – 1832) fast täglich im Weinkeller von Lutter & Wegner saß und trank. Der Ursprung dieser Auffassungen liegt wohl größtenteils schon bei seinem Freund Hitzig, der bereits kurze Zeit nach Hoffmanns Tod dessen Biographie schreibt und darin ähnlich argumentiert. Da scheint aber auch eine gewisse Eifersucht auf den anderen Freund eine Rolle zu spielen, und auch, daß Hitzig Hoffmanns Lebensweise diesbezüglich nicht gut heißt. Ja, er ist mit dem berühmten Schauspieler Devrient, seit dieser 1815 eine Wohnung neben ihm im gleichen Haus bezieht, eng befreundet. Und seit dem soll er Hoffmanns „bevorzugter Trinkbruder“ sein, wie auch Marie Haller-Nevermann schreibt. Aber war das nun das Entscheidende dieser Freundschaft? Das scheint mir nicht das Wesentliche zu sein. Da trifft doch eher Theo Piana den Kern der Sache, wenn er meint, daß

diese Treffen, wenn auch bei gutem Wein, die einzige Aussprachemöglichkeit zweier verwandter Naturen [waren].
In: Theo Piana: E. T. A. Hoffmann – Ein Lebensbild, Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH. 1953, Seite 92.

Neben den bereits oben genannten Erzählungen beziehungsweise Buchausgaben entstehen in den Berliner Jahren von 1814 bis 1822 weitere und vor allem bedeutende Werke Hoffmanns. Darunter „Die Elixiere des Teufels“, „Lebensansichten des Katers Murr“, „Klein Zaches genannt Zinnober“, „Prinzessin Brambilla“, „Meister Floh“ und „Des Vetters Eckfenster“. Diese Jahre sind nicht nur literarisch die fruchtbarsten, sie begründen auch Hoffmanns Rang und Bedeutung in der Weltliteratur. Hoffmann ist nicht mit anderen Romantikern dieser Zeit gleichzusetzen. Er ist ein bedeutender, realistischer Schriftsteller. Viele seiner Zeitgenossen haben das nicht erkannt, wenngleich er viel gelesen wurde. Einzig Heinrich Heine wies, indem er Hoffmann mit Novalis in seiner Schrift „Die romantische Schule“ vergleicht, darauf hin. Es heißt dort:

Bei uns in Deutschland ist jetzt Hoffmann keineswegs in vogue, aber er war es früher. In seiner Periode wurde er viel gelesen, aber nur von Menschen, deren Nerven zu stark oder zu schwach waren, als daß sie von gelinden Akkorden affiziert werden konnten. Die eigentlichen geistreichen und die poetischen Naturen wollten nichts von ihm wissen. Diesen war der Novalis viel lieber. Aber, ehrlich gestanden, Hoffmann war als Dichter viel bedeutender als Novalis. Denn letzterer, mit seinen idealischen Gebilden, schwebt immer in der blauen Luft, während Hoffmann, mit allen seinen bizarren Fratzen, sich doch immer an der irdischen Realität festklammert.
In: Heinrich Heine, Werke und Briefe, Band 5, Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 2. Auflage, 1972, Seite 97.

Heine weist auch darauf hin, daß Hoffmann in Frankreich eine große Reputation erlangt hat und, wie ich aus einigen Quellen erfahre, von Dichtern wie Honoré de Balzac, Alfred de Musset, Theophile Gautier, Charles Baudelaire und George Sand verehrt und hoch geschätzt wurde.

Abschließend zu Hoffmanns literarischer Bedeutung sei noch Gabrielle Wittkop-Ménardeau zitiert, die schreibt:

Es kommt auch vor, daß der Künstler zu Lebzeiten aus kindlicher Verschmitztheit, aus Sarkasmus oder auch bloß aus morbider Neugier, zu sehen, wie weit Dummheit gehen kann, den Bürgerschreck zu spielen versucht. Die von Hoffmann selbst angezettelten Mystifikationen haben schließlich zum Gedudel Offenbachs und zum Technikolor-Film geführt. Die Sache nahm Dimensionen an, die der Dichter nicht voraussehen konnte.

Und weiter unten:

Noch schwerer wiegt aber: Leute die sich seines literarischen Wertes durchaus bewußt sind, können doch manchmal Mühe haben, ein unbewußtes Vorurteil zu überwinden, denn unwillkürlich lassen sie sich kurze Augenblicke lang von einem Schlackendepot beeinflussen, dessen Aberwitz sie zwar durchschauen, das aber trotzdem den Blick auf das in mehr als einer Hinsicht außerordentliche künstlerische Opus trübt. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, weswegen manche deutsche Literaturkenner in E. T. A. Hoffmann einen nur zweitrangigen Dichter sehen, während er in Wirklichkeit ein blendender Neuerer gewesen ist.

Zu seinem Verständnis ist es unerläßlich, sein Werk in seiner Gesamtheit zu lesen, die Abfälle mit dem gleichen Interesse wie die Perlen zu betrachten, und sich nicht von einer präfabrizierten Auswahl verlocken zu lassen, die meist in der Absicht getroffen worden ist, dem Publikumsgeschmack entgegen zu kommen und die Legende zu stützen oder aufzufrischen.
In: Gabrielle Wittkop-Ménardeau: E. T. A. Hoffmann mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt von Gabrielle Wittkop-Ménardeau, Rohwohlt Taschenbuchverlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, Februar, 1966; ISBN 3-499-50113-9.

Das wurde 1966 geschrieben, aber man fragt sich, ob sich daran bis heute viel geändert hat. Da folge ich Marie Haller-Nevermann, die diese Frage verneint. Sie schreibt:

E. T. A. Hoffmann ist mittlerweile längst zu einem der ersten Erfolgsautoren der Weltliteratur geworden. Ein Kuriosum hierbei ist, daß die Weltgeltung Hoffmanns die seiner Bedeutung in Deutschland selbst weit überragt. Hier gilt er als Autor absonderlicher, skurriler Geschichten; in der Werteskala wird ihm aber nicht unbedingt der ihm gebührende Rang eines gr0ßen Autors zugestanden. Das ist er aber, er gehört zu den weltweit wirksamsten deutschen Autoren. Kaum ein Autor hat die Weltliteraturgeschichte so beeinflusst wie E. T. A. Hoffmann, […]
In: Marie Haller-Nevermann, a. a. O., Seite 377.

Karl Friedrich Schinkels Entwurf der 7. Dekoration (Dichter Wald mit Brücke) für die Oper "Undine"
Karl Friedrich Schinkels Entwurf zur 7. Dekoration (Dichter Wald mit Brücke über einen Bach) für die Oper „Undine“ von E. T. A. Hoffmann.
Quelle: Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz – SMB-digital, Kupferstichkabinett,
Foto: Kupferstichkabinett,
Bearbeitet: Alexander Glintschert
Creative Commons Lizenzvertrag

Kehren wir nochmals kurz zum Komponisten Hoffmann zurück. Wie schon erwähnt, wird seine Oper „Undine“ am 3. August 1816 mit großem Erfolg uraufgeführt. Das Libretto ist von Friedrich de la Motte Fouqué, die Bühnenbilder stammen von Karl Friedrich Schinkel (1781-1841), den Hoffmann sehr schätzt und den er dafür gewinnen kann. Einige Entwürfe dazu sollen von Hoffmann selbst stammen. Den Prolog spricht der großartige Schauspieler und Freund Hoffmanns, Ludwig Devrient. Es ist ein großes Theaterereignis in Berlin und Hoffmann ist sehr stolz darauf. Klaus P. Mader bemerkt dazu:

Sein künstlerisches Ich erhielt durch die Aufführung der dreiaktigen Zauberoper „Undine“ am 3. August 1816 im Königlichen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, zu der er die Musik und Fouqué den Text geschrieben hatten, Genugtuung und neuen Auftrieb.
In: Klaus P. Mader: E. T. A. Hoffmann, Erinnerung an einen Bürger Berlins, In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Nr. 8 vom 1. Oktober 1972, Seite 208/209.

Carl Maria von Weber, der 1816 in Berlin ist und sich mit Hoffmann befreundet hat, schreibt in der AMZ vom 19. März 1817 eine sehr ausführliche Kritik, die voll des Lobes für die Hoffmannsche Musik ist. Darin übt der Autor anfangs eine leichte Kritik am Libretto von Fouqué und schreibt dann unter anderem:

Desto deutlicher und klarer in bestimmten Farben und Umrissen hat der Komponist die Oper ins Leben treten lassen. Sie ist wirklich ein Guß, und Ref. erinnert sich bei oftmaligen Anhören keiner einzigen Stelle, die ihn nur einen Augenblick dem magischen Bilderkreise, den der Tondichter in seiner Seele hervorrief, entrückt hätte.

Und am Schluß heißt es:

Möge H. Hoffmann der Welt bald wieder so etwas Gediegenes, als diese Oper ist, schenken, und sein vielseitiger Geist, der ihm als Schriftsteller in kurzer Zeit Ruhm verschaffte, und als Geschäftsmann (königl. preuss. Kammergerichtsrat in Berlin) die Achtung seiner Collegen sichert, auch in diesem Kunstzweige thätig wirken und schaffen.

Die Oper wird nach der Premiere noch dreiundzwanzig Mal aufgeführt (manche Quellen sprechen allerdings von nur 13 Aufführungen), was zu dieser Zeit durchaus ungewöhnlich ist. Die letzte Vorstellung geht am 27. Juli 1817 über die Bühne, da zwei Tage später, am 29. Juli 1817 das Schauspielhaus bis auf die Grundmauern abbrennt. Auch die Bühnenbilder Schinkels, alle Dekorationen werden mit vernichtet. Die jedoch heute noch vorhandenen Entwürfe, Szenenanweisungen und Rezensionstexte werden im Kupferstichkabinett Berlin und die gesamte Originalpartitur und Autographe zu „Undine“ in der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrt. Auch Hoffmanns Wohnung ist durch den Brand gefährdet, worüber er in einem Brief vom 15. Dezember 1817 an Hippel anschaulich berichtet.

Das Schauspielhaus wird danach unter Leitung Schinkels zwischen 1818 und 1821 in klassizistischem Stil neu aufgebaut. Im Februar 1821 findet ein Eröffnungsball in den Räumen des Hauses statt und am 26. Mai 1821 wird das Theater mit Goethes „Iphigenie auf Tauris“ eröffnet, nicht mit Webers „Freischütz“, wie es oft fälschlich genannt wird. Hoffmann verfolgt den Neubau mit Interesse und geht wohl davon aus, daß nach der Eröffnung auch seine „Undine“ wieder aufgeführt werden wird. Auch der Intendant Brühl geht zunächst von weiteren Vorstellungen aus, jedoch kommt es dazu nicht mehr. Im Mittelpunkt des Interesses steht nach seiner Uraufführung Webers „Freischütz“, was wohl auch ein Grund sein kann, daß die „Undine“ nicht mehr auf den Spielplan gelangt.

Über E. T. A. Hoffmann zu erzählen geht nicht, ohne auch über E. T. W. Hoffmann etwas zu sagen. Als „Amadeus“ ist er der Künstler, aber als „Wilhelm“ ist er der Jurist. Er kommt 1814 nach Berlin und erhält hier, wohl auch durch Fürsprache seines Freundes Hippel, wieder eine Anstellung im Justizministerium, allerdings für ein halbes Jahr ohne Bezahlung. Diese sechs Monate kann er überbrücken – er hat auch Einkünfte als Schriftsteller – und hat dann einen gesicherten Broterwerb, was ihm nach den entbehrungsreichen Jahren sehr entgegenkommt. Er wird dann am 22. April 1816 zum Kammergerichtsrat ernannt und als Mitglied des Kriminalsenats berufen. Er erhält ein Jahresgehalt von 1000 Reichstalern, das ab 1819 auf 1300 und 1820 auf 1600 Reichstaler erhöht wird. Hoffmann gilt als korrekt, umsichtig, fleißig und unbestechlich. Nicht zuletzt daher wird er 1819 in die „Immediat-Untersuchungskommission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe“ berufen.

Nach dem Wiener Kongress 1815 setzen auch in Preußen die restaurativen Tendenzen ein, um zu den alten absolutistischen Strukturen des 18. Jahrhunderts zurückzukehren. Das erzeugt den Unmut vieler Intellektueller und Studenten, der sich in den Jahren bis 1819 verstärkt äußert. Gegen alle diese liberalen und freiheitlichen Bestrebungen geht die Regierung Preußens verstärkt mit der sogenannten „Demagogenverfolgung“ vor. Zu diesem Zweck ist diese Kommission eingesetzt. In ihr als Mitglied nun zu wirken, ist für Hoffmann nicht einfach, es widerstrebt seinem Gerechtigkeitssinn, er fühlt sich stets dem geltenden Recht verpflichtet und wendet sich gegen jede Gesinnungsschnüffelei. An Freund Hippel schreibt er dazu am 24. Juni 1820:

[…] Gerade in jener Zeit wurde ich zum Mitkommissarius bei der zur Untersuchung der sogenannten demagogischen Umtriebe niedergesetzten Immediat-Kommission ernannt, und wie Du mich kennst, magst Du Dir wohl meine Stimmung denken, als sich vor meinen Augen ein ganzes Gewebe heilloser Willkür, frecher Nichtachtung aller Gesetze, persönlicher Animosität entwickelt!
Zitiert aus: E. T. A. Hoffmann, Leben und Werk in Briefen, Selbstzeugnissen und Zeitdokumenten, a. a. O., Seite 405

So lehnt er auch in mehreren Fällen solche willkürliche Verfolgung und gar Inhaftierung ab, was ihn in Konfrontation zu seinen Vorgesetzten bringt. Das betrifft vor allem den Innen-und Polizeiminister Friedrich von Schuckmann, den Justizminister Friedrich Leopold von Kircheisen und den Direktor im Polizeiministerium Karl Albert von Kamptz. In den meisten Quellen wird dazu gern das Beispiel des Prozesses gegen den als Turnvater bekannten Friedrich Ludwig Jahn (1778 – 1852) (den Hoffmann wohl persönlich gar nicht mag), genannt, in dem sich Hoffmann resolut gegen eine Verurteilung ausspricht, was in dem Falle durch Eingreifen des Königs jedoch nicht erfolgreich ist. Franz Fühmann nennt in seinem anläßlich des 200. Geburtstages Hoffmanns im Jahre 1976 gehaltenen Rundfunkvortrag dazu noch ein anderes Beispiel, wo Hoffmann erfolgreich solches Unrecht verhindert. Es handelt sich um Helmina von Chézy, freiwillige Krankenpflegerin, die sich über unglaubliche Mißstände in rheinischen Feldlazeretten während der antinapoleonischen Kriege mit einer Beschwerde an den General von Gneisenau wendet, der ihre Anschuldigungen prüfen läßt und sie auch für zutreffend befindet. Fühmann führt dazu weiter aus:

Und nun tritt ein, was in solchen Fällen nun einmal eintritt: Die Herren Militärs hängen der Frau prompt einen Prozeß wegen Beleidigung an, wegen Verleumdung, Ehrabschneidung, Nestbeschmutzung und so weiter – […]

Sie wird dann auch zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Daß sie nicht eingesperrt wird, hat sie Hoffmann zu verdanken, der ihre Berufung bearbeitet und einen Freispruch erreicht. Fühmann zitiert dann aus den Memoiren der Frau von Chézy wie folgt:

Durch die umsichtige Führung Hoffmanns behielt meine Rechtssache ihren festen Gang. Die Verhöre, welche ich zu bestehen hatte, wurden in einem rechtlichen Sinne geleitet. Die Protokolle, höchst geistreich aufgesetzt, sollten gedruckt werden, ich fürchte sie sind vernichtet. Hoffmann war ganz vom Ernst und der Würde seiner Mission durchdrungen. Eine unschuldig peinlich angeklagte unbescholtene Frau […] mußte aus einem höllischen Gewebe herausgezogen werden, um nicht durch Schmach und Gefängnis ihre Bestrebungen für eine gute heilige Sache zu zahlen.
Zitiert aus: Franz Fühmann: Essays, Gespräche, Aufsätze 1964 – 1981, VEB Hinstorff Verlag Rostock, 1.Auflage, 1983, Seite 242/243.

E. T. A. Hoffmann - 1822 - Akte zum Fall 'Meister Floh'
Akte der Ministerialuntersuchungskommission „Kammergerichtsrat Ernst Theodor Amadeus Hoffmann zu Berlin und die vom ihm herausgegebene Schrift ‚Meister Floh‘„.
Quelle: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Lizenz: gemeinfrei, da urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen.

Das zeigt die korrekte, auf Recht und Gesetz bestehende Arbeit des Richters Hoffmann. In diesem Zusammenhang weist Franz Fühmann darauf hin, daß Hoffmann sich den Erwartungen der Obrigkeit widersetzt, die erwartet, daß ungeachtet der Tatsachen ein vorgegebenes Urteil gefällt werden soll, was Hoffmann eben nicht tut, da er sich an die Gesetze hält. Und es heißt dann im Vergleich des Richters mit dem Schriftsteller Hoffmann:

[…] und da dieser Kammergerichtsrat Wilhelm auch der Schriftsteller Amadeus ist, porträtiert der in seiner neuesten Erzählung, dem „Meister Floh“, diesen Herrn von Kamptz als dümmlichen Polizeispitzel Knarrpanti, was leicht anagrammatisch verschlüsselt bedeuten soll: Narr Kamptz.
In: Franz Fühmann: a. a. O., Seite 245.

Nun glauben diese Vorgesetzten Hoffmanns endlich eine Handhabe zu haben, gegen ihn vorzugehen, was auch geschieht. Zunächst wird das Buch schon beschlagnahmt, ehe es erscheinen kann. Und obwohl er die betreffende Passage in einem Brief an den Verleger schon zurückzieht, wird ein Disziplinarverfahren wegen Verletzung der Amtsverschwiegenheit eingeleitet und strikt verfolgt. Der „Meister Floh“ darf dann ohne den betreffenden Teil noch erscheinen, vollständig jedoch erst nach 1908, als der Vorgang von der Forschung im Geheimen Preußischen Staatsarchiv entdeckt wird. Hoffmann wird dennoch angeklagt und seine Amtsenthebung angestrebt. Er muß sich verteidigen. Allerdings ist er schon schwer erkrankt, und so erfolgt die Vernehmung im Februar 1822 in seiner Wohnung. Seine Verteidigungsschrift kann er, da er schon gelähmt ist, nur noch diktieren. Aufgrund der schweren Erkrankung wird das Verfahren dann zunächst ausgesetzt. Gewißheit besteht jedoch darin, daß er bestraft worden wäre. Das verhindert jedoch sein früher Tod am 25. Juni 1822.

E. T. A. Hoffmann wird drei Tage später auf dem Kirchhof der Jerusalemgemeinde am Halleschen Tor beigesetzt.

E. T. A. Hoffmann - 1822 - Sterbematrikeleintrag
Eintrag für Ernst Theodor Amadeus Hoffmann in der Sterbematrikel der evangelischen Jerusalemgemeinde in Berlin.
Quelle: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.

Hoffmann setzt seine Frau im Testament als Erbin ein. Da er jedoch nur Schulden hinterläßt, verzichtet sie auf Anraten Hitzigs, den sie als Nachlaßverwalter einsetzt, auf alles Erbe und verläßt völlig mittellos im Juli 1822 Berlin, da Hoffmann auch versäumt hatte, sie in der Preußischen Witwenkasse zu versichern.

Ich möchte diesen Beitrag nicht beenden, ohne auch noch einmal Hoffmanns Ehefrau zu würdigen. In vielen Quellen wird sie nicht oder kaum erwähnt. Günter de Bruyn ist in seinem Nachwort zu „Gespenster in der Friedrichstadt“ sehr nachdrücklich darauf eingegangen, was hier nicht unerwähnt bleiben soll. Er schreibt unter anderem dazu:

Die Gattin des berühmten Dichters, die Frau Kammergerichtsrätin, teilt das Schicksal fast aller Frauen der Geschichte: für die Geschichtsschreibung ist sie so gut wie nicht existent.

Und weiter dann in Bezug auf Hoffmanns Testament und seine Frau:

[…] am 1. Juli unterschreibt die Witwe die Verzichtserklärung, hilft bei der Inventarisierung des zur Versteigerung kommenden Besitzes und reist so schnell sie kann, ohne jedes Gepäck, völlig mittellos, nach Posen zu ihrer alten Mutter ab. Eine einmalige Unterstützung für sie weist der Polizei- und Innenminister Schuckmann, der Hoffmann über den Tod hinaus noch mit Haß verfolgt und ihn einen Aussätzigen, einen Wüstling, einen Beschützer der Demagogen nennt, entschieden ab. Hitzig läßt der Witwe die Einkünfte aus seiner Hoffmann-Biographie und aus Nachdrucken Hoffmannscher Werke zukommen, und die Dankbriefe, die sie schreibt, zeugen nicht nur von ihrer Ungeübtheit beim Schreiben des Deutschen, sondern auch von ihrer Sprachlosigkeit. Unter armseligsten Umständen lebt sie noch 37 Jahre bei armen Verwandten, bis sie 1859 im schlesischen Warmbrunn stirbt.
In: Günter de Bruyn: a. a. O., Seite 288-290.

Bei aller Verehrung für E. T. A. Hoffmann kommt man doch nicht umhin festzustellen, daß er sträflich nachlässig beziehungsweise zumindest sehr mangelhaft fürsorglich hinsichtlich seiner Frau gehandelt hat, was eigentlich nicht zu entschuldigen ist. Da half es ihr auch gar nicht, daß er im Testament sehr schöne Worte zu ihrer beider Ehe fand, die glücklich gewesen und daß „einer immer des anderen Stütze gewesen“ sei. Nach seinem Tode stellt sich heraus, daß sie jeglicher Stütze entbehren muß. Diese Thekla Michaeline Rorer-Trzcinska, zwanzig Jahre sorgende und besorgte Ehefrau Hoffmanns, verdient unbedingt auch, daß man ihrer gedenkt.

Danksagung

Für die Unterstützung bei der Recherche zu dieser Artikelserie über E. T. A. Hoffmann bedanke ich mich ganz herzlich bei Herrn Martin Mende von der Bibliothek des Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1865.


Das Banner auf dieser Seite zeigt Porträts von E. T. A. Hoffmann.
Bearbeitet: Alexander Glintschert
Creative Commons Lizenzvertrag

unter Verwendung von:
E. T. A. Hoffmann – Porträt von Ernst Ludwig Riepenhausen:
Künstler: Ernst Ludwig Riepenhausen (Radierung, Stecher)
Quelle: Göttinger Stammbuchblatt / Die Porträtsammlung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
Inventar-Nr.: I 6243
Creative Commons Lizenzvertrag
E. T. A. Hoffmann, Zeichnung von Ludwig Buchhorn nach einem verschollenen Selbstbildnis Hoffmanns.
Quelle: Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz – SMB-digital
Sammlung: Kupferstichkabinett, Ident.Nr.: SZ Buchhorn 39
Foto: Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Fotograf: Volker-H. Schneider (Atelier Schneider)
Creative Commons Lizenzvertrag

Seriennavigation<< E. T. A. Hoffmann: Auf dem Weg nach BerlinE. T. A. Hoffmann: Eine Spurensuche in Berlin >>

Creative Commons LizenzvertragDieser Text von Anderes.Berlin ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie ihn verbreiten und vervielfältigen.