Berlin ist grün. Das wird einem jeder Berliner bestätigen. Um dann vielleicht stolz darauf zu verweisen, daß Berlin zu den grünsten Städten der Welt gehört. Und hat man einen echten Lokalpatrioten vor sich, wird er sogar behaupten, Berlin sei überhaupt die grünste Stadt der Welt. Nun, das zu beweisen, überlasse ich gern anderen. Um jedoch selbst zu erleben, daß Berlin tatsächlich eine grüne Stadt ist, dafür ist nicht einmal eine Fahrt in die Randbezirke dieser großen Stadt erforderlich. Üppiges Grün anzutreffen und die Natur zu erleben, das ist auch in ihrem Zentrum möglich. Und wenn man sich die Zeit nimmt, genauer hinzuschauen, kann man dabei noch auf jede Menge Geschichte und Geschichten stoßen, die diese Stadt zu erzählen weiß. Begeben wir uns also auf eine Wanderung auf dem „Tiergartenweg“, dem Grünen Hauptweg mit der Nummer 19. Besonders schön ist das im Frühling, im schönen Monat Mai. Was gibt es da Besseres, als die Wohnung zu verlassen und rauszugehen ins Freie, wo die Sonne scheint und der Wind einem um die Nase weht…
Wegabschnitte
- 1 Die Wegstrecke
- 2 In den Tiergarten
- 3 Wo einst Charlottenburg begann
- 4 Berliner Porzellangeschichte
- 5 Hinein ins alte Hansaviertel
- 6 Die Revolutionärin
- 7 Die Dichterin aus der Bukowina
- 8 Vom neuen Hansaviertel
- 9 Von den einstigen Bewohnern des Hansaviertels
- 10 Von Brücke zu Brücke
- 11 Geschichte am Fluß
- 12 Wo das Staatsoberhaupt residiert
- 13 Zelte im Tiergarten
- 14 Ins Regierungsviertel
- 15 Zum Nachwandern
Die Wegstrecke
ca. 5,3 Kilometer – inklusive Nebenstrecke ca. 6,2 Kilometer
In den Tiergarten
Ein Bus der Linie 200 bringt uns zur Corneliusbrücke. Wir steigen aus und schauen uns um. Recht schnell ist es am Pfahl eines Verkehrsschildes zu entdecken – das Zeichen, das den Grünen Hauptweg Nummer 19 markiert: ein blauer Querbalken mit einer weißen 19 im Zentrum. Es wird uns auf unserer Wanderung leiten.
Bevor wir loslaufen, schauen wir uns noch kurz um. Besonders spektakulär ist die Corneliusbrücke nicht gerade. Eine Straßenbrücke eben, die über den Landwehrkanal führt. Der hat seine Existenz einst als Entlastungskanal für den Schiffsverkehr auf der Spree begonnen. Erste Planungen dafür gab es bereits im frühen 19. Jahrhundert, als man überlegte, den alten Landwehrgraben auf seiner gesamten Länge schiffbar zu machen[1]Johann Jacob Helfft: Der Landwehr-Kanal bei Berlin, erbaut in den Jahren 1845-1850, In: Zeitschrift für Bauwesen, Verlag von Ernst & Korn, 2. Jahrgang, Hefte XI und XII vom 1. Dezember 1852, Seiten 481 ff.. Peter Joseph Lenné, dessen Namen man immer wieder begegnet, wenn man sich ein wenig mit der Geschichte Berliner Grünanlagen beschäftigt, griff diese Anfang der 1840er Jahre auf, als er für die städtebauliche Planung Berlins zuständig war. Wirklich gebaut wurde dann erst ab 1845. Fünf Jahre dauerten die Arbeiten, und als der Kanal 1850 schließlich eröffnet wurde, nahmen die Berliner davon kaum Notiz. Für sie lag er damals einfach zu weit entfernt vor der Stadt[2]Landwehrkanal, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 12. November 2022..
Von der Corneliusbrücke führt uns der Weg am Ufer des Landwehrkanals die Corneliusstraße entlang in Richtung Westen. Wir sind noch gar nicht weit gekommen, da können wir auf der gegenüberliegenden Straßenseite hinter einem Zaun ein kleines Bauwerk entdecken, dessen Anblick in unseren Breiten keineswegs alltäglich ist. Es ist ein kleiner sechseckiger Pavillon, dessen Herkunft aus dem asiatischen Kulturkreis schon allein wegen der charakteristisch geschwungenen Form seines Daches nicht zu verkennen ist. Dieser „Pavillon der Einheit“ ist einem ebensolchen, in der Gartenanlage des Königspalastes Changdeokgung in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul gelegenen und als Pavillon Sangnyangjeong bezeichneten Bauwerk nachempfunden, das aus der Zeit der von 1392 bis 1910 herrschenden Joseon-Dynastie stammt. Die südkoreanische Regierung hatte ihn, sein Name deutet es bereits an, zum fünfundzwanzigsten Jahrestag der deutschen Einheit im November 2015 am Potsdamer Platz errichten lassen – der die einstige Teilung der Stadt vielleicht am deutlichsten symbolisierende Ort in Berlin. Dort sollte der Pavillon nicht nur das Jubiläum der deutschen Einigung feiern, sondern ebenfalls der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß die Welt gemeinsam auch die Wiedervereinigung der beiden koreanischen Staaten unterstützt.
Zu seiner Errichtung kamen eigens sechs Experten der im Kreis Hwacheon-gun in der südkoreanischen Provinz Gangwon-do gelegenen Hwacheon-Hanok-Schule nach Berlin, um mit dem Bau des Fundaments und der Säulen des Pavillons zu beginnen und diesen anschließend ganz dem dancheong, der traditionellen Kunst der Verzierung von Holzhäusern und Dachvorsprüngen, gemäß auszugestalten und mit einem ebenso traditionellen Ziegeldach, dem giwa, zu versehen. Nach seiner Fertigstellung fanden hier, organisiert vom südkoreanischen Kulturzentrum in Deutschland, zahlreiche Veranstaltungen wie Kalligrafiekurse und Verkostungen traditioneller Speisen und Tees statt, die den Einheimischen die koreanischen Traditionen näherbringen sollten. Mit der Stadt Berlin hatte man dafür einen Nutzungsvertrag für das entsprechende Grundstück abgeschlossen. Als dieser jedoch sechs Jahre später auslief, kam es – aus welchem Grund auch immer – nicht zu einer Verlängerung. Stattdessen wurde der Pavillon abgebaut und hierher verlegt – in den Hinterhof der südkoreanischen Botschaft. Sein ehemaliger Standort am Potsdamer Platz ist bis zum heutigen Tag leer[3]Wi Tack-whan & Sohn JiAe: Korean hopes for unification marked in Berlin, Artikel vom 26. November 2015 auf der Website Korea.net – The official website of the Republic of Korea, abgerufen am 8. November 2022.[4]Pavillon der Einheit in Berlin verlegt, Artikel vom 15. Februar 2021 auf der Website von KBS WORLD Radio, abgerufen am 8. November 2022..
Wir gehen weiter die Corneliusstraße entlang, bis diese an der nächsten Querstraße auch schon wieder endet und als Drakestraße weiterführt, benannt nach dem deutschen Bildhauer Friedrich Drake, dessen bekanntestes Berliner Werk die Viktoria auf der Siegessäule ist. Die befindet sich gar nicht weit von hier am Großen Stern. An der hiesigen Straßenecke steht das Gebäude der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, das für eine Weile das letzte Haus am Weg ist, der jetzt in den Berliner Tiergarten hineinführt.
Rechts begleitet uns zunächst ein Zaun aus engstehenden Metallstangen, eine jede gekrönt von einer kegelförmigen Spitze. In ihrer Gesamtheit dürften diese Zaunspitzen sein Übersteigen zwar wohl nicht völlig unmöglich, jedoch zumindest ziemlich unangenehm gestalten. Dahinter scheint sich zunächst nur eine gewöhnliche Parkanlage zu befinden, doch schon bald kann man durch Zaun und Büsche Tiergehege erkennen. Es sind die ersten Ausläufer des Berliner Zoos, an denen wir nun entlangwandern. Eröffnet wurde er im Jahre 1844 und ist damit der älteste Zoo Deutschlands[5]Historie, Website des Berliner Zoologischen Gartens, abgerufen am 12. November 2022.. Der Zaun endet erst, als der am Ufer weiterführende Weg eine Brücke erreicht, die den Kanal überquert.
Dort angekommen, stellen wir fest, es sind zwei. Direkt nebeneinander. Wozu leistet man sich hier den Luxus gleich zweier Brücken? Die östliche trägt den Namen Liechtensteinbrücke und ehrt damit Martin Hinrich Lichtenstein, den Begründer und ersten Direktor des Berliner Zoos[6]Auf den Spuren der Vergangenheit, Website des Berliner Zoologischen Gartens, abgerufen am 12. November 2022., die westliche heißt Rosa-Luxemburg-Steg. Doch die Ehrung zweier Persönlichkeiten ist wohl kein hinreichender Grund, gleich zwei Brücken zu errichten, wo doch eine genügen sollte. Steigen wir also die nach oben führende steinerne Treppe hinauf. Nur eine der beiden Überführungen steht uns offen. Die andere, die Liechtensteinbrücke, grenzt derselbe Zaun ab, den wir schon von unten kennen. Hier oben ist er allerdings mit massiven metallischen Stachelkugeln bewehrt, als müsse er eine Festung schützen. Tatsächlich ist es aber wieder nur der Zoo, der über die Brücke das Kanalufer wechselt. Und damit nicht nur dessen Besucher hier über das Wasser gelangen können, steht für die Tiergartenspaziergänger eine zweite Brücke daneben. Früher führten beide Übergänge denselben Namen, doch 2012 benannte man den öffentlichen Teil in Rosa-Luxemburg-Steg um[7]Brücke wird nach Rosa Luxemburg benannt, In: Tagesspiegel vom 25. September 2012..
Wenn sich die Gelegenheit schon bietet, nutzen wir sie für einen Abstecher auf die andere Uferseite. Zum einen lohnt sich das, weil man von der Brücke einen schönen Blick über den in den Berliner Tiergarten hineinführenden Landwehrkanal hat. Zum anderen befindet sich auf der anderen Seite des Wasserlaufs, direkt neben der Brücke, ein Denkmal für Rosa Luxemburg. An dieser Stelle haben im Januar 1919 ihre Mörder die Leiche der Kommunistin und Vertreterin der europäischen Arbeiterbewegung ins Wasser geworfen[8]Susanne Kähler: Rosa-Luxemburg-Denkmal, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 12. November 2022..
Gußeiserne Großbuchstaben bilden den Namen Rosa Luxemburg und ragen schräg aus dem Boden auf, so daß sie, je nach Blickrichtung, dem Betrachter entgegenzuragen oder aber ins Wasser zu stürzen scheinen. An der rechten Seite ist eine Plakette eingelassen, die darauf hinweist, daß dieses Denkmal 1987 im „Kunstguß VEB Lauchhammerwerk“ in der DDR hergestellt wurde. Das dahinterliegende Ufergeländer wird im Gedenken an die Ermordete von Berlinern manchmal mit Nadelzweigen und Blumen umwunden. An einer gegenüberliegenden Mauer ist einer Gedenktafel zu entnehmen, daß dieses Denkmal Teil eines Mahnmals ist, dessen zweiter Teil sich nur ein Stück weiter nördlich auf der anderen Seite des Landwehrkanals am Neuen See im Berliner Tiergarten befindet. Er erinnert an Karl Liebknecht, der dort von denselben Tätern ermordet wurde, die auch Rosa Luxemburg umbrachten. Entworfen hat das Mahnmal das Architektenehepaar Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte, die auch für die beiden Brücken verantwortlich zeichnen[9]Rosa-Luxemburg-Denkmal, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 12. November 2022..
Über die Brücke gelangen wir wieder auf die andere Uferseite zurück, wo wir unsere Wanderung auf dem Grünen Hauptweg Nummer 19 fortsetzen. Dieser führt weiter am Landwehrkanal entlang, wo die Drakestraße, die nun schon seit einigen hundert Metern keine Straße mehr ist, auf das Tiergartenufer trifft. Auf dieser breiten Promenade herrscht an sonnigen Tagen stets ein reges Treiben. Spaziergänger, die sie müßig entlangbummeln und die Sonne genießen, dazwischen toben Kinder von links nach rechts und umgekehrt über den Weg. Fahrradfahrer versuchen, sich ihren Weg durch dieses Gewirr zu bahnen, und fahren in Schlangenlinien um die Fußgänger herum. Alle haben Zeit, und so regt sich auch niemand auf und jeder läßt jeden gewähren. Links glitzert die Wasseroberfläche des Kanals im Sonnenlicht, rechts wechseln Beete, Buschwerk, Bäume und sommers grüne, saftige Wiesen einander ab. Im Frühling ist ein solcher Bummel durch den Tiergarten besonders schön, wenn auf vielen der Wiesen ein Meer von Osterglocken zu wogen scheint, die ihre gelben und weißen Blüten der Sonne entgegenrecken.
Wenn man vom Tiergarten spricht, meint man eigentlich immer den Großen Tiergarten, eine Parkanlage im gleichnamigen Ortsteil Berlins, die mit ihren 2,1 Quadratkilometern Fläche ein riesiges Naherholungsgebiet mitten in der Stadt ist. Tatsächlich gibt es noch einen Kleinen Tiergarten, der sich im Stadtteil Moabit an der Straße Alt-Moabit befindet. Die Anfänge des Großen Tiergartens, der ältesten und bedeutendsten Parkanlage Berlins, liegen ein wenig im Dunkel der Geschichte verborgen. Oft ist zu lesen, daß sie bis ins Jahr 1527 zurückgehen, als man in der Nähe des Berliner Schlosses ein erstes Areal mit diesem Namen anlegte, das in der Folgezeit immer wieder in Richtung Westen und Norden vergrößert wurde, bis es das Gebiet des heutigen Parks mit einschloß. Eine schöne, einleuchtende Geschichte. Und leider eine falsche. Zwar stimmt es, daß der Kurprinz Joachim in diesem Jahr von der Stadt Cölln ein Gebiet zur Anlage eines Tiergartens erwarb, das in der Nähe des Schlosses gelegen war. Es hatte allerdings mit dem Areal des heutigen Parks nichts zu tun, und dieses ist auch nicht durch allmähliche Erweiterung und spätere Verkleinerung daraus hervorgegangen. Tatsächlich hatte Kurfürst Joachim I., der Vater des Kurprinzen, ebenfalls ein Areal erworben, das jedoch nicht nur ungleich größer, sondern überdies weitab von der damaligen Stadt gelegen war, in der Nähe der Schöneberger Grenze, wie es in den entsprechenden Überlieferungen heißt. 1530 ist das gewesen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die beiden Gebiete nichts miteinander zu tun hatten, denn es erscheint doch wenig glaubhaft, daß sich die kurprinzliche Anlage in der Nähe des Schlosses in nur drei Jahren über alle Äcker und Wiesen der Bürger bis weit vor die Stadt hin ausgedehnt haben konnte, damit sie vom Kurfürsten mit seinem Erwerb erweitert werden konnte. Nein, die Ursprünge des Tiergartens liegen nicht beim Berliner Stadtschloß, sondern etwa in der Gegend, in der er sich auch heute befindet[10]Clauswitz: Die Entstehung des Berliner Tiergartens, In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 38. Jahrgang, Heft 3 vom März 1921, Seiten 9 f. Der Name des Autors, im Artikel lediglich mit Cl. abgekürzt angegeben, wurde der Website des Vereins für die Geschichte Berlins entnommen, auf der dieser Artikel ebenfalls veröffentlicht wurde. Abgerufen am 12. November 2022.. Den Kurfürsten von Brandenburg diente sein Gelände damals als Jagdgebiet, und damit ihnen die zu diesem Zweck ausgesetzten Wildtiere nicht davonliefen, ließen sie den Tiergarten umzäunen. Mit dem Anwachsen der Stadt wurde er dann immer weiter verkleinert. Doch erst unter Friedrich dem Großen, der für die Jagd nichts übrig hatte, riß man auf seine Veranlassung hin die Zäune ein und legte unter der Leitung seines Haus- und Hofarchitekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff einen Lustpark für die Bevölkerung an, dem dann in den 1830er Jahren auch Peter Joseph Lenné seinen Stempel aufdrückte, als er den Großen Tiergarten neu gestaltete.
Der Zweite Weltkrieg ließ davon nicht viel übrig. Bilder jener Zeit zeigen den Tiergarten als Mondlandschaft. Was der Krieg an Bäumen noch übriggelassen hatte, fällten die Berliner in den kalten Wintern nach 1945, um das Holz als Brennmaterial zu verwenden. Um dem mangels Lebensmittel allgegenwärtigen Hunger zu begegnen, nutzte man das Areal, um Kartoffeln und Gemüse anzubauen. Als es dann einige Jahre nach dem Krieg langsam wieder aufwärts ging, stellte man schließlich auch den Tiergarten mit viel Engagement wieder her. Westdeutsche Städte übernahmen Patenschaften und spendeten Bäume, die teils über die Luftbrücke während der Berliner Blockade in die Stadt gebracht wurden, so daß der Große Tiergarten schon bald wieder die grünende und blühende Parklandschaft war, als die er sich heute präsentiert[11]Edelgard Richter: Der große Tiergarten in Berlin, Website berlin.de, Mai/Juni 2015, abgerufen am 12. November 2022.. In ihm haben auch zahlreiche Tierarten eine Heimstatt gefunden, und das nicht nur im Berliner Zoo. Die zahlreichen kleinen und großen Gewässer des Großen Tiergartens bieten Wasservögeln einen idealen Lebensraum. Man muß nicht einmal viel Geduld aufbringen, um ihnen zu begegnen und sie zu beobachten, denn sie sind an die Menschen im Park gewöhnt und alles andere als scheu. Mit etwas Glück trifft man im Frühling am Kanal auf eine Familie Kanadagänse. Die Kleinen lassen sich von den Passanten unter den wachsamen Augen von Mutter und Vater Gans bereitwillig füttern.
Schließlich teilt sich der Landwehrkanal in zwei Arme auf. Der linke führt direkt in die sogenannte Unterschleuse. Sie ist eine von zwei Schleusen, die der Kanal besitzt. Die zweite befindet sich an der Lohmühleninsel an seinem anderen Ende in Kreuzberg und heißt naheliegenderweise Oberschleuse. Beide Schleusen dienen der Regulierung der Wassertiefe des Kanals, die möglichst unabhängig vom Wasserstand der Spree sein soll. Der rechte Kanalarm, an dem der Weg nun weiterführt, dient als Flutgraben. Beide Arme umschließen eine Insel, an deren Anfang eine Brücke auf die andere Kanalseite führt. An dieser Brücke, direkt oberhalb der Schleuse, liegt eine beliebte Ausflugsgaststätte. Für eine Rast ist es aber noch zu früh, daher lassen wir den Schleusenkrug, wie das Lokal heißt, im wahrsten Sinne des Wortes links liegen und wandern weiter.
Bereits kurz vor dem Abzweig zum Schleusenkrug ist der Weg links und rechts plötzlich von Straßenlaternen gesäumt. Das ist an sich nichts besonderes, sind die Hauptwege im Großen Tiergarten doch alle mit derartigen, Licht verbreitenden Einrichtungen versehen. Diese hier sind jedoch ein wenig anders. Sie stehen nicht nur viel dichter beieinander, eine jede von ihnen ist auch noch ganz individuell und anders als die anderen Laternen. Und doch haben alle eines gemeinsam: sie sind samt und sonders Gaslaternen.
Der Grüne Hauptweg Nummer 19 führt uns mitten durch Berlins Gaslaternen-Freilichtmuseum. An jeder Leuchte war einst ein Schild angebracht, das ihre Herkunft erklärte, denn hier sind 90 Lampen aus fünfundzwanzig deutschen und elf europäischen Städten versammelt. Als das Museum 1978 begründet wurde, waren es noch 31[12]Gaslaternen-Freilichtmuseum Berlin, Website berlin.de, abgerufen am 12. November 2022.. Einige der Schilder sind noch vorhanden, viele fehlen jedoch. Auch die Lampen sind nicht mehr alle intakt. Glasscheiben sind zerbrochen, viele der kunstvollen Schmuckelemente beschädigt. Vandalismus, das heutige Äquivalent früherer Landplagen, hat hier sein zerstörerisches Werk verrichtet. Einige Laternen fehlen auch ganz. Sie wurden bereits abgebaut und im Deutschen Technikmuseum eingelagert. Im Jahre 2016 beabsichtigte man, die gesamte Lampensammlung eines Tages dort aufzubauen. Medienberichte vermeldeten das Jahresende als Start des Umzugs[13]Gaslaternen-Sammlung kommt ins Technikmuseum, 2. Juni 2016, Website des Senders RBB, Memento des originalen Artikels im Internet Archive, abgerufen am 12. November 2022.. Wie es scheint, hat man von dem Vorhaben jedoch wieder Abstand genommen, denn die Lampen stehen wie eh und je hier im Tiergarten. Offenbar hat man noch einmal nachgerechnet und bemerkt, daß die Kosten für ihren Transport und die anschließende Wiederaufstellung im Technikmuseum höher wären als die Restaurierung vor Ort im Tiergarten[14]Website des Gaslaternen-Freilichtmuseums Berlin, abgerufen am 12. November 2022.. Doch auch diese kommt, besieht man sich den Zustand der Ausstellungsstücke, nicht recht vorwärts. Ob die zerstörerischen Narrenhände schneller tätig sind, als es den Restauratoren möglich ist, die Schäden zu beseitigen, oder ob mittlerweile das dafür notwendige Geld gänzlich fehlt, bleibt dem Betrachter natürlich verborgen. Beim Bummel durch dieses Freilichtmuseum kommt man allerdings kaum umhin, sich dessen Umzug ins Technikmuseum zu wünschen, damit die wertvollen historischen Zeugnisse großstädtischer Lichtkultur endlich wirksam vor der endgültigen Zerstörung bewahrt werden können.
Kurz nachdem wir die Gaslaternen hinter uns gelassen haben, führt der Weg auf einen tunnelartigen Durchgang zu, der ihn das Viadukt der Berliner Stadtbahn passieren läßt. Über dieses beeindruckende Bauwerk aus gemauerten Bögen, den sogenannten Stadtbahnbögen, durchfahren Fern- und S-Bahn auf mehr als zwölf Kilometern Länge zwischen dem einst Schlesischer Bahnhof genannten Ostbahnhof und dem Bahnhof Charlottenburg die Berliner Innenstadt[15]Die Berliner Stadt-Eisenbahn, Teil 1, In: Zeitschrift für Bauwesen, Verlag von Ernst & Korn, 34. Jahrgang, Hefte I bis III, 1884, Spalten 1 ff.. 1882 wurde die Strecke eröffnet[16]Die Berliner Stadt-Eisenbahn, Teil 7, In: Zeitschrift für Bauwesen, Verlag von Ernst & Korn, 35. Jahrgang, Hefte X bis XII, 1885, Spalten 441 ff.. Sie ist auch heute noch eine der wichtigsten Verkehrsadern der Stadt. Bevor wir den Durchgang jedoch passieren, lohnt es sich, einmal kurz nach links vom Weg abzuweichen und zum Ufer des Flutgrabens hinabzugehen.
Dort, wo die Stadtbahn den Wasserarm überquert, sind die Brückenköpfe zu beiden seiner Seiten mit großen steinernen Wappen verziert. Bekränzt mit Eichenlaub und durch eine Bügelkrone mit aufgesetztem Kreuz nach oben hin abgeschlossen, fallen sie besonders durch das in ihrer Mitte prangende große W auf. Angesichts dessen, daß die preußische Königskrone tatsächlich dem im Wappen dargestellten Kopfschmuck glich[17]Jan Markert: „daß die Krone nur von Gott kommt“. Replikat der Königskrone Wilhelms I., 24. August 2017, Website der Otto-von-Bismarck-Stiftung, abgerufen am 13. November 2022., daß das Eichenlaub in der deutschen, also auch der preußischen Symbolsprache spätestens seit dem 19. Jahrhundert eine große Rolle spielte und daß zur Zeit der Eröffnung der Stadtbahn Wilhelm I. preußischer König und natürlich auch deutscher Kaiser war, dürfen wir mit Fug und Recht davon ausgehen, daß diese Wappendarstellung auf ihn Bezug nimmt.
Einen wirklichen Namen hat die steinerne Brücke nie erhalten. Gemeinhin wird sie als „Brücke über den Flutgraben“ oder aber „Brücke über den Schiffahrtskanal“[18]Diese Bezeichnung wird beispielsweise im zweiten Teil des Artikels über „Die Berliner Stadt-Eisenbahn“ in der Zeitschrift für Bauwesen verwendet. Siehe Die Berliner Stadt-Eisenbahn, Teil 2, In: Zeitschrift für Bauwesen, Verlag von Ernst & Korn, 34. Jahrgang, Hefte IV bis VI, 1884, Spalten 113 ff. bezeichnet.
Kehren wir zum Grünen Hauptweg Nummer 19 und zu dem tunnelartigen Durchgang zurück, durch den er das Viadukt der Stadtbahn passiert. Wenn wir, vor diesem stehend, nach oben schauen, können wir in der Mitte des Bogens, der den Weg überwölbt, ein kleines weißes Emailschild bemerken, auf dem in schwarzen Ziffern die Zahl 495 geschrieben steht. Sie weist uns darauf hin, daß wir gleich nicht einfach nur einen in das Viadukt eingelassenen Durchgang durchschreiten werden, sondern daß uns der Weg durch einen der insgesamt 731 Stadtbahnbögen führen wird, aus denen dieses zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung bestand[19]Petra Dönselmann im Sande: Berliner Stadtbahnbögen – Fotografien der Viaduktstrecke von Friedrichshain bis Charlottenburg, Blurb Inc., 2018, Seite 4.. Nicht alle davon sind heute noch vorhanden. Sie mußten im Laufe der Zeit vorgenommenen baulichen Veränderungen weichen.
Direkt hinter dem Viadukt erreichen wir einen Punkt, an dem wir eine Entscheidung treffen müssen. Wir können weiter dem Grünen Hauptweg Nummer 19 folgen, der hier das breite Tiergartenufer verläßt und sich nach rechts wendet, so daß er parallel zur Stadtbahn die Straße des 17. Juni überquert und auf deren anderer Straßenseite den S-Bahnhof Tiergarten erreicht. Dies ist die neue, gegenüber dem früheren Verlauf des Weges etwas verkürzte Strecke. Oder aber wir nehmen die alte, ursprüngliche Route, auf der wir zwar für eine Weile ohne das den Weg markierende Wanderzeichen auskommen müssen, dafür aber einige interessante Sehenswürdigkeiten zu sehen bekommen.
Wir wollen uns hier für den etwa einen Kilometer längeren, ursprünglichen Weg entscheiden. Wer die kürzere Alternative wählen möchte, kann bis zum S-Bahnhof Tiergarten gehen und dabei die beiden folgenden Abschnitte überspringen.
Wo einst Charlottenburg begann
Folgen wir also weiter dem Tiergartenufer. Auf der anderen Seite des Kanalarms, den der Weg immer noch begleitet, ist nun ein etwas merkwürdig anmutendes Bauwerk zu sehen – ein hoher, grauer Klotz, in den auf der einen Seite eine dicke, rosafarbene Röhre hinein- und aus dem sie auf der anderen Seite wieder herausführt. Hier wurden wissenschaftliche Versuche zu Strömungs- und Schiffstechnik durchgeführt, denn dieser Bau war die Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau Berlin, deren Anfänge bis ins Jahr 1884 zurückreichten. In diesem Jahr unterbreitete der Wasserbauingenieur und Professor an der Bauakademie, Julius Schlichting, erstmals den Vorschlag, auf der Schleuseninsel eine Strömungsrinne zu errichten, mittels derer wasserbauliche und schiffahrtstechnische Untersuchungen vorgenommen werden könnten. Doch wie das so oft mit großen Ideen ist, so scheiterte auch diese zunächst an den mit ihrer Realisierung verbundenen Kosten. Neun Jahre später – die Stadt wuchs beständig an und mit ihr auch das Wasserstraßennetz – griff das Ministerium der öffentlichen Arbeiten die Idee, eine hydrologische Versuchsanstalt zu errichten, jedoch wieder auf. Plante man zunächst, eine bereits bestehende, doch privat betriebene Rinne zu übernehmen und auszubauen, so mußte man nach dem Scheitern der entsprechenden Verhandlungen mit deren Eignern selbst zu Werke gehen. 1896 legte das Ministerium einen eigenen Entwurf für eine in Berlin zu errichtende „Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau“ vor. Weil sich nun aber in Danzig gerade eine Technische Hochschule in Bau befand, für die ebenfalls eine solche Anlage vorgesehen war, rief dieser Entwurf eine lebhafte Diskussion hervor. Sprachen zunächst wieder Kostengründe gegen das Berliner Projekt, so erübrigten sich diese schlagartig, als die Reichsmarine ihre Unterstützung zusagte und anbot, ein Viertel der Kosten sowohl für Errichtung als auch Unterhalt der neuen Anlage zu übernehmen, wenn sie diese dafür in jedem Jahr für drei Monate nutzen dürfte. Ein Angebot, das sich unmöglich ablehnen ließ.
Hatte man nun zunächst vorgehabt, die neue Versuchsanstalt auf einem Teil des Hippodrom genannten großen Reitplatzes im Tiergarten zu errichten, der sich auf der anderen Seite des Landwehrkanals, unserem Standort genau gegenüber, befand, so mußte dieser Plan schnell wieder aufgegeben werden. Der Kaiser hatte etwas dagegen. Keineswegs wollte Wilhelm II. die neu zu errichtende Versuchseinrichtung unmittelbar neben seinem Reitplatz haben, und schon gar nicht kam in Frage, diesen dafür auch noch zu verkleinern! Also ordnete er 1899 den Bau an einer anderen Stelle an, die er auch gleich festlegte: die Schleuseninsel. Daß diese zu jener Zeit für die Berliner ein beliebtes Ausflugsziel darstellte, spielte für den Monarchen keine Rolle. Regieren war damals recht einfach, wenn auch nicht zwangsläufig im Interesse der Bevölkerung. Nun, zumindest letzteres ist auch heute nicht immer anders.
Nachdem das preußische Abgeordnetenhaus ebenfalls seine Zustimmung gegeben hatte, wurde die Insel kurzerhand gesperrt und im Sommer 1901 mit dem Bau der neuen Anstalt begonnen. Zwei Jahre später war diese fertiggestellt und ging als dem Ministerium der öffentlichen Arbeiten direkt unterstellte „Königliche Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau“ sofort in Betrieb. Eine feierliche Einweihung gab es nicht. Ihre Besonderheit bestand darin, daß sie weltweit als einzige Anstalt keiner Hochschule angeschlossen war. Die Technischen Hochschule Charlottenburg, in deren Nachbarschaft sie sich befand, konnte sie allerdings mitnutzen. Jedoch gehörte die Lehre damit nicht zu den Aufgabenfeldern der Anstalt, so daß sie sich uneingeschränkt den ihr übertragenen öffentlichen Aufgaben des Wasserbaus widmen konnte. Daß infolge der Beteiligung der Reichsmarine neben dem Wasserbau auch der Schiffbau eine bedeutende Rolle in ihren Tätigkeitsfeldern spielte – nicht zuletzt für die Entwicklung von Kriegsschiffen -, hatte vielfältige interdisziplinäre Arbeit zur Folge. So entwickelte sich die Forschungsanstalt in kurzer Zeit zu einer der herausragendsten ihrer Art in der Welt.
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Monarchie in Deutschland änderte die Anstalt ihren Namen in „Preußische Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau“. In der Zeit der Weimarer Republik konnte sie ihre erfolgreiche Tätigkeit fortsetzen und wurde bald die bedeutendste Forschungseinrichtung ihrer Art in Deutschland und eine der renommiertesten der Welt. Der Zweite Weltkrieg setzte dem allerdings ein Ende. Bombentreffer zerstörten die Anlagen, ein Betrieb war nicht mehr möglich.
In der Nachkriegszeit gingen aufgrund der deutschen Teilung aus der einstigen Forschungsanstalt mehrere Institute hervor. In der Deutschen Demokratischen Republik entstand die ebenfalls in Berlin ansässige Forschungsanstalt für Schiffahrt, Wasserbau und Grundbau, in der Bundesrepublik Deutschland die Bundesanstalt für Wasserbau, die sich allerdings in Karlsruhe befand. Auf den verbliebenen Resten auf der Schleuseninsel errichtete man schließlich die Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau Berlin, die 1995 in die Technische Universität integriert, jedoch zwei Jahre später aufgelöst wurde[20]Horst Oebius: Ein Abriß der Geschichte der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau, Berlin, zwischen 1884 und 1945, In: Bundesanstalt für Wasserbau (Hrsg.): 50 Jahre Bundesanstalt für Wasserbau, Mitteilungsblatt der Bundesanstalt für Wasserbau, Nummer 78, Bundesanstalt für Wasserbau (Eigenverlag), Karlsruhe, 1998, ISSN 0572-5801, Seiten 27 ff.. Ihre mittlerweile unter Denkmalschutz stehenden Bauten sehen wir heute vor uns.
Die Ruhe der Natur im Park des Großen Tiergartens weicht nun immer mehr einem zunehmenden Rauschen und Brausen, denn der Weg nähert sich stetig der großen Straße des 17. Juni, die die Grünanlage der Länge nach durchschneidet und auf der der Straßenverkehr zweier Bundesstraßen fließt. Einst fuhren hier nur die Kutschen der Kurfürsten und Könige vom Berliner Stadtschloß zum Schloß Lietzenburg oder, wie es nach dem Tode Sophie Charlottes, der Gemahlin König Friedrichs I. in Preußen, hieß, Schloß Charlottenburg. Mitte des 18. Jahrhunderts baute man die Straße zwar zur breiten Allee aus, für ihre heutige Überbreite von etwas mehr als 42 Metern sorgten allerdings erst die deutschen Faschisten im Zuge ihrer wahnwitzigen Pläne zur „Welthauptstadt Germania“.
Diese Straße erreichen nun auch wir. Beim Überqueren fallen zwei Säulenhallen links und rechts der Straße ins Auge, die leicht gekrümmt sind und quer zu ihr stehen. Dahinter spannt sich eine Brücke über den Landwehrkanal, hinter der zwei einzeln stehende Kandelaber an den Straßenrändern das Bild komplettieren. Wem sich beim Betrachten dieses baulichen Ensembles der Eindruck einer Toranlage aufdrängt, der liegt völlig richtig: diese Anlage ist das sogenannte Charlottenburger Tor. Weil die damals eigenständige und sehr selbstbewußte Stadt Charlottenburg Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts dem Brandenburger Tor der Stadt Berlin an ihrem Ende des Großen Tiergartens ein entsprechendes Pendant gegenüberstellen wollte, beauftragte sie Bernhard Schaede mit dem Entwurf einer entsprechenden Anlage. Diese wurde dann in den Jahren 1907 und 1908 an der Charlottenburger Brücke, die den Landwehrkanal überspannt, errichtet, wobei die Brücke in das Ensemble integriert wurde. An ihrer Ostseite stellte man eine an Kolonnaden erinnernde Toranlage auf, die mit überlebensgroßen Bronzestandbildern Königs Friedrich I. und seiner Gemahlin Sophie Charlotte ausgestattet wurden. Während der König mit Szepter und Hermelin dargestellt ist, ist der Königin ein von Heinrich Baucke 1909 geschaffenes Modell des Charlottenburger Schlosses beigegeben. Diese Skulpturen können heute noch auf der dem Tiergarten zugewandten Seite des Tores bewundert werden, ganz im Gegensatz zu den allegorischen Bronzeskulpturen von Georg Wrba, die einst ihren Platz auf den Pfeilern hatten. Sie gingen im Zweiten Weltkrieg verloren. Die Integration der Brücke in die Anlage machen die beiden Kandelaber deutlich, die auf ihrer Westseite aufgestellt wurden.
Lang währte die Freude der Charlottenburger am eigenen Tor jedoch nicht – ihre Stadt wurde 1920 mit dem Groß-Berlin-Gesetz ein Teil der Hauptstadt des Deutschen Reiches. Als die deutschen Faschisten die Straße des 17. Juni, die damals Charlottenburger Chaussee hieß, verbreiterten, um sie zu ihrer Via Triumphalis zu machen, rückten sie die beiden Torflügel dementsprechend auseinander. Statt der ursprünglichen zwanzig Meter waren sie nun ganze vierunddreißig Meter voneinander entfernt. Die Umsetzung ihrer hochfahrenden Pläne machten die Faschisten dann selbst unmöglich, als sie den Zweiten Weltkrieg vom Zaun brachen. Dieser brachte unendliches Leid über Millionen von Menschen und hinterließ bis ins Zentrum der einstigen Reichshauptstadt hinein schwerste Zerstörungen, von denen auch das Charlottenburger Tor nicht verschont blieb. Die beiden Kandelaber wurden völlig zerstört, die Torflügel schwer beschädigt. Große Teile ihres Figurenschmucks verschwanden. Nach dem Krieg reparierte man das Tor nur notdürftig. Erst im Jahre 2004 konnte schließlich eine umfassende Sanierung und Restaurierung der Anlage in Angriff genommen werden. 2007 schloß man die Arbeiten an den beiden Torflügeln ab. Die Neuerschaffung der beiden Kandelaber dauerte dann nochmals drei Jahre. Am 27. Juni 2010 konnte das gesamte Ensemble dann schließlich feierlich an die Öffentlichkeit übergeben werden[21]Charlottenburger Tor, Sektion des Bezirksamts Charlottenburg-Wilmersdorf auf der Website berlin.de, abgerufen am 14. November 2022..
Ist man an einem Wochenende hier unterwegs, ist es recht wahrscheinlich, daß man nach dem Überqueren der Straße auf eine große Menschenmenge trifft, die zwischen vielen Buden mit allerlei Trödel auf und ab flaniert. Dann findet hier an der Straße des 17. Juni der Original Berliner Trödelmarkt statt, der vom Charlottenburger Tor bis zum S-Bahnhof Tiergarten reicht. Hier findet man alles, was alt, gebraucht und irgendwie noch zu verkaufen ist, ob Schallplatten, Videos oder Computerspiele, Kleidung, Schuhe oder Schmuck, Porzellan, Möbel oder alte Gemälde, Kunst oder Kunsthandwerk. Man sollte allerdings auch reichlich Geld dabeihaben, denn billig kommt man auf diesem Markt meist nicht davon.
Ein kleines Stück geht es nun noch am Landwehrkanal weiter – die Straße heißt nun Salzufer -, doch bereits an der nächsten Ecke verlassen wir den Wasserlauf und biegen in die Englische Straße ein. Links und rechts ziehen die langweiligen Fassaden trister Geschäftshäuser vorüber, über die es wahrlich nichts Bemerkenswerteres zu berichten gibt, als daß sie da sind. Die Gebäude auf der rechten Straßenseite sind erst vor einigen Jahren errichtet worden. Wir gehen bis zur nächsten Kreuzung und biegen rechts in die Wegelystraße ein.
Berliner Porzellangeschichte
Und auch hier, etwas abseits vom heutigen Grünen Hauptweg Nummer 19, läßt sich etwas entdecken, denn die Wegelystraße trägt ihren Namen nicht von ungefähr. Benannt ist sie nach Wilhelm Kaspar Wegely, der im 18. Jahrhundert in Berlin Kaufmann und Unternehmer war und 1751 die erste Berliner Porzellanmanufaktur gründete. Diese befand sich in der Neuen Friedrichstraße in der Nähe des Königstores, etwa dort, wo heute die Littenstraße verläuft. Wegen des Siebenjährigen Krieges war dem Unternehmen kein dauerhafter Erfolg beschieden, so daß Wegely es schließlich wieder aufgab und Teile der Manufaktur zehn Jahre später im Unternehmen von Johann Ernst Gotzkowsky aufgingen, das sich in der Leipziger Straße befand, nicht weit entfernt vom Leipziger Platz, der damals noch Achteck genannt wurde. Doch auch dieses mußte wegen des Krieges seine Produktion einstellen, wurde aber 1763 von Friedrich dem Großen übernommen, der daraus die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin formte[22]Friedrich Nicolai: Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam und aller daselbst befindlicher Merkwürdigkeiten, Friedrich Nicolai, Berlin, 1769, Seiten 319 f.. Diese entwickelte sich unter der Ägide König Friedrich Wilhelms II., der sie nach dem Tode Friedrichs II. übernahm, zu einem technologisch führenden Unternehmen. Hier kam die erste Dampfmaschine Berlins zum Einsatz. Künstler wie Karl Friedrich Schinkel, Johann Gottfried Schadow und Christian Daniel Rauch prägten in dieser Zeit die Gestaltung des Porzellans. Die berühmte Prinzessinnengruppe, ein von Schadow entworfenes, aus achtundachtzig Einzelsteilen zusammengesetztes Standbild, das die Kronprinzessin Luise von Preußen und ihre Schwester Friederike zeigt, ist vielleicht das berühmteste Erzeugnis, das die Manufaktur zu jener Zeit produzierte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mußte sie schließlich dem Bau des Preußischen Landtags weichen und bezog ein neues Domizil am Berliner Tiergarten[23]Historie der Königlichen Porzellan-Manufaktur, Website der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM), abgerufen am 14. November 2022. – an eben jener Wegelystraße, die wir nun entlangspazieren. Und so stehen wir nach wenigen Schritten an ihrem Eingang.
Das gesamte Gelände ist zwischen 1998 und 2003 rekonstruiert worden und erhielt auch einige Neubauten, so daß es sich jetzt als interessante Mixtur aus Alt und Neu präsentiert[24]Die KPM Welt, In: Garcon – Essen, Trinken, Lebensart, 10. November 2020.. An der Giebelwand eines der historischen Gebäude prangt das Logo der Manufaktur – das in Kobaltblau gehaltene Zepter aus dem kurfürstlich-brandenburgischen Wappen. Es wurde dem Unternehmen von Friedrich dem Großen höchstselbst verliehen[25]Historie der Königlichen Porzellan-Manufaktur, Website der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM), abgerufen am 14. November 2022.. Heute sind ihm noch die drei Buchstaben „KPM“ beigegeben. Bis zum Jahr 2006 war das Unternehmen im Besitz des Staates, der schließlich jedoch die Privatisierung anstrebte. Nachdem mehrere, dazu unternommene Versuche scheiterten, stand die Königliche Porzellan-Manufaktur in jenem Jahr vor der Insolvenz. Sozusagen in letzter Minute übernahm der Berliner Bankier Jörg Woltmann das Unternehmen als Alleingesellschafter und stellte sicher, daß die mehr als 250 Jahre alte Manufaktur bis zum heutigen Tag existiert und das Berliner Porzellan weiterhin ein Markenzeichen ist, das für beste Qualität steht[26]Alles Friedrich! – Wie die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin ein Stück deutsche Geschichte wurde, HAUS-GLANZ-Magazin, Website der HAUS GLANZ GmbH, abgerufen am 14. November 2022..
Wer Zeit hat, kann den Präsentationsräumen der Manufaktur einen Besuch abstatten. Hier kann man Stücke der aktuellen Kollektionen bewundern, und es gibt auch eine Ausstellung zur Geschichte der Manufaktur. Sonntagsspaziergänger haben dabei allerdings das Nachsehen, denn die Ausstellung ist nur werktags und an Sonnabenden geöffnet. Spazieren wir also weiter und folgen nun dem Verlauf der Wegelystraße, bis sie am S-Bahnhof Tiergarten auf die Bachstraße trifft. Hier erreichen wir wieder den Grünen Hauptweg Nummer 19.
Hinein ins alte Hansaviertel
Hier am S-Bahnhof Tiergarten folgen wir nun der sich von der Straße des 17. Juni entfernenden Bachstraße, doch nur ein kleines Stück, denn schon gleich geht es in die nächste Seitenstraße hinein: Siegmunds Hof. Hier haben wir das Hansaviertel erreicht.
Fragt man heute einen Berliner, wo sich das Hansaviertel befindet, wird er vermutlich auf das Areal zwischen Stadtbahn und Tiergarten verweisen. Tatsächlich wissen viele gar nicht mehr, daß sie damit eigentlich nur das Südviertel beschreiben und daß es noch einen zweiten Teil gibt, der auf der anderen, der nördlichen und nordwestlichen Seite der Stadtbahn liegt, die hier eine große Kurve beschreibt und das Hansaviertel in zwei Hälften teilt. Der Begriff Hälfte ist hier tatsächlich angemessen, denn die beiden Teile sind in etwa gleich groß. Gegründet wurde der zwischen Spree und Großem Tiergarten gelegene Ortsteil im Jahre 1874, als die Berlin-Hamburger Immobilien-Gesellschaft damit begann, das Gebiet zu erschließen. Der von ihr vorgelegte Bebauungsplan wurde am 21. März 1874 durch eine königliche Ordre bestätigt. Zum Zentrum des neuen Viertels entwickelte sich der Hansaplatz, an dem sich drei Straßen sternförmig kreuzten. Dieser war bereits im erwähnten Bebauungsplan vorgesehen. Seinen Namen erhielt er im Jahre 1879 in Erinnerung an den Städtebund der Hanse, dem Berlin einst angehörte[27]Dr. Sandra Wagner-Conzelmann: Hansaviertel – Geschichte bis 1933, Website „Hansaviertel Berlin“, abgerufen am 15. November 2022.. Da man das noch namenlose neue Stadtviertel irgendwie bezeichnen mußte, bezog man es einfach auf den Platz in seinem Zentrum und verwendete in einschlägigen Unterlagen die Bezeichnung „Hansaplatz-Bezirk Nr. 211“[28]Die Vergabe dieses Namens wurde im Communal-Blatt der Haupt- und Residenzstadt-Berlin angekündigt.
Siehe Communal-Blatt der Haupt- und Residenzstadt-Berlin, herausgegeben vom Magistrat zu Berlin, 20. Jahrgang, 1879, Ausgabe 36 vom 7. September 1879, Seite 81.. Natürlich war diese auf die Dauer viel zu sperrig, und so bürgerte sich recht schnell der Name ein, der bis heute geblieben ist: Hansaviertel.
Wer die Straßen in diesem Viertel entlangspazierte, konnte vorwiegend bürgerliche Wohnhäuser bewundern, die meist mehrere Etagen besaßen und überwiegend historistisch gestaltet waren, mit Fassaden, die an die Zeit der Renaissance und des Barock erinnerten. Giebel und Balkone, Erker und Türmchen – der Gestaltung waren keine Grenzen gesetzt. Im Inneren gab es in den bürgerlichen Wohnungen im Vorderhaus viel Stuck und Vergoldung, Holztäfelungen und Malereien. In den Hinterhäusern gelegene Wohnungen boten hingegen weniger Wohnkomfort[29]Dr. Sandra Wagner-Conzelmann: Hansaviertel – Geschichte bis 1933, Website „Hansaviertel Berlin“, abgerufen am 15. November 2022.. Im Viertel lebten damals vorwiegend Unternehmer und Rentiers, Künstler und Schriftsteller, aber auch deren Personal. Unter den Bewohnern finden sich Namen wie Rosa Luxemburg, Mathilde Jacob, Käthe Kollwitz, Lovis Corinth, Ludwig Marcuse, Max Reinhardt, Nelly Sachs und Kurt Tucholsky[30]Dr. Sandra Wagner-Conzelmann: Hansaviertel – Prominente Anwohner, Website „Hansaviertel Berlin“, abgerufen am 15. November 2022..
Die Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs ließen von diesem alten Viertel kaum etwas übrig. Die britischen und amerikanischen Bomber zerstörten nahezu zwei Drittel aller Wohnbauten. Waren es einst 343 gewesen, so standen am Ende des Krieges nur noch 70[31]Dr. Sandra Wagner-Conzelmann: Hansaviertel – 22. November 1943, Website „Hansaviertel Berlin“, abgerufen am 15. November 2022.. Da nach Kriegsende nun große Flächen in diesem Gebiet brachlagen, Wohnraum aber dringend benötigt wurde, ergriff der Bezirk Tiergarten 1951 die Initiative. Ein Wettbewerb sollte ausgeschrieben werden, der den Wiederaufbau des Hansaviertels zum Ziel hatte. Doch der Berliner Senat hatte andere Pläne und verweigerte dem Vorhaben nicht nur die Genehmigung, sondern veranlaßte sogar einen generellen Baustopp, nur um sich dann allerdings zwei Jahre Zeit zu lassen, bis er selbst tätig wurde. Die Idee, wie nun vorzugehen sei, war dann so neu allerdings nicht: der Senat schrieb nun seinerseits einen Wettbewerb für den Wiederaufbau auf. Darüberhinaus erklärte er das Viertel allerdings zum Kerngebiet der Internationalen Bauausstellung Interbau[32]Dr. Sandra Wagner-Conzelmann: Hansaviertel – Die Jahre 1945–1953, Website „Hansaviertel Berlin“, abgerufen am 15. November 2022.. So wurde der südliche Teil nach dem Krieg zum Modell für die neue ideale Stadt der Moderne, locker bebaut, mit viel Grün durchzogen, Arbeit und Wohnen strikt getrennt. Allerdings waren auch dort noch ein paar der vom Krieg übriggelassenen Wohnbauten zu finden, etwa vierzig an der Zahl. Weil sie der neuen Stadt nun im Wege waren, riß man sie einfach ab. Als die Internationale Bauausstellung dann 1957 stattfand, war ein völlig neues Wohngebiet entstanden, das jedoch nichts mehr mit dem alten Viertel zu tun hatte. Die Straßen verliefen nun gänzlich anders, und auch die Grundstücke hatten mit denen, die vor dem Krieg bestanden hatten, nichts mehr gemein[33]Hans Stimmann: Berliner Hansa-Viertel war ein Irrweg, In: Welt vom 19. April 2007.. Dieses neue Südviertel wurde fortan meist allein als Hansaviertel bezeichnet. 1995 erklärte man es zum Denkmalschutzgebiet. Und obwohl man auch in dem zwischen Stadtbahn und Spree liegenden nördlichen Teil des alten Hansaviertels, in dem noch ein paar der alten Wohnhäuser Krieg und Nachkriegszeit überstanden hatten, die baulichen Lücken mit Neubauten und Grünanlagen schloß, geriet er gewissermaßen aus dem Fokus. Und doch ist er es, durch den uns der Weg nun führt.
Die Revolutionärin
Der Name Siegmunds Hof ist für eine Straße recht ungewöhnlich, zumal von einem Hof weit und breit nichts zu sehen ist. Tatsächlich sind wir in einer ganz normalen Straße unterwegs. Das war jedoch nicht immer so. Als dieser Verkehrsweg im Jahre 1862 entstand, befand sich hier das Grundstück des Berliner Kaufmanns Johann Gottfried Siegmund, das sich vom nördlichen Rand des Tiergartens bis zur Spree erstreckte. Siegmund hatte sein Geld im Seidenhandel verdient und sich dabei den Status eines Hoflieferanten erworben. Die Straße, die er nach seinem Anwesen benannte, war, als er sie anlegen ließ, lediglich eine Privatstraße auf eben diesem[34]Bertram Janiszewski: Das alte Hansa-Viertel in Berlin – Gestalt und Menschen, Haude & Spenersche Verlangsbuchhandlung GmbH, Berlin, 2000, ISBN 3-7759-0460-3, Seiten 19 ff.. Als wohlhabender Kaufmann führte Siegmund einen gutbürgerlichen Haushalt, in dem auch seine im Jahre 1817 geborene Tochter Emma Charlotte aufwuchs. Mit dem konventionellen Leben einer Bürgerstochter nicht viel anfangen könnend und mit dem unterdrückten Volk sympathisierend, begeisterte sie sich für die Ideale der Französischen Revolution. Als sie 1842 den Dichter Georg Herwegh kennenlernte, entwickelte sich zwischen den beiden eine leidenschaftliche Liebe. Ein Jahr später waren sie verheiratet. In Paris, wo sie sich niederließen, führte Emma einen Salon, in dem sie unter anderem Heinrich Heine, Karl Marx, Michail Bakunin, George Sand und Victor Hugo als Gäste begrüßen konnte. Gemeinsam mit ihrem Mann beteiligte sie sich an den revolutionären Erhebungen der Jahre 1848 und 1849 im Großherzogtum Baden, die auch als Badische Revolution bekannt wurden. Als diese endgültig scheiterten, mußte das Paar in die Schweiz flüchten, wo sie in Zürich ihre Zelte aufschlugen. Da Emma mittlerweile von ihrer Familie enterbt worden war, entbehrten sie und ihr Mann nun die Annehmlichkeiten des Wohlstands. Dennoch setzten sie ihre Arbeit zur Unterstützung des Kampfes für die Freiheit unbeirrt fort. Und auch ihren Salon belebte Emma wieder neu, in dem unter anderem der Dichter Gottfried Keller, der Komponist Richard Wagner, der Architekt Gottfried Semper, der Schriftsteller und Politiker Ferdinand Lassalle und die Sozialistin Gräfin Sophie von Hatzfeld sowie viele Emigranten aus dem ganzen europäischen Kontinent verkehrten. Emma Herwegh übersetzte die Schriften Giuseppe Garibaldis, unterstützte dessen Kampf in der italienischen Einigungsbewegung und verhalf dem Revolutionär Felice Orsini zur Flucht aus dem Gefängnis. Nach der 1866 erlassenen Amnestie für alle politisch Verbannten kehrte das Paar nach Baden zurück, wo Georg Herwegh 1875 starb. Emma überlebte ihn noch fast dreißig Jahre und verbrachte ihren Lebensabend in Paris, wo sie enge freundschaftliche Beziehungen zu Frank Wedekind unterhielt, der schließlich dafür sorgte, daß ihres Mannes Schriften und auch ihre eigenen zu Beginn des 20. Jahrhunderts endlich in Deutschland veröffentlicht wurden[35]Michail Krausnick: Amazone der Freiheit, In: Die Zeit, Ausgabe 13/2004[36]Regula Ludi: Herwegh, Emma, In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 26. Februar 2008, abgerufen am 24. November 2022.. Heute erinnert an die im Jahre 1904 verstorbene Emma Herwegh eine Straße am Berliner Hauptbahnhof.
Doch zurück zur Straße Siegmunds Hof. Mit ihrer Anlage hatte Johann Gottfried Siegmund offenbar begonnen, sein Grundstück zu parzellieren, selbstverständlich nur in gewissem Umfang und an den Rändern. Einige der so entstehenden Parzellen veräußerte er bereits zu seinen Lebzeiten. Der überwiegende Teil des Grundstücks blieb jedoch in seinem Besitz und wurde von ihm und seiner Familie bewohnt. Als Siegmund im Jahre 1865 starb, verkaufte die Familie in der Folgezeit nach und nach weitere Grundstücksbereiche. Auch das große Wohngrundstück wechselte mehrfach den Eigentümer, bis darauf schließlich unter dem Namen „Neuer Hofjäger“ ein großer Restaurant- und Kaffeegarten eröffnet wurde. 1888 übernahm dann die Stadt Berlin die bisherige Privatstraße Siegmunds Hof als öffentliche Straße, wobei sie deren Namen beibehielt[37]Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seiten 19 ff.. Er hat sich bis heute erhalten.
Die Dichterin aus der Bukowina
Gleich nachdem wir in die Straße eingebogen sind, passieren wir auf der linken Straßenseite ein Gebäude, das auf den ersten Blick wie ein Wohnhaus aussieht, dessen Fassade über und über mit grünenden Ranken bedeckt ist. Der Mittelteil des Gebäudes tritt ein wenig von der Straße zurück und macht so einer kleinen, siebenstufigen Treppe Platz, die zu einer ebenso hohen wie schmalen Eingangstür führt, die nach oben hin von einem Rundbogen abgeschlossen wird und die Hausnummer 20 trägt. Wenn wir die Fassade hinaufschauen, bemerken wir, daß die der Straße zugewandten Fenster ein buntes Sammelsurium der unterschiedlichsten Formen und Größen bilden. Kleine und große Fenster sind da zu sehen, rechteckige ebenso wie Rundbogenfenster. Manche bestehen aus einer einzigen Fensterscheibe, andere aus zweien, wieder andere aus vier. Bei den zweigeteilten wiederum verläuft die die Scheiben trennende hölzerne Rahmenstrebe mal längs und mal quer. Es scheint, als habe der Architekt dieses Gebäudes alle ihm bekannten Fensterformen einmal ausprobieren wollen. Ein vor dem Haus aufgestellter Schaukasten informiert uns darüber, daß es das Familien- und Begegnungszentrum der Evangelischen Kirchengemeinde Tiergarten beherbergt. Links neben der erwähnten Eingangstür befindet sich eine nahezu quadratische Tafel, die das aus einzelnen Kacheln zusammengesetzte Bild eines Hauses zeigt. Es dürfte uns vage bekannt vorkommen, ähnelt es doch sehr der Fassade, die wir zuvor bereits betrachtet hatten. Die Kacheln zeigen kleine Bilder und Aufschriften, deren eine den Namen des Gebäudes preisgibt: „Meerbaum-Haus“ ist dort zu lesen.
Es ist eines der wenigen erhaltenen ursprünglichen Gebäude des alten Hansaviertels. Sein erster Name ist recht prosaisch: „Haus des Herrn Dr. O. Hartmann“. Das Berliner Adreßbuch des Jahres 1900 weist ihn folgerichtig als Eigentümer aus[38]Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1900, Zweiter Band, Verlag von August Scherl, Berlin, 1900, Seite 566.. Hartmann war Fabrikbesitzer und hatte mehrere Jahre in Italien verbracht. In Erinnerung an diese Zeit ließ er den Entwurf des Regierungsbaumeisters Ludwig Otte für das neue Gebäude abändern und Elemente ihm bekannter italienischer Gebäude integrieren. Auch die unterschiedlichen Fensterformen fanden so ihren Weg in das Äußere des Hauses. Im Ergebnis entstand eine vielgliedrige Fassade mit italienischem Flair, so daß das 1899 errichtete Gebäude alsbald auch Italienisches Haus genannt wurde[39]Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 51.. Es verblieb bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts im Besitz der Familie Hartmann. 1950 schenkte diese es schließlich der Kaiser-Friedrich-Gedächtnis-Gemeinde. Deren gleichnamige Kirche war mit dem alten Hansaviertel im Zweiten Weltkrieg untergegangen, so daß sie nun weder über eine Kirche noch ein Gemeindehaus verfügte. Durch die großzügige Schenkung besaß sie jetzt jedoch ein Haus, daß sie für die Gemeindearbeit nutzen konnte. Um die finanziellen Mittel aufzubessern, vermietete die Gemeinde die oberen Etagen und nutzte nur Erdgeschoß und Keller selbst. War in den frühen fünfziger Jahren zunächst ein Kindergarten darin untergebracht, lebten alsbald auch Studenten und kirchliche Mitarbeiter in dem Gebäude. Kirchenmusiker hatten hier zeitweilig ihr Domizil. Später zog ein Kinderladen ein, und von 1973 an nutzte die Gemeinde das Haus als Stätte für ihre Jugendarbeit. In den 1980er Jahren legte man dabei den Schwerpunkt auf den Kontakt zu den jüdischen Nachbarn, insbesondere zur Gemeinde Adass Jisroel. Die Jugendlichen beschäftigten sich mit der Erforschung des jüdischen Lebens im Hansaviertel und setzten sich mit der jüdischen Kultur auseinander. Dabei stießen sie auch auf die Dichterin Selma Meerbaum[40]Zur Geschichte des Meerbaum-Hauses, Website des Meerbaum-Hauses, abgerufen am 5. Dezember 2022..
Die deutschstämmige Jüdin wurde 1924 in Czernowitz geboren, der Hauptstadt der einst zu Österreich-Ungarn gehörenden Bukowina, die mit dem Ende des Ersten Weltkriegs an das Königreich Rumänien gefallen war. Selma Meerbaum wuchs als Angehörige der deutschstämmigen Minderheit, deren eigenständige Kultur im rumänischen Königreich unterdrückt wurde, in Armut und Not auf. Bereits als Jugendliche begann das vielseitig interessierte Mädchen, Gedichte zu schreiben, die sich zunächst vorwiegend mit ihrem Leben, ihren Träumen, erster Liebe und der Natur beschäftigten. In den dreißiger und vierziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts wurde die Bukowina zum Spielball der europäischen Mächte. Im Sommer 1940 besetzte zunächst die Sowjetunion den Landstrich. Zwar konnte die Kultur der deutschstämmigen und insbesondere jüdischen Minderheit in der Folge wieder etwas aufleben, was für Selma die Möglichkeit eröffnete, nun eine jiddische anstatt eine rumänische Schule zu besuchen, doch war das nur eine kleine Verbesserung, der alsbald größeres Unglück gegenübertrat, als man in der Bukowina, die nun unter Stalins Herrschaft stand, damit begann, Deutschstämmige auszusiedeln und auch Juden in andere Landesteile zu verschleppen. Doch die Zeit der sowjetischen Besetzung währte nicht lang. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion kehrten bereits ein Jahr später die rumänischen Truppen zurück. Und weil Rumänien im Zweiten Weltkrieg mit Deutschland verbündet war, folgten ihnen kurz darauf die deutschen Faschisten. Für die Bevölkerung der Bukowina bedeutete das eine weitere Verschlimmerung der Lage. Umsiedlung, Verschleppung und Zwangsarbeit, Ermordung. In den Gedichten Selma Meerbaums aus jener Zeit spiegeln sich nun diese furchtbaren Erlebnisse wider. Wie in allen von den Deutschen besetzten Gebieten traf es die Juden besonders hart. Sie wurden in die Konzentrationslager deportiert und dort ermordet. Auch Selma Meerbaum und ihre Eltern entgingen letztlich diesem Schicksal nicht. Im Alter von gerade einmal achtzehn Jahren starb die junge Frau im Arbeitslager Michailowska an Flecktyphus. Ein Jahr später wurden ihre Eltern in einem anderen Lager von der SS erschossen[41]„Ich bin in Sehnsucht eingehüllt“ – Ein Abend zu Leben und Lyrik der Selma Meerbaum. Biografisches, Gedichte und Musik, Bericht auf der Website des Meerbaum-Hauses, abgerufen am 5. Dezember 2022.[42]Elke Nußbaum: Selma Meerbaum-Eisinger (1924-1942), Artikel vom 18. April 2021, Website der Stadt Erkrath, abgerufen am 5. Dezember 2022.. Die Gedichte Selma Meerbaums sind heute, gemeinsam mit den Werken einiger weniger anderer Dichter und Dichterinnen, die letzten verbliebenen Bruchstücke der von den deutschen Faschisten ausgelöschten deutsch-jüdischen Kultur der Bukowina.
Bewegt von den Gedichten Selma Meerbaums und betroffen von ihrem tragischen Schicksal, beantragten die Jugendlichen 1987 beim Gemeindekirchenrat die Umbenennung des Hauses. Bisher lediglich als Hartmann-Haus bezeichnet, sollte es nun Meerbaum-Haus heißen. Noch im selben Jahr wurde der neue Name eingeführt und bis zum heutigen Tage beibehalten. Im Laufe der Jahre ist aus dem Ort für Jugendliche mittlerweile ein Haus für alle geworden, das heute zur großen Kirchengemeinde Tiergarten gehört, die 2016 aus den zusammengelegten Kirchengemeinden Kaiser-Friedrich-Gedächtnis, Heiland, St. Johannis und Erlöser hervorgegangen ist[43]Zur Geschichte des Meerbaum-Hauses, Website des Meerbaum-Hauses, abgerufen am 5. Dezember 2022..
Vom neuen Hansaviertel
Vom Meerbaum-Haus führt uns der Weg weiter die Straße Siegmunds Hof entlang. Nach einigen Metern haben wir die wenigen Bauten, die aus dem alten Hansaviertel am Beginn dieser Straße verblieben sind und von denen das Meerbaum-Haus eines ist, hinter uns gelassen. Zu beiden Seiten der Straße begleiten uns nun Wohnhäuser, denen man auf den ersten Blick ansieht, daß sie in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Dabei ist keines wie das andere gestaltet. Auf der linken Straßenseite folgt einem Wohnblock mit acht Etagen eine Ansammlung lediglich dreigeschossiger Bauten, die durch mit Wellblech überdachte Wege miteinander verbunden sind. Derweil versucht sich auf der gegenüberliegenden Seite ein vierstöckiges Wohnhaus, das wie eine auf der Seite liegende Treppe aussieht, hinter dem dichten Laub hoher Bäume zu verstecken. Ihm folgt unvermittelt ein Punkthochhaus mit wenigstens elf Stockwerken. Doch trotz dieses stilistischen Wirrwarrs können all diese Bauten den Charakter der Neubauten aus der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts nicht verleugnen. Nein, hier erinnert wahrlich gar nichts mehr an das alte Hansaviertel von einst. Positiv bleibt allerdings festzuhalten, daß dieses Wohngebiet von reichhaltigem städtischen Grün durchzogen ist. Neben den bereits erwähnten hohen Bäumen finden sich ausgedehnte Rasenflächen, Blumenrabatten und jede Menge Sträucher und Büsche.
Die Bauten an der Straße Siegmunds Hof gehören dabei sämtlich zu einer Wohnanlage für Studenten – die Technische Universität und auch die Universität der Künste sind ja nicht allzu weit von hier entfernt. Allerdings durchwandern wir hier nicht irgendeine studentische Wohnanlage. Tatsächlich handelt es sich bei diesen Bauten um ein denkmalgeschütztes Ensemble, das Anfang der 1960er Jahre errichtet wurde. Die auf der östlichen, von uns aus gesehen rechten Straßenseite errichteten Bauten basieren auf Entwürfen des Architekten Klaus Ernst, während die Bauten links von uns auf Planungen von Peter Poelzig zurückgehen. Und auch wenn die beiden Baumeister ihren Schöpfungen erkennbar unterschiedliche Konzeptionen zugrundegelegt haben, folgten sie mit ihren Entwürfen doch dem Leitbild der sogenannten Stadtlandschaft, das Hans Scharoun kurz nach dem Zweiten Weltkrieg für den Wiederaufbau Berlins entwickelte hatte. Es brach mit der jahrtausendelang verbindlichen Tradition, daß die in einer Stadt errichteten Gebäude klar definierte Außenräume bilden und so Plätze, Haupt- und Nebenstraßen sowie Gassen und Höfe schaffen. Stattdessen sah dieses neue Leitbild der Stadt der Moderne vor, daß die Gebäude in einem landschaftsähnlichen mit viel Grün gestalteten Raum angeordnet werden, mehr oder weniger losgelöst von Straßen und Fußwegen. Wie das aussieht, können wir hier in der Studentenwohnanlage Siegmunds Hof, die gewissermaßen den Weiterbau des in den 1950er Jahren nach diesem Konzept errichteten neuen Hansaviertels bildet, eindrücklich betrachten. Aber so schön die Idee vom Wohnen im Grünen inmitten der Stadt auch war, sie hatte doch ihre Nachteile. In dieser sogenannten Stadtlandschaft gingen für die Bewohner der Häuser jegliche privaten Außenräume, wie man sie früher im nicht öffentlich zugänglichen Inneren der Wohnblöcke vorgefunden hatte, verloren. Ein durchaus bedauerlicher Nebeneffekt dieses Konzeptes, dem auch die zahlreichen Grünanlagen zwischen den Häusern nicht abhelfen konnten. Da sie quasi im öffentlichen Raum lagen, war die Schaffung privater Gärten hier kaum möglich. So blieben sie meist lediglich Abstandsgrün, für das sich die Bewohner kaum verantwortlich fühlen konnten[44]Ulrich Brinkmann: Studentenwohnanlagen – Renovieren für Gartenfreunde, Partytiger, Ruhesucher, In: Bauwelt, Ausgabe 35/2012.. Weil aber überdies die Umsetzung dieses Leitbildes einen mehr oder weniger jungfräulichen Baugrund erfordert, was entweder neue Flächen oder aber den kompletten Abriß bereits existierender Bebauung voraussetzt, wurde das Hansaviertel, in dem man Letzteres praktizierte, schlußendlich doch kein Modell für den weiteren Wiederaufbau und die Sanierung im Westteil der Stadt, beispielsweise in Wedding und Kreuzberg, sondern blieb – zumindest im Stadtinneren – ein, wie Hans Stimmann es ausdrückte, „Sonderfall für Architekturtouristen“, ein Irrweg[45]Hans Stimmann: Berliner Hansa-Viertel war ein Irrweg, In: Welt vom 19. April 2007..
Von den einstigen Bewohnern des Hansaviertels
Wo sich der erste der bereits erwähnten dreigeschossigen Bauten befindet, an denen wir, immer noch auf der linken Straßenseite entlanggehend, vorüberkommen, stand früher das Haus Siegmunds Hof 16. Hier wohnte der jüdische Gummiwarenfabrikant Georg William Sachs[46]Beispielsweise aufgeführt im Berlin Adreßbuch 1929, Dritter Band, Verlag August Scherl Deutsche Adreßbuch-Gesellschaft m. b. H., Berlin, 1897, Seite 945. mit seiner Frau Margarete, geborene Karger, und seiner einzigen Tochter Leonie, die später unter dem Namen Nelly Sachs eine weithin bekannte Schriftstellerin wurde. Als der Vater 1930 starb, zogen Mutter und Tochter in die ebenfalls im Hansaviertel gelegene Lessingstraße 33 um. Bereits seit ihrer Jugend stand Nelly Sachs mit der schwedischen Schriftstellerin Selma Lagerlöf in einem Briefwechsel, der lange Jahre anhielt. Mit deren und der Hilfe einer Freundin gelang es, für Nelly und ihre Mutter eine Einreiseerlaubnis für Schweden zu erlangen, die es den beiden Frauen 1940 in letzter Minute ermöglichte, der Verfolgung und Deportation der Juden durch die deutschen Faschisten zu entkommen. Infolge dieser Erlebnisse widmete sich Nelly Sachs in ihrem Schaffen der Darstellung der Erfahrung des absolut Bösen, das zum Untergang des europäischen Judentums geführt hatte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fand Nelly Sachs mit ihren Werken zuerst Anerkennung in der jungen Deutschen Demokratischen Republik, wo 1947 durch Vermittlung Johannes R. Bechers ihr erster Gedichtband im Aufbau-Verlag erschien. Es sollte noch nahezu zehn Jahre dauern, bevor die Dichterin auch in Westdeutschland Beachtung fand und – als mittlerweile fast Siebzigjährige – ihren Durchbruch erlangte. Seit 1952 schwedische Staatsbürgerin, machte sie sich neben ihrem eigenen literarischen Schaffen auch um die schwedische Gegenwartslyrik verdient, die sie ins Deutsche übertrug, so unter anderem die Werke von Johannes Edfelt, Gunnar Ekelöf, Erik Lindegren und Karl Vennberg. Im Jahre 1966 wurde sie schließlich für ihre dichterisches Werk mit dem Literaturnobelpreis geehrt. Im Jahr darauf erhielt sie die Ehrenbürgerschaft Berlins. Nelly Sachs starb am 12. Mai 1970 in Stockholm, wo sie auch beigesetzt wurde[47]Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 117.[48]Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 102.[49]Ruth Dinesen: „Sachs, Nelly“, In: Neue Deutsche Biographie, Band 22, 2005, Seiten 336-337 – Online-Version, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 17. Dezember 2022..
An den Eingängen zu den dreigeschossigen Bauten können wir im Boden des Gehwegs jeweils mehrere kleine, quadratische Gedenktafeln entdecken. Ihrer Form nach erinnern sie an Pflastersteine, jedoch besteht ihre Oberfläche aus Messing. In jede dieser kleinen Tafeln ist ein Name eingraviert, dem weitere Daten beigegeben sind. Diese sogenannten Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig und erinnern an das Schicksal der Menschen, die in der Zeit des Dritten Reiches den deutschen Faschisten zum Opfer gefallen sind, sei es durch Verfolgung, Vertreibung, Deportation, Ermordung oder Suizid. Hier im Hansaviertel sind derzeit mehr als einhundertsiebzig dieser Stolpersteine verlegt, wenigstens siebzehn davon allein in der Straße Siegmunds Hof. Das hat seinen Grund darin, daß in diesem Stadtviertel viele Juden ansässig waren. Deren Zahl war so groß, daß es im Hansaviertel zwei Synagogen gab. Eine dritte befand sich in der Levetzowstraße auf der gegenüberliegenden Seite der Spree im Stadtteil Moabit, wurde aber auch von vielen im Hansaviertel ansässigen Juden besucht[50]Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 75..
Vor der Hausnummer 15 finden wir zwei im Jahre 2012 verlegte Gedenksteine für Josua Falk Friedlaender und seine Ehefrau Else. Am 11. Juni 1871 in Stade geboren, hatte Josua Falk Friedlaender neuere Philologie und Hebräisch in Berlin und Göttingen studiert und in England ein Jahr das Jews‘ College besucht, das von seinem Onkel Dr. Michael Friedlaender geleitet wurde. 1898 ließ er sich mit seiner Familie in Hamburg nieder und nahm an der Talmud Tora Schule eine Stelle als Lehrer für Französisch und Englisch an, die er bis 1906 innehatte. In diesem Jahr zogen die Friedlaenders nach Berlin um, wo sie lange Zeit in der Schönhauser Allee wohnten. Neben seiner beruflichen Tätigkeit – er war auch in Berlin wieder im Schuldienst tätig, wurde Professor und Studienrat – übernahm Josua Falk Friedlaender in der Synagoge in der Rykestraße das Amt des Vorstehers, leitete als Direktor zeitweise das Auerbachsche Waisenhaus in der Schönhauser Allee und war Mitglied des Schulvorstands der Berliner Jüdischen Gemeinde.
Nachdem er 1933 pensioniert worden war, zogen die Friedlaenders zwischen 1934 und 1935 hierher in die Straße Siegmunds Hof. 1941 konnte Josua Falk Friedlaender, der mittlerweile an einem hebräischen Lexikon arbeitete, noch seinen siebzigsten Geburtstag begehen, anläßlich dessen man ihn zum „Melamed“ ernannte, zu einem Lehrenden innerhalb des Judentums. Doch bereits im Jahr darauf, am 3. Oktober 1942, deportierten ihn die deutschen Faschisten mit dem sogenannten dritten großen Alterstransport in das Ghetto Theresienstadt. Unter den insgesamt 1.022 Deportierten wurde ihm dabei die Transportnummer 613 zugewiesen[51]Deportationsliste des 3. großen Alterstransports von Berlin nach Theresienstadt, Seite 28, Website www.statistik-des-holocaust.de – Statistik und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich, abgerufen am 27. Dezember 2022.. Von seiner Ehefrau Else war er zu dieser Zeit schon getrennt worden. Diese hatte sich in jenem Jahr in der Heil- und Pflegeanstalt Jacoby in Bendorf-Sayn aufgehalten – ob sie freiwillig dorthin gegangen oder aus politischen Gründen dort eingewiesen worden war, ist nicht bekannt -, von wo sie als eine von zweihundertfünfzig Patienten am 14. Juni 1942 in das Vernichtungslager Sobibor deportiert worden ist. Während auf ihrem Gedenkstein vermerkt ist, daß sie dort schließlich auch ermordet wurde, ist dem ihr gewidmeten Gedenkblatt der Gedenkstätte Yad Vashem zu entnehmen, daß dies in Auschwitz geschehen sei. Auch Josua Falk Friedlaender hat die Deportation nicht überlebt. Nicht einmal zwanzig Tage später starb er, der bereits schwer an Krebs erkrankt war, in Theresienstadt. Es war der 22. Oktober 1942. Von den Kindern der Friedlaenders, die drei Söhne und eine Tochter hatten, überlebten glücklicherweise alle die Zeit des deutschen Faschismus, da sie bereits in den dreißiger Jahren beruflich ins Ausland gegangen waren. Sie kehrten danach jedoch – abgesehen von vereinzelten Besuchen – nicht mehr nach Deutschland zurück[52]Fabian Boehlke: Josua Falk Friedlaender, Website www.stolpersteine-berlin.de – Stolpersteine in Berlin, abgerufen am 27. Dezember 2022..
Zwei Hausnummern weiter – diese zählen, wie wir bereits bemerken konnten, auf unserem Weg herunter – finden wir vor der Nummer 13 zwei weitere Stolpersteine im Gehwegpflaster, die am 15. Juni 2018 darin eingelassen worden sind. Sie erinnern an Rosa Jacobsohn und Adeline Goldberg, die bis zum 29. Oktober 1942 hier lebten, dem Tag, an dem sie – genau eine Woche nach diesem – Josua Falk Friedlaender in das Ghetto Theresienstadt folgen mußten. Über Rosa Jacobsohn ist leider nur wenig mehr zu erfahren als das, was auf ihrem Stolperstein zu lesen ist. Sie wurde am 18. April 1875 in Neisse geboren und arbeitete als Lehrerin[53]Rosa Jacobsohn, Website www.stolpersteine-berlin.de – Stolpersteine in Berlin, abgerufen am 31. Dezember 2022.[54]Totenschein der Rosa Jacobsohn, Website www.holocaust.cz, abgerufen am 31. Dezember 2022..
Über Adeline Goldberg ist mehr in Erfahrung zu bringen. Sie wurde am 17. September 1858 in Schwetz geboren, einem Ort in der Provinz Westpreußen, der sich heute in Polen befindet und Świecie heißt. Die Wissenschaftlerin arbeitete rund zwanzig Jahre als Assistentin von Moritz Steinschneider, einem jüdischen Kulturwissenschaftler, der sich als Philologe und Orientalist einen Namen machte und als Begründer der wissenschaftlichen jüdischen Bibliographie gilt. Von 1869 bis 1890 leitete er überdies die Mädchenschule der jüdischen Gemeinde Berlins. Adeline Goldberg, die als Lehrerin an dieser Schule tätig war und Steinschneider vermutlich hier kennenlernte, arbeitete eng mit ihm zusammen. Beispielsweise erstellte sie für seine zwischen 1893 und 1901 erschienene mehrbändige Bibliographie „Mathematik bei den Juden“ den Index, sorgte nach seinem Tod im Jahre 1907 für die Publikation seiner letzten Studie, an der er gegen Ende seines Lebens gearbeitet und die er ihr diktiert hatte. Aus dieser Zusammenarbeit entwickelte sich eine enge beiderseitige Freundschaft, die unter anderem Ausdruck darin fand, daß Steinschneider sein letztes, 1905 erschienenes Werk „Die Geschichtsliteratur der Juden“ seiner „bewährten Freundin“ widmete. In den frühen Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, Steinschneider war bereits verstorben, veröffentlichte Adeline Goldberg Ergänzungen und Korrekturen zu dessen Bibliographie. Im Jahre 1934 übergab sie die gesamte umfangreiche Korrespondenz Steinschneiders, die sich seit dessen Tod in ihrem Besitz befunden hatte, an die Bibliothek des in New York ansässigen Jüdischen Theologischen Seminars (Jewish Theological Seminary)[55]Gad Freudenthal: Adeline Goldberg (1858–1942) – A Biographical Notice, In: Moritz Steinschneider: Mathematik bei den Juden – Band II: 1551 – 1840, herausgegeben von Gad Freudenthal, Georg Olms Verlag, Hildesheim, Zürich, New Zork, 2014, Seiten XIII ff.[56]Gregor Pelger: „Steinschneider, Moritz“, In: Neue Deutsche Biographie, Band 25, 2013, Seiten 227-228 – Online-Version, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 31. Dezember 2022..
Die beiden Frauen, deren Wohnort im Berliner Adreßbuch seit 1915 mit der Adresse Siegmunds Hof 13 angegeben ist[57]Berliner Adreßbuch 1915, Zweiter Band, August Scherl Deutsche Adreßbuch-Gesellschaft m. b. H., Berlin, 1915, Seite 809., wurden von den deutschen Faschisten am 29. Oktober 1942 mit dem 69. Alterstransport nach Theresienstadt deportiert. In der Transportliste führte man sie an den Positionen 39 (Rosa) und 40 (Adeline)[58]Deportationsliste des 69. Alterstransports von Berlin nach Theresienstadt, Seite 7, Website www.statistik-des-holocaust.de – Statistik und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich, abgerufen am 31. Dezember 2022.. Beide starben nur kurze Zeit nach ihrer Deportation in Theresienstadt, Adeline am 21. November 1942, Rosa am 22. oder 23. Januar 1943. Während ihre Totenscheine Erkrankungen als Todesursache aufweisen – Adeline Goldberg soll einer Lungenentzündung erlegen, Rosa Jacobsohn an einer Herzmuskelentartung gestorben sein – ist der Aufschrift auf ihren Stolpersteinen zu entnehmen, daß beide in dem Ghetto, in das man sie verschleppt hatte, von den deutschen Faschisten ermordet wurden[59]Freudenthal, Adeline Goldberg, 2014, Seite XV.[60]Rosa Jacobsohn, Website www.stolpersteine-berlin.de – Stolpersteine in Berlin, abgerufen am 31. Dezember 2022.[61]Totenschein der Rosa Jacobsohn, Website www.holocaust.cz, abgerufen am 31. Dezember 2022..
Die vier am 17. September 2019 verlegten Steine, die wir vor der Hausnummer 12 zu unseren Füßen sehen, erinnern an Herbert Pollaczek und dessen Ehefrau Bianka sowie an Siegfried Gutmann und dessen Ehefrau Wanda. Die unter den Namen jeweils angegebenen Daten erzählen in äußerst knapper Form die tragische Geschichte dieser vier Menschen: sie wurden alle am 19. Februar 1943 nach Auschwitz deportiert und dort von den deutschen Faschisten ermordet.
Auf den Steinen der beiden Frauen ist überdies zu lesen, daß sie beide eine geborene Lesser waren. Das läßt vermuten, daß es sich um zwei Schwestern handelte, was tatsächlich der Fall war. Bianka, die am 22. Juli 1884 geboren wurde, war die ältere, Wanda die jüngere. Ihr Geburtstag war der 10. Dezember 1889. Beide stammten sie aus Schönlanke in Posen, das heute Trzcianka heißt und in Polen liegt. Die beiden Schwestern, deren Eltern der Spediteur Naumann Lesser und seine Ehefrau Rosalie, eine geborene Schachnow, waren, hatten noch sechs weitere Geschwister. Gemeinsam mit Wanda und ihrer ebenfalls jüngeren Schwester Elsbeth zog Bianka nach Berlin, wo sie alsbald Arbeit als Schneiderin fand. Hier lernte sie den am 10. April 1904 in Berlin geborenen Kaufmann Herbert Pollaczek kennen. Dessen Vater war Max Pollaczek, ein Doktor des Rechts, der Redakteur bei der Berliner Morgenpost und beim Berliner Anzeiger war und sich darüberhinaus als Schriftsteller betätigte. Herberts Mutter Martha wiederum war die Tochter Bruno Gattels, der als Unternehmer 1890 die Hutfabrik „Gebrüder Gattel“ mitgegründet hatte, die in der Prinzenallee im Wedding ansässig war. Bianka und Herbert heirateten am 12. März 1935. Ein Jahr zuvor hatte ihre Schwester Wanda den Kurzwarenhändler Siegfried Gutmann geehelicht, der aus Schivelbein in Pommern stammte, wo er am 13. Dezember 1877 geboren worden war. Der Ort heißt heute Świdwin und liegt ebenfalls in Polen. Als Herbert Pollaczek 1939 zur Zwangsarbeit in der Siemens-Schuckert-Werke AG in Berlin gepreßt wurde, lebten die beiden Ehepaare in einer gemeinsamen Wohnung im Haus Siegmunds Hof Nummer 12 – dort, wo sich heute die an sie erinnernden Stolpersteine befinden[62]Florence Moehl: Bianka Pollaczek geb. Lesser & Herbert Pollaczek & Wanda Gutmann geb. Lesser & Siegfried Gutmann, Website www.stolpersteine-berlin.de – Stolpersteine in Berlin, abgerufen am 7. Dezember 2022.. Der 19. Februar 1943 bedeutete für alle vier den Anfang ihres Weges in die menschengemachte Hölle. An diesem Tag wurden sie mit dem 29. Osttransport von Berlin nach Auschwitz deportiert, gemeinsam mit 996 weiteren jüdischen Mitbürgern aus Berlin, dem Regierungsbezirk Potsdam und Hamburg. Ihre Transportnummern lauteten 794 und 795 für Herbert und Bianka sowie 837 und 838 für Siegfried und Wanda[63]Deportationsliste des 29. Osttransports von Berlin nach Auschwitz, Seite 41 und Seite 43, Website www.statistik-des-holocaust.de – Statistik und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich, abgerufen am 7. Dezember 2022.. Wann genau sie in dem Vernichtungslager ermordet wurden, ist heute nicht mehr feststellbar.
All diese Menschen, deren Stolpersteine wir auf unserem Weg hierher passiert haben, stehen stellvertretend für die vielen Juden im Hansaviertel, in Berlin, in Deutschland und in den von den deutschen Faschisten zeitweilig besetzten Gebieten Europas, die jene in die vielen Ghettos und Vernichtungslager deportierten und dort ermordeten. Wie überall in Deutschland, begann ihr Leidensweg auch im Hansaviertel zunächst mit dem Boykott ihrer Geschäfte, Arztpraxen und Rechtsanwaltsbüros. Es folgte die Verdrängung aus ihren Berufen und von den Lehreinrichtungen. Mit den 1935 erlassenen „Nürnberger Gesetzen“ entzogen ihnen die Faschisten alle bürgerlichen Rechte. Sie durften nicht mehr wählen und sich nicht mehr mit sogenannten Ariern verheiraten. Die Pogrome der „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938 bildeten dann einen ersten gewalttätigen Höhepunkt der Judenverfolgung im Dritten Reich. Es folgten die systematische Enteignung beziehungsweise, wo Juden zur Miete wohnten, die zwangsweise Ausmietung. Letztere spielte insbesondere im Hansaviertel eine große Rolle, da die Faschisten Wohnraum für Mieter benötigten, die sie aus dem nahen, großbürgerlichen Alsenviertel umsetzen wollten, planten sie doch, dieses abzureißen, um Platz für die an seiner Stelle zu errichtenden wahnwitzigen Großbauten ihrer Welthauptstadt Germania zu schaffen. Die aus ihren Wohnungen vertriebenen jüdischen Bewohner brachte man meist in sogenannten Judenhäusern unter, wo sie oft unter unwürdigsten Bedingungen hausen mußten. Für die meisten Betroffenen war dies die letzte Station vor dem tragischen Ende, das in der Deportation in eines der Vernichtungslager bestand, wo sie schließlich ermordet wurden[64]Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seiten 95 ff..
Wir befinden uns nun kurz vor dem Ende der Straße Siegmunds Hof. Es wird auf der linken Seite von einem großen, langweiligen, achtgeschossigen Häuserblock markiert, der die Hausnummer 11 führt. An seiner Stelle hatte in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein Gebäude gestanden, dem im Hansaviertel eine besondere Bedeutung zukam. Es handelte sich um ein großes Atelierhaus, das die Architekten Hermann Ende und Wilhelm Böckmann errichtet hatten, die gemeinsam eines der erfolgreichsten Architektenbüros des Kaiserlichen Berlins führten. Hermann Ende, der von 1878 bis 1885 Professor an der Bauakademie und an der Technischen Hochschule Charlottenburg gewesen war, hatte in der Straße Siegmunds Hof sein Wohnhaus gebaut, die sogenannte Villa Ende, die die Hausnummer 22 trug[65]Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 69 und Seite 112..
Das Atelierhaus hatten Böckmann und Ende etwa an der Stelle errichtet, an der der Kaufmann Johann Gottfried Siegmund auf seinem einstigen Grundstück ein Lusthaus an der Spree hatte bauen lassen. Später hatte sich hier der Wirtshausgarten des bereits erwähnten Restaurants „Neuer Hofjäger“ befunden. Das Atelierhaus war eines der ersten seiner Art in Berlin. Es wies durchgängig zwei, stellenweise aber auch drei Obergeschosse auf und war mit einem ausgebauten Dachgeschoß, das große Oberlichter besaß, ausgestattet. Dies und die großen Fenster an der Nord- und an der Südseite, die im östlichen Teil des Gebäudes durch je ein großes Fenster, das über sämtliche Stockwerke reichte, abgelöst wurden, machten das Haus zum idealen Ort für Künstlerateliers. Im Erdgeschoß arbeiteten Bildhauer, in den oberen Etagen Maler, Grafiker und Kunsthandwerker[66]Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 69.. Das Berliner Adreßbuch weist für das Jahr 1897 unter der Adresse Siegmunds Hof 11 neun Maler, zwei Kunstmaler, elf Landschaftsmaler und acht Bildhauer aus, darunter August Gaul, der vor allem für seine zahlreichen Tierplastiken bekannt ist, und Hugo Lederer, der in Berlin den bekannten Bärenbrunnen nahe der Friedrichwerderschen Kirche schuf[67]Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1897, Zweiter Band, Verlag von August Scherl, Berlin, 1897, Seite 518.. Ab 1913 ist in der Liste der Mieter des Atelierhauses auch der Name Käthe Kollwitz zu finden[68]Berliner Adreßbuch 1913, Zweiter Band, August Scherl – Deutsche Adreßbuch-Gesellschaft m. b. H., Berlin, 1913, Seite 803.. Die Künstlerin, die im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg wohnte, kam stets mit der Straßenbahn hierher, um in ihrem Atelier zu arbeiten[69]Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 70..
Als im Jahre 1924 die Israelitische Synagogen-Gemeinde Adass Jisroel das Atelierhaus erwarb, bedeutete das das Ende für die Arbeitsstätten der Künstler. Die Gemeinde, die das Gebäude zu dem Zwecke gekauft hatte, es selbst zu nutzen, ließ am westlichen Ende des Erdgeschosses eine Synagoge einrichten, die über insgesamt 320 Plätze verfügte. Diese waren in zwei Bereiche geteilt, von denen der eine den Männern, der andere den Frauen vorbehalten war. Der überwiegende Teil des einstigen Atelierhauses beherbergte jedoch alsbald eine von der Gemeinde betriebene Lehranstalt, die aus einer Volks- und Grundschule, einem Oberlyzeum und einem Realgymnasium bestand. Auch einen Schülerhort gab es. Darüberhinaus waren hier weitere Gemeindeeinrichtungen wie die Verwaltung, eine Bibliothek und die Rabbinatsbüros untergebracht. Dieses Gemeindezentrum bestand ein reichliches Jahrzehnt. In der „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938 blieb das Gebäude zwar noch unbeeinträchtigt, doch war es der Gemeinde fortan untersagt, Gottesdienste darin abzuhalten. Bereits im Jahr darauf lösten die Faschisten die Gemeinde auf, was auch das Ende der Schulen bedeutete. Bis 1941 konnten die Schulräume noch für eine Art Berufsschulunterricht genutzt werden, doch dann war auch das verboten. Das Gebäude wurde nun in Teilen vom Reichsluftfahrtministerium und der nahegelegenen Königlichen Porzellanmanufaktur übernommen. Während der Kampfhandlungen im zu dieser Zeit bereits laufenden Zweiten Weltkrieg kam es zwar zu schweren Schäden an dem Gemeindehaus, doch wurde es nicht zerstört, sondern blieb als Gebäude intakt. Infolge der kompletten Umgestaltung des alten Hansaviertels, die in den 1950er und 1960er Jahren vorgenommen wurde, ist es jedoch nie zu einer Wiederinstandsetzung gekommen. Stattdessen ließ der Senat von Westberlin die verbliebenen Reste des einstigen Atelierhauses und späteren Gemeindezentrums 1955 schleifen und den Wohnblock errichten, den wir nun vor uns sehen[70]Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 76.[71]Gemeindehaus und Synagoge, Website adassjisroel.de – Adass Jisroel, Israelitische Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin, abgerufen am 8. Dezember 2022.[72]Mahnmal, Website adassjisroel.de – Adass Jisroel, Israelitische Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin, abgerufen am 8. Dezember 2022..
Dort, wo vor diesem ein Zufahrtsweg von der Straße Siegmunds Hof abzweigt, sind im Pflaster des Gehwegs drei weitere Stolpersteine zu finden. 2012 verlegt, erinnern sie an den einstigen Synagogendiener Moses Rosenblüth, seine Ehefrau Debora und deren gemeinsamen Sohn Abraham. Dem Berliner Adreßbuch zufolge lebte die Familie im Haus Siegmunds Hof 8, das sich nicht weit von hier auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand[73]Berliner Adreßbuch für das Jahr 1939, Erster Band, Verlag August Scherl Nachfolger, Berlin, 1939, Seite 2415.. Moses Rosenblüth, der am 20. Dezember 1891 geboren worden war, stammte aus Lyschansk, einer Stadt in Galizien, die heute im Südosten Polens liegt und Leżajsk heißt[74]Moses Rosenblüth, Eintrag in der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer, abgerufen am 1. Januar 2023.. Seine Frau Debora, deren Geburtsname ebenfalls Rosenblüth lautete und die am 16. August 1895 geboren wurde, stammte aus Oleszyce, einer Stadt, die ebenfalls in Galizien liegt[75]Debora Rosenblüth, Eintrag in der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer, abgerufen am 1. Januar 2023.. Über das Leben der Familie selbst ist wenig bekannt. Die Rosenblüths hatten drei Kinder: am 10. April 1920 kam ihr erster Sohn Ernst zur Welt[76]Ernst Elisha Rosenblueth (Rosenblüth), Eintrag auf der Website geni.com, abgerufen am 1. Januar 2023., zwei Jahre später, am 31. Dezember 1922, ihr zweiter Sohn Abraham[77]Abraham Adi Rosenblueth (Rosenblüth), Eintrag auf der Website geni.com, abgerufen am 1. Januar 2023.. Der Name des dritten Kindes ist nicht feststellbar[78]Moshe Rosenbluth (Moses Rosenblüth), Eintrag auf der Website geni.com, abgerufen am 1. Januar 2023..
Am 28. Oktober 1938 wurde die Familie im Rahmen der ersten Polenaktion als sogenannte „Ostjuden“ – so bezeichneten die deutschen Faschisten Juden polnischer Staatsangehörigkeit – des Landes verwiesen. Wie so viele andere auch gelangten sie nach Bentschen, einem damaligen Grenzort, der sich heute in Polen befindet und Zbąszyń heißt. Ihr Aufenthaltsort wurde für die nächsten Monate das dortige Internierungslager[79]Mojzesz Moses Rosenblüth, Eintrag auf der Website myheritage.de, abgerufen am 1. Januar 2023.
Der Hinweis auf die Verbringung nach Bentschen findet sich lediglich in den Angaben zu Moses Rosenblüth. Es ist allerdings nicht anzunehmen, daß lediglich der Familienvater aus Deutschland ausgewiesen wurde. Überdies wurden Moses und sein Sohn Abraham im Jahr darauf am selben Tag verhaftet, was schwer vorstellbar ist, wenn sich Abraham weiterhin in Berlin aufgehalten haben sollte, während Moses in Bentschen war. Außerdem ist im Berliner Adreßbuch nach 1939 die Familie nicht mehr unter der Adresse Siegmunds Hof 8 verzeichnet – siehe Berliner Adreßbuch 1940, Erster Band, Verlag August Scherl Nachfolger, Berlin, 1940, Seite 2525.[80]Andreas Jordan: Die Vertreibung der polnischen Juden aus Deutschland 1938, Juni 2010, Website gelsenzentrum.de – Gelsenzentrum, Portal für Stadt- und Zeitgeschichte, abgerufen am 1. Januar 2023.. Im Jahr darauf, am 13. September 1939, wurden Moses und sein Sohn Abraham aus unbekannten Gründen verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt, wo sie die nächsten Jahre verbrachten. Für das Jahr 1941 geht aus im Lager geführten Listen hervor, daß Moses Rosenblüth in den Krankenbau eingeliefert werden mußte. Am 28. Mai 1942 wurde er – vermutlich gemeinsam mit anderen Häftlingen – von Mitgliedern der SS erschossen. Die Listen dokumentieren, daß dies als Vergeltung für einen Anschlag auf die antisowjetische Propagandaausstellung „Das Sowjetparadies“ geschah[81]Mojzesz Moses Rosenblüth, Eintrag auf der Website myheritage.de, abgerufen am 1. Januar 2023.[82]Kay Kufeke: Listen und Sachen als Erinnerungsstücke – Zur Bedeutung von Dokumenten und Objekten in Ausstellungen zur Konzentrationslager-Geschichte, In: Gedenkstättenrundbrief 104, Ausgabe 11/2001, Seiten 3 ff.. Moses‘ Sohn Abraham wurde im Jahr darauf, am 14. Januar 1943, nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo ihn die Faschisten noch am selben Tag ermordeten[83]Abraham Rosenblüth, Website www.stolpersteine-berlin.de – Stolpersteine in Berlin, abgerufen am 1. Januar 2023.[84]Abraham Rosenblüth, Eintrag auf der Website myheritage.de, abgerufen am 1. Januar 2023.. Auch Debora Rosenblüth entging diesem Schicksal nicht. Von Mann und Sohn seit deren Verhaftung getrennt, wurde sie am 1. November 1941 ins Ghetto in Litzmannstadt (heute Łódź in Polen) deportiert. Knapp ein Jahr später, am 29. September 1942, brachte man sie zunächst in das Vernichtungslager Treblinka, um sie wenig später dann nach Kulmhof (heute Chełmno in Polen) zu überstellen, wo sie schließlich noch im gleichen Jahr ermordet wurde[85]Debora Rosenblüth geb. Rosenblüth, Website www.stolpersteine-berlin.de – Stolpersteine in Berlin, abgerufen am 1. Januar 2023.[86]Debora Rosenblüth, Eintrag in der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer, abgerufen am 1. Januar 2023.. Von der ganzen Familie überlebte nur der erstgeborene Sohn Ernst den Holocaust[87]Ernst Rosenblüth sind die Gedenkeinträge für seine Eltern in der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer der Gedenkstätte Yad Vashem zu verdanken – siehe Ernest Elisha Rozenblit, Einreicher-Datensatz in der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer, abgerufen am 1. Januar 2023..
An das alte Atelierhaus und das einst darin untergebrachte jüdische Gemeindezentrum würde heute, sieht man einmal von den Stolpersteinen für den Synagogendiener Moses Rosenblüth und seine Familie ab, nichts mehr erinnern, wäre da nicht ein kleines Denkmal, das am Ende der Straße Siegmunds Hof auf dem Gehweg an deren linker Seite steht, dort, wo sie in einem weiten Bogen in das Schleswiger Ufer übergeht. Seine stählernen, eng nebeneinanderstehenden Stelen unterschiedlicher Höhe sind so zusammengesetzt, daß einige mit ihren abgeschrägten Oberkanten ein Dreieck formen, das in die von ihnen gebildete Wand hineinragt, während andere mit ihrer größeren Höhe eben dieses Dreieck durchbrechen. Es ist die abstrakte Form einer Menora beziehungsweise eines Chanukka-Leuchters. Geschaffen wurde dieses Denkmal, das den Titel „Erinnerung“ trägt, im Jahre 1986 vom Bildhauer Georg Seibert. Seine Einweihung fand am 25. Juni desselben Jahres statt. Eine weitere, am 17. September 1989 enthüllte stählerne Stele mit eingelassenen Texten in Deutsch, Hebräisch und Englisch berichtet in knappen Worten von dem einstigen Gemeindezentrum im Haus Siegmunds Hof 11 und erinnert an die von den Faschisten verschleppten und ermordeten Gemeindemitglieder[88]Mahnmal, Website adassjisroel.de – Adass Jisroel, Israelitische Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin, abgerufen am 8. Dezember 2022.[89]Jörg Kuhn, Susanne Kähler: Erinnerung, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 8. Dezember 2022..
Von Brücke zu Brücke
An dieser Stelle erreicht der Grüne Hauptweg Nummer 19 die Spree. Eine schmale Fußgängerbrücke, der Wullenwebersteg, führt hinter dem Denkmal zur anderen Flußseite hinüber. Einst überspannte an dieser Stelle die Achenbachbrücke die Spree und verband die Straße Siegmunds Hof im Hansaviertel mit der Wullenweberstraße in Moabit. Im Berliner Adreßbuch erstmals im Jahre 1902 verzeichnet, wurde die Brücke in den Jahren 1900 und 1901 errichtet und nach dem 1899 verstorbenen Heinrich von Achenbach benannt, der von 1873 bis 1878 preußischer Staatsminister und von 1879 bis 1899 Oberpräsident der Provinz Brandenburg gewesen war[90]Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1902, Zweiter Band, Verlag der Berliner Adreßbuch-Gesellschaft m. b. H., August Scherl, Berlin, 1902, Seite 1.[91]Die neue Achenbachbrücke, In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen – Vossische Zeitung, Ausgabe 275 vom 15. Juni 1902 (Morgenausgabe), Seite 4.. Am 10. Mai 1902 nahm man sie in Betrieb[92]Friedrich Krause & Fritz Hedde: Die Brückenbauten der Stadt Berlin seit dem Jahre 1897, In: Zeitschrift für Bauwesen, herausgegeben im Preußischen Finanzministerium, 72. Jahrgang, Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin, 1922, Seiten 32 f..
Der Eindruck, den sie bei einem etwaigen Betrachter hinterlassen mußte, läßt sich heute nicht mehr nachempfinden. Mit ihrem großen Brückenbogen aus Gußeisen, der auf steinernen Stützen ruhte und über seiner Mitte einen eisernen Querriegel aufwies, wirkte sie recht gewaltig und massiv[93]Achenbachbrücke, Website „DeTiG Postkarten“, abgerufen am 12. Dezember 2022.. Im Juli des Jahres 1903 schrieb der Architekten-Verein zu Berlin einen Wettbewerb aus, um die recht nüchtern wirkende Brücke auszugestalten[94]Deutsche Bauzeitung, Organ des Verbandes Deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine, Verlag Deutsche Bauzeitung GmbH, Berlin, 37. Jahrgang, Ausgabe 44 vom 4. Juni 1903, Seite 283.. Diesen gewann der Architekt Hermann A. Krause[95]Deutsche Bauzeitung, Organ des Verbandes Deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine, Verlag Deutsche Bauzeitung GmbH, Berlin, 37. Jahrgang, Ausgabe 64 vom 12. August 1903, Seite 416., weil er jedoch verstarb, ehe sein Entwurf umgesetzt werden konnte, übernahm dies schließlich Bruno Schmitz. Dem Entwurf Krauses gemäß wurde der Eisenbogen zu beiden Seiten mit großen Brückenköpfen versehen, denen am Jugendstil orientierte Sphinxe mit stilisierten Köpfen vorgesetzt waren[96]Johanna Yeats: Bruno Schmitz (1858-1916) – Reformarchitekt zwischen Historismus und beginnender Moderne, Books on Demand GmbH, Norderstedt, 2016/2020, ISBN 978-3-74587-0107, Seiten 337 f.[97]Krause & Hedde, Brückenbauten, 1922, Seiten 32 f.. Der Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs zerstörte die Achenbachbrücke vollständig.
Erst in den Jahren 1956 und 1957 errichtete man an dieser Stelle eine beide Spreeufer verbindende neue Brücke, die allerdings nur noch Fußgängern den Übergang gestattet. Sie erhielt jedoch nicht mehr den Namen Achenbachbrücke, sondern wurde wie die Wullenweberstraße nach Jürgen Wullenwever benannt, der von 1533 bis 1535 Bürgermeister der Stadt Lübeck war, in einer Zeit also, die infolge der Auseinandersetzungen mit Dänemark und den Niederlanden große Unruhen prägten. Wullenwever setzte sich als Vertreter der nichtpatrizischen Kaufleute für deren Mitbestimmung ein und unterstützte die Reformation. In seinem Bemühen, die alte Stellung Lübecks im Ost- und Nordseeraum wiederzugewinnen, machte er sich viele Feinde, nicht zuletzt auch dadurch, daß seine Bemühungen scheiterten. Im Ergebnis dessen mußte er auf Betreiben der Patrizier, die die Androhung der Reichsacht erwirkten, zurücktreten. Fälschlicherweise als Wiedertäufer bezichtigt, wurde er schließlich gefangengenommen, gefoltert und unrechtmäßig verurteilt, was 1537 zu seiner Hinrichtung durch das Schwert führte. Im ausgehenden 19. Jahrhundert, einer Zeit, in der das deutsche Nationalgefühl Hochkonjunktur hatte, sah man in ihm einen Helden, was zur Namensgebung der Wullenweberstraße geführt haben dürfte[98]Dietrich Schäfer: „Wullenwever, Jürgen“, In: Allgemeine Deutsche Biographie, Band 44, 1898, Seiten 299-307 – Online-Version, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 12. Dezember 2022..
Neben der Brücke führen Stufen zum Uferweg an der Spree hinab. Wir steigen sie hinunter und wenden uns nach rechts. Unter hohen, schattenspendenden Bäumen folgen wir dem Wasserlauf flußauf. Die Spree windet sich hier in großen Schlaufen durch die Stadt, den sogenannten Spreebögen, die von der Charlottenburger Einmündung des Landwehrkanals im Westen bis zur Marschallbrücke im Osten reichen, die sich in Mitte befindet. Die nördliche Uferseite bildet der Berliner Ortsteil Moabit, während sich Charlottenburg, das Hansaviertel und der Ortsteil Tiergarten die südliche Uferseite teilen, auf der der Weg nun verläuft. Ein Stück wird er noch von der Schleswiger Ufer genannten Straße begleitet, bis diese in einer Sackgasse endet. In der Hausnummer 15 lebte bis 1935 die Schriftstellerin Alice Berend[99]Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 111., die in den 1920er Jahren eine erfolgreiche Autorin war, deren Werke im S. Fischer Verlag erschienen, wo sie Auflagen von mehr als hunderttausend Exemplaren erreichten. Wegen ihres Stils und ihrer zeitgeschichtlichen und realistischen Milieuschilderungen galt sie vielen ihrer Leser als „die kleine Fontane“. Sie wurde als älteste Tochter einer jüdischen Fabrikantenfamilie am 30. Juni 1875 geboren. Ihre fünf Jahre jüngere Schwester Charlotte war die Malerin Charlotte Berend, die später den Maler Lovis Corinth heiratete. Wegen ihrer jüdischen Herkunft verboten die deutschen Faschisten 1933 die Schriften Alice Berends. 1935 mußte sie aus Deutschland emigrieren. Sie ging mit ihrer Tochter nach Florenz, wo sie bereits von 1906 bis 1915 gelebt hatte. Drei Jahre später starb sie dort nach schwerer Krankheit völlig mittellos. Heute sind ihre Werke nahezu vergessen[100]Jana Mikota: „Eine Humoristin ist uns gekommen“ – Alice Berend, In: Medaon – Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung, 5. Jahrgang, 2011, Ausgabe 8, Seiten 1 ff.. Zu Unrecht, wie Peter Härtling im Nachwort ihres 1976 wiederveröffentlichten Romans „Spreemann & Co“ feststellt:
In der Literatur gibt es keine Wiedergutmachung. Das schlechte Gewissen liest gemeinhin nicht. Es gibt nur gelesene und ungelesene Bücher. Dieses Buch sollte gelesen werden.[101]Zitiert nach Mikota, Alice Berend, Seite 1.
Wir sind noch nicht sehr lange auf dem Uferweg unterwegs, da gelangen wir zur Hansabrücke. Sie führt die Altonaer Straße über den Fluß, die, vom Großen Stern kommend, die wichtigste Straße im Hansaviertel ist. Die aktuelle Brücke ist, das können wir auf den ersten Blick erkennen, kein historisches Bauwerk. Die Stahlbögen und die Fahrbahnplatte aus Beton verraten das Kind der 1950er Jahre. Tatsächlich ist diese Brücke die dritte an dieser Stelle. Die erste entstand in den 1890er Jahren und war aus Holz. Bereits 1910 ersetzte man sie durch eine massivere – der stark zugenommene Verkehr hatte dies erfordert. Die Konstruktion oblag dem Stadtbaurat für Tiefbau, Friedrich Krause, während Bruno Möhring die architektonische Gestaltung des Bauwerks übernahm. Die Brücke überspannte die Spree mit einem fünfzig Meter weiten Bogen, an den sich am Schleswiger Ufer ein zweiter anschloß, der mit seiner Breite von elf Metern der dortigen Straße Durchlaß gewährte. Der Spreeübergang war nicht aus Stein gebaut, sondern bestand aus Flußeisen, um darin die Straßenleitungen leichter unterbringen zu können. Er besaß ein schmiedeeisernes Geländer, das mit Arabesken gefüllt war, während die massiven Brückenköpfe an den Ufern mit Brüstungen aus Werkstein ausgestattet waren.
Auf dem Pfeiler zwischen den beiden Bögen hatte man ein kleines Gebäude errichtet, daß in seinem Äußeren an alte hanseatische Giebelhäuser erinnerte. Es bot im unteren, auf Straßenhöhe gelegenen Geschoß Platz für den Dienstraum eines Wärters und darüber für dessen Wohnung. Als besonderer Schmuck hatte man daran ein von Walter Schmarje geschaffenes, in Sandstein gearbeitetes Bild angebracht, das eine Hansekogge zeigte. An beiden Flußseiten führten Treppen von der Brücke zu den Uferstraßen hinunter[102]Krause & Hedde, Brückenbauten, 1922, Seiten 31 f.[103]Hansabrücke, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 17. Dezember 2022..
Im Zweiten Weltkrieg teilte die Brücke das Schicksal des Stadtviertels, mit dem sie den Namen teilte. Sie wurde zerstört. Der Flußübergang, vor dem wir jetzt stehen, stammt aus dem Jahr 1953. Von seinem Vorgängerbau blieben lediglich die Ufertreppen und das Bild des Wikingerschiffs erhalten. Letzteres befindet sich heute am Brückenpfeiler des gegenüberliegenden Ufers. Es hat also gewissermaßen die Seiten gewechselt[104]Hansabrücke, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 17. Dezember 2022..
Auch die heutige Brücke besteht aus zwei Bögen – einem großen über die Spree und einem kleinen über den Uferweg, auf dem wir unterwegs sind. Treten wir auf der anderen Seite unter dem Bogen hervor, bemerken wir voraus eine kleine steinerne Säule, auf der eine Figur aus dem gleichen Material sitzt. Sie wendet uns den Rücken zu, will, daß wir um sie herumgehen. Tun wir das, erkennen wir einen barfüßigen jungen Mann, der hingebungsvoll seine Ziehharmonika spielt. Das sieht so lebensecht aus, daß man meinen könnte, die Musik zu hören. Rollkragenpullover, Beinkleider und Schürze lassen den Schiffer erkennen. Unter seinen Füßen sitzen auf allen Seiten der Säule auf kleinen Vorsprüngen vier Frösche. Einst dienten sie als Wasserspeier, denn die Säule war mit dem steinernen Becken, in dem sie steht, einst der von Hermann Hosaeus geschaffene Schifferbrunnen. Er wurde 1914, vier Jahre nach der Errichtung der Brücke, hier aufgestellt[105]Hansabrücke, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 17. Dezember 2022., befand sich zu jener Zeit allerdings nicht mitten auf dem Uferweg, sondern auf dessen linker Seite am Flußufer. Das Wasser ist ihm leider ausgegangen, so daß die Frösche heute mit leeren, offenen Mündern in die Gegend starren und so ein wenig hilflos wirken. In der Brunnenschale, die es auf ein Dutzend Ecken bringt, wuchert dafür üppiges Grün, das weitestgehend sich selbst überlassen ist und das – wer mag es ihm verdenken – weidlich ausnutzt, denn es klettert bereits über den Rand und siedelt sich auf dem Platz vor der Einfassung an.
Kurz nach dem Schifferbrunnen passiert der Weg einen langweilig blau-grauen Flachbau, der soweit ans Ufer heranreicht, daß er den Uferstreifen ein gutes Stück überragt und der Weg unter ihm hindurch muß. Der Kasten gehört zum Gymnasium Tiergarten und seinem 1971 errichteten Neubau, der, steht man oben auf der Altonaer Straße, den um vieles imposanteren und schöneren Altbau fast völlig verdeckt. Vom Ufer aus kann man diesen jedoch sehen. Im Jahre 1901 begonnen und ein Jahr später fertiggestellt, war dieses Gebäude das einzige im ganzen Hansaviertel, das als Schule errichtet wurde. Es entstand im Rahmen eines umfangreichen Programms, das man zu jener Zeit für den Bau von Schulen und anderen öffentlichen Bauten in Berlin aufgelegt hatte. Die Entwürfe dafür lieferte der seit 1897 als Stadtbaurat von Berlin tätige Ludwig Hoffmann. Das hiesige Schulgebäude für die 13. städtische Realschule gestaltete er gemeinsam mit Stadtbauinspektor Vincent Dylewski im Stil der norddeutschen Renaissance als roten Backsteinbau. Es reihte sich damals gleichberechtigt in die Häuserzeile an der Uferpromenade des Schleswiger Ufers ein. Weil er die ihm unmittelbar benachbarten Häuser jedoch wegen seines hohen Daches und seines der Spree zugewandten Giebels an Höhe deutlich überragte und jene in ihrer Gestaltung zudem vorwiegend neoklassizistische Stilelemente aufwiesen, paßte sich der neue Schulbau nur unvollkommen in sein Umfeld ein[106]Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 79.. In der Weimarer Republik erhielt die Realschule wie viele andere Lehreinrichtungen der Stadt einen Namen. Als Namenspatron wählte man den Maler Adolph von Menzel. Den Zweiten Weltkrieg überstand das Schulgebäude nahezu unbeschadet – als einziges der Häuser der Uferpromenade, deren letzte Erinnerung es heute darstellt, wo doch selbst die Straße nicht mehr vorhanden ist. Bereits Ende des Jahres 1945 konnte daher an der Schule bereits wieder unterrichtet werden[107]Menzel-Oberschule, Website „Städte-Klamotten“, abgerufen am 18. Dezember 2022.. Weil in den Folgejahren die Zahl der Schüler beständig zunahm, wurde schließlich eine Erweiterung der Schule notwendig, die man 1971 in Angriff nahm. Vier Jahre später war der Erweiterungsbau fertiggestellt. Architektonisch hatte man auf das alte Schulgebäude absolut keine Rücksicht genommen, sieht man einmal von der teilweisen roten Färbung der Fassade des quaderförmigen und völlig schmucklosen Kastens ab, als der sich der neue Schulbau präsentierte. Gemeinsam mit ihm entstand auch der über unseren Weg ragende Flachbau, der die Aula der Schule beherbergt. Als man im Jahr 2012 die inzwischen zum Gymnasium avancierte Menzel- mit der Moabiter Heinrich-von-Kleist-Schule zusammenlegte, gingen die Namen der beiden Lehranstalten verloren. Die neue Schule firmiert bis heute nur noch unter dem profanen Titel „Gymnasium Tiergarten“[108]Das Schulgebäude, Website des Gymnasiums Tiergarten, abgerufen am 18. Dezember 2022[109]Herzlich willkommen am Gymnasium Tiergarten!, Website des Gymnasiums Tiergarten, abgerufen am 18. Dezember 2022.
Hinter dem Gymnasium wandern wir weiter am Spreeufer entlang. Im Frühling ist das besonders reizvoll, wenn die Bäume in voller Blüte stehen und die Sonnenstrahlen auf dem Wasser glitzern. Wir haben das Gymnasium Tiergarten gerade hinter uns gelassen, als der Fluß und mit ihm unser Weg in eine nach rechts gewandte Kurve eintreten. Dort, wo sie beginnt, traf einst die Flensburger Straße auf die Spree. Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Im Zuge der Neugestaltung des gesamten Hansaviertels in den 1950er und 1960er Jahren ließ man die Flensburger Straße an der sie einst kreuzenden Lessingstraße enden, so daß sie den Fluß heute nicht mehr erreicht. Auf dem Areal zwischen Spree und Lessingstraße befindet sich nun ein Sportplatz.
Wo die Flensburger Straße an dieser Stelle einst die Spree traf, wurde sie durch eine 1905 eröffnete Fußgängerbrücke gewissermaßen fortgesetzt, die den Namen Borsigsteg trug und als Hängebrücke gestaltet war. Es handelte sich um ein beeindruckendes Bauwerk. Zwei riesige Pylone zu beiden Seiten des Flusses gaben den diesen überspannenden Gelenkketten Halt, die überdies durch senkrechte Hängestangen zusätzliche Stützung erfuhren. Die Brückenbahn, über die die Fußgänger die Spree überqueren konnten, war fünfeinhalb Meter breit und wies einen Asphaltbelag auf. Treppen führten zu den Uferstraßen hinunter. Die beiden Pylone hatte man als große Portale gestaltet, in denen elektrische Bogenlampen aufgehängt waren, die des Abends für Beleuchtung sorgten. Die Brücke trug ihren Namen nicht von ungefähr. Auf Moabiter Seite hatten Albert und August Borsig, die Begründer der Berliner Eisenindustrie, einst ein Fabrikgelände besessen, das zum Zeitpunkt der Errichtung der Brücke jedoch bereits geschlossen war und durch diese nun der Bebauung mit Wohnhäusern erschlossen wurde. Zur Ehrung der beiden Fabrikanten hatte man Reliefs mit ihren Porträts an den Pylonen angebracht[110]Krause & Hedde, Brückenbauten, 1922, Seiten 29 ff.. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Brücke vollständig zerstört[111]Diether Ontrup: Vergangen und Vergessen? Borsig in Moabit – Industrie und Gartenkultur, In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 98. Jahrgang, Heft 4 vom Oktober 2002.. Auf einen späteren Wiederaufbau verzichtete man im Zuge der Neugestaltung des Hansaviertels, da die Flensburger Straße nun nicht mehr mit der Spree verbunden war. Und weil auch die den Fluß begleitende Häuserzeile den Krieg nicht überstanden hatte, wurde im Zuge der Neugestaltung des Hansaviertels auf die Uferstraße gänzlich verzichtet. Geblieben ist lediglich der Uferweg, auf dem wir gerade unterwegs sind. So ist heute auch nicht mehr erkennbar, daß die einstige Uferstraße hier am Borsigsteg einst ihren Namen wechselte. Hieß sie bis hierher Schleswiger Ufer, so wurde sie nun Holsteiner Ufer genannt[112]Gut erkennbar ist das auf dem Liegenschaftsplan der Reichshauptstadt Berlin – Nordwest, Geographisches Institut und Landkarten-Verlag Jul. Straube, Berlin, 1937..
Während wir nun dem Weg um die bereits erwähnte Flußbiegung folgen, passieren wir rechts von uns eine weitere Schule. Die Lehranstalt trägt den Namen Hansaschule und ist eine Grundschule. Ihre Gebäude – zwei Unterrichtsgebäude mit zwei beziehungsweise drei Etagen, ein Verbindungsbau für Aula beziehungsweise Mensa und Verwaltung, eine Turnhalle sowie sechs einzelne Klassenpavillons – wurden in den Jahren 1956 bis 1958 nach Plänen von Bruno Grimmek errichtet und stellen ein typisches Beispiel für das neue Hansaviertel dar, das für die Internationalen Bauausstellung Interbau errichtet wurde, auch wenn die Schule außerhalb von deren Gelände gelegen war[113]Lessingstraße 5: Hansa-Grundschule – B. Grimmek, Website „Hansaviertel Berlin“, abgerufen am 18. Dezember 2022.. Ob die Bauten, mit denen man neue Wege im Schulbau gehen wollte, der Zielsetzung von hellen, kinderfreundlichen, unhierarchischen Schulbauten wirklich gerecht werden, mag jeder Betrachter für sich selbst entscheiden. Wir sehen das Schulgelände gewissermaßen von seiner Rückseite aus, denn sein Haupteingang befindet sich an dessen gegenüberliegenden Ende in der Lessingstraße. Auf dem heutigen Schulgelände stand einst das Haus Lessingstraße 33, in dem die Schriftstellerin Nelly Sachs gemeinsam mit ihrer Mutter bis zu ihrer Emigration nach Schweden gelebt hatte. Eine am Eingang der Schule angebrachte Gedenktafel erinnert an sie[114]Hansaschule, Website berlingeschichte.de, abgerufen am 18. Dezember 2022..
Als wir um die Flußbiegung kommen, finden wir uns vor der nächsten Brücke über die Spree wieder, die den Namen des Dichters Gotthold Ephraim Lessing trägt. Bevor wir uns ihr jedoch zuwenden, können wir bei einem Blick auf das gegenüberliegende Ufer dort ein Haus entdecken, dessen spitzer Giebel die Uferbäume überragt und an dem in großen Lettern „Haus Lessing“ zu lesen ist. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude besitzt fünf Etagen und weist über dem mittig gelegenen Eingang Balkone und Loggien auf, die mit Stuckelementen versehen wurden. Nun, mit dem Dichter hat dieses Wohnhaus nur insofern etwas zu tun, als es in der Nähe eben jener Brücke steht, denn gewohnt hat er hier natürlich nie, war das Haus doch erst von 1912 bis 1913 von Georg Jacobowitz für Paul und Erich Spielhagen errichtet worden, der eine ein Kaufmann, der andere Architekt[115]Lessinghaus, Website berlingeschichte.de, abgerufen am 18. Dezember 2022.. Sie wollten wohl dem Schöpfer der Minna von Barnhelm oder des Nathan ihre Reverenz erweisen.
Die Lessingbrücke führt eine weitere wichtige Straße des Hansaviertels über die Spree: die bereits erwähnte Lessingstraße. Der erste Brückenbau wurde hier 1877 errichtet, genau wie die erste Hansabrücke aus Holz. Bereits 1897 benannte man sie in Lessingbrücke um und ersetzte sie nur vier Jahre später durch einen Neubau aus Stein, der von Friedrich Krause und Ludwig Hoffmann entworfen und 1904 fertiggestellt wurde. Neunzehn Meter war sie breit und besaß eine gewölbte Mittelöffnung von fast dreißig Metern Weite, die es zwei acht Meter breiten Lastkähnen selbst bei Hochwasser noch gestattete, aneinander vorbeizufahren. Hinzu kamen zu beiden Seiten des Flusses überwölbte Seitenöffnungen sowie eine Unterführung für die südliche Uferstraße.
Die massiven Brückenteile verkleidete man mit rotem Miltenberger Sandstein, den man auch für die Brüstungen über den Seitenöffnungen verwendete. In diese wurden kunstvoll gestaltete Plastiken eingearbeitet, die als durchbrochenes Dekor dienten und die Welt des Wassers zum Thema hatten. Fantasiegestalten wie Wassermänner, Nixen und Neptun selbst waren darin ebenso zu finden wie Frösche, eigenwillig gestaltete Delphine, Seepferdchen und Wasserpflanzen. Über dem mittleren, aus Stahl geschaffenen Bogen begrenzte hingegen ein schmiedeeisernes Gitter die Seiten der Brücke.
Ein besonderes Merkmal der Brücke waren die vier schmückenden Pfeileraufbauten, die den mittleren Brückenbogen einfaßten und für die man ebenfalls Miltenberger Sandstein verwendete. Jeder dieser Aufbauten besaß an seinem oberen Rand an drei Seiten ein schmales Relief. Dieses zeigte in der Mitte eine von je zwei brennenden Fackeln, Lorbeerzweigen und zwei Schlangen umgebene Eule mit gespreizten Flügeln, hinter der eine wappenartig geschlungene Schriftrolle zu sehen war. Darunter befand sich an jedem Pfeiler ein großes Bronzerelief. Diese vier Darstellungen zeigten Schlußszenen aus den bekanntesten Bühnenstücken Lessings. Geschaffen wurden sämtliche Reliefs von Otto Lessing, einem Nachfahren des Dichters. Er hatte sich auch früher schon mit seinem Ahnen beschäftigt und ihm im Berliner Tiergarten ein Denkmal gesetzt, das noch heute dort steht. Den deutschen Faschisten, die nicht nur Bücher verbrannten, sondern auch viele andere Kunstwerke vernichteten, indem sie sie für den Wahn ihres Krieges einschmolzen, entgingen auch diese Bronzereliefs leider nicht.
Im Zweiten Weltkrieg wurde dann auch die Lessingbrücke nahezu vollständig zerstört. Nur wenige Teile blieben erhalten. Da die Straßenverbindung an dieser Stelle jedoch von einiger verkehrstechnischer Bedeutung war, errichtete man 1951 eine Notbrücke. Es sollte mehr als dreißig Jahre dauern, bis man die Lessingbrücke zum zweiten Mal neu errichtete. Dabei orientierte man sich im wesentlichen an Gestaltung des Baus von 1904 und fügte dessen erhaltene Teile in die neue Inkarnation ein. Da die originalen Reliefs unwiederbringlich zerstört waren, wurde der Bildhauer August Jäkel beauftragt, sie nach historischen Fotografien neu zu erschaffen. Allerdings verzichtete man dabei darauf, die einst zwölf schmalen Reliefs im einstigen Umfang wiederherzustellen, und begnügte sich damit, an jedem Pfeileraufbau nur eines anzubringen[116]Krause & Hedde, Brückenbauten, 1922, Seiten 28 f.[117]Jörg Kuhn: Plastischer Schmuck der Lessing-Brücke, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 18. Dezember 2022..
Geschichte am Fluß
Hinter der Lessingbrücke stehen wir unvermittelt vor dem Wendekreis einer hier endenden Straße. Indem wir ihr folgen, wandern wir nun das bereits erwähnte Holsteiner Ufer entlang. Zwar ist die Fahrbahn mit kleinteiligem Kopfsteinpflaster versehen, doch mit der einstigen Uferstraße hat dieser heutige Verkehrsweg dennoch nicht viel zu tun. Während die linke, bürgersteiglose Straßenseite vom mit Büschen bewachsenen Spreeufer eingenommen wird, stehen rechterhand Wohnhäuser, von denen die meisten der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts entstammen. Am gegenüberliegenden Flußufer wurden die Wohnbauten nun von einem Gebäudekomplex abgelöst, der seinen Zweck als Heimat für Gewerbe und Büros nicht verleugnen kann. Große Fensterfronten und zahlreiche Firmenlogos weisen unmißverständlich darauf hin. Zwar dominieren moderne Neubauten das Bild, doch passen sich ihre rot verkleideten Fassaden den vereinzelt zwischen ihnen erkennbaren roten Klinkerbauten an, die deutlich älteren Ursprungs sind und sich auf dem Gelände, das sich von der Straße Alt-Moabit bis zum Spreeufer erstreckt, erhalten haben. Sie sind die verbliebenen Reste der einstigen Moabiter Unternehmenszentrale der Meierei Carl Bolle, einem 1879 gegründeten Berliner Unternehmen, dessen Milchwagen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zum Stadtbild gehörten wie heute die Busse für die Stadtrundfahrten. Diese Wagen zuckelten durch die Stadt und lieferten deren Bewohnern Milch. Besetzt waren sie meist mit einem Jungen und einem Mädchen. Während er, den die Berliner der Wagenaufschrift wegen einfach als Bolle bezeichneten, für die Wagenlenkung zuständig war, lieferte das Bolle-Mädchen die Ware aus und kassierte. Neben der Milch hatten beide noch etwas anderes im Angebot, das für die Berliner ebenso wichtig war: Neuigkeiten und freche Sprüche[118]Historie – Die Väter der Festsäle. Damals und Heute, Website www.bolle-meierei.com, abgerufen am 1. Januar 2023.. Wenn Ihnen, lieber Leser, also ein Berliner bescheinigt, Sie seien „frech wie Bolle“, dann nehmen Sie es als Kompliment. Jene Zeiten klingen darin nach.
Und auch der Begriff der „Milchmädchenrechnung“ wird von bösen Zungen immer wieder gern auf die Bolle-Milchmädchen zurückgeführt. Auch wenn das wahrscheinlich nicht stimmt, weil der Begriff beispielsweise bereits im Jahre 1823 in der von Heinrich Clauren verfaßten Erzählung „Der Blutschatz“ auftaucht, haben sich sicherlich einige der Bolle-Mädchen hin und wieder auch einmal verrechnet. Doch eines von ihnen ist mit seinen Rechenkünsten sogar in die Geschichte eingegangen. Die Rede ist von Anna Schnasing. Tatsächlich soll sie ernsthafte Schwierigkeiten mit dem Kopfrechnen gehabt haben, so daß sie von ihren Kunden immer wieder über den Tisch gezogen wurde und am Abend zu wenig Geld für die verkaufte Milch mitbrachte. Als sie jedoch von einem Kurzurlaub bei ihren Verwandten im Spreewald nach Berlin zurückkehrte, war sie wie verwandelt, heißt es. Plötzlich konnte sie fehlerfrei, schnell und völlig problemlos multiplizieren. Dabei bewegte sie ihre Finger in einem eigentümlichen System, das niemand zu verstehen schien außer sie selbst. Erst einem ihrer Kunden, einem Mathematiker, gelang es nach einiger Beobachtung dahinterzukommen, wie sie mit Hilfe ihrer Finger rechnete. Und weil er darüber einen kleinen Artikel verfaßte, verhalf er dem Bolle-Milchmädchen zu dauerhaftem Ruhm. Noch heute ist ihre Methode als „Fingerrechnen nach Anna Schnasing“ bekannt[119]Florian Freistetter: Zur Ehrenrettung der Milchmädchen, In: Spektrum der Wissenschaft – spektrum.de, erschienen am 27. Januar 2021, abgerufen am 1. Januar 2023.[120]Volker Wieprecht & Robert Skuppin: Berliner populäre Irrtümer – Ein Lexikon, berlin edition im be.bra verlag, Berlin, 2005, Seite 143 via Anna Schnasing, Artikel auf der Website de-academic.com, abgerufen am 1. Januar 2023..
Setzen wir unseren Weg fort. Die Spree beschreibt hier einen weiteren ihrer weiten Bögen, so daß die Wanderung am Holsteiner Ufer beständig durch eine Kurve geht. Die Hausnummern der Straße wurden im Laufe der Zeit immer wieder einmal geändert. Während die Zählung kurz hinter der Lessingbrücke heute mit Eins beginnt und an der von rechts einmündenden Claudiusstraße die Dreizehn erreicht, befanden sich im Jahr 1892 in diesem Abschnitt die Hausnummern 52 bis 45. Die Numerierung verlief also der heutigen Richtung entgegengesetzt. In der Nummer 46 lebte in den Jahren 1892 und 1893 der jüdische Kaufmann Alex Tucholsky mit seiner Familie[121]Berliner Adreßbuch für das Jahr 1893, Erster Band, Verlag von W. & S. Loewenthal, Berlin, 1893, Seite 1399 und Berliner Adreßbuch für das Jahr 1893, Zweiter Band, Verlag von W. & S. Loewenthal, Berlin, 1893, Seite 212.[122]Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 119.. Sein 1890 geborener Sohn verbrachte so seine frühen Kinderjahre in diesem Haus und wurde später ein bekannter Publizist und Schriftsteller: Kurt Tucholsky[123]William J. King: „Tucholsky, Kurt“, In: Neue Deutsche Biographie, Band 26, 2016, Seiten 491-494 – Online-Version, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 2. Januar 2023..
1894 hatte man die Numerierung der Straße bereits geändert. Sie begann nun an der Lessingbrücke mit Eins – wie heute. Eine Hausnummer 46 gab es nun nicht mehr[124]Berliner Adreßbuch für das Jahr 1893, Zweiter Band, Verlag von W. & S. Loewenthal, Berlin, 1893, Seite 218.. Ab 1912 verzeichnete das Berliner Adreßbuch erneut eine andere Zählung. Der Anfang des Holsteiner Ufers lag nun nicht mehr an der Lessingbrücke, sondern am Borsigsteg. Dementsprechend war dort auch die neue Hausnummer 1 zu finden[125]Berliner Adreßbuch 1912, Zweiter Band, August Scherl, Deutsche Adreßbuch-Gesellschaft m. b. H., Berlin, 1912, Seite 364.. Mit der Neugestaltung des Hansaviertels nach dem Zweiten Weltkrieg ließ man die Straße schließlich wieder an der Lessingbrücke beginnen.
Von rechts mündet die Claudiusstraße ein. Dahinter haben sich noch einige Häuser aus dem alten Hansaviertel erhalten. Errichtet Ende des 19. Jahrhunderts, sind sie heute eine der letzten Erinnerungen an die bürgerlichen Bauten jener Zeit. Prächtig gestaltete Fassaden verleihen den Häusern individuellen Charme, der vielen Bauten der heutigen Zeit so oft leider völlig abgeht. Am im Stile der norddeutschen Renaissance gehaltenen Eckhaus an der Claudiusstraße – es umfaßt die Hausnummern Holsteiner Ufer 14 und 16 sowie Claudiusstraße 9 – wechseln sich Backsteinverkleidungen und verputzte Wandflächen ab und tauschen an der Fassade auch immer mal wieder ihre Rollen. So bestehen die Hauswände hier aus Backstein, während dort nur die Fensterverkleidungen aus diesem Material geschaffen wurden. Hinzu kommt jede Menge Bauschmuck aus Stuck und Sandstein. Besonders fallen dabei die unter den Fenstern angebrachten Reliefs ins Auge, die pflanzliches Gerank zeigen. Das Gebäude stammt aus den Jahren 1891 und 1892 und wurde von Hugo Maaß entworfen. Die Atelierwohnungen im dritten und vierten Stock erinnern daran, daß im Hansaviertel einst auch viele Künstler lebten. Von der Straße, wo wir uns befinden, ist es uns nicht möglich, einen Blick auf das Dachgeschoß zu werfen, so daß wir die im nördlichen Flügel darin untergebrachten verglasten Ateliers nicht sehen können. Die Wohnungen in dem Gebäude entsprachen zur Zeit seiner Errichtung großbürgerlichen Standards. An der Hausecke wiesen sie beispielsweise sechs Zimmer auf[126]Mietshaus Holsteiner Ufer 14, 16 Claudiusstraße 9, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 2. Januar 2023.[127]Mietshaus Holsteiner Ufer 18, 20, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 2. Januar 2023..
Am benachbarten Haus mit den Nummern 18 und 20 dominieren barocke Elemente. Große Bogenfenster, geschweifte Giebel, wuchtige Gesimse, eine Balustrade auf dem Dach und üppige Stuckdekorationen wie die beiden prächtigen Kartuschen unter dem Hauptgesims – die Anleihen bei barocken Schloßbauten, die Conrad Höltzel und Wilhelm Trenner nahmen, als sie das Gebäude in den Jahren 1897 und 1898 errichteten, sind nicht zu verkennen. Die künstlerische Ausgestaltung des üppigen Stuckdekors hatte der Bildhauer Albert Jungermann übernommen. Auch in diesem Wohnhaus besaßen die Wohnungen in den oberen Stockwerken einen großzügigen Schnitt. Sechs bis sieben Zimmer waren der Normalfall. Das Souterrain beherbergte unter anderem einen Laden und die Wohnung des Portiers[128]Mietshaus Holsteiner Ufer 18, 20, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 2. Januar 2023..
Am Eingang mit der Hausnummer 20 entdecken wir eine Berliner Gedenktafel. Sie erinnert an die jüdische Wissenschaftlerin Marianne Awerbuch, die, am 20. Juni 1917 geboren, in diesem Hause ihre Kindheit und Jugend verbrachte. Vor den Faschisten floh sie im Januar 1939 nach Palästina. Vier Jahre später wurden ihre Eltern, die in Deutschland geblieben waren – der Vater hatte die aufziehende Gefahr wohl stets verdrängt -, von den deutschen Faschisten in Auschwitz ermordet. Hatte sie anfangs nie nach Deutschland zurückkehren wollen, änderte sie 1966 ihre Meinung und kam nach Berlin, um an der Freien Universität in mittelalterlicher Geschichte zu promovieren. Anschließend blieb sie und arbeitete am Institut für Judaistik, wurde später Professorin und schließlich auch Dekanin der Freien Universität Berlin. Zeit ihres Lebens setzte sie sich stets für gegenseitige Achtung zwischen Christen und Juden ein. Auch versuchte sie stets, ihren Studenten und Lesern das lebendige, stets in Entwicklung begriffene Judentum nahezubringen, als Wissenschaft jenseits von Mystik und rabbinischer Gelehrsamkeit. Aufgrund dieses Wirkens gilt sie heute als die eigentliche Gründerin des Instituts für Judaistik an der Freien Universität, auch wenn dieses schon vor ihrer Rückkehr nach Berlin existierte. Als 1992 in Berlin die große Ausstellung „Jüdische Lebenswelten“ stattfand, war sie eine ihrer maßgeblichen Mentoren. Am 6. Juni 2004 starb Marianne Awerbuch in Berlin. Sie ist auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt worden[129]Jacques Schuster: Die Letzte ihrer Epoche, In: Die Welt, 12. Juni 2004.[130]Thomas Lackmann: Die drei Leben der Marianne Awerbuch, In: Tagesspiegel, 4. Februar 2008..
Das nächste Haus, ihm sind die Hausnummern 22 und 24 zugeordnet, wurde in den Jahren 1895 und 1896 nach Entwürfen von Fritz Schulz errichtet und beherbergt wieder Atelierwohnungen. Seine Fassade ist symmetrisch und in jedem Stockwerk anders gestaltet. In der Mitte dominieren zwei große, bis auf den Boden hinabreichende Erker, die mit Balkonen verbunden sind. Auch hier finden sich Stuckelemente, die aber längst nicht so überbordend vorhanden sind wie noch am Nachbargebäude. In jeder Etage gibt es zwei Wohnungen mit jeweils vier bis fünf Zimmern. Von der Straße aus nicht sichtbar sind der sich an das Haus links anschließende Seitenflügel und das dahinterstehende Quergebäude[131]Mietshaus Holsteiner Ufer 22, 24, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 5. Januar 2023..
Betrachtet man im Weitergehen die nachfolgenden Hausfassaden, so fällt unmittelbar auf, daß wirklich nur sehr wenige der Wohnhäuser des alten Hansaviertels den Krieg überdauert haben. Zwar ist die hiesige Häuserfront am Holsteiner Ufer mittlerweile wieder lückenlos, doch die nach dem Krieg errichteten Gebäude sind auf den ersten Blick als solche zu erkennen. Ihre Fassaden sind meist völlig schmucklos, glatt verputzt und einfarbig gestrichen. Ihre Fenster paradieren streng in Reih und Glied und Balkone gibt es gar keine. Lediglich vereinzelt werden sie durch niedrige Gitter vor den Fenstern angedeutet.
Auf der gegenüberliegenden Uferseite ist inzwischen ein großes, markantes Gebäude zu sehen, das die Form eines riesigen Us hat, von dem wir aber nur die Spitzen sehen, die als abgerundete Glasfronten ausgebildet sind. Von 1999 bis 2015 war dies der Sitz des Bundesministeriums des Inneren, das hier jedoch nur zur Miete wohnte. Mittlerweile ist es ausgezogen und hat sich seinen eigenen Wohnsitz an der Straße Alt-Moabit geschaffen. Natürlich ging das wieder einmal nicht ohne eine dieser Possen vonstatten, wie sie in der heutigen Politiklandschaft leider nicht sonderlich selten sind. Und so wirklich lachen konnte darüber wohl auch niemand, denn ihre Aufführung kostete immerhin fast zwanzig Millionen Euro. Als man nämlich 1997 den zwei Jahre später startenden Mietvertrag aushandelte, verpflichtete sich das Ministerium zur Zahlung von zwei Jahresnettomieten, sollte es die darin vorgesehene Option auf ein Sonderkündigungsrecht wahrnehmen und so den auf dreißig Jahre Laufzeit geschlossenen Vertrag vorzeitig beenden. Als man für das Jahr 2015 schließlich den Auszug in eine eigenes, dem Bund gehörendes Gebäude in Angriff nahm und kündigte, machte der Vermieter umgehend die entsprechende Forderung geltend und verlangte, daß für die nächsten zwei Jahre nach dem Auszug die Miete noch zu zahlen sei. Im Ministerium hatte man diese Regelung offenbar schon wieder vergessen, denn man zeigte sich sichtlich überrascht, vermutete Absprachen zum Nachteil der Bundesrepublik und stellte Strafanzeige. Man stritt sich und es kam zum Prozeß, der – wenig überraschend – verlorenging. Es sei, so die Richter, nicht einmal ansatzweise zu erkennen gewesen, wer wann mit wem solche Absprachen getroffen haben solle. So kamen zu den Kosten für die zwei Jahre Miete auch noch die Prozeßkosten hinzu. Verwundert es noch jemanden, daß sich dann auch noch der eigene Neubau des Ministeriums als zu klein erwies? Weil man im ehemaligen Dienstgebäude mehr Platz zur Verfügung gehabt hatte als in dem neu errichteten Hause und man diesen auch benötigte, wurde alsbald noch ein Erweiterungsbau erforderlich[132]Ralf Schönball: Bürohaus „Spreebogen“ in Berlin-Moabit: 17,5 Millionen Euro Miete, fällig bei Auszug, In: Tagesspiegel vom 15. Juli 2016.[133]Ralf Schönball: Von Moabit zum Berliner Hauptbahnhof: Umzug kann für das Innenministeriums teuer werden, In: Tagesspiegel vom 18. Juni 2017.. Und die Kosten für all dies? Die übernahm natürlich wieder einmal – der Steuerzahler.
An der Ecke, wo das Holsteiner Ufer auf die Bartningallee trifft und sich der winzige Vorgarten des Hauses um die Ecke herumwindet, führen ein paar Stufen zu einem Eingang in der abgeschrägten Hausecke hinauf. Kommt man nicht gerade im Winter hier vorüber, beherbergt der erwähnte Vorgarten eine Handvoll Gartentische, deren Plätze an sonnigen Tagen ausnahmslos alle von Menschen belegt sind, die hier sitzen, Kaffee trinken und schwatzen. Diese sehr beliebte und daher belebte Straßenecke gehört der Konditorei Buchwald, Berlins ältester Konditorei. 1852 hatte Gustav Buchwald sein „Baumkuchenfabrikation-Konditorei und Café“ genanntes Unternehmen gegründet. Das war zwar in Cottbus, doch gelang es ihm 1883 dennoch, königlicher Hoflieferant zu werden. Für Baumkuchen, versteht sich. Dieses Gebäck galt damals bereits als der König der Kuchen, nicht nur wegen der äußerst aufwendigen Herstellung – das Backen von Baumkuchen zählt zu den schwierigsten Disziplinen des Konditorenhandwerks -, sondern auch wegen des stolzen Preises. Fünf Reichsmark für eine einzige Scheibe Gebäck – das konnten sich nur Wohlhabende leisten. Mit der Eisenbahn wurde das süße Backwerk nun von Cottbus an den Hof der Hohenzollern transportiert. Um diesen nicht nur umständlichen, sondern sicher auch kostenintensiven Transportweg einzusparen, sah sich Gustav Buchwald bald schon nach einem Standort in der Hauptstadt des Deutschen Kaiserreichs um. Diesen fand er in dem gerade neu entstandenen Hansaviertel, an der Spree in der Brückenallee, die seit 1960 Bartningallee heißt. Den Einzug erlebte er dann allerdings nicht mehr. Doch sein Sohn, der ebenfalls den Namen Gustav trug, setzte das Geschäft fort – ab 1904 am neuen Standort[134]Im Jahre 1904 ist Gustav Buchwald erstmals als Eigentümer des Hauses Brückenstraße 7 im Berliner Adreßbuch verzeichnet – siehe Berliner Adreßbuch 1904, Zweiter Band, Berliner Adreßbuch-Gesellschaft m. b. H. August Scherl, Berlin, 1904, Seite 88.. Über Jahre war die Konditorei Buchwald ein florierendes Unternehmen, auch wenn sie mit dem Ende der deutschen Monarchie ihren Status als Hoflieferant verlor. Doch dann kam der sogenannte Schwarze Freitag des Jahres 1928, und Gustav Buchwald Junior, der sich dem Spekulieren mittlerweile allzu sehr verschrieben hatte, ging seines nahezu gesamten Vermögens verlustig. Der Verkauf des Hauses war unumgänglich. Immerhin konnte der Laden erhalten werden, den er nun jedoch vom neuen Besitzer anmieten mußte.
Als Gustav Buchwald Junior 1935 starb, übernahm seine Großnichte Käthe Dielitz das Geschäft, die es – als gelernte Kauffrau – in den letzten Jahren bereits am Leben gehalten und saniert hatte. Es ging wieder aufwärts für die Konditorei Buchwald. Bis im Jahre 1939 die deutschen Faschisten die Verwendung von Mehl für etwas anderes als das Backen von Brot gänzlich untersagten. Für das Unternehmen bedeutete das nicht weniger als das Aus. Der Laden in der Brückenstraße schloß seine Pforten. Als der Zweite Weltkrieg sechs Jahre später endlich zu Ende war, lag Berlin in Trümmern. Auch das Haus an der Brückenstraße war zerstört. Nur das Erdgeschoß stand noch und war leidlich bewohnbar – gut genug für Käthe Dielitz, um die Konditorei Buchwald wiederzubeleben, den Laden erneut zu öffnen und um ein Café zu erweitern. Als 1961 die Stadt geteilt wurde, bedeutete das erneut schwere Zeiten für das Familienunternehmen. Viele der einstigen Kunden konnten das Geschäft, das nicht allzu weit von der neuen innerstädtischen Grenze entfernt lag, nun nicht mehr erreichen. Der Umsatz brach ein. Doch erneut gelang das Überleben, nicht zuletzt, weil man sich den Versandhandel zunutze machte. Australien, Südafrika, Japan, USA – wo auch immer in der Welt in den Kriegsjahren Vertriebene oder Ausgewanderte lebten, war der Baumkuchen der Konditorei Buchwald bekannt und beliebt. Bis heute ist die Konditorei ein Familienunternehmen, mittlerweile in fünfter Generation[135]Wolfgang Prosinger: Café Buchwald – Der Stammbaumkuchen, In: Tagesspiegel vom 3. September 2014.[136]Andrea Tönges: Ich bin die Fünfte von Gustavs Erben…, Website der Konditorei Buchwald, abgerufen am 9. Januar 2023.. Ein Stück Berliner Geschichte sozusagen, das man hautnah erleben kann, wenn man hier eine Rast einlegt. Vorausgesetzt natürlich, man bekommt noch einen Platz.
Die Holsteiner Ufer genannte Straße, auf der wir unterwegs sind, überquert an dieser Stelle die Bartningallee. Diese trägt, wie bereits erwähnt, ihren Namen erst seit 1960. Dabei wurde allerdings nur der nördlich des S-Bahn-Viadukts gelegene Teil der früheren Brückenallee mit diesem neuen Namen versehen. Der südliche, einst bis zur Altonaer Straße durchgehende Abschnitt der Brückenallee hörte mit der kompletten Umgestaltung des Hansaviertels in den 1950er Jahren auf zu existieren, da man im dortigen Südviertel das Straßenraster radikal veränderte. So beschreibt die Bartningallee hinter der S-Bahn nun eine mehr oder weniger elegante, weiträumige S-Kurve und führt hinüber zum Hansaplatz, wobei sie im letzten Drittel dieses Weges die einstige Klopstockstraße ersetzt, die es heute ebenso wie den südlichen Abschnitt der einstigen Brückenallee gar nicht mehr gibt. Benannt wurde die Straße nach dem Architekten Otto Bartning, der leitender Mitarbeiter der Internationalen Bauausstellung Interbau war und für die grundsätzliche Gliederung des neu aufgebauten Hansaviertels verantwortlich zeichnete[137]Ulrich Brinkmann: Architekt einer sozialen Moderne, In: Bauwelt, Ausgabe 6/2017, Seite 10.[138]Bernhard Schulz: Architektur-Ausstellung – Die Akademie der Künste würdigt Otto Bartning, In: Tagesspiegel vom 31. März 2017..
Hier, am Ufer der Spree, findet die Bartningallee ihre Fortsetzung in der Moabiter Brücke, mittels derer sie den Fluß überquert, um auf der anderen Seite als Kirchstraße weiterzuführen. Eine Brücke gibt es hier bereits seit Mitte der 1820er Jahre. Das erste Bauwerk bestand komplett aus Holz und war, nachdem im Jahre 1820 die königlich-preußische Regierung dessen Errichtung angeregt hatte, einige Jahre später von einem Aktien-Verein errichtet worden, den der Leibzahnarzt des Königs, Pierre Baillif, ins Leben gerufen hatte. Derartiges geschah zu jener Zeit gar nicht so selten. Die Regierung schrieb quasi die Errichtung erwünschter Bauten zur Übernahme durch zahlungskräftige Privatleute aus, die dann die Kosten übernahmen, wofür sie das Recht erwarben, finanziellen Nutzen aus dem fertiggestellten Bauwerk zu ziehen. Im Falle der Baillifbrücke bestand dieser in der Erhebung eines Brückengeldes, das ein Jeder zu zahlen hatte, der hier den Fluß überqueren wollte. Lange konnten Baillif und seine Aktionäre jedoch nicht davon profitieren. Bereits im Jahre 1830 fiel die Brücke an den preußischen Fiskus, wodurch ihre Passage kostenfrei wurde. Zu dieser Zeit hatte sich – möglicherweise wegen des etwas sperrigen Namens ihres Erbauers – bereits die Bezeichnung Moabiter Brücke eingebürgert[139]Felix Hasselberg: Die Entstehung der „Moabiter Brücke“, In: Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins – Neue Folge der „Mitteilungen“, 58. Jahrgang, Heft 1/1941, Seiten 38 f..
Diese erste Brücke war vergleichsweise schlicht gehalten. Siebeneinhalb Meter breit, stand das hölzerne Bauwerk auf Pfählen und besaß in der Mitte eine fast neun Meter breite Schiffsdurchfahrt, die durch Zugklappen abgedeckt war. Ihren ersten Umbau erfuhr die Brücke im Jahre 1860, als man die Zugklappen entfernte und die Fahrbahn etwa eineinhalb Meter anhob. Mit der Ansiedlung industrieller und gewerblicher Betriebe in Moabit nahm dieser Vorort Berlins in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen starken Aufschwung, was notwendigerweise auch das Verkehrsaufkommen stark ansteigen ließ. Als dann auf der hiesigen Flußseite auch noch das Hansaviertel Gestalt annahm und die Stadtbahn errichtet wurde, verstärkte sich diese Entwicklung. Die alte Brücke wurde zum Verkehrshindernis. Nachdem der preußische Fiskus die Brücken und Straßen der sich entwickelnden Stadt im Jahre 1876 in deren Eigentum übergeben hatte, mußte sich nun die städtische Bauverwaltung um dieses Problem kümmern. 1893 war es dann soweit: die alte Brücke wurde abgebrochen und die Errichtung eines steinernen, von Karl Bernhard entworfenen Nachfolgebaus in Angriff genommen. Und dabei begnügte man sich keineswegs mit halben Sachen. Nahezu zwanzig Meter war das neue Bauwerk nach seiner Fertigstellung breit. Anstelle der einst zwölf Pfahljochen besaß die Brücke nun drei große gewölbte Durchflußöffnungen, die auf zwei im Flußbett errichteten massiven Brückenpfeilern ruhten. Von Otto Stahn im Stile der Romanik gestaltet, präsentierte sich die Brücke, für die man Basaltlava und Klinkermauerwerk verwendet hatte, schlicht und gleichzeitig wuchtig. Dreiarmige schmiedeeiserne Kandelaber sorgten für ausreichende Beleuchtung, steinerne, durchbrochene Brüstungen rahmten die Fahrbahn ein und wurden an beiden Brückenenden durch steinerne Sockel abgeschlossen, auf denen man gewaltige bronzene Bärenstatuen plazierte, die von den Bildhauern Karl Begas[140]Karl Begas war ein Bruder des Bildhauers Reinhold Begas., Johannes Boese, Johannes Götz und Carl Piper geschaffen wurden. Bereits 1894 wurde die neue Brücke in Betrieb genommen[141]Karl Bernhard: Der Neubau der Moabiter Brücke in Berlin, Teil 1, In: Centralblatt der Bauverwaltung, 16. Jahrgang, Ausgabe 2 vom 11. Januar 1896, Seiten 13 ff. und Karl Bernhard: Der Neubau der Moabiter Brücke in Berlin, Teil 2, In: Centralblatt der Bauverwaltung, 16. Jahrgang, Ausgabe 3 vom 18. Januar 1896, Seiten 23 ff..
Die Bären teilten schließlich das Schicksal der Bronzereliefs der Lessingbrücke, als die Faschisten sie während des Zweiten Weltkriegs fortschaffen und für die Waffenproduktion einschmelzen ließen. Die Brücke selbst erlitt in diesem Weltenbrand beträchtliche Schäden, die jedoch glücklicherweise in den Jahren danach repariert werden konnten, so daß sich das Bauwerk auch heute noch so präsentiert, wie es Ende des 19. Jahrhunderts errichtet wurde. Nun, abgesehen von den Bären. Zwar setzte man im Jahre 1981 vier neue Bärenfiguren auf die bis dahin leeren Sockel, doch die von Günter Anlauf geschaffenen Skulpturen haben mit den einstigen Bären nur wenig gemein, wirken sie doch, verglichen mit diesen, recht klobig[142]Moabiter Brücke, auch Bärenbrücke, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 10. Januar 2023..
Was heute nur noch wenigen verkehrsgeschichtlich Interessierten bekannt sein dürfte, ist, daß im 19. Jahrhundert nicht nur Venedig eine Stadt der Gondeln war, sondern auch Berlin. Nun, vielleicht ist das ein wenig hoch gegriffen, doch tatsächlich gab es hier in Moabit Gondeln, die die Spree hinauf- und hinabfuhren. Und auch wenn Moabit damals noch gar nicht zu Berlin gehörte, so war es doch ein Ausflugsziel der Berliner, denn hier gab es eine Reihe von Tanz- und Bierlokalen sowie Cafés. Die beste und angenehmste Möglichkeit, diese zu erreichen, um einen vergnüglichen Tag zu verbringen, war eine Fahrt mit einer der Gondeln, waren die Landwege zwischen Berlin und Moabit doch meist noch unbefestigt und bestanden weitgehend aus „märkischem Schnee“, also Sand, in dem ein Wanderer gut und gerne bis an die Knöchel versinken konnte, versuchte er, die Strecke zu Fuß zurückzulegen. So verwundert es kaum, daß sich die Gondeln bereits im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts zu einer recht beliebten alternativen Fortbewegungsart entwickelten. Diese muß man sich nun ganz und gar nicht wie eine Venediger Kanalgondel vorstellen. Immerhin war hier ein genügend breiter Fluß vorhanden. Daher waren die Gefährte doch um einiges größer. Ein jedes konnte wenigstens zwanzig bis dreißig, manche wohl bis zu fünfzig Personen fassen. Hier an der Moabiter Brücke, die gemeinhin auch den hiesigen Endpunkt der Gondelfahrten bildete, befand sich eine kleine Schiffswerft, die 1856 von einem Schiffsbauer namens Jahnke übernommen wurde, der einige dieser Gondeln gebaut hatte, für die sich bald der Name „Moabiter Gondel“ einbürgerte. Als sich in Moabit dann mehr und mehr Industrie ansiedelte und die Lokale verdrängte, als Brücken über die Spree gebaut und die Wege befestigt wurden und schließlich mit Omnibus, Pferdebahn und Dampfschiffahrt moderne Verkehrsmittel die Fahrzeiten verkürzten, bedeutete das in den 1880er Jahren das Ende der Gondeln[143]Arne Hengsbach: Die Moabiter Gondelfahrt, In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 83. Jahrgang, Heft 1 / 1987..
Der Weg führt nun jenseits der Bartningallee weiter das Holsteiner Ufer entlang, bis die Straße auch auf dieser Seite wieder in einem Wendekreis endet. Als Fußweg gestattet es uns jedoch, weiter am Spreeufer entlangzuspazieren. Bereits nach wenigen Metern legt sich uns, vom rechts gelegenen Bahnhof Bellevue kommend, das Viadukt der Stadtbahn in den Weg, das hier den Fluß in ungewöhnlicher Weise schräg überquert. Unmittelbar davor führt eine zweite Brücke zum gegenüberliegenden Ufer hinüber, die, wie es sich gehört, beide Flußufer in rechtem Winkel miteinander verbindet und den Namen Gerickesteg trägt. Dieser ist genau wie der heute nicht mehr vorhandene Borsigsteg eine Fußgängerbrücke und ermöglicht den Moabitern einen einfachen Zugang zur S-Bahn.
Aufmerksame Beobachter mögen sich angesichts der unmittelbaren Nähe der beiden Brücken zueinander nun vielleicht fragen, warum man, als man die Eisenbahnbrücke errichtete, diese nicht einfach mit einem Fußgängerübergang versehen und so den Aufwand für eine zweite Brücke eingespart hat. Nun, tatsächlich hatte man beim Bau der Stadtbahn genau das getan. Deren erste Brücke über den Fluß besaß einen darunterliegenden Fußweg, den man Bellevuesteg getauft hatte. Die Berliner fanden dafür alsbald einen anderen Namen, der dem Lärm der über dem Fußweg dahindonnernden Züge gerechter wurde: Bullerbrücke. Aufgrund des großen Erfolges der die Stadt durchquerenden Eisenbahnstrecke nahm der Verkehr auf der Stadtbahn in den Jahren nach ihrer Errichtung stetig zu, so daß spätestens in den 1910er Jahren ein Um- und Ausbau dieser Brücke erforderlich geworden war. Dieser machte jedoch ihre Mitbenutzung durch die Fußgänger unmöglich. Um nun aber Moabit nicht gänzlich von der Stadtbahn abzuschneiden, beschloß man die Errichtung einer neuen Fußgängerbrücke. Dabei war insbesondere zu berücksichtigen, daß die neue Brücke nicht nur den Schiffsverkehr auf der Spree zu ermöglichen hatte, sondern in ihrer Gestaltung so auf die nahe Stadtbahnbrücke abgestimmt werden mußte, daß es zu keinen Hindernissen kam. Aus diesem Grunde entschied man sich dafür, auf jegliche Zwischenstützen im Flußbett zu verzichten und eine Brücke zu errichten, die mit einer Spannweite von zweiundfünfzig Metern den gesamten Flußlauf direkt überwand. Um dennoch eine möglichst große Höhe der Brückenbahn zu erreichen, ohne dabei den Fußgängern unnötiges Steigen zuzumuten, wurde die Gestalt einer Bogenträgerbrücke gewählt. An deren Enden führten Treppen zum Uferniveau hinunter, die mit üppigen Brüstungsaufbauten versehen waren, auf denen große Lampen für Beleuchtung sorgten, die durch zwei in den Bögen plazierte Hängelampen ergänzt wurden. Die architektonische Gestaltung, die insbesondere die tragenden eisernen Brückenbögen mit den steinernen Treppen und Brüstungen zu vereinen hatte, oblag Professor Bruno Möhring, die vom Jugendstil beeinflußte künstlerische Ausstattung übernahmen Georg Roch und Hermann Feuerhahn. Im Oktober 1913 begannen die Arbeiten zur Errichtung der Brücke, Ende Januar 1915 war sie fertiggestellt. Den Namen Bellevuesteg behielt man bei[144]Fritz Hedde: Neuere Fußgängerbrücken der Stadt Berlin, Teil 2: Der Bellevuesteg, In: Zentralblatt der Bauverwaltung, Herausgegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, 35. Jahrgang, Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Ausgabe 65 vom 14. August 1915, Seiten 429 ff..
Am 31. Mai 1920 erhielt der Bellevuesteg einen neuen Namen. Bereits drei Jahre zuvor war in der Berliner Stadtverordnetenversammlung eine Vorlage eingebracht worden, die die Ehrung des Kaufmanns und Stadtverordneten Wilhelm Gericke zum Gegenstand hatte. Man schlug vor, das fünfzigjährige Jubiläum Gerickes als Ehrenbeamter der Stadt Berlin zum Anlaß zu nehmen, dem Bellevuesteg seinen Namen zu geben[145]442. Vorlage – zur Beschlußfassung -, betreffend Ehrung für den Stadtverordneten Wilhelm Gericke, In: Vorlagen, welche den Zeitungen nicht mitgeteilt sind (404 – 449), In: Vorlagen für die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin, 1917, Seite 450.. Am 30. August 1917 entsprach die Versammlung in ihrer Sitzung diesem Antrag und ihr Vorsteher Paul Michelet würdigte das Wirken Gerickes für die Entwicklung Moabits von der „Sandwüste“, die es zur Zeit seiner Geburt dort gewesen sei, zum Industriestadtteil. Zu Recht könne er der „Schöpfer Moabits“ genannt werden, zu Recht bezeichneten seine Freunde ihn als den „Bürgermeister von Moabit“. Der darauf erfolgende Zwischenruf „König von Moabit“ dürfte wohl der Ursprung der Legende sein, der Berliner Volksmund habe Gericke diesen Beinamen gegeben[146]Amtlicher stenographischer Bericht über die Sitzung der Berliner Stadtverordnetenversammlung am 30. August 1917, No. 16, herausgegeben vom Magistrat, In: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Berliner Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin, Vierundvierzigster Jahrgang, W. & S. Löwenthal, Berlin, 1917, Seite 268.. Nach diesem Beschluß dauerte es jedoch noch die bereits erwähnten drei Jahre, bevor die Umbenennung schließlich im Gemeindeblatt der Stadt Berlin bekanntgegeben und damit rechtskräftig wurde[147]Gemeinde-Blatt der Stadt Berlin, Jahrgang 61, Ausgabe 23 vom 6. Juni 1920, Seiten 219 f.. Die Mühlen der städtischen Bürokratie mahlten auch zu jener Zeit offenbar nicht schneller als heute.
Im Zweiten Weltkrieg beschädigt, doch nicht völlig zerstört, wurde der Gerickesteg bereits in den Jahren 1949 und 1950 wiederhergestellt. Im Gegensatz zum Borsigsteg war er als Flußübergang von einiger Bedeutung, da er den Moabitern den Zugang zur Stadtbahn ermöglichte. Allerdings beseitigte man die künstlerische Dekoration der Brücke, vermutlich, da man die beschädigten oder gar zerstörten Teile nicht ersetzen konnte, aber dennoch einen einheitlichen Gesamteindruck wünschte. Auch die Jugendstillaternen ersetzte man durch schlichtere Pendants[148]Gericke-Steg, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 16. Januar 2023..
Eine Besonderheit des Gerickestegs war es lange Zeit, daß er seit seiner Errichtung mit Gaslaternen beleuchtet wurde. Sowohl die beiden Hängeleuchten als auch die vier großen Laternen wurden durch eine in die Brücke integrierte Gasleitung mit dem Brennstoff versorgt – ein Beleuchtungsensemble, das in dieser Form weltweit wohl einmalig war. Obwohl die Brücke unter Denkmalschutz stand, nutzte die zuständige Senatsverwaltung einen im Jahre 2011 auftretenden Defekt an der Gasleitung, um auch den Gerickesteg in ihren Plan der Umrüstung von Gas- auf Elektroleuchten einzubeziehen, und das, obwohl er zu jener Zeit nur noch eine von zwei Berliner Brücken war, die diese Form der in das Bauwerk integrierten Gaszufuhr besaßen[149]Die andere war die Fußgängerbrücke am Erdmann-Graeser-Weg in Zehlendorf.. Obwohl es dagegen Proteste gab, hielt die Behörde an ihrer Entscheidung fest[150]Brigitte Schmiemann: Historische Gaslampen verschwinden aus Mitte, In: Berliner Morgenpost vom 19. Februar 2011.[151]Gaslampen in Moabit leuchten bald elektrisch, In: Berliner Morgenpost vom 24. Februar 2011.. 2012 war die Umrüstung abgeschlossen[152]Umrüstung der Gasleuchten, Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz auf der Website berlin.de, abgerufen am 16. Januar 2023..
Der Bahnhof Bellevue, zu dem der Gerickesteg den Moabitern so bequemen Zugang gewährt, ist so alt wie die Stadtbahn selbst. Errichtet in den Jahren 1878 bis 1880 nach Entwürfen des Architekten Johann Eduard Jacobsthal, ist der Bahnhof, sieht man einmal von einigen gestalterischen Elementen wie den reich verzierten Aufsätzen der Wandpfeiler und Eckpylone ab, die bei Umbauarbeiten im Zuge der Stadtbahnelektrifizierung in den 1920er Jahren verlorengingen, bis auf den heutigen Tag im wesentlichen in seiner ursprünglichen Form erhalten geblieben. Das kann lediglich ein einziger anderer Stadtbahnhof ebenfalls von sich behaupten: der Bahnhof Hackescher Markt. Beide Haltepunkte sind Beispiele für die damals noch neuartigen doppelgeschossigen Viaduktbahnhöfe, bei denen alle für Betrieb und Abfertigung notwendigen Einrichtungen im verbreiterten Unterbau des Viadukts untergebracht wurden. Die bereits vorhandene dichte Bebauung in der Umgebung der neuen Bahnhöfe ließ aufwendige Vorbauten einfach nicht zu[153]S-Bahnhof Bellevue, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 17. Januar 2023.. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß wir zwar heute ganz selbstverständlich von einem Bahnhof sprechen, daß man jedoch zu Zeiten der Errichtung der Stadtbahn klar zwischen Bahnhöfen und Haltestellen unterschied. Als Bahnhöfe galten lediglich die Stationen, an denen auch die Fernbahn Halt machte. Und das waren bei Fertigstellung der Stadtbahn lediglich die Haltepunkte Schlesischer Bahnhof (heute Ostbahnhof), Alexanderplatz, Friedrichstraße und Charlottenburg. Bellevue war demzufolge lediglich eine Haltestelle[154]Die Berliner Stadtbahn. Linie – Bau – Betrieb. Von einem Techniker, Polytechnische Buchhandlung A. Seydel, Berlin, 1883, Seiten 36 ff.
Sicher wird sich Mancher wundern, daß die Station Zoologischer Garten nicht in der Liste der Bahnhöfe aufgeführt ist. Das hat seinen Grund darin, daß hier zur damaligen Zeit kein Fernbahnhof bestand. Dieser wurde erst später ergänzt. Gleiches gilt für die Haltestelle Lehrter Bahnhof, an deren Stelle sich heute der Hauptbahnhof befindet.. In den ersten Jahren nach der Eröffnung der Stadtbahn 1882 bot sie dem gesamten alten Hansaviertel die einzige Zusteigemöglichkeit zu dem neuen Verkehrsmittel, denn der Bahnhof Tiergarten entstand erst drei Jahre nach der Inbetriebnahme der Bahnstrecke[155]Stadtbahntrasse zwischen Ostbahnhof und Holtzendorffstraße, Stadtbahnviadukt, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 17. Januar 2023..
Wir haben nun das Ende des Holsteiner Ufers erreicht. Alten Adreßbüchern zufolge befand sich hier um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Hausnummer 17[156]Siehe beispielsweise Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1900, Zweiter Band, Verlag von August Scherl, Berlin, 1900, Seite 254.
Heute ist die Numerierung eine andere., in der der Journalist und namhafte Theaterkritiker Alfred Kerr zu dieser Zeit gewohnt haben soll[157]Siehe zum Beispiel Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 115.
Leider ist dies durch die Berliner Adreßbücher der Jahre 1898 bis 1901 nicht zu bestätigen, in denen sich weder der Name Alfred Kerr noch sein eigentlicher Geburtsname Alfred Kempner auffinden läßt. Siehe Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1898, Erster Band, Verlag von August Scherl, Berlin, 1898, Seiten 618 f., Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1899, Erster Band, Verlag von August Scherl, Berlin, 1899, Seiten 683 f., Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1900, Erster Band, Verlag von August Scherl, Berlin, 1900, Seiten 720 ff. und Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1901, Erster Band, Verlag von August Scherl, Berlin, 1900, Seiten 750 f.
Ein Eintrag für „Kerr, Alfred, Dr. phil., Schriftsteller“ ist erstmals im Adreßbuch von 1902 verzeichnet, dort allerdings bereits mit der Adresse Bamberger Straße 42. Siehe Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1902, Erster Band, Verlag der Berliner Adreßbuch-Gesellschaft m. b. H. August Scherl, Berlin, 1902, Seite 784.
Falls Kerr am Holsteiner Ufer als Untermieter gewohnt haben sollte, bleibt dennoch unklar, warum er im Adreßbuch nicht verzeichnet wurde. Eventuell war die Dauer seines Aufenthalts unter dieser Adresse derart kurz, daß dieser unterblieb..
Wo das Staatsoberhaupt residiert
Wir folgen dem Grünen Hauptweg Nummer 19 unter dem Stadtbahnviadukt hindurch und verlassen damit das Hansaviertel. Auf der anderen Seite empfängt uns neben dem Bellevue-Ufer das üppige Grün einer ausgedehnten Parkanlage, die jedoch alsbald von einer hohen Ziegelmauer abgesperrt wird. Zahlreiche Kameraaugen spähen den Uferweg hinauf und hinunter. Hier möchte jemand wirklich ungestört bleiben. Dieser Jemand ist der Bundespräsident, denn der Uferweg führt nun am Rande des Bellevueparks entlang, der zu den Anlagen des Schlosses gleichen Namens gehört, dem Amtssitz des Staatsoberhaupts der Bundesrepublik. Weil es rechts nun nicht mehr viel zu sehen gibt, bleibt nur die Aussicht links. Am anderen Spreeufer liegt auch eine Parkanlage, der man den doch recht sperrigen Namen „Park auf dem Bundespräsidenten-Dreieck“ gegeben hat. Bis 1997 befand sich hier ein schnöder Parkplatz, der den Mitarbeitern des Bundespräsidialamtes vorbehalten war. Als man für dieses einen Neubau neben dem Schloß Bellevue errichtete, wofür ein nicht unerheblich großes Teilstück des Berliner Tiergartens beseitigt werden mußte, beschloß man, zum Ausgleich auf dem alten Parkplatz eine neue Grünanlage zu schaffen. Deren Gestaltung übernahm der Schweizer Landschaftsarchitekt Dieter Kienast. Am 23. Mai 2001 konnte der neue Park schließlich eröffnet werden[158]„Park auf dem Bundespräsidenten-Dreieck“ eröffnet, Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen vom 23. Mai 2001, Website www.stadtentwicklung.berlin.de, abgerufen am 18. Januar 2023.[159]Präsidentendreieck in Berlin, Website www.berlinstadtservice.de, abgerufen am 18. Januar 2023.. Von hier aus ist es lediglich zu erahnen, aber der Park hat tatsächlich eine dreieckige Form, die von der Spree an der einen, der Stadtbahntrasse an der anderen und der Paulstraße an der dritten Seite begrenzt wird. Dort, wo diese, von links kommend, auf den Fluß trifft, ist ein Stück voraus bereits die nächste Spreebrücke zu sehen.
Die Lutherbrücke, wie diese Brücke heißt, wurde Anfang der 1890er Jahre erbaut. Zu dieser Zeit hatte sich, wie bereits erwähnt, Moabit zu einem wichtigen Standort für Industrie und Gewerbe entwickelt. Nachdem man jedoch auch das Kriminalgericht dorthin verlegt hatte sowie mehr und mehr öffentliche Gebäude in diesem Stadtteil errichtet worden waren, erwiesen sich die zu dieser Zeit vorhandenen Spreeübergänge – die Lessing-, die Moabiter und die Moltkebrücke – als unzureichend, um Moabit in ausreichendem Maße mit den südlich und westlich gelegenen Stadtteilen zu verbinden, erforderten sie zum Erreichen dieser neuen Gebäude doch teils erhebliche Umwege. Eine weitere Brücke war daher bald zu einer unbedingten Notwendigkeit geworden. Um insbesondere das Kriminalgericht gut erreichen zu können, erschien eine Verlängerung der Paulstraße über die Spree zum Schloß Bellevue am geeignetsten zu sein. Und weil eine solche Verbindung im Berliner Bebauungsplan bereits vorgesehen war, stand einer schnellen Genehmigung und Umsetzung nichts im Wege. So begann man 1886 mit den Vorbereitungen, die vom preußischen Militärfiskus bereitwillig unterstützt wurden, gehörte doch ein Großteil der erwähnten öffentlichen Gebäude zur Militärverwaltung. Im Frühjahr 1891 begannen die Bauarbeiten, am 14. November 1892 ging die neue Brücke in Betrieb. Bemerkenswert ist dabei nicht nur die überaus schnelle Fertigstellung des Bauwerks, sondern insbesondere der Umstand, daß die geplanten Kosten von 790.000 Mark um rund 100.000 Mark unterschritten werden konnten. Wann hätte man in heutigen Zeiten jemals von einem solchen Fall gehört, noch dazu bei Bauten der öffentlichen Hand…
Das hatte man jedoch nicht durch übermäßige Einsparmaßnahmen erreicht. Vielmehr war sogar schon an die Einlegung von Schienen für die Pferdebahn gedacht und diese vorbereitet worden. Da die Brücke außerdem direkt am Schloß Bellevue lag, das zu jener Zeit noch vom kaiserlichen Hof genutzt wurde, durfte sie auch nicht zu profan anmuten und mußte daher ein entsprechendes, repräsentatives Erscheinungsbild erhalten. Der Architekt und Regierungsbaumeister Otto Stahn hatte dafür zu sorgen und stattete die Brücke mit schmiedeeisernen, vergoldeten Kandelabern, kunstvollen schmiedeeisernen und ebenfalls vergoldeten Geländern, kugelförmigen Sandsteinpostamenten, Klinkerverblendung und vier Brückenköpfen aus, auf denen sich hohe Obelisken mit aufgesetzten goldenen Sternen erhoben[160]Georg Pinkenburg: Baugeschichtliches von der Brücke im Zuge der Paulstraße in Berlin, In: Centralblatt der Bauverwaltung, herausgegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, 13. Jahrgang, Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin, Ausgabe 16 vom 22. April 1893, Seiten 161 ff.. Diese Sterne, so heißt es, verhalfen der Brücke im Volksmund zu dem Beinamen „Butterbrücke“, weil sie die Berliner an die Schilder von damaligen Butterhandlungen erinnerten[161]Dr. Franz Lederer: Ick lach ma ’n Ast – Sprache, Wesen und Humor des Berliners, Buchverlag Germania A.-G., Berlin, 1929, Seiten 187 f.. Offiziell wurde die Brücke zunächst einfach Paulstraßenbrücke genannt, doch bereits 1893 verlieh ihr Kaiser Wilhelm II. den Namen des deutschen Reformators Martin Luther, so daß sie fortan Lutherbrücke hieß[162]Gemeinde-Blatt der Haupt- und Residenzstadt Berlin, 34. Jahrgang, Ausgabe 27 vom 2. Juli 1893, Seite 281..
Natürlich ging der Zweite Weltkrieg auch an der Lutherbrücke nicht spurlos vorüber. Die schweren Schäden, die sie davontrug, konnten erst fünf Jahre nach Kriegsende beseitigt werden, wobei es gelang, das Bauwerk in seiner ursprünglichen Erscheinungsform zu erhalten. Lediglich die zerstörten Kandelaber fehlten eine lange Reihe von Jahren, bis man auch sie zwischen 1974 und 1979 wiederherstellen konnte[163]Lutherbrücke, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 18. Januar 2023..
Am Spreeweg, der auf unserer Seite der Spree an die Lutherbrücke anschließt, liegt das Schloß Bellevue. Erreichen wir ihn, müssen wir nur ein paar Schritte nach rechts gehen, dann stehen wir auch schon vor dem beeindruckenden Schloßbau. Weil er verkehrstechnisch so gut erreichbar ist, reihen sich auf der Straße davor zu jeder Tageszeit Stadtrundfahrtenbusse nacheinander auf und der Gehweg ist eigentlich immer von Menschentrauben aus aller Herren Länder bevölkert, die das Schloß betrachten wollen, Fotoapparate klicken lassen und einzeln oder in Gruppen und in allen möglichen und unmöglichen Bekleidungen vor dieser Kulisse posieren. Hinein darf niemand, die Tore sind geschlossen und dahinter patrouillieren gemessenen Schrittes und mit wichtiger, aber gelangweilter Miene Polizisten auf und ab. Zu Kegeln geschnittene Bäumchen säumen links und rechts in militärisch anmutender Ordnung die sorgfältig getrimmte Rasenfläche. Die gesamte Anlage atmet strengste Symmetrie, die lediglich von drei im Vordergrund stehenden weißen Fahnenmasten auf der rechten Seite gestört wird.
Das Schloß selbst wurde in den Jahren 1785 und 1786 für Prinz August Ferdinand von Preußen, Friedrichs II. jüngsten Bruder, als Sommersitz errichtet. Michael Philipp Daniel Boumann lieferte die Pläne. Die dreiflügelige Anlage nach französischem Muster war der erste klassizistische Schloßbau in Preußen. Am Haupthaus, auch Corps de Logis genannt, das seine Front dem am Spreeweg stehenden Betrachter zuwendet, fällt im Zentrum der Mittelrisalit[164]Bei einem Risaliten handelt es sich um einen Gebäudeteil, der meist auf ganzer Höhe der Fluchtlinie vorsteht. ins Auge, geprägt von korinthischen Pilastern[165]Als Pilaster werden Wandpfeiler bezeichnet. und einem Dreiecksgiebel. Unzweifelhaft bildet er den Hauptzugang zum Schloß. Ursprünglich war das jedoch gar nicht der Fall. Als der Bau errichtet wurde, hatte man lediglich in den beiden Seitenrisaliten dieses Gebäudeteils Zugänge eingerichtet. Wer genauer hinschaut, kann den in vergoldeten Lettern gehaltenen Schriftzug „Bellevue“ lesen, der sich unmittelbar unter dem Giebeldreieck befindet. Dieses war ursprünglich leer und wurde erst im Jahre 1790 mit einer Uhr ausgestattet, die von Relieffiguren eingerahmt ist. Geschaffen von Christian Eckstein und Johann Gottlob Heymüller, stellen diese Personifikationen von Ackerbau, Jagd und Fischzucht dar und erinnern an die einst rein ländliche Umgebung des Schlosses. Auch dessen Name geht auf sie zurück, bot eben sie doch jene „belle vue“ – die „schöne Aussicht“ -, nach der es benannt ist. Man sagt, aus dem Wohntrakt habe es damals in Richtung Westen einen wunderbaren Blick über den sich anschließenden Park und die Schlaufen der Spree gegeben. Man soll sogar die Kuppel des Schlosses Charlottenburg haben sehen können. Davon ist heute nichts mehr übrig, denn seit deren Bau endet der Blick nach nur etwa 400 Metern am Viadukt der Berliner Stadtbahn, hinter dem sich dann die Häuser des Hansaviertels und Moabits aneinanderreihen.
Wenn wir uns das Schloß genauer ansehen, fällt der interessante Umstand auf, daß das höhere Haupthaus zwei, die etwas niedrigeren Seitenflügel jedoch jeweils drei Stockwerke aufweisen. Unzweifelhaft ist ersterer das repräsentative Zentrum der Anlage. So ist es auch nicht verwunderlich, daß er im Obergeschoß einen ovalen Festsaal beherbergt, der die ganze Gebäudetiefe einnimmt, jedoch erst im Jahre 1791 von Carl Gotthard Langhans eingebaut wurde. In den Zeiten seit seiner Errichtung diente das Schloß verschiedensten Zwecken. Es war herrschaftlicher Sommersitz, beherbergte mit dem Museum für zeitgenössische Kunst in Preußen, der sogenannten „Vaterländischen Galerie“, den Vorgänger der Nationalgalerie, wurde vom kaiserlichen Hofstaat bewohnt, war Besprechungsort von Militär und Regierung im Ersten Weltkrieg, enthielt zeitweise Mietwohnungen und wurde 1935 wiederum Museum, diesmal für Deutsche Volkskunde, wofür es im Inneren umgebaut wurde. Von langer Dauer war diese Episode allerdings nicht. Bereits 1938 folgte der nächste Umbau, als man das Museum wieder ausquartierte und das Schloß in das Gästehaus des Deutschen Reichs umwandelte. Erst jetzt verlegte Paul Baumgarten der Ältere, der die Arbeiten verantwortete, den Haupteingang in den Mittelrisaliten des Corps de Logis. Die Bomben des Zweiten Weltkriegs verschonten schließlich auch Schloß Bellevue nicht. Während die Seitenflügel noch Glück hatten und lediglich leichte Schäden erlitten, traf es das Haupthaus ungleich schwerer. Insbesondere der Langhanssaal war praktisch nicht mehr existent. Lange Jahre lag das Schloß in Trümmern, bis man es ab 1954 wiederaufbaute, wobei man auch den Festsaal wiederherstellte. Schließlich sollte Bellevue der Sitz des Bundespräsidenten werden. Weil die Stadt jedoch geteilt und Westberlin offiziell kein Teil der Bundesrepublik war, blieb Schloß Bellevue nur dessen zweiter Amtssitz. Erst nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten stieg es 1994 unter Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum ersten Amtssitz auf[166]Schloß Bellevue, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 19. Januar 2023.[167]Die Geschichte von Schloss Bellevue, Website www.bundespraesident.de, abgerufen am 19. Januar 2023..
Rechts am Spreeufer stehen einige Kastanienbäume. Im Frühling kann man ihre blaßroten Blütenstände aus allernächster Nähe bewundern, denn ihre Zweige hängen bemerkenswert tief. Nachdem wir das ausgiebig getan haben, überqueren wir schließlich den Spreeweg, wundern uns vielleicht ein wenig über den für eine sechsspurige Straße etwas unpassenden Namen und folgen dem Grünen Hauptweg Nummer 19 auf der anderen Seite in die John-Foster-Dulles-Allee hinein. Wir sind wieder im Großen Tiergarten angekommen.
Zelte im Tiergarten
Die Straße wurde 1959 nach John Foster Dulles benannt, wofür ein Teil des einstigen Schlieffenufers – einer die Spree entlangführende Uferstraße und gewissermaßen die Fortsetzung des Holsteiner und des Bellevue-Ufers – und die Zeltenallee zusammengelegt wurden und ihre Namen abzugeben hatten[168]Der Verlauf der beiden ursprünglichen Straßen kann auf dem Liegenschaftsplan der Reichshauptstadt Berlin – Nordwest gut nachvollzogen werden – siehe Liegenschaftsplan der Reichshauptstadt Berlin – Nordwest, Geographisches Institut und Landkarten-Verlag Jul. Straube, Berlin, 1937. Im Juli des Jahres reiste der US-amerikanische Außenminister Christian Herter nach Berlin, um den zu Ehren seines kurz vorher verstorbenen Amtsvorgängers vorgesehenen Namenswechsel zu vollziehen. Doch John Foster Dulles war nicht nur Außenminister der USA gewesen – wie übrigens schon sein fast namensgleicher Großvater John W. Foster Dulles vor ihm. Bevor er dieses Amt bekleidet hatte, war er gemeinsam mit seinem Bruder Allen Anwalt, Lobbyist und Aufsichtsratsmitglied verschiedener Großunternehmen gewesen, darunter der nicht gerade unbekannten United Fruit Company. Als 1945 die Vereinten Nationen ins Leben gerufen wurden, übte John Foster Dulles bei deren Gründungskonferenz in San Francisco die Tätigkeit eines leitenden Beraters aus. Während sein Bruder Allen in den 1950er Jahren CIA-Chef wurde, übernahm John Foster 1953 den Posten des US-Außenministers. In dieser Funktion trug er 1955 zum Abschluß des österreichischen Friedensvertrags bei, der das Land als souveränen, unabhängigen und demokratischen Staat wiederherstellte. Demgegenüber prägte er maßgeblich das amerikanische Prinzip der Abschreckung mit und gewährte Frankreich Unterstützung, als es in Vietnam Krieg gegen die von Ho Chi Minh geführten Kommunisten führte, um seinen kolonialen Einfluß in der Region zu behalten[169]Dina Koschorreck: 1959 – Warum die „Zeltenallee“ zur „John-Foster-Dulles-Allee“ wurde, Archiv-Website des Hauses der Kulturen der Welt, abgerufen am 24. Januar 2023.[170]John Foster Dulles (1953–1959), Website des Miller Centers, abgerufen am 24. Januar 2023..
Wir sind auf der nach Dulles benannten Straße noch nicht weit gegangen, da öffnet sich auf deren rechter Seite ein halbrunder, von einer niedrigen Hecke eingefaßter Platz. In der Mitte steht ein Brunnen, in dessen Zentrum ein auf einem Steinhaufen hockender Wassermann verzweifelt versucht, einen riesig großen Fisch festzuhalten, aus dessen zornig geöffnetem Maul eine Fontäne schießt. Der Wassermann – eine Darstellung des Triton, eines Meeresgottes der griechischen Mythologie – hat es offensichtlich nicht einfach, zumal ihm je nach Windrichtung das niederstürzende Wasser genau ins Gesicht fällt. Der Schöpfer dieses Wasserspiels war der Bildhauer Joseph von Kopf. 1886 hatte er von Auguste Henriette Wahllaender, der vermögenden Witwe des Hofzahnarztes Kaiser Wilhelms I., Friedrich Wilhelm Ludwig Eduard Wahllaender, den Auftrag dazu erhalten. Zwei Jahre arbeitete von Kopf an der Skulptur, bis er sie 1888 schließlich fertigstellte. Der Tritonbrunnen ist damit wahrscheinlich der älteste Springbrunnen des Großen Tiergartens. Wie so vieles andere in Berlin wurde auch er im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt. Es dauerte bis zum Jahr 1987, daß eine Wiederherstellung in Angriff genommen wurde, für die der Bildhauer Harald Haacke den Auftrag erhielt. Er ergänzte die mittlerweile fehlenden Teile, erlaubte sich dabei allerdings gegenüber dem originalen Werk einige Freiheiten. Darüberhinaus schuf er eine Kopie der Skulptur. Diese ist es, vor der wir nun stehen. Das – ergänzte – Original stellte man schließlich vor dem Gebäude des Grünflächenamts im Tiergarten, Straße des 17. Juni Nummer 31, auf[171]Susanne Kähler & Jörg Kuhn: Tritonbrunnen, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 25. Januar 2023..
Rings um den Tritonbrunnen sind auf hohen Postamenten vier Figurengruppen angeordnet, die dem mit dem Fisch ringenden Wassermann bei seinem Tun zuzuschauen scheinen. Die Postamente stehen in passenden, in die Hecke eingelassenen Nischen. Auf jedem von ihnen sitzt eine große steinerne Figur – drei Frauen und ein bärtiger Mann -, die über jeweils zwei Kinder wacht. Es handelt sich dabei um allegorische Flußgottheiten, die die Hauptströme des einstigen deutschen Reiches darstellen. Diese sind an den Utensilien erkennbar, die die jeweiligen Kinderfiguren bei sich tragen. Wandert man von rechts nach links an ihnen vorbei, trifft man so auf den Rhein, die Elbe, die Oder und die Weichsel. Die Figurengruppe „Rhein“, von Rudolf Schweinitz geschaffen, zeigt Weinlese und Lachsfischfang. Die „Elbe“ von Alexander Calandrelli wird durch einen den Hamburger Handel symbolisierenden Merkur und einen Knaben mit einem Zahnrad dargestellt, der auf die Grusonwerke bei Magdeburg verweist. Die „Oder“, ebenfalls von Rudolf Schweinitz gestaltet, wird durch einen Bergmann mit Keilhaue, der für den oberschlesischen Bergbau steht, und die Schafschur, die auf den Wollmarkt in Breslau verweist, angedeutet. August Wittig schließlich gab seiner „Weichsel“ die Attribute für die Holzflößerei und – in Form einer Ährenleserin – den Getreidebau in der Weichselniederung bei. Die Skulpturen stammen sämtlich aus dem Jahre 1874 und standen einst gar nicht an dieser Stelle, sondern gehörten zum Figurenensemble der damals gerade neu errichteten Königsbrücke, die am Alexanderplatz über den Königsgraben führte. Bereits gegen Ende der 1870er Jahre riß man die Brücke wieder ab, als man den Kanal, den sie überspannte, für den Stadtbahnbau opferte. Die Allegorien der Deutschen Ströme versetzte man 1882 hierher in den Berliner Tiergarten. Die nun verwaisten Königskolonnaden durften noch einige Jahrzehnte an ihrem alten Standort verweilen, bis schließlich auch sie weichen mußten. Heute verträumen sie am Eingang des Kleistparks die Zeit[172]Alexander Glintschert: Königsbrücke und Königskolonnaden – Vom Ensemble zum Fragment, Teil 3 der Beitragsserie Die Königsbrücke und die Königskolonnaden, Website „Anderes.Berlin“..
Der Platz, auf dem die Allegorien der Deutschen Ströme stehen, ist – ein weißes Schild auf hohem Pfahl verrät es – der Großfürstenplatz. Am 23. Juli des Jahres 1776 gab es hier – der Platz war damals eigentlich nur eine etwas größere Lichtung an der Spree, die man einfach nur Zirkel nannte – eine große Volksbelustigung, die anläßlich der Verlobung des russischen Thronfolgers Großfürst Paul mit Sophie Dorothee von Württemberg ausgerichtet wurde. Diese war zwar wegen eines plötzlich aufziehenden Gewitters, das die Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzte, so daß sie fluchtartig die Szenerie verließ, bald vorüber, der Platz trug jedoch seinen Namen davon[173]Ida Luise Krenzlin: Tiergarten – Der Ursprung der Berliner Ausgehkultur, In: Berliner Zeitung vom 10. Juni 2021.. Das ist lange her. Heute wirkt er eher beschaulich. Volksbelustigungen finden hier keine mehr statt. Es gibt sie zwar auch heute noch im Tiergarten, doch sind sie ein paar Meter weiter gezogen zur Straße des 17. Juni.
Einige Meter von hier entfernt vollführt die John-Foster-Dulles-Allee eine leichte Biegung nach rechts, wodurch sie sich vom Fluß entfernt. Hier zweigt ein Weg nach links ab, der weiter am Spreeufer entlangführt und dem der Grüne Hauptweg Nummer 19 nun folgt. Etwa an dieser Stelle befand sich einst ein kleiner Gondelhafen, denn von hier aus starteten die Gondeln nach Moabit[174]Hengsbach, Die Moabiter Gondelfahrt, 1987.. Schauen wir uns um, so mögen wir uns fragen, warum gerade diese Stelle dafür ausgewählt worden war. Schließlich stehen wir hier am Rand einer Straße inmitten des riesigen Parks, der sich Großer Tiergarten nennt. Nun, an dieser Stelle war die Parklandschaft nicht immer so ausgedehnt. Eigentlich ist sie das erst seit dem Zweiten Weltkrieg, als alles in Trümmer ging. In der Zeit davor hatte es hier völlig anders ausgesehen. Das begann schon bei den Straßen. Die heutige John-Foster-Dulles-Allee hieß damals etwa von hier an noch Zeltenallee. Ein kleines Stück voraus, kurz hinter der erwähnten Biegung, können wir auf ihrer rechten Seite einen gar nicht mal so kleinen halbkreisförmigen Platz ausmachen, der aus einer großen Rasenfläche besteht. Damals hieß er Kurfürstenplatz. Heute wird er Zeltenplatz genannt. Und der Weg, dem wir nun weiter folgen, war zu jener Zeit ebenfalls noch eine Straße. Ging man sie entlang, befand man sich In den Zelten.
Doch was waren diese Zelte, nach denen damals zwei Straßen benannt waren und auf die heute noch ein Platz Bezug nimmt, von denen jedoch hier so gar nichts mehr zu sehen ist? Als Zelte oder Zelten bezeichneten die Berliner eine hiesige Ansammlung von Ausflugs- und Bierlokalen, die im 19. Jahrhundert ein wahrer Publikumsmagnet waren. Ihre Anfänge liegen in den Zeiten Friedrichs des Großen, als nach Preußen geflohene französische Hugenotten vom König die Erlaubnis erhielten, im Tiergarten, den der Alte Fritz bekanntlich zum Erholungsgebiet für die Bevölkerung gestalten ließ, Erfrischungen anzubieten. Die dafür errichteten Lokale durften nach königlichem Willen allerdings nur Zelte sein und mußten im Winter abgebaut werden. Das tat ihrer alsbaldigen Beliebtheit bei den Berlinern jedoch keinen Abbruch. Vier Zelte waren es, errichtet aus geteerter Leinwand. Vor Regen und Sonne geschützt, genossen die amüsierfreudigen Einwohner der Stadt darin heißen Kaffee und Kuchen, kühles Bier ebenso wie Wein und Likör. Es gab Braten und Suppe und jede Menge andere Speisen. Und wen das noch nicht genug in gute Stimmung versetzte, der konnte sich an reichlich „Sieke“ erfreuen. Diese „Sieke“ oder „Musieke“ – Musik – gab es in jedem Zelt, denn ein jedes verfügte über seine eigene Kapelle. Nun sind Zelte, was das Wetter und insbesondere den Wind angeht, nicht unbedingt die standfestesten Bauten, die man sich denken kann. Die geschäftstüchtigen Wirte sahen das natürlich genauso, und so wurden um 1780 herum dann bereits feste Bauten errichtet. Zunächst bestanden diese zwar nur aus Holz, hatten aber dennoch gegenüber den früheren Zelten einen ganz wichtigen Vorteil: sie durften das ganze Jahr über bewirtschaftet werden. Der Name „Zelte“ blieb trotzdem, auch als im 19. Jahrhundert aus den hölzernen Hütten steinerne Häuser wurden und zu den ursprünglich vier Zelten ein fünftes hinzukam, das jedoch nie ein Zelt gewesen war. Die Berliner pilgerten zuhauf hierher, wenn sie Ausflüge in den Tiergarten unternahmen[175]Krenzlin, Tiergarten – Der Ursprung der Berliner Ausgehkultur, 2021.[176]In den Zelten, Website „Der Tiergarten“, abgerufen am 28. Januar 2023.[177]Hans-Peter Doege: Ein Erbspicknick „In den Zelten“, In: Berlinische Monatsschrift, Heft 11/1999, Edition Luisenstadt, ISSN 0944-5560, Seiten 11 ff.. Oder die Gondelfahrten nach Moabit. Denn eben diese Zelte waren es, die deren hiesigen Startpunkt bildeten[178]Hengsbach, Die Moabiter Gondelfahrt, 1987.. Nicht wenige Berliner begannen ihre Sonntagsausflüge in den Zelten und schlossen eine Gondelfahrt nach Moabit an, um sie in den dortigen „Krügen“, sprich Ausflugslokalen zu beenden.
Doch die Zelte waren, auch wenn sie den Straßen zu ihren Namen verhalfen, nicht die einzigen Bauten in dieser Gegend. Hier wurde nämlich nicht nur gefeiert – ein paar Wohnhäuser gab es hier einst auch. Hier am einstigen Abzweig der Straße In den Zelten von der Zeltenallee stand beispielsweise einst das Haus In den Zelten Nummer 5, in dem fast ein halbes Jahrhundert lang Bettina von Arnim, die Dichterin und Freundin Johann Wolfgang von Goethes, gewohnt hat. Hier schrieb sie ihren „Briefwechsel mit einem Kinde“ und auch das Buch, dem sie den Titel „Dies Buch gehört dem König“ gab. Von einer Huldigung für Friedrich Wilhelm IV. war es jedoch weit entfernt. Stattdessen enthielt es eine vehemente Anklage der unhaltbaren Zustände, in denen vor allem die unteren Schichten der Gesellschaft in jener Zeit zu leben hatten[179]In den Zelten, Website „Der Tiergarten“, abgerufen am 28. Januar 2023.. Als Clara Schumann in den Jahren von 1873 bis 1878 in Berlin lebte, wohnte sie im Haus In den Zelten Nummer 11, gleich gegenüber der Wohnung Joseph Joachims, des österreichisch-ungarischen Violinisten, Dirigenten und Komponisten, mit dem sie befreundet war[180]Julia M. Nauhaus: 1873–1878 Berlin, Website www.schumann-portal.de, abgerufen am 28. Januar 2023.. Einige Jahre, nachdem Clara Schumann die Stadt wieder verlassen hatte, bezog am jenseitigen Ende der Straße In den Zelten das Ehepaar Wesendonck eine Villa, die die Hausnummer 21 trug. Mathilde Wesendonck, die gemeinsam mit ihrem Ehemann einige Jahre zuvor Richard Wagner finanziell unterstützt hatte, war diesem freundschaftlich verbunden und für den Komponisten eine Art Muse gewesen. Seine Wesendonck-Lieder sind Vertonungen von fünf ihrer Gedichte, und auch die Oper „Tristan und Isolde“ verdankt ihre Entstehung maßgeblich der Beziehung zwischen Wagner und dem Ehepaar Wesendonck[181]In den Zelten, Website „Der Tiergarten“, abgerufen am 28. Januar 2023..
Von all dem ist heute hier nichts mehr zu sehen. Die Straße In den Zelten ist verschwunden und mit ihr auch die Zelte. Der Zeltenplatz und die Zeltenallee sind die letzte Reminiszenz an jene Zeit. Moment, die Zeltenallee? Wurde die nicht umbenannt? Richtig, in John-Foster-Dulles-Allee. Und doch hat ein kleiner Rest von ihr die Zeiten überdauert, auch wenn das kaum jemand weiß. Dort, wo die John-Foster-Dulles-Allee kurz vor ihrem Ende an der Yitzhak-Rabin-Straße einen kleinen Schwenk nach links macht, führt ein Weg geradeaus, kreuzt die Yitzhak-Rabin-Straße, durchquert das Gelände des Sowjetischen Ehrenmals im Tiergarten und führt dahinter weiter bis zum Simsonweg. Während dieser Weg auf Stadtplänen meist keinen Namen mehr hat, verzeichnen die an verschiedenen Stellen im Großen Tiergarten aufgestellten Parkpläne für ihn noch immer den Namen Zeltenallee.
Und auch ein kleiner Rest der alten Zelten-Tradition ist geblieben. Nur ein kleines Stück von hier, neben der Kongreßhalle, die heute den Platz der alten Zelte einnimmt, gibt es wieder welche. Das Tipi am Kanzleramt hat hier seit 2002 sein Domizil – ein Theater für Chansons, Konzerte, Cabaret und Musicals, die größte stationäre Zeltbühne Europas[182]Das Theater Tipi am Kanzleramt, Website www.tipi-am-kanzleramt.de, abgerufen am 29. Januar 2023.. Als solche steht es an diesem Ort auch noch in einer weiteren Tradition. Denn in seiner Nähe, am heutigen Platz der Republik, stand einst ein anderes Theater: die Krolloper. 1844 eröffnet und nach ihrem Gründer Joseph Kroll benannt, war sie im Laufe ihrer Existenz vieles – Vergnügungsetablissement, Opern, Ball- und Komödienhaus, zunächst in privater Hand, später in staatlicher. Zweimal diente sie der Staatsoper Unter den Linden als Quartier – zuerst als Filiale in den 1920er Jahren und 1942 dann als Ausweichquartier für ihr bombengeschädigtes Stammhaus. Nach dem Reichstagsbrand tagte hier das Parlament und die Faschisten nutzten die hier stattfindenden Sitzungen als Bühne. Nachdem sie ihre Diktatur errichtet hatten, war auch die Zeit des Parlaments in der Krolloper vorüber. Es gab keines mehr. Die deutschen Faschisten nutzten das Opernhaus noch gelegentlich für medienwirksame Auftritte wie die am 18. April 1934 stattfindende erste Fernsehübertragung in Deutschland oder die Verkündigung des deutschen Überfalls auf Polen am 1. September 1939 durch Adolf Hitler. Auch die Kriegserklärung an die USA machte der Diktator am 11. Dezember 1941 in der Krolloper öffentlich. Der Zweite Weltkrieg brachte schließlich auch das Ende, als das Theater unter den Bomben zugrundeging. Zwar stellte man noch 1945 einige Teile notdürftig wieder her und nutzte sie für den Betrieb von Restaurants, doch 1957 wurde schließlich der endgültige Abriß vollzogen. Heute ist der einstige Standort der Krolloper ein Teil des Tiergartens. An ihrer Stelle stehen nun die „Skulpturen gegen den Krieg“, von denen mehr denn je zu wünschen wäre, daß ihr Anliegen heute ernst genommen würde[183]Kroll-Oper, Website „Der Tiergarten“, abgerufen am 29. Januar 2023..
Ins Regierungsviertel
Mit Kroll-Oper und Tipi am Kanzleramt sind wir bei unseren Betrachtungen ein gutes Stück vom Grünen Hauptweg Nummer 19 abgewichen. Setzen wir daher unsere Wanderung auf dem Uferweg fort, der den Namen Bettina-von-Arnim-Ufer trägt – ein Umstand, der dem geneigten Spaziergänger leider nirgendwo mitgeteilt wird. Er bringt uns nun der Schwangeren Auster entgegen, wie der Berliner das Haus der Kulturen der Welt respektlos nennt. Das behaupten jedenfalls die Reiseführer. Mir ist allerdings bisher noch kein Berliner begegnet, der das tatsächlich einmal gesagt hätte. Vielmehr wird meist der viel kürzere und vor allem historisch erste Name „Kongreßhalle“ verwendet. Am Ufer der Spree führt uns der Weg gerade darauf zu.
Doch bevor wir dort eintreffen, entdecken wir etwa auf halber Strecke rechts des Wegs ein kleines Denkmal. Man kann es leicht übersehen, denn es ist nicht auf den ersten Blick als solches zu erkennen. Eine rostfarbene Stele mit angeschrägtem Fuß steht am Rande eines Beetes. Erst beim Nähertreten wird im oberen Drittel eine eingelassene geneigte Tafel erkennbar, in die ein Text eingraviert ist. Das Denkmal erinnert an Dr. Magnus Hirschfeld und das von ihm 1919 gegründete Institut für Sexualwissenschaften, das sich ganz in der Nähe in der Straße In den Zelten befand. Hirschfeld, seines Zeichens Sanitätsrat und ein ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet der Sexualforschung, gehörte das Haus In den Zelten Nummer 10, das er bewohnte, ein Eckhaus zur kleinen Beethovenstraße, die die Straße In den Zelten mit dem Schlieffenufer verband. Es war übrigens dasselbe Gebäude, das vor ihm Joseph Joachim bewohnt hatte. 1910 erwarb Hirschfeld das nebenstehende Haus Nummer 9a, um darin einen Vortragssaal einzurichten, der etwa einhundert Zuhörer faßte.
Dies war in gewisser Weise der Anfang des Instituts für Sexualwissenschaften, das Hirschfeld gemeinsam mit den Ärzten Friedrich Wertheim und Arthur Kronfeld im Jahre 1919 gründete. Es war das weltweit erste seiner Art. Hirschfeld trat stets für die Anerkennung der Homosexualität ein. Bereits 1897 hatte er gemeinsam mit Max Spohr, Eduard Oberg und Franz Joseph von Bülow in Berlin-Charlottenburg das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee gegründet, das sich für die Entkriminalisierung der Homosexualität engagierte und heute als weltweit erste Organisation gilt, die sich die gesellschaftliche Anerkennung von gleichgeschlechtlicher Liebe und Homosexualität auf die Fahne geschrieben hatte. Unter anderem aus diesem Grund waren Hirschfeld und sein Institut den deutschen Faschisten ein Dorn im Auge. Unmittelbar nach ihrer Machtergreifung beschlagnahmten sie seine Häuser und plünderten und verwüsteten sie im Mai 1933, wobei sie den umfangreichen Bestand wissenschaftlicher Schriften vollständig vernichteten, indem sie sie auf dem Opernplatz – dem heutigen Bebelplatz – verbrannten. Das bedeutete das Ende des Instituts. Hirschfeld, der sich zu diesem Zeitpunkt gerade auf einer Dienstreise in Frankreich befand, kehrte nicht mehr nach Deutschland zurück. Er blieb in Nizza, wo er zwei Jahre später im Exil verstarb. Die Bomben des Zweiten Weltkriegs zerstörten dann die Gebäude des einstigen Instituts. An deren Stelle steht nun zum Teil die Kongreßhalle[184]Doege, Ein Erbspicknick „In den Zelten“, 1999, Seiten 19 f.[185]Magnus Hirschfeld und das HKW, Archiv-Website des Hauses der Kulturen der Welt, abgerufen am 29. Januar 2023.[186]Jörg Kuhn: Die Mitteilung – Dr. Magnus-Hirschfeld-Gedenkstele, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 29. Januar 2023..
Die Stele, die den Titel „Die Mitteilung“ trägt und ebenfalls ein Werk von Georg Seibert ist – seinem an die Mitglieder der Israelitischen Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin erinnernden Denkmal „Erinnerung“ waren wir bereits begegnet -, wurde am 6. Juli 1994 anläßlich des 75. Jahrestages der Gründung des „Instituts für Sexualwissenschaft“ an dieser Stelle eingeweiht[187]Jörg Kuhn: Die Mitteilung – Dr. Magnus-Hirschfeld-Gedenkstele, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 29. Januar 2023.. Sie ist allerdings nicht die einzige Erinnerung an den Forscher und sein Institut. So trägt das gegenüberliegende Spreeufer heute den Namen Magnus Hirschfelds. Dort befinden sich auch zwei im Jahre 2011 aufgestellte Inschriftenstelen, die über den Wissenschaftler und die von ihm initiierte homosexuelle Emanzipationsbewegung informieren. An letztere, die die weltweit erste ihrer Art war, erinnert dort auch ein 2017 aufgestelltes Denkmal, das die beiden Stelen ergänzt[188]Jörg Kuhn: Denkmal für die weltweit erste homosexuelle Emanzipationsbewegung, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 29. Januar 2023..
Einige Meter weiter haben wir sie dann vor uns: die Kongreßhalle. Das Gebäude errichtete man im Jahre 1956 als Beitrag der USA zu der bereits erwähnten Internationalen Bauausstellung Interbau. Als solcher steht sie daher in gewisser Weise mit dem Hansaviertel in Verbindung, auch wenn die Entfernung zu diesem recht beträchtlich ist. Die US-amerikanische Regierung machte den von Hugh Stubbins entworfenen Bau dem westlichen Teil Berlins zum Geschenk und lud ihn mit einem recht beträchtlichen Maß an politischer Bedeutung auf, wollte sie doch die Kongreßhalle als Zeichen für die Freiheit der sogenannten „Inselstadt Berlin“ verstanden wissen. Von Beginn an war diese daher als internationale Begegnungsstätte konzipiert worden. Unter der Regie von Eleanor Dulles, der „Berlin-Beauftragten“ im amerikanischen Außenministerium, wurde das Konzept für den Bau von der Idee bis zum fertigen Plan in nur achtzehn Monaten entwickelt. Und so ist es auch nicht verwunderlich, daß die Schwester des US-amerikanischen Außenministers sowohl bei der Grundsteinlegung 1956 als auch bei der Eröffnung im Jahr darauf persönlich anwesend war[189]Axel Besteher-Hegenbart: 1956 – „Hall of Congresses“ und INTERBAU gegen Stalinallee, Archiv-Website des Hauses der Kulturen der Welt, abgerufen am 29. Januar 2023.[190]Axel Besteher-Hegenbart: 1957 – Einweihung: Ist das Amerika?, Archiv-Website des Hauses der Kulturen der Welt, abgerufen am 29. Januar 2023.. Reichlich zwanzig Jahre stand das Gebäude, dann kam es im Mai des Jahres 1980 zur Katastrophe. Die Kongreßhalle stürzte ein. Auf einer Länge von etwa einhundertzehn Metern brach der vordere Teil des markanten Daches zusammen. Es dauerte ganze sieben Jahre, bis die Wiederherstellung abgeschlossen werden konnte. An der Neueröffnung am 9. Mai 1987 nahmen erneut Eleanor Dulles und der Architekt des Gebäudes, Hugh Stubbins, teil. Und wieder gab es Geschenke. Gemeinsam mit der Halle wurde der unweit von ihr errichtete große Glockenturm eingeweiht – das größte Carillon Europas. Und auf dem großen Vorplatz stand nun der Große Schmetterling, eine Skulptur von Henry Moore[191]Axel Besteher-Hegenbart: 1980 – Eine Lawine aus Beton, Archiv-Website des Hauses der Kulturen der Welt, abgerufen am 29. Januar 2023.[192]Marie-Anne Soyez: 1987 – Zum Geburtstag: die wiedereröffnete Kongresshalle, Archiv-Website des Hauses der Kulturen der Welt, abgerufen am 29. Januar 2023.. Um das wiedererrichtete Gebäude einer neuen Nutzung zuzuführen, gründete man am 3. November 1988 das Haus der Kulturen der Welt, das die Kongreßhalle als Domizil erhielt. Von nun an war diese ein Ort der Präsentation ferner und exotischer Kulturen, ein Forum für zeitgenössische Kunst und kritische Debatten[193]Marie-Anne Soyez & Axel Besteher-Hegenbart: 1988 – Vulkan in der Kongresshalle, Archiv-Website des Hauses der Kulturen der Welt, abgerufen am 29. Januar 2023.. Und sie ist es bis heute.
Vor der Kongreßhalle – nun, genaugenommen befinden wir uns hier hinter ihr, denn ihre Vorderseite ist dem Tiergarten und der John-Foster-Dulles-Allee zugewandt – erweitert sich der Uferweg zu einem Platz. Hier herrscht sommers meistens großes Menschengedränge, denn ein Café hat ihn mit Tischen und Stühlen vollgestellt. Umsatz will maximiert werden, und angesichts der großen Scharen von Touristen und Spaziergängern sollte das kein Problem sein.
Haben wir den Platz hinter uns gelassen, halten wir uns links und wandern weiter den breiten Uferweg an der Spree entlang. Rechter Hand haben wir nun eine hohe Betonwand neben uns, die über weite Strecken von grünem Gerank bewachsen ist, was ihren ansonsten doch recht tristen Gesamteindruck glücklicherweise stark mildert. Der Frage, ob das Bundeskanzleramt ein schöner Bau ist, wollen wir an dieser Stelle lieber einmal ausweichen. Die Meinungen der zahlreichen Betrachter gehen darüber sicher weit auseinander. Errichtet wurde das Gebäude von 1997 bis 2001. Freunde der Superlative werden ihre Freude daran haben, daß es das größte Regierungshauptquartier der Welt sein soll. Ob das die darin fabrizierte Politik beeinflußt und wenn ja, in welcher Hinsicht, mag jeder für sich selbst entscheiden. Mit dem Bundeskanzleramt erreicht der Grüne Hauptweg Nummer 19 das von den Architekten Axel Schulte und Charlotte Frank entworfene, sogenannte Band des Bundes – eine Gruppe von mehr oder weniger aufeinanderfolgenden Regierungsgebäuden, die die letzte große Spreeschleife der Spreebögen[194]Der eigentlich recht einfach scheinende Begriff des Spreebogens ist in Berlin nicht ganz leicht zu fassen. Tatsächlich werden mit ihm verschiedene Dinge benannt, die zu allem Überfluß auch noch miteinander verbunden sind. Zum einen bezeichnet man als Spreebogen den gesamten Abschnitt des Flusses zwischen der im Bezirk Mitte gelegenen Marschallbrücke im Osten und der Einmündung des Landwehrkanals im Westen. Hier mäandert die Spree in mehreren Schleifen, deren Gesamtheit unter dem Begriff zusammengefaßt wird. Zum anderen wird der Begriff Spreebogen aber auch für eben jene letzte große Spreeschleife vor der Marschallbrücke verwendet, an deren westlichem Ende wir uns gerade befinden. Daher wird auch der in ihr gelegene Park, den wir noch kennenlernen werden, als Spreebogenpark bezeichnet. Und um die Verwirrung komplett zu machen, wird auch das Areal der einstigen Bolle-Meierei, das wir zuvor bereits passiert hatten, manchmal einfach Spree-Bogen genannt. Um diese gemischte Verwendung des Begriffes hier nicht zu Verwirrungen führen zu lassen, verwenden wir ihn ausschließlich in Bezug auf die östlichste, vor der Marschallbrücke gelegene Spreeschleife, während wir die Gesamtheit aller dieser aufeinanderfolgenden Spreeschleifen mit dem Plural des Begriffes bezeichnen: Spreebögen. vor der Marschallbrücke durchschneidet[195]Geschichte und Architektur des Kanzleramts, Website der Deutschen Bundesregierung, abgerufen am 29. Januar 2023.. Ihm widmen wir uns eingehender auf der nächsten Etappe.
Schließlich erreichen wir die Moltkebrücke, die es in ihrer heutigen Form seit 1891 gibt. Sie ist, wenn wir etwas großzügig sind, die dritte Brücke an dieser Stelle. Die erste hatte bereits in den 1850er Jahren einige Meter flußauf vom heutigen Standort existiert, war als einfache Holzbrücke allerdings zu Beginn der 1860er Jahre schon recht baufällig geworden. Ihre Besonderheit bestand zu dieser Zeit jedoch darin, daß sie der sogenannten Berliner Verbindungsbahn als Flußübergang diente, also eine Eisenbahnbrücke war. So war es auch die Königliche Direktion der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn, die in den Jahren 1864 und 1865 einige Meter flußab eine neue Brücke eiserner Konstruktion erbauen ließ. Sowohl für den Eisenbahn- als auch für den Straßenverkehr vorgesehen, bildete diese Unterspreebrücke[196]Einem Kartenausschnitt aus dem Jahre 1866 zufolge wurde auch der Name „Neue Brücke“ verwendet. Siehe Zeitschrift für Bauwesen, herausgegeben unter Mitwirkung der Königl. Technischen Bau-Deputation und des Architekten-Vereins zu Berlin, 16. Jahrgang, Verlag von Ernst & Korn (Gropius’sche Buch- und Kunsthandlung), Berlin, 1866, Abbildung 38. zu jener Zeit die Hauptverbindung zwischen Berlin und dem sich entwickelnden Moabit. Überdies war sie die erste dreigelenkige Bogenfachwerkbrücke Deutschlands. Bereits 1871 gab man allerdings die über sie hinwegführende Eisenbahnstrecke auf, so daß sie nun nur noch dem Straßenverkehr vorbehalten war. Bevor sie aus diesem Grunde im Jahre 1876 mit den übrigen Straßenbrücken in den Besitz der Stadt Berlin überging, sorgte allerdings ein Jahr zuvor ein „Allerhöchster Kronerlaß“ noch für die Umbenennung zu Ehren des preußischen Generalfeldmarschalls Helmuth Karl Bernhard von Moltke, der seit 1857 Chef des Preußischen Generalstabes war und als solcher maßgeblichen Anteil am Sieg im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 hatte. Er sollte diese Position noch bis zum Jahr 1888 innehaben.
Mehr und mehr machten sich nun allerdings Probleme in der Statik der Brücke bemerkbar. Pfeiler gerieten aus dem Lot und man beobachtete verschiedentliche Hebungen und Senkungen des Bauwerks, die es Mitte der 1880er Jahre schließlich unumgänglich machten, einen kompletten Neubau in Angriff zu nehmen. Bis 1886 hatte man eine hölzerne Notbrücke fertiggestellt, die in der Bauzeit den Verkehr aufnehmen sollte. Dann ging man an den Abbruch des alten, eisernen Flußübergangs, dem alsbald die Errichtung des Neubaus folgte. Dieser sollte allerdings nicht wieder aus Eisen bestehen. Vielmehr hatte man eine vollständig aus Stein erbaute Brücke im Sinn, die der Spree mit drei Bögen Durchlaß gewährte. Durch einen vierten führte man die Uferstraße auf der linken Flußseite hindurch, an der wir unterwegs sind[197]Da wir flußauf unterwegs sind, erscheint uns unser Ufer als das rechtsseitige. Allerdings werden derartige Angaben immer auf die Fließrichtung bezogen, so daß unser Ufer tatsächlich das linke ist.. Offensichtlich hat man in späterer Zeit auch auf der rechten Flußseite, wo man zunächst lediglich einen verblendeten Bogen geschaffen hatte, diesen geöffnet, denn heute wird auch dort der Uferweg durch die Brücke hindurchgeführt. Gemauert aus Klinkersteinen, erhielt die gesamte, von Otto Stahn entworfene Brücke eine Sandsteinverkleidung. Aufgrund verschiedener Schwierigkeiten, sowohl bedingt durch die Witterung als auch politische Gegebenheiten, zogen sich die Arbeiten über mehrere Jahre in, bis der Neubau schließlich 1891 fertiggestellt werden konnte. Es ist eine der Volten, die Geschichte manchmal schlägt, daß kurz vor der geplanten Inbetriebnahme der Brücke ihr Namensgeber am 24. April 1891 verstarb, so daß der ihm zu Ehren abgehaltene Trauerzug das neue Bauwerk einweihte.
Zu Ehren des Generalfeldmarschalls schufen bedeutende Künstler des Deutschen Kaiserreichs den Bild- und Skulpturenschmuck der Brücke. Kriegerische Trophäen zierten das Bauwerk und stellten es unzweifelhaft in eine militärische Tradition. Auf den Postamenten der Brücke plazierte man an den Enden Greife mit Schilden, geschaffen von Carl Piper, und über den Brückenpfeilern von Karl Begas entworfene Kandelaber aus Bronze und Gußeisen, deren jeder von einer Gruppe dreier Kinder umringt war, die jede Menge kriegerische Attribute präsentierten. Begas zeichnete auch für die Gestaltung der Schlußsteine an den Brückenbögen verantwortlich. Während die der mittleren Stromöffnung das Konterfei Moltkes trugen, zeigten die der beiden seitlichen Öffnungen flußaufwärts die Bildnisse der Generäle Gebhard Leberecht von Blücher und Georg von Derfflinger und flußabwärts die Gesichter zweier römischer Feldherren. Den Schmuck der Unterwasserseite gestaltete der Bildhauer Johannes Boese.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Brücke stark beschädigt. Zunächst ging ein Großteil ihres plastischen Schmuckes verloren, weil die deutschen Faschisten ihn zugunsten der Waffenproduktion einschmelzen ließen. Danach sorgten die Bombenangriffe auf die Stadt für weitere Schäden. Als dann schließlich die Kämpfe Berlin erreichten, sprengten die faschistischen Truppen Teile der Brücke, um sie unbenutzbar zu machen. Zwar stellte man 1947 das Flußbauwerk notdürftig wieder her, auf eine Wiederherstellung des beschädigten oder gar verlorenen Figurenschmucks verzichtete man jedoch. Diese gelang erst in den Jahren 1983 bis 1986 aus Anlaß der bevorstehenden 750-Jahr-Feier Berlins. Der Bildhauer August Jäkel übernahm dankenswerterweise die Aufgabe, die nicht mehr existierenden Plastiken und Reliefs originalgetreu neu zu erschaffen[198]Georg Pinkenburg: Baugeschichtliches von der Moltke-Brücke über die Spree in Berlin, In: Centralblatt der Bauverwaltung, herausgegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, 11. Jahrgang, Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin, Ausgabe 36 vom 5. September 1891, Seiten 346 ff.[199]Helmut Zschocke: Geheimnisvolles Alsenviertel am Bundeskanzleramt, PL Academic Research, Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main, 2017, ISBN 978-3-631-67499-4, Seiten 106 ff.[200]Jörg Kuhn: Figurenschmuck der Moltkebrücke, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 29. Januar 2023..
Den Tiergarten, in den wir am Anfang des Spaziergangs hineingewandert sind, haben wir nun endgültig verlassen. Wir unterqueren auf dem Uferweg die Brücke und können auf der gegenüberliegenden Flußseite den Berliner Hauptbahnhof bestaunen. Mit ihm befassen wir uns zu Beginn der nächsten Etappe.
Nur wenige Meter hinter der Moltkebrücke verläßt der Grüne Hauptweg Nummer 19 den Uferweg, indem er eine schmale Öffnung passiert, die die abgeschrägte Betonmauer unterbricht, welche sich auf der rechten Wegseite an die Brücke anschließt. Der Öffnung genau gegenüber steht ein Betonklotz, dessen Form und Anordnung offenbar den Eindruck vermitteln sollen, jemand habe ihn aus der Wand herausgezogen und dabei eben jene Öffnung hinterlassen, durch wir uns nun hindurchbegeben. Auf der anderen Seite erwartet uns eine Art Graben mit einem kleinen Garten, umgeben von hohen Betonmauern. Rechts ist der Graben gleich zu Ende, denn dort befindet sich oberhalb der Betonwand die Willy-Brandt-Straße, die zur Moltkebrücke führt. Links steigt der Weg sanft zum oberen Rand der Betonwände hinauf, vorbei an niedrigen, sorgfältig gestutzten Hecken und einigen Bänken, die zum Verweilen in diesem kleinen Grabengarten einladen. Immerhin gibt es hier unten, geschützt von den hohen Wänden, keinen Wind. Diese schmale Oase ist Teil des Spreebogenparks, der heute den Raum zwischen dem Band des Bundes und dem Fluß einnimmt und von dem Landschaftsarchitekten Toni Weber geschaffen wurde. Einst befand sich hier das Alsenviertel, das zu Zeiten des Deutschen Reichs von prächtigen Bürgerhäusern geprägt wurde und von dem die bereits erwähnte Krolloper ein Teil war. Wir wissen bereits, daß es den deutschen Faschisten dabei im Wege war, an seiner Stelle ihren Wahn von der Welthauptstadt Germania auszuleben. Nun, den Abriß bekamen sie noch hin, zum Neuerrichten sind sie dann infolge des von ihnen ausgelösten Zweiten Weltkrieges nicht mehr gekommen. So gab es hier für dessen Bomben nicht mehr viel zu zerstören. Die deutsche Teilung verhinderte dann jeglichen Wiederauf- beziehungsweise Neubau. Als dann schließlich das Regierungsviertel mit dem Band des Bundes entstand, war der Spreebogenpark ein Teil des Konzepts. Und mit ihm natürlich auch der Spurengarten, wie der schmale geneigte Garten, durch den wir nun langsam an Höhe gewinnen, genannt wird. Sein Schöpfer Toni Weber versah ihn mit akkurat gestalteten, von Buchsbaumhecken eingefaßten Blumenbeeten, die an jene erinnern sollen, die einst vor den Bürgerhäusern des Alsenviertels blühten[201]Rahel Marti: Spreebogenpark – Stille Wucht der Geschichte, Website www.nextroom.at, 16. September 2005, abgerufen am 30. Januar 2023..
Oben angekommen, erblicken wir links eine Fußgängerbrücke, die den Fluß überquert. Sie ist nach Gustav Heinemann benannt, dem dritten Bundespräsidenten der Bundesrepublik. Wir gehen hinüber und beenden, auf der anderen Seite der Spree angekommen, direkt vor dem Hauptbahnhof den ersten Stadtspaziergang auf dem Grünen Hauptweg Nummer 19. Es war eine Wanderung, die uns nicht nur durch die größte grüne Oase der Berliner Innenstadt und ein ganzes Stück die Spree entlanggeführt, sondern uns auch einige interessante Orte nahegebracht hat, die eine Vielzahl an Geschichten erzählen können, wenn man sich die Zeit nimmt zuzuhören. Doch auch die folgenden Etappen haben in dieser Hinsicht noch einiges zu bieten…
Zum Nachwandern
Dieser Artikel erschien zuerst in kürzerer Fassung am 8. September 2017.
Bei der Bezeichnung “20 Grüne Hauptwege” handelt es sich um eine Wortmarke der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, von der auch die Streckenführung der Wege entwickelt wurde. Wegbeschreibungen und Etappeneinteilung unterliegen sowohl Urheberschaft als auch Copyright von Anderes.Berlin. Sie entsprechen dem Stand der Wegführung vom August 2020. Änderungen, die zwischenzeitlich von der Senatsverwaltung vorgenommen wurden, sind möglicherweise (noch) nicht berücksichtigt. Die angezeigten Karten wurden von uns selbst mittels Google Maps erstellt.
Anmerkungen:
↑1. | Johann Jacob Helfft: Der Landwehr-Kanal bei Berlin, erbaut in den Jahren 1845-1850, In: Zeitschrift für Bauwesen, Verlag von Ernst & Korn, 2. Jahrgang, Hefte XI und XII vom 1. Dezember 1852, Seiten 481 ff. |
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↑2. | Landwehrkanal, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 12. November 2022. |
↑3. | Wi Tack-whan & Sohn JiAe: Korean hopes for unification marked in Berlin, Artikel vom 26. November 2015 auf der Website Korea.net – The official website of the Republic of Korea, abgerufen am 8. November 2022. |
↑4. | Pavillon der Einheit in Berlin verlegt, Artikel vom 15. Februar 2021 auf der Website von KBS WORLD Radio, abgerufen am 8. November 2022. |
↑5. | Historie, Website des Berliner Zoologischen Gartens, abgerufen am 12. November 2022. |
↑6. | Auf den Spuren der Vergangenheit, Website des Berliner Zoologischen Gartens, abgerufen am 12. November 2022. |
↑7. | Brücke wird nach Rosa Luxemburg benannt, In: Tagesspiegel vom 25. September 2012. |
↑8. | Susanne Kähler: Rosa-Luxemburg-Denkmal, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 12. November 2022. |
↑9. | Rosa-Luxemburg-Denkmal, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 12. November 2022. |
↑10. | Clauswitz: Die Entstehung des Berliner Tiergartens, In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 38. Jahrgang, Heft 3 vom März 1921, Seiten 9 f. Der Name des Autors, im Artikel lediglich mit Cl. abgekürzt angegeben, wurde der Website des Vereins für die Geschichte Berlins entnommen, auf der dieser Artikel ebenfalls veröffentlicht wurde. Abgerufen am 12. November 2022. |
↑11. | Edelgard Richter: Der große Tiergarten in Berlin, Website berlin.de, Mai/Juni 2015, abgerufen am 12. November 2022. |
↑12. | Gaslaternen-Freilichtmuseum Berlin, Website berlin.de, abgerufen am 12. November 2022. |
↑13. | Gaslaternen-Sammlung kommt ins Technikmuseum, 2. Juni 2016, Website des Senders RBB, Memento des originalen Artikels im Internet Archive, abgerufen am 12. November 2022. |
↑14. | Website des Gaslaternen-Freilichtmuseums Berlin, abgerufen am 12. November 2022. |
↑15. | Die Berliner Stadt-Eisenbahn, Teil 1, In: Zeitschrift für Bauwesen, Verlag von Ernst & Korn, 34. Jahrgang, Hefte I bis III, 1884, Spalten 1 ff. |
↑16. | Die Berliner Stadt-Eisenbahn, Teil 7, In: Zeitschrift für Bauwesen, Verlag von Ernst & Korn, 35. Jahrgang, Hefte X bis XII, 1885, Spalten 441 ff. |
↑17. | Jan Markert: „daß die Krone nur von Gott kommt“. Replikat der Königskrone Wilhelms I., 24. August 2017, Website der Otto-von-Bismarck-Stiftung, abgerufen am 13. November 2022. |
↑18. | Diese Bezeichnung wird beispielsweise im zweiten Teil des Artikels über „Die Berliner Stadt-Eisenbahn“ in der Zeitschrift für Bauwesen verwendet. Siehe Die Berliner Stadt-Eisenbahn, Teil 2, In: Zeitschrift für Bauwesen, Verlag von Ernst & Korn, 34. Jahrgang, Hefte IV bis VI, 1884, Spalten 113 ff. |
↑19. | Petra Dönselmann im Sande: Berliner Stadtbahnbögen – Fotografien der Viaduktstrecke von Friedrichshain bis Charlottenburg, Blurb Inc., 2018, Seite 4. |
↑20. | Horst Oebius: Ein Abriß der Geschichte der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau, Berlin, zwischen 1884 und 1945, In: Bundesanstalt für Wasserbau (Hrsg.): 50 Jahre Bundesanstalt für Wasserbau, Mitteilungsblatt der Bundesanstalt für Wasserbau, Nummer 78, Bundesanstalt für Wasserbau (Eigenverlag), Karlsruhe, 1998, ISSN 0572-5801, Seiten 27 ff. |
↑21. | Charlottenburger Tor, Sektion des Bezirksamts Charlottenburg-Wilmersdorf auf der Website berlin.de, abgerufen am 14. November 2022. |
↑22. | Friedrich Nicolai: Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam und aller daselbst befindlicher Merkwürdigkeiten, Friedrich Nicolai, Berlin, 1769, Seiten 319 f. |
↑23, ↑25. | Historie der Königlichen Porzellan-Manufaktur, Website der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM), abgerufen am 14. November 2022. |
↑24. | Die KPM Welt, In: Garcon – Essen, Trinken, Lebensart, 10. November 2020. |
↑26. | Alles Friedrich! – Wie die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin ein Stück deutsche Geschichte wurde, HAUS-GLANZ-Magazin, Website der HAUS GLANZ GmbH, abgerufen am 14. November 2022. |
↑27. | Dr. Sandra Wagner-Conzelmann: Hansaviertel – Geschichte bis 1933, Website „Hansaviertel Berlin“, abgerufen am 15. November 2022. |
↑28. | Die Vergabe dieses Namens wurde im Communal-Blatt der Haupt- und Residenzstadt-Berlin angekündigt. Siehe Communal-Blatt der Haupt- und Residenzstadt-Berlin, herausgegeben vom Magistrat zu Berlin, 20. Jahrgang, 1879, Ausgabe 36 vom 7. September 1879, Seite 81. |
↑29. | Dr. Sandra Wagner-Conzelmann: Hansaviertel – Geschichte bis 1933, Website „Hansaviertel Berlin“, abgerufen am 15. November 2022. |
↑30. | Dr. Sandra Wagner-Conzelmann: Hansaviertel – Prominente Anwohner, Website „Hansaviertel Berlin“, abgerufen am 15. November 2022. |
↑31. | Dr. Sandra Wagner-Conzelmann: Hansaviertel – 22. November 1943, Website „Hansaviertel Berlin“, abgerufen am 15. November 2022. |
↑32. | Dr. Sandra Wagner-Conzelmann: Hansaviertel – Die Jahre 1945–1953, Website „Hansaviertel Berlin“, abgerufen am 15. November 2022. |
↑33, ↑45. | Hans Stimmann: Berliner Hansa-Viertel war ein Irrweg, In: Welt vom 19. April 2007. |
↑34. | Bertram Janiszewski: Das alte Hansa-Viertel in Berlin – Gestalt und Menschen, Haude & Spenersche Verlangsbuchhandlung GmbH, Berlin, 2000, ISBN 3-7759-0460-3, Seiten 19 ff. |
↑35. | Michail Krausnick: Amazone der Freiheit, In: Die Zeit, Ausgabe 13/2004 |
↑36. | Regula Ludi: Herwegh, Emma, In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 26. Februar 2008, abgerufen am 24. November 2022. |
↑37. | Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seiten 19 ff. |
↑38. | Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1900, Zweiter Band, Verlag von August Scherl, Berlin, 1900, Seite 566. |
↑39. | Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 51. |
↑40, ↑43. | Zur Geschichte des Meerbaum-Hauses, Website des Meerbaum-Hauses, abgerufen am 5. Dezember 2022. |
↑41. | „Ich bin in Sehnsucht eingehüllt“ – Ein Abend zu Leben und Lyrik der Selma Meerbaum. Biografisches, Gedichte und Musik, Bericht auf der Website des Meerbaum-Hauses, abgerufen am 5. Dezember 2022. |
↑42. | Elke Nußbaum: Selma Meerbaum-Eisinger (1924-1942), Artikel vom 18. April 2021, Website der Stadt Erkrath, abgerufen am 5. Dezember 2022. |
↑44. | Ulrich Brinkmann: Studentenwohnanlagen – Renovieren für Gartenfreunde, Partytiger, Ruhesucher, In: Bauwelt, Ausgabe 35/2012. |
↑46. | Beispielsweise aufgeführt im Berlin Adreßbuch 1929, Dritter Band, Verlag August Scherl Deutsche Adreßbuch-Gesellschaft m. b. H., Berlin, 1897, Seite 945. |
↑47. | Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 117. |
↑48. | Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 102. |
↑49. | Ruth Dinesen: „Sachs, Nelly“, In: Neue Deutsche Biographie, Band 22, 2005, Seiten 336-337 – Online-Version, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 17. Dezember 2022. |
↑50. | Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 75. |
↑51. | Deportationsliste des 3. großen Alterstransports von Berlin nach Theresienstadt, Seite 28, Website www.statistik-des-holocaust.de – Statistik und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich, abgerufen am 27. Dezember 2022. |
↑52. | Fabian Boehlke: Josua Falk Friedlaender, Website www.stolpersteine-berlin.de – Stolpersteine in Berlin, abgerufen am 27. Dezember 2022. |
↑53, ↑60. | Rosa Jacobsohn, Website www.stolpersteine-berlin.de – Stolpersteine in Berlin, abgerufen am 31. Dezember 2022. |
↑54, ↑61. | Totenschein der Rosa Jacobsohn, Website www.holocaust.cz, abgerufen am 31. Dezember 2022. |
↑55. | Gad Freudenthal: Adeline Goldberg (1858–1942) – A Biographical Notice, In: Moritz Steinschneider: Mathematik bei den Juden – Band II: 1551 – 1840, herausgegeben von Gad Freudenthal, Georg Olms Verlag, Hildesheim, Zürich, New Zork, 2014, Seiten XIII ff. |
↑56. | Gregor Pelger: „Steinschneider, Moritz“, In: Neue Deutsche Biographie, Band 25, 2013, Seiten 227-228 – Online-Version, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 31. Dezember 2022. |
↑57. | Berliner Adreßbuch 1915, Zweiter Band, August Scherl Deutsche Adreßbuch-Gesellschaft m. b. H., Berlin, 1915, Seite 809. |
↑58. | Deportationsliste des 69. Alterstransports von Berlin nach Theresienstadt, Seite 7, Website www.statistik-des-holocaust.de – Statistik und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich, abgerufen am 31. Dezember 2022. |
↑59. | Freudenthal, Adeline Goldberg, 2014, Seite XV. |
↑62. | Florence Moehl: Bianka Pollaczek geb. Lesser & Herbert Pollaczek & Wanda Gutmann geb. Lesser & Siegfried Gutmann, Website www.stolpersteine-berlin.de – Stolpersteine in Berlin, abgerufen am 7. Dezember 2022. |
↑63. | Deportationsliste des 29. Osttransports von Berlin nach Auschwitz, Seite 41 und Seite 43, Website www.statistik-des-holocaust.de – Statistik und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich, abgerufen am 7. Dezember 2022. |
↑64. | Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seiten 95 ff. |
↑65. | Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 69 und Seite 112. |
↑66. | Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 69. |
↑67. | Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1897, Zweiter Band, Verlag von August Scherl, Berlin, 1897, Seite 518. |
↑68. | Berliner Adreßbuch 1913, Zweiter Band, August Scherl – Deutsche Adreßbuch-Gesellschaft m. b. H., Berlin, 1913, Seite 803. |
↑69. | Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 70. |
↑70. | Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 76. |
↑71. | Gemeindehaus und Synagoge, Website adassjisroel.de – Adass Jisroel, Israelitische Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin, abgerufen am 8. Dezember 2022. |
↑72, ↑88. | Mahnmal, Website adassjisroel.de – Adass Jisroel, Israelitische Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin, abgerufen am 8. Dezember 2022. |
↑73. | Berliner Adreßbuch für das Jahr 1939, Erster Band, Verlag August Scherl Nachfolger, Berlin, 1939, Seite 2415. |
↑74. | Moses Rosenblüth, Eintrag in der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer, abgerufen am 1. Januar 2023. |
↑75, ↑86. | Debora Rosenblüth, Eintrag in der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer, abgerufen am 1. Januar 2023. |
↑76. | Ernst Elisha Rosenblueth (Rosenblüth), Eintrag auf der Website geni.com, abgerufen am 1. Januar 2023. |
↑77. | Abraham Adi Rosenblueth (Rosenblüth), Eintrag auf der Website geni.com, abgerufen am 1. Januar 2023. |
↑78. | Moshe Rosenbluth (Moses Rosenblüth), Eintrag auf der Website geni.com, abgerufen am 1. Januar 2023. |
↑79. | Mojzesz Moses Rosenblüth, Eintrag auf der Website myheritage.de, abgerufen am 1. Januar 2023. Der Hinweis auf die Verbringung nach Bentschen findet sich lediglich in den Angaben zu Moses Rosenblüth. Es ist allerdings nicht anzunehmen, daß lediglich der Familienvater aus Deutschland ausgewiesen wurde. Überdies wurden Moses und sein Sohn Abraham im Jahr darauf am selben Tag verhaftet, was schwer vorstellbar ist, wenn sich Abraham weiterhin in Berlin aufgehalten haben sollte, während Moses in Bentschen war. Außerdem ist im Berliner Adreßbuch nach 1939 die Familie nicht mehr unter der Adresse Siegmunds Hof 8 verzeichnet – siehe Berliner Adreßbuch 1940, Erster Band, Verlag August Scherl Nachfolger, Berlin, 1940, Seite 2525. |
↑80. | Andreas Jordan: Die Vertreibung der polnischen Juden aus Deutschland 1938, Juni 2010, Website gelsenzentrum.de – Gelsenzentrum, Portal für Stadt- und Zeitgeschichte, abgerufen am 1. Januar 2023. |
↑81. | Mojzesz Moses Rosenblüth, Eintrag auf der Website myheritage.de, abgerufen am 1. Januar 2023. |
↑82. | Kay Kufeke: Listen und Sachen als Erinnerungsstücke – Zur Bedeutung von Dokumenten und Objekten in Ausstellungen zur Konzentrationslager-Geschichte, In: Gedenkstättenrundbrief 104, Ausgabe 11/2001, Seiten 3 ff. |
↑83. | Abraham Rosenblüth, Website www.stolpersteine-berlin.de – Stolpersteine in Berlin, abgerufen am 1. Januar 2023. |
↑84. | Abraham Rosenblüth, Eintrag auf der Website myheritage.de, abgerufen am 1. Januar 2023. |
↑85. | Debora Rosenblüth geb. Rosenblüth, Website www.stolpersteine-berlin.de – Stolpersteine in Berlin, abgerufen am 1. Januar 2023. |
↑87. | Ernst Rosenblüth sind die Gedenkeinträge für seine Eltern in der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer der Gedenkstätte Yad Vashem zu verdanken – siehe Ernest Elisha Rozenblit, Einreicher-Datensatz in der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer, abgerufen am 1. Januar 2023. |
↑89. | Jörg Kuhn, Susanne Kähler: Erinnerung, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 8. Dezember 2022. |
↑90. | Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1902, Zweiter Band, Verlag der Berliner Adreßbuch-Gesellschaft m. b. H., August Scherl, Berlin, 1902, Seite 1. |
↑91. | Die neue Achenbachbrücke, In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen – Vossische Zeitung, Ausgabe 275 vom 15. Juni 1902 (Morgenausgabe), Seite 4. |
↑92. | Friedrich Krause & Fritz Hedde: Die Brückenbauten der Stadt Berlin seit dem Jahre 1897, In: Zeitschrift für Bauwesen, herausgegeben im Preußischen Finanzministerium, 72. Jahrgang, Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin, 1922, Seiten 32 f. |
↑93. | Achenbachbrücke, Website „DeTiG Postkarten“, abgerufen am 12. Dezember 2022. |
↑94. | Deutsche Bauzeitung, Organ des Verbandes Deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine, Verlag Deutsche Bauzeitung GmbH, Berlin, 37. Jahrgang, Ausgabe 44 vom 4. Juni 1903, Seite 283. |
↑95. | Deutsche Bauzeitung, Organ des Verbandes Deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine, Verlag Deutsche Bauzeitung GmbH, Berlin, 37. Jahrgang, Ausgabe 64 vom 12. August 1903, Seite 416. |
↑96. | Johanna Yeats: Bruno Schmitz (1858-1916) – Reformarchitekt zwischen Historismus und beginnender Moderne, Books on Demand GmbH, Norderstedt, 2016/2020, ISBN 978-3-74587-0107, Seiten 337 f. |
↑97. | Krause & Hedde, Brückenbauten, 1922, Seiten 32 f. |
↑98. | Dietrich Schäfer: „Wullenwever, Jürgen“, In: Allgemeine Deutsche Biographie, Band 44, 1898, Seiten 299-307 – Online-Version, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 12. Dezember 2022. |
↑99. | Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 111. |
↑100. | Jana Mikota: „Eine Humoristin ist uns gekommen“ – Alice Berend, In: Medaon – Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung, 5. Jahrgang, 2011, Ausgabe 8, Seiten 1 ff. |
↑101. | Zitiert nach Mikota, Alice Berend, Seite 1. |
↑102. | Krause & Hedde, Brückenbauten, 1922, Seiten 31 f. |
↑103, ↑104, ↑105. | Hansabrücke, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 17. Dezember 2022. |
↑106. | Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 79. |
↑107. | Menzel-Oberschule, Website „Städte-Klamotten“, abgerufen am 18. Dezember 2022. |
↑108. | Das Schulgebäude, Website des Gymnasiums Tiergarten, abgerufen am 18. Dezember 2022 |
↑109. | Herzlich willkommen am Gymnasium Tiergarten!, Website des Gymnasiums Tiergarten, abgerufen am 18. Dezember 2022 |
↑110. | Krause & Hedde, Brückenbauten, 1922, Seiten 29 ff. |
↑111. | Diether Ontrup: Vergangen und Vergessen? Borsig in Moabit – Industrie und Gartenkultur, In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 98. Jahrgang, Heft 4 vom Oktober 2002. |
↑112. | Gut erkennbar ist das auf dem Liegenschaftsplan der Reichshauptstadt Berlin – Nordwest, Geographisches Institut und Landkarten-Verlag Jul. Straube, Berlin, 1937. |
↑113. | Lessingstraße 5: Hansa-Grundschule – B. Grimmek, Website „Hansaviertel Berlin“, abgerufen am 18. Dezember 2022. |
↑114. | Hansaschule, Website berlingeschichte.de, abgerufen am 18. Dezember 2022. |
↑115. | Lessinghaus, Website berlingeschichte.de, abgerufen am 18. Dezember 2022. |
↑116. | Krause & Hedde, Brückenbauten, 1922, Seiten 28 f. |
↑117. | Jörg Kuhn: Plastischer Schmuck der Lessing-Brücke, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 18. Dezember 2022. |
↑118. | Historie – Die Väter der Festsäle. Damals und Heute, Website www.bolle-meierei.com, abgerufen am 1. Januar 2023. |
↑119. | Florian Freistetter: Zur Ehrenrettung der Milchmädchen, In: Spektrum der Wissenschaft – spektrum.de, erschienen am 27. Januar 2021, abgerufen am 1. Januar 2023. |
↑120. | Volker Wieprecht & Robert Skuppin: Berliner populäre Irrtümer – Ein Lexikon, berlin edition im be.bra verlag, Berlin, 2005, Seite 143 via Anna Schnasing, Artikel auf der Website de-academic.com, abgerufen am 1. Januar 2023. |
↑121. | Berliner Adreßbuch für das Jahr 1893, Erster Band, Verlag von W. & S. Loewenthal, Berlin, 1893, Seite 1399 und Berliner Adreßbuch für das Jahr 1893, Zweiter Band, Verlag von W. & S. Loewenthal, Berlin, 1893, Seite 212. |
↑122. | Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 119. |
↑123. | William J. King: „Tucholsky, Kurt“, In: Neue Deutsche Biographie, Band 26, 2016, Seiten 491-494 – Online-Version, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 2. Januar 2023. |
↑124. | Berliner Adreßbuch für das Jahr 1893, Zweiter Band, Verlag von W. & S. Loewenthal, Berlin, 1893, Seite 218. |
↑125. | Berliner Adreßbuch 1912, Zweiter Band, August Scherl, Deutsche Adreßbuch-Gesellschaft m. b. H., Berlin, 1912, Seite 364. |
↑126. | Mietshaus Holsteiner Ufer 14, 16 Claudiusstraße 9, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 2. Januar 2023. |
↑127, ↑128. | Mietshaus Holsteiner Ufer 18, 20, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 2. Januar 2023. |
↑129. | Jacques Schuster: Die Letzte ihrer Epoche, In: Die Welt, 12. Juni 2004. |
↑130. | Thomas Lackmann: Die drei Leben der Marianne Awerbuch, In: Tagesspiegel, 4. Februar 2008. |
↑131. | Mietshaus Holsteiner Ufer 22, 24, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 5. Januar 2023. |
↑132. | Ralf Schönball: Bürohaus „Spreebogen“ in Berlin-Moabit: 17,5 Millionen Euro Miete, fällig bei Auszug, In: Tagesspiegel vom 15. Juli 2016. |
↑133. | Ralf Schönball: Von Moabit zum Berliner Hauptbahnhof: Umzug kann für das Innenministeriums teuer werden, In: Tagesspiegel vom 18. Juni 2017. |
↑134. | Im Jahre 1904 ist Gustav Buchwald erstmals als Eigentümer des Hauses Brückenstraße 7 im Berliner Adreßbuch verzeichnet – siehe Berliner Adreßbuch 1904, Zweiter Band, Berliner Adreßbuch-Gesellschaft m. b. H. August Scherl, Berlin, 1904, Seite 88. |
↑135. | Wolfgang Prosinger: Café Buchwald – Der Stammbaumkuchen, In: Tagesspiegel vom 3. September 2014. |
↑136. | Andrea Tönges: Ich bin die Fünfte von Gustavs Erben…, Website der Konditorei Buchwald, abgerufen am 9. Januar 2023. |
↑137. | Ulrich Brinkmann: Architekt einer sozialen Moderne, In: Bauwelt, Ausgabe 6/2017, Seite 10. |
↑138. | Bernhard Schulz: Architektur-Ausstellung – Die Akademie der Künste würdigt Otto Bartning, In: Tagesspiegel vom 31. März 2017. |
↑139. | Felix Hasselberg: Die Entstehung der „Moabiter Brücke“, In: Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins – Neue Folge der „Mitteilungen“, 58. Jahrgang, Heft 1/1941, Seiten 38 f. |
↑140. | Karl Begas war ein Bruder des Bildhauers Reinhold Begas. |
↑141. | Karl Bernhard: Der Neubau der Moabiter Brücke in Berlin, Teil 1, In: Centralblatt der Bauverwaltung, 16. Jahrgang, Ausgabe 2 vom 11. Januar 1896, Seiten 13 ff. und Karl Bernhard: Der Neubau der Moabiter Brücke in Berlin, Teil 2, In: Centralblatt der Bauverwaltung, 16. Jahrgang, Ausgabe 3 vom 18. Januar 1896, Seiten 23 ff. |
↑142. | Moabiter Brücke, auch Bärenbrücke, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 10. Januar 2023. |
↑143. | Arne Hengsbach: Die Moabiter Gondelfahrt, In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 83. Jahrgang, Heft 1 / 1987. |
↑144. | Fritz Hedde: Neuere Fußgängerbrücken der Stadt Berlin, Teil 2: Der Bellevuesteg, In: Zentralblatt der Bauverwaltung, Herausgegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, 35. Jahrgang, Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Ausgabe 65 vom 14. August 1915, Seiten 429 ff. |
↑145. | 442. Vorlage – zur Beschlußfassung -, betreffend Ehrung für den Stadtverordneten Wilhelm Gericke, In: Vorlagen, welche den Zeitungen nicht mitgeteilt sind (404 – 449), In: Vorlagen für die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin, 1917, Seite 450. |
↑146. | Amtlicher stenographischer Bericht über die Sitzung der Berliner Stadtverordnetenversammlung am 30. August 1917, No. 16, herausgegeben vom Magistrat, In: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Berliner Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin, Vierundvierzigster Jahrgang, W. & S. Löwenthal, Berlin, 1917, Seite 268. |
↑147. | Gemeinde-Blatt der Stadt Berlin, Jahrgang 61, Ausgabe 23 vom 6. Juni 1920, Seiten 219 f. |
↑148. | Gericke-Steg, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 16. Januar 2023. |
↑149. | Die andere war die Fußgängerbrücke am Erdmann-Graeser-Weg in Zehlendorf. |
↑150. | Brigitte Schmiemann: Historische Gaslampen verschwinden aus Mitte, In: Berliner Morgenpost vom 19. Februar 2011. |
↑151. | Gaslampen in Moabit leuchten bald elektrisch, In: Berliner Morgenpost vom 24. Februar 2011. |
↑152. | Umrüstung der Gasleuchten, Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz auf der Website berlin.de, abgerufen am 16. Januar 2023. |
↑153. | S-Bahnhof Bellevue, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 17. Januar 2023. |
↑154. | Die Berliner Stadtbahn. Linie – Bau – Betrieb. Von einem Techniker, Polytechnische Buchhandlung A. Seydel, Berlin, 1883, Seiten 36 ff. Sicher wird sich Mancher wundern, daß die Station Zoologischer Garten nicht in der Liste der Bahnhöfe aufgeführt ist. Das hat seinen Grund darin, daß hier zur damaligen Zeit kein Fernbahnhof bestand. Dieser wurde erst später ergänzt. Gleiches gilt für die Haltestelle Lehrter Bahnhof, an deren Stelle sich heute der Hauptbahnhof befindet. |
↑155. | Stadtbahntrasse zwischen Ostbahnhof und Holtzendorffstraße, Stadtbahnviadukt, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 17. Januar 2023. |
↑156. | Siehe beispielsweise Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1900, Zweiter Band, Verlag von August Scherl, Berlin, 1900, Seite 254. Heute ist die Numerierung eine andere. |
↑157. | Siehe zum Beispiel Janiszewski, Das alte Hansa-Viertel in Berlin, Seite 115. Leider ist dies durch die Berliner Adreßbücher der Jahre 1898 bis 1901 nicht zu bestätigen, in denen sich weder der Name Alfred Kerr noch sein eigentlicher Geburtsname Alfred Kempner auffinden läßt. Siehe Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1898, Erster Band, Verlag von August Scherl, Berlin, 1898, Seiten 618 f., Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1899, Erster Band, Verlag von August Scherl, Berlin, 1899, Seiten 683 f., Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1900, Erster Band, Verlag von August Scherl, Berlin, 1900, Seiten 720 ff. und Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1901, Erster Band, Verlag von August Scherl, Berlin, 1900, Seiten 750 f. Ein Eintrag für „Kerr, Alfred, Dr. phil., Schriftsteller“ ist erstmals im Adreßbuch von 1902 verzeichnet, dort allerdings bereits mit der Adresse Bamberger Straße 42. Siehe Adreßbuch für Berlin und seine Vororte. 1902, Erster Band, Verlag der Berliner Adreßbuch-Gesellschaft m. b. H. August Scherl, Berlin, 1902, Seite 784. Falls Kerr am Holsteiner Ufer als Untermieter gewohnt haben sollte, bleibt dennoch unklar, warum er im Adreßbuch nicht verzeichnet wurde. Eventuell war die Dauer seines Aufenthalts unter dieser Adresse derart kurz, daß dieser unterblieb. |
↑158. | „Park auf dem Bundespräsidenten-Dreieck“ eröffnet, Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen vom 23. Mai 2001, Website www.stadtentwicklung.berlin.de, abgerufen am 18. Januar 2023. |
↑159. | Präsidentendreieck in Berlin, Website www.berlinstadtservice.de, abgerufen am 18. Januar 2023. |
↑160. | Georg Pinkenburg: Baugeschichtliches von der Brücke im Zuge der Paulstraße in Berlin, In: Centralblatt der Bauverwaltung, herausgegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, 13. Jahrgang, Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin, Ausgabe 16 vom 22. April 1893, Seiten 161 ff. |
↑161. | Dr. Franz Lederer: Ick lach ma ’n Ast – Sprache, Wesen und Humor des Berliners, Buchverlag Germania A.-G., Berlin, 1929, Seiten 187 f. |
↑162. | Gemeinde-Blatt der Haupt- und Residenzstadt Berlin, 34. Jahrgang, Ausgabe 27 vom 2. Juli 1893, Seite 281. |
↑163. | Lutherbrücke, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 18. Januar 2023. |
↑164. | Bei einem Risaliten handelt es sich um einen Gebäudeteil, der meist auf ganzer Höhe der Fluchtlinie vorsteht. |
↑165. | Als Pilaster werden Wandpfeiler bezeichnet. |
↑166. | Schloß Bellevue, Eintrag in der Berliner Denkmaldatenbank, Sektion des Landesdenkmalamts Berlin auf der Website berlin.de, abgerufen am 19. Januar 2023. |
↑167. | Die Geschichte von Schloss Bellevue, Website www.bundespraesident.de, abgerufen am 19. Januar 2023. |
↑168. | Der Verlauf der beiden ursprünglichen Straßen kann auf dem Liegenschaftsplan der Reichshauptstadt Berlin – Nordwest gut nachvollzogen werden – siehe Liegenschaftsplan der Reichshauptstadt Berlin – Nordwest, Geographisches Institut und Landkarten-Verlag Jul. Straube, Berlin, 1937 |
↑169. | Dina Koschorreck: 1959 – Warum die „Zeltenallee“ zur „John-Foster-Dulles-Allee“ wurde, Archiv-Website des Hauses der Kulturen der Welt, abgerufen am 24. Januar 2023. |
↑170. | John Foster Dulles (1953–1959), Website des Miller Centers, abgerufen am 24. Januar 2023. |
↑171. | Susanne Kähler & Jörg Kuhn: Tritonbrunnen, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 25. Januar 2023. |
↑172. | Alexander Glintschert: Königsbrücke und Königskolonnaden – Vom Ensemble zum Fragment, Teil 3 der Beitragsserie Die Königsbrücke und die Königskolonnaden, Website „Anderes.Berlin“. |
↑173. | Ida Luise Krenzlin: Tiergarten – Der Ursprung der Berliner Ausgehkultur, In: Berliner Zeitung vom 10. Juni 2021. |
↑174, ↑178. | Hengsbach, Die Moabiter Gondelfahrt, 1987. |
↑175. | Krenzlin, Tiergarten – Der Ursprung der Berliner Ausgehkultur, 2021. |
↑176, ↑179, ↑181. | In den Zelten, Website „Der Tiergarten“, abgerufen am 28. Januar 2023. |
↑177. | Hans-Peter Doege: Ein Erbspicknick „In den Zelten“, In: Berlinische Monatsschrift, Heft 11/1999, Edition Luisenstadt, ISSN 0944-5560, Seiten 11 ff. |
↑180. | Julia M. Nauhaus: 1873–1878 Berlin, Website www.schumann-portal.de, abgerufen am 28. Januar 2023. |
↑182. | Das Theater Tipi am Kanzleramt, Website www.tipi-am-kanzleramt.de, abgerufen am 29. Januar 2023. |
↑183. | Kroll-Oper, Website „Der Tiergarten“, abgerufen am 29. Januar 2023. |
↑184. | Doege, Ein Erbspicknick „In den Zelten“, 1999, Seiten 19 f. |
↑185. | Magnus Hirschfeld und das HKW, Archiv-Website des Hauses der Kulturen der Welt, abgerufen am 29. Januar 2023. |
↑186, ↑187. | Jörg Kuhn: Die Mitteilung – Dr. Magnus-Hirschfeld-Gedenkstele, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 29. Januar 2023. |
↑188. | Jörg Kuhn: Denkmal für die weltweit erste homosexuelle Emanzipationsbewegung, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 29. Januar 2023. |
↑189. | Axel Besteher-Hegenbart: 1956 – „Hall of Congresses“ und INTERBAU gegen Stalinallee, Archiv-Website des Hauses der Kulturen der Welt, abgerufen am 29. Januar 2023. |
↑190. | Axel Besteher-Hegenbart: 1957 – Einweihung: Ist das Amerika?, Archiv-Website des Hauses der Kulturen der Welt, abgerufen am 29. Januar 2023. |
↑191. | Axel Besteher-Hegenbart: 1980 – Eine Lawine aus Beton, Archiv-Website des Hauses der Kulturen der Welt, abgerufen am 29. Januar 2023. |
↑192. | Marie-Anne Soyez: 1987 – Zum Geburtstag: die wiedereröffnete Kongresshalle, Archiv-Website des Hauses der Kulturen der Welt, abgerufen am 29. Januar 2023. |
↑193. | Marie-Anne Soyez & Axel Besteher-Hegenbart: 1988 – Vulkan in der Kongresshalle, Archiv-Website des Hauses der Kulturen der Welt, abgerufen am 29. Januar 2023. |
↑194. | Der eigentlich recht einfach scheinende Begriff des Spreebogens ist in Berlin nicht ganz leicht zu fassen. Tatsächlich werden mit ihm verschiedene Dinge benannt, die zu allem Überfluß auch noch miteinander verbunden sind. Zum einen bezeichnet man als Spreebogen den gesamten Abschnitt des Flusses zwischen der im Bezirk Mitte gelegenen Marschallbrücke im Osten und der Einmündung des Landwehrkanals im Westen. Hier mäandert die Spree in mehreren Schleifen, deren Gesamtheit unter dem Begriff zusammengefaßt wird. Zum anderen wird der Begriff Spreebogen aber auch für eben jene letzte große Spreeschleife vor der Marschallbrücke verwendet, an deren westlichem Ende wir uns gerade befinden. Daher wird auch der in ihr gelegene Park, den wir noch kennenlernen werden, als Spreebogenpark bezeichnet. Und um die Verwirrung komplett zu machen, wird auch das Areal der einstigen Bolle-Meierei, das wir zuvor bereits passiert hatten, manchmal einfach Spree-Bogen genannt. Um diese gemischte Verwendung des Begriffes hier nicht zu Verwirrungen führen zu lassen, verwenden wir ihn ausschließlich in Bezug auf die östlichste, vor der Marschallbrücke gelegene Spreeschleife, während wir die Gesamtheit aller dieser aufeinanderfolgenden Spreeschleifen mit dem Plural des Begriffes bezeichnen: Spreebögen. |
↑195. | Geschichte und Architektur des Kanzleramts, Website der Deutschen Bundesregierung, abgerufen am 29. Januar 2023. |
↑196. | Einem Kartenausschnitt aus dem Jahre 1866 zufolge wurde auch der Name „Neue Brücke“ verwendet. Siehe Zeitschrift für Bauwesen, herausgegeben unter Mitwirkung der Königl. Technischen Bau-Deputation und des Architekten-Vereins zu Berlin, 16. Jahrgang, Verlag von Ernst & Korn (Gropius’sche Buch- und Kunsthandlung), Berlin, 1866, Abbildung 38. |
↑197. | Da wir flußauf unterwegs sind, erscheint uns unser Ufer als das rechtsseitige. Allerdings werden derartige Angaben immer auf die Fließrichtung bezogen, so daß unser Ufer tatsächlich das linke ist. |
↑198. | Georg Pinkenburg: Baugeschichtliches von der Moltke-Brücke über die Spree in Berlin, In: Centralblatt der Bauverwaltung, herausgegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, 11. Jahrgang, Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin, Ausgabe 36 vom 5. September 1891, Seiten 346 ff. |
↑199. | Helmut Zschocke: Geheimnisvolles Alsenviertel am Bundeskanzleramt, PL Academic Research, Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main, 2017, ISBN 978-3-631-67499-4, Seiten 106 ff. |
↑200. | Jörg Kuhn: Figurenschmuck der Moltkebrücke, Website „Bildhauerei in Berlin“, abgerufen am 29. Januar 2023. |
↑201. | Rahel Marti: Spreebogenpark – Stille Wucht der Geschichte, Website www.nextroom.at, 16. September 2005, abgerufen am 30. Januar 2023. |